Der Blick aus dem Fenster erfolgt aus Israel, wo ich seit 1988 lebe. Geboren und aufgewachsen bin ich in der Schweiz. Aus meinem Fenster blicken auch Eyal, mein israelischer Mann und meine erwachsenen, sehr israelischen Kinder, Sivan, Itay und Lianne. Die Personen sind echt, unsere Namen aber frei erfunden.
Donnerstag, 29. Dezember 2016
Alles neu
Alles kommt einmal zu Ende. Der Bautrupp ist endlich abgezogen, wir putzen, räumen auf und lecken unsere Wunden. Resultat: ein neu gefliester Balkon, neu gestaltete Schlafzimmer, ein modern gestyltes Badezimmer, eine krumm angebrachte WC-Schüssel, 500 neue graue Haare.
Samstag, 17. Dezember 2016
Onleihe
Heute verbringe ich zweimal eine halbe Stunde beim Autofahren. Das Schöne daran: über die Lautsprecher, die per bluetooth mit meinem Smartphone verbunden sind, höre ich ein Audiobuch. Das Buch habe ich auf der „onleihe“-App heruntergeladen. Dazu muss man auf einer beliebigen online-Bibliothek registriert sein, zum Beispiel bei der Goethe-Bibliothek. Audio-Bücher gibt es zwar auch auf der Kindle-App, dort aber nur gegen Bezahlung. Bei onleihe hingegen kann man die Audio-Bücher kostenlos für sieben Tage ausleihen. Nun höre ich „Zwei Herren am Strand“ von Michael Köhlmeier. Dieser verblüffende Roman erzählt die Geschichte von Winston Churchill und Charlie Chaplin, deren Freundschaft auf einem gemeinsamen Feind basiert: Depression und Suizidgedanken. Die Audio-Version des Romans wird vom Autor Köhlmeier selbst gesprochen und so vergeht die Zeit beim Fahren wie im Flug. Wo immer ich ankomme, bereue ich fast, mein Ziel erreicht zu haben. Am liebsten würde ich nach Norden an die libanesische Grenze fahren und dann im Zickzack hinunter nach Eilat.
Besuch bei E im Heim für Holocaust-Überlebende
So langsam verstehe ich, wie das in der psychiatrischen Klinik läuft: die Patienten werden, aus welchem Grund auch immer, mehr oder weniger gesund eingeliefert und nach und nach werden sie gebrechlich, schwach und pflegebedürftig. Und wahnsinnig. Es scheint ausnahmslos ein unaufhaltsamer Prozess zu sein, an diesem traurigen Ort. Schlussendlich vegetieren alle Insassen hoffnungslos und gebrochen den ganzen Tag am Gemeinschaftstisch vor sich hin, bis sie zur Nachtruhe weggerollt werden. Nun sitzt auch E., die anfangs dieses Jahres - noch neu im Heim - ganz wacker auf den Beinen war und selbständig durch die Gänge spazierte, abgemagert, schwach und zitternd im Rollstuhl. Sie kann sich kaum aufrechthalten und als ich eintreffe, hat sie gerade ihren Kaffee verschüttet. Ich frage sie, wie es ihr geht und sie antwortet „miserabel“. Ihre Beine sind magerer als meine Unterarme und nun hat man ihr auch noch das schüttere graue Haar kurzgeschoren. Sie sieht elend aus. Traurig. Ein Leben ohne Lichtblick.
Ein Ast nach dem Sturm, in der psychiatrischen Klinik Sha‘ar Menashe |
Freitag, 16. Dezember 2016
Göttertrank
Kühle zwölf Grad erwarten mich während meiner Laufrunde an diesem Freitagmorgen. Der Himmel ist grau verhangen und es nieselt leise und ununterbrochen. Im Yaar Ilanot schützen mich die hohen Baumkronen vor dem Regen. Ich atme die frische Waldluft tief ein, meine Schritte knirschen auf dem feuchten Kiesweg, es riecht nach Nässe und Feuchtigkeit. Fast wähne ich mich in Europa.
Wäre da nicht diese Orange, die ich beim Laufen im Orangenhain vom Baum pflücke. Ich drücke und quetsche die noch harte Frucht und reisse mit blossen Händen ein Loch in die Schale. Dann presse ich mir den erfrischenden, säuerlichen Saft direkt in den Mund. Nektar und Ambrosia! Ahh Israel!
Wäre da nicht diese Orange, die ich beim Laufen im Orangenhain vom Baum pflücke. Ich drücke und quetsche die noch harte Frucht und reisse mit blossen Händen ein Loch in die Schale. Dann presse ich mir den erfrischenden, säuerlichen Saft direkt in den Mund. Nektar und Ambrosia! Ahh Israel!
Dienstag, 6. Dezember 2016
Die Baustelle
Bei uns zuhause herrscht der Ausnahmezustand. Ich weiss nicht, ob das andernorts auch so ist, aber in Israel scheint Bauen eine äusserst unexakte Wissenschaft zu sein. Da stellt man sich etwas vor, trifft sich mit dem Bauleiter, macht Pläne und dann kommt von der ersten Minute an alles anders als geplant. Das ganze Projekt ist nichts als eine Anhäufung unvorhergesehener Notfälle, die irgendwie aus dem Stegreif gelöst werden müssen. Und wie ich schon in früheren Bauprojekten erfahren habe, scheint auch dieser Baumeister von seiner Arbeit nicht die geringste Ahnung zu haben. Als gäbe man einem zufällig aufgegriffenen Menschen die Aufsicht über eine komplizierte Herzoperation. Oh, hier blutet es – was machen wir jetzt?
Wenige Stunden nachdem die Bautruppe mit Abbruch-, Meissel- und anderen Geräten bei uns eintrifft, herrscht im ganzen oberen Stockwerk ein heilloses Durcheinander. Nur in unserem eigenen Schlafzimmer versuchen wir verzweifelt, die Oberhand über Dreck und Staub zu bewahren. In allen anderen Schlaf- und Badezimmern wird gearbeitet und sie können vorübergehend nicht benützt werden. So konzentriert sich unser Familienleben auf Stube und Gästezimmer im unteren Stock.
Wo der Bauleiter nicht zuständig ist, wirft höhere Gewalt unsere Pläne über den Haufen: Nachdem wir unseren Sohn feierlich und schweren Herzens dem Militär übergeben haben, in der Hoffnung, dass er dort bis Ende der Arbeiten gut aufgehoben ist, steht er nach nur drei Tagen für das Wochenende schon wieder vor der Tür. Und auch Sivan, die in den letzten Wochen inoffiziell immer mehr bei ihrem Freund gewohnt hat und nur ab und zu vorbeigekommen ist, um unsere Kreditkarte für eine Fahrt an die nächste Tankstelle auszuleihen, ist nun just auch wieder da. Ihr Auserwählter hat beschlossen, sein Glück für einige Zeit in Amerika zu versuchen. Wahrscheinlich wurde es ihm zuhause zu eng. Und sobald auf unserer Baustelle alle Türen aus den Angeln gestemmt und die Zimmer mit Farben und Materialien bestrichen worden sind, die trocknen sollten, tritt endlich der israelische Winter ein und beschert uns kräftigen Regen und eisige Winde.
Alle Kleider und Besitztümer unserer Kinder sind in Koffer verpackt, die nun in der Stube stehen, welche ausserdem auch mit ausrangierten Möbeln, Militärstiefeln und Baumaterialien vollgestellt ist. Über Sandsäcken und Kartons mit Badezimmerfliesen hängen Büstenhalter und Frottiertücher. Und kaum haben die Bauarbeiten im oberen Stockwerk begonnen, wird der untere Stock von einer feinen weissen Puderschicht überzogen, gerade wie im Schwarzwald, wenn es über Nacht zum ersten mal schneit.
Der Mensch hat nicht genügend Fantasie, um sich den Wahnsinn einer Apokalypse vorzustellen und deshalb habe ich auch gar nicht daran gedacht, dass ich kein Waschzimmer haben werde, und noch weniger, dass die Bauerei wahrscheinlich Wochen dauern wird, während denen der Zugang zu unserer Waschmaschine abgeschnitten ist. Nun türmen sich die weiss verstaubten Wäscheberge (in unserem Schlafzimmer!) und die Kinder streiten sich nicht nur über eine Schlafgelegenheit auf dem Sofa, sondern auch um das letzte Paar saubere Socken.
In der Mitte dieses Tohuwabohus, auf unserem Esstisch, auf welchem wir für jede Mahlzeit ausgebreitete Baupläne und Badezimmerarmaturen zur Seite schieben, tront der Computer meines Mannes. Eyal versucht, zwischen streitenden Kindern und hilflosen Arbeitern einige dringende Aufträge zu erledigen.
Am Ende wird alles gut, versuche ich mich zu beruhigen. Um die Kinder ein bisschen in die Schranken zu weisen, erzählen wir ihnen einmal mehr die Geschichte meiner Schwiegereltern, die Anfang der 50er Jahre zusammen mit weiteren 120,000 Juden aus dem Irak flüchten mussten. 850,000 Juden flüchteten aus den arabischen Ländern und der Flüchtlingsstrom war in jenen Jahren in Israel so gewaltig, dass Auffanglager errichtet und die Flüchtlinge in Zeltstädten untergebracht werden mussten. Die Familie meiner Schwiegermutter hinterliess in Bazra ein grosses Haus und florierende Geschäfte und lebte in Israel fast zwei Jahre im Zelt, schlief auf Strohsäcken und hütete einen bescheidenen Schatz von Kleidern und Mitbringseln in hölzernen Reisekoffern. Von der 13-köpfigen Familie teilten sich die Eltern und sieben der Kinder ein Zelt. Die älteren Kinder waren schon verheiratet (und lebten in anderen Zelten) oder wurden gleich ins Militär eingezogen. Später lebte die Familie in Holz- und Wellblechhütten, bis sie sich endlich eine einfache Zweizimmerwohnung in der Stadt leisten konnte.
Bescheidenheit, liebe Kinder, Bescheidenheit und Verzicht sind das Gebot der Stunde.
Wenige Stunden nachdem die Bautruppe mit Abbruch-, Meissel- und anderen Geräten bei uns eintrifft, herrscht im ganzen oberen Stockwerk ein heilloses Durcheinander. Nur in unserem eigenen Schlafzimmer versuchen wir verzweifelt, die Oberhand über Dreck und Staub zu bewahren. In allen anderen Schlaf- und Badezimmern wird gearbeitet und sie können vorübergehend nicht benützt werden. So konzentriert sich unser Familienleben auf Stube und Gästezimmer im unteren Stock.
Wo der Bauleiter nicht zuständig ist, wirft höhere Gewalt unsere Pläne über den Haufen: Nachdem wir unseren Sohn feierlich und schweren Herzens dem Militär übergeben haben, in der Hoffnung, dass er dort bis Ende der Arbeiten gut aufgehoben ist, steht er nach nur drei Tagen für das Wochenende schon wieder vor der Tür. Und auch Sivan, die in den letzten Wochen inoffiziell immer mehr bei ihrem Freund gewohnt hat und nur ab und zu vorbeigekommen ist, um unsere Kreditkarte für eine Fahrt an die nächste Tankstelle auszuleihen, ist nun just auch wieder da. Ihr Auserwählter hat beschlossen, sein Glück für einige Zeit in Amerika zu versuchen. Wahrscheinlich wurde es ihm zuhause zu eng. Und sobald auf unserer Baustelle alle Türen aus den Angeln gestemmt und die Zimmer mit Farben und Materialien bestrichen worden sind, die trocknen sollten, tritt endlich der israelische Winter ein und beschert uns kräftigen Regen und eisige Winde.
Alle Kleider und Besitztümer unserer Kinder sind in Koffer verpackt, die nun in der Stube stehen, welche ausserdem auch mit ausrangierten Möbeln, Militärstiefeln und Baumaterialien vollgestellt ist. Über Sandsäcken und Kartons mit Badezimmerfliesen hängen Büstenhalter und Frottiertücher. Und kaum haben die Bauarbeiten im oberen Stockwerk begonnen, wird der untere Stock von einer feinen weissen Puderschicht überzogen, gerade wie im Schwarzwald, wenn es über Nacht zum ersten mal schneit.
Der Mensch hat nicht genügend Fantasie, um sich den Wahnsinn einer Apokalypse vorzustellen und deshalb habe ich auch gar nicht daran gedacht, dass ich kein Waschzimmer haben werde, und noch weniger, dass die Bauerei wahrscheinlich Wochen dauern wird, während denen der Zugang zu unserer Waschmaschine abgeschnitten ist. Nun türmen sich die weiss verstaubten Wäscheberge (in unserem Schlafzimmer!) und die Kinder streiten sich nicht nur über eine Schlafgelegenheit auf dem Sofa, sondern auch um das letzte Paar saubere Socken.
In der Mitte dieses Tohuwabohus, auf unserem Esstisch, auf welchem wir für jede Mahlzeit ausgebreitete Baupläne und Badezimmerarmaturen zur Seite schieben, tront der Computer meines Mannes. Eyal versucht, zwischen streitenden Kindern und hilflosen Arbeitern einige dringende Aufträge zu erledigen.
Am Ende wird alles gut, versuche ich mich zu beruhigen. Um die Kinder ein bisschen in die Schranken zu weisen, erzählen wir ihnen einmal mehr die Geschichte meiner Schwiegereltern, die Anfang der 50er Jahre zusammen mit weiteren 120,000 Juden aus dem Irak flüchten mussten. 850,000 Juden flüchteten aus den arabischen Ländern und der Flüchtlingsstrom war in jenen Jahren in Israel so gewaltig, dass Auffanglager errichtet und die Flüchtlinge in Zeltstädten untergebracht werden mussten. Die Familie meiner Schwiegermutter hinterliess in Bazra ein grosses Haus und florierende Geschäfte und lebte in Israel fast zwei Jahre im Zelt, schlief auf Strohsäcken und hütete einen bescheidenen Schatz von Kleidern und Mitbringseln in hölzernen Reisekoffern. Von der 13-köpfigen Familie teilten sich die Eltern und sieben der Kinder ein Zelt. Die älteren Kinder waren schon verheiratet (und lebten in anderen Zelten) oder wurden gleich ins Militär eingezogen. Später lebte die Familie in Holz- und Wellblechhütten, bis sie sich endlich eine einfache Zweizimmerwohnung in der Stadt leisten konnte.
Bescheidenheit, liebe Kinder, Bescheidenheit und Verzicht sind das Gebot der Stunde.
Samstag, 3. Dezember 2016
Kopfgymnastik
„Schreiben? Einfach! Nur die Buchstaben in die richtige Reihenfolge bringen“ behauptet der Autor Christoph Poschenrieder, von welchem ich "Die Welt ist im Kopf" gelesen habe, auf seiner Webseite.
Diese Aussage ist selbstredend für einen Sprachkünstler. Aber leider verkümmert eine Sprache, wenn man sie nicht gebraucht, sogar die Muttersprache. Und wenn Wortschatz, Grammatik und Satzstellung immer weniger selbstverständlich sind, wird Schreiben alles andere als einfach.
Einer der Gründe, warum ich schreibe – Tagebuch oder blog oder was auch immer - ist das verzweifelte Bestreben, mein deutsches Sprachvermögen nicht allzusehr einrosten zu lassen. Leider habe ich in den letzten dreissig Jahren kaum Gelegenheit, deutsch zu sprechen und das Lesen macht den Sprachverlust nicht wett. Deshalb ähneln meine Schreibversuche in etwa meinen Yoga-Übungen, die recht linkisch daherkommen. Aber immerhin falle ich nicht gleich hin, wenn ich auf einem Bein stehe.
Wie im Yoga möchte ich mich auch in der deutschen Sprache einigermassen flexibel halten. Es ist offensichtlich, dass meine Muttersprache nicht deutsch, sondern schweizerdeutsch ist - und dafür schäme ich mich nicht - aber sogar dieses verkümmert immer mehr. Und das Deutsche erst recht: ich kann Texte wirklich nicht einfach aus dem Ärmel schütteln. Ich muss mich anstrengen, meine Gehirnzellen heisslaufen lassen, mich strecken, dehnen und verrenken, um ein akzeptables Resultat hervorzubringen.
Meist schreibe ich, wie für diesen Beitrag, ein Gerüst, das meine Gedanken in einfacher Sprache festhält. Dann lese und verbessere ich es täglich. Feile daran herum, wechsle Worte aus, stelle Sätze um, bis ich damit zufrieden bin. Da ich deutsch im Alltag nicht gebrauche, verschwinden viele Worte in die unterste zugestaubte Ecke meiner Gehirnschubladen und geraten erst nach kräftigem Durchschütteln wieder an die Oberfläche. Und auch dann frage ich mich noch oft: gibt es dieses Wort so wirklich? Oder habe ich das gerade erfunden? Manchmal taucht plötzlich beim Autofahren, während einer langweiligen Sitzung und zuweilen auch mitten in der Nacht ein schon lange verloren geglaubtes Wort wieder auf. Da ist es ja, das ist genau, was ich gesucht habe! Nur, wie behalte ich es nun in Erinnerung, bis ich wieder vor dem Computer sitze? Oft suche ich im Internet sinnverwandte Worte, bis ich den zutreffendsten Ausdruck finde. Und dann die Kommas, die Zeiten, die Gross- und Kleinschreiberegeln...
Nun, lieber Herr Poschenrieder, für mich ist Schreiben alles andere als einfaches Aneinanderreihen von Buchstaben. Aber ich versuche, mich fit zu halten. Und ausserdem könnte ich sie einmal zu einem Strickabend einladen. Stricken ist auch ganz einfach, man muss nur die Maschen in die richtige Reihenfolge bringen...
Diese Aussage ist selbstredend für einen Sprachkünstler. Aber leider verkümmert eine Sprache, wenn man sie nicht gebraucht, sogar die Muttersprache. Und wenn Wortschatz, Grammatik und Satzstellung immer weniger selbstverständlich sind, wird Schreiben alles andere als einfach.
Einer der Gründe, warum ich schreibe – Tagebuch oder blog oder was auch immer - ist das verzweifelte Bestreben, mein deutsches Sprachvermögen nicht allzusehr einrosten zu lassen. Leider habe ich in den letzten dreissig Jahren kaum Gelegenheit, deutsch zu sprechen und das Lesen macht den Sprachverlust nicht wett. Deshalb ähneln meine Schreibversuche in etwa meinen Yoga-Übungen, die recht linkisch daherkommen. Aber immerhin falle ich nicht gleich hin, wenn ich auf einem Bein stehe.
Wie im Yoga möchte ich mich auch in der deutschen Sprache einigermassen flexibel halten. Es ist offensichtlich, dass meine Muttersprache nicht deutsch, sondern schweizerdeutsch ist - und dafür schäme ich mich nicht - aber sogar dieses verkümmert immer mehr. Und das Deutsche erst recht: ich kann Texte wirklich nicht einfach aus dem Ärmel schütteln. Ich muss mich anstrengen, meine Gehirnzellen heisslaufen lassen, mich strecken, dehnen und verrenken, um ein akzeptables Resultat hervorzubringen.
Meist schreibe ich, wie für diesen Beitrag, ein Gerüst, das meine Gedanken in einfacher Sprache festhält. Dann lese und verbessere ich es täglich. Feile daran herum, wechsle Worte aus, stelle Sätze um, bis ich damit zufrieden bin. Da ich deutsch im Alltag nicht gebrauche, verschwinden viele Worte in die unterste zugestaubte Ecke meiner Gehirnschubladen und geraten erst nach kräftigem Durchschütteln wieder an die Oberfläche. Und auch dann frage ich mich noch oft: gibt es dieses Wort so wirklich? Oder habe ich das gerade erfunden? Manchmal taucht plötzlich beim Autofahren, während einer langweiligen Sitzung und zuweilen auch mitten in der Nacht ein schon lange verloren geglaubtes Wort wieder auf. Da ist es ja, das ist genau, was ich gesucht habe! Nur, wie behalte ich es nun in Erinnerung, bis ich wieder vor dem Computer sitze? Oft suche ich im Internet sinnverwandte Worte, bis ich den zutreffendsten Ausdruck finde. Und dann die Kommas, die Zeiten, die Gross- und Kleinschreiberegeln...
Nun, lieber Herr Poschenrieder, für mich ist Schreiben alles andere als einfaches Aneinanderreihen von Buchstaben. Aber ich versuche, mich fit zu halten. Und ausserdem könnte ich sie einmal zu einem Strickabend einladen. Stricken ist auch ganz einfach, man muss nur die Maschen in die richtige Reihenfolge bringen...
Montag, 28. November 2016
Grosse und kleine Katastrophen
Unterdessen habe ich schon wieder eine Mammographie, Ultraschalluntersuchung und Stanzbiopsie zur Gewebeentnahme hinter mir. Während der Stanze liege ich halb erfroren und steif vor Angst auf dem Bett. Ich mag gar nicht daran denken, was es bedeuten könnte, wenn ich so schnell nach der letzten Behandlung jetzt schon wieder Krebs habe...
Nun warte ich auf den Befund. Die Tage sind von Angst, Sorgen und schlaflosen Nächten geprägt.
Während unseres Urlaubs im Oktober vergingen die Tage so schnell, dass wir ruckzuck schon wieder den Rückflug antraten, kaum dass ein bisschen Urlaubsstimmung aufkam. Je mehr ich versuchte, die Tage bewusst zu geniessen und hoffte, es würde nie zu Ende gehen, desto schneller tickte die Uhr.
Jetzt hingegen, während ich auf den Befund der Biopsie warte, scheint die Zeit stillzustehen. Es ist die längste Woche meines Lebens. Meine Tage sind vollgepackt mit Aktivitäten: bis Itay einrückt, habe ich drei Kinder zuhause, die mich auf Trab halten, wir haben angefangen, unsere Schlafzimmer und das Badezimmer zu renovieren und vor lauter Durcheinander weiss ich kaum, wo mir der Kopf steht. Als ich eine freie Minute haben, gehe ich ins Kino und ins Theater. Und trotzdem, die Tage vergehen einfach nicht.
Als die nicht enden wollende Woche des Wartens endlich herum ist, teilt man mir mit, dass noch immer kein Befund vorliegt und es zehn Tage bis zwei Wochen dauern kann, bis der Bescheid kommt. Ich rufe täglich im Institut an und erhalte täglich dieselbe Antwort: noch nichts.
Am Donnerstag, vor dem Wochenende, vertröstet man mich auf den nächsten Sonntag.
„Und ein schönes Wochenende noch!“ wünscht mir die Dame gutgelaunt am Telefon...
Am Montag kommt endlich die gute Nachricht: es ist alles in Ordnung. Hurra! Falscher Alarm! Es war alles nur ein Jux. Ich kann aufatmen und weiterleben.
Und ich kann mich wieder den kleinen Katastrophen des Lebens widmen, die natürlich nicht auf sich warten lassen. Beim Nachhausefahren nach dem Einkaufen läuft im Kofferraum meines Wagens fast ein ganzer Liter Milch aus. Ist das nicht wunderbar? Die Kakerlaken werden mir bestimmt für die Nahrung dankbar sein (siehe Kakerlake Teil 1).
Aber trotz grösseren und kleineren Katastrophen: ich fühle mich fantastisch. Plötzlich ist alles ein Kinderspiel.
Und ich erkenne, dass ich mich schrecklich schnell wieder daran gewöhnt habe, meine Gesundheit einfach als selbstverständlich hinzunehmen.
Nun warte ich auf den Befund. Die Tage sind von Angst, Sorgen und schlaflosen Nächten geprägt.
Während unseres Urlaubs im Oktober vergingen die Tage so schnell, dass wir ruckzuck schon wieder den Rückflug antraten, kaum dass ein bisschen Urlaubsstimmung aufkam. Je mehr ich versuchte, die Tage bewusst zu geniessen und hoffte, es würde nie zu Ende gehen, desto schneller tickte die Uhr.
Jetzt hingegen, während ich auf den Befund der Biopsie warte, scheint die Zeit stillzustehen. Es ist die längste Woche meines Lebens. Meine Tage sind vollgepackt mit Aktivitäten: bis Itay einrückt, habe ich drei Kinder zuhause, die mich auf Trab halten, wir haben angefangen, unsere Schlafzimmer und das Badezimmer zu renovieren und vor lauter Durcheinander weiss ich kaum, wo mir der Kopf steht. Als ich eine freie Minute haben, gehe ich ins Kino und ins Theater. Und trotzdem, die Tage vergehen einfach nicht.
Als die nicht enden wollende Woche des Wartens endlich herum ist, teilt man mir mit, dass noch immer kein Befund vorliegt und es zehn Tage bis zwei Wochen dauern kann, bis der Bescheid kommt. Ich rufe täglich im Institut an und erhalte täglich dieselbe Antwort: noch nichts.
Am Donnerstag, vor dem Wochenende, vertröstet man mich auf den nächsten Sonntag.
„Und ein schönes Wochenende noch!“ wünscht mir die Dame gutgelaunt am Telefon...
Am Montag kommt endlich die gute Nachricht: es ist alles in Ordnung. Hurra! Falscher Alarm! Es war alles nur ein Jux. Ich kann aufatmen und weiterleben.
Und ich kann mich wieder den kleinen Katastrophen des Lebens widmen, die natürlich nicht auf sich warten lassen. Beim Nachhausefahren nach dem Einkaufen läuft im Kofferraum meines Wagens fast ein ganzer Liter Milch aus. Ist das nicht wunderbar? Die Kakerlaken werden mir bestimmt für die Nahrung dankbar sein (siehe Kakerlake Teil 1).
Aber trotz grösseren und kleineren Katastrophen: ich fühle mich fantastisch. Plötzlich ist alles ein Kinderspiel.
Und ich erkenne, dass ich mich schrecklich schnell wieder daran gewöhnt habe, meine Gesundheit einfach als selbstverständlich hinzunehmen.
Samstag, 26. November 2016
Militärdienst
Letzten Dienstag haben wir unseren Sohn für die nächsten Jahre dem Militär übergeben. Ein sehr eindrücklicher und aufregender Anlass, denn in Israel rücken die jungen Leute nicht einfach alleine ein, sondern sie werden meistens von der ganzen Familie mit viel Lärm und Tararam (jidd., Aufheben) im Rekrutierungsamt abgegeben. Wenn die jungen Frauen und Männer dann aufgerufen werden und den schicksalshaften Bus besteigen, der sie zur Ausmusterung bringt, begleiten sie die Angehörigen mit Rufen und allgemeinem Lärm und bewerfen sie mit Süssigkeiten. Einige Familien bringen Darbuka-Trommeln mit und tragen so noch zur grossen Aufregung bei, die hier herrscht.
Den Satz von Woody Allen "Ich muss lachen, sonst bringe ich mich um" habe ich in einem früheren Beitrag schon einmal zitiert. Heute morgen trifft diese Aussage den Nagel auf den Kopf. Niemand freut sich, dass sein Kind ins Militär einrücken muss. Kein junger Mensch hätte nicht gerne die Alternative, in einem friedlichen und sicheren Land etwas Sinnvolleres mit seinem Leben anzufangen. Trotzdem - oder gerade deshalb - bringen Eltern, Geschwister, Grosseltern, Onkel und Tanten die Rekruten hierher, lärmen, lachen und tanzen, denn eigentlich ist es allen zum Weinen zumute.
Am Wochenende kommt der fesche junge Mann nach Hause, frisch eingekleidet in einer faltenfreien neuen Uniform und fast kahlgeschoren. Kann sein, dass meine mütterliche Meinung nicht sehr objektiv ist, aber er sieht wirklich umwerfend gut aus. Da er wohl weder als Koch noch im Armeeorchester eine Chance hat, ich ihn aber trotzdem gerne fernab der brenzligen Schauplätze wüsste, überlege ich mir, ob mein Augapfel seinen Dienst vielleicht als Fotomodell für Uniformen absolvieren könnte? Und bitte ja nicht schmutzig machen...
Den Satz von Woody Allen "Ich muss lachen, sonst bringe ich mich um" habe ich in einem früheren Beitrag schon einmal zitiert. Heute morgen trifft diese Aussage den Nagel auf den Kopf. Niemand freut sich, dass sein Kind ins Militär einrücken muss. Kein junger Mensch hätte nicht gerne die Alternative, in einem friedlichen und sicheren Land etwas Sinnvolleres mit seinem Leben anzufangen. Trotzdem - oder gerade deshalb - bringen Eltern, Geschwister, Grosseltern, Onkel und Tanten die Rekruten hierher, lärmen, lachen und tanzen, denn eigentlich ist es allen zum Weinen zumute.
Am Wochenende kommt der fesche junge Mann nach Hause, frisch eingekleidet in einer faltenfreien neuen Uniform und fast kahlgeschoren. Kann sein, dass meine mütterliche Meinung nicht sehr objektiv ist, aber er sieht wirklich umwerfend gut aus. Da er wohl weder als Koch noch im Armeeorchester eine Chance hat, ich ihn aber trotzdem gerne fernab der brenzligen Schauplätze wüsste, überlege ich mir, ob mein Augapfel seinen Dienst vielleicht als Fotomodell für Uniformen absolvieren könnte? Und bitte ja nicht schmutzig machen...
Freitag, 11. November 2016
Donnerstag, 10. November 2016
Verdacht
Wie vom Blitz getroffen taumle ich aus dem Brustzentrum. Dr. S hat einen neuen Knoten ertastet, jetzt in der linken Brust. Eventuell nur harmloses Brustgewebe, murmelt der Chirurg, aber er scheint selbst nicht davon überzeugt zu sein, sonst würde er mich wohl kaum gleich an Mammographie und Ultraschall weiterleiten und schriebe auch noch ‚dringend‘ in die obere Ecke. Im Brustzentrum selbst gibt es leider gerade keine freien Termine für die Untersuchungen, bestimmt nicht heute und nicht einmal in den nächsten Wochen. Das Krankenhaus scheint von einem Brustkrebs-Tsunami überrollt zu werden. So finde ich mich bald wieder draussen, bevor ich noch richtig begreife, was hier eben passiert ist. Beim Verlassen des Krankenhauses bin ich so verwirrt, dass ich vergesse, die Parkgebühr zu bezahlen und erst als ich mit dem Wagen vor der geschlossenen Schranke stehe, erwache ich aus meinem Schockzustand.
Ich werde in einem anderen Institut einen Termin suchen müssen, die Krankenkasse wird die Kosten für die nötigen Untersuchungen übernehmen. Ich weiss aber nicht recht, wohin ich mich nun wenden soll und fahre wie ein kopfloses Huhn zuerst in den einen Ort, dann in den andern und schlussendlich nach Hause, um alles telefonisch zu regeln. So dringend kann es ja nicht sein.
Zwei Stunden und einige Telefongespräche später habe ich mich wieder einigermassen beruhigt. Ich weiss ja schon, dass es für nichts eine Garantie gibt. Weder für Gesundheit, noch für ewiges Leben. Diese Erfahrung habe ich vor einigen Monaten schon gemacht. Unsere Zeit hier ist nur geliehen. Wir müssen das Beste daraus machen.
Ich werde in einem anderen Institut einen Termin suchen müssen, die Krankenkasse wird die Kosten für die nötigen Untersuchungen übernehmen. Ich weiss aber nicht recht, wohin ich mich nun wenden soll und fahre wie ein kopfloses Huhn zuerst in den einen Ort, dann in den andern und schlussendlich nach Hause, um alles telefonisch zu regeln. So dringend kann es ja nicht sein.
Zwei Stunden und einige Telefongespräche später habe ich mich wieder einigermassen beruhigt. Ich weiss ja schon, dass es für nichts eine Garantie gibt. Weder für Gesundheit, noch für ewiges Leben. Diese Erfahrung habe ich vor einigen Monaten schon gemacht. Unsere Zeit hier ist nur geliehen. Wir müssen das Beste daraus machen.
Sonntag, 6. November 2016
Kakerlake Teil 2
Schlussendlich ging alles ganz schnell: Keine Ahnung, wie ich es schaffte, das Tier mit einem einzigen sicheren Schlag meines Schuhs ausser Gefecht zu setzen. Dann musste ich mich noch überwinden, um die widerliche Leiche aus dem Wagen zu befördern, und schon brauste ich an den Bahnhof. Nur werde ich seither den Gedanken nicht los, dass weitere Kakerlakenexemplare auf meiner Kopflehne oder unter dem Bremspedal warten, um mich jeden Moment aus dem Hinterhalt anzuspringen.
Nachkontrolle
Diese Woche steht die Nachkontrolle im Brustzentrum an. Seit der OP ist schon mehr als ein halbes Jahr vergangen und obwohl für mich damals mit dem Krebsbescheid eine Welt zusammenbrach, kommt keine Panik auf. Ich fühle mich schon wieder viel zu sicher. Nicht mehr im Sinne von „mir passiert schon nichts“, diesen Satz habe ich endgültig aus meinem Vokabular gestrichen, sondern eher: “alles kann passieren, heute noch, morgen schon, lass dich nur nicht aus der Bahn werfen“.
Die kranke Yael? Zu ihr habe ich ein Beziehung, wie zu einer ehemaligen Klassenkollegin: Wer war das schon wieder? Ach ja, die mit dem Brustkrebs! Einmal war sie meine beste Freundin, aber dann haben wir uns aus den Augen verloren. Keinen Kontakt mehr. Nur wenn ich mich anstrenge, kann ich mich noch vage an sie erinnern.
Fast bin ich wieder soweit, zu glauben, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. Ich und Krebs? Das sind zwei Worte, die nicht zusammengehören.
Die kranke Yael? Zu ihr habe ich ein Beziehung, wie zu einer ehemaligen Klassenkollegin: Wer war das schon wieder? Ach ja, die mit dem Brustkrebs! Einmal war sie meine beste Freundin, aber dann haben wir uns aus den Augen verloren. Keinen Kontakt mehr. Nur wenn ich mich anstrenge, kann ich mich noch vage an sie erinnern.
Fast bin ich wieder soweit, zu glauben, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. Ich und Krebs? Das sind zwei Worte, die nicht zusammengehören.
Paella mit Freunden
Am Freitag treffen wir uns zum Abendessen mit Freunden. Über einer schmackhaften Paella führen wir gehaltvolle Gespräche bis spät in die Nacht. Kaum zu glauben, dass viele unserer Kinder schon den dreijährigen Militärdienst abgeschlossen haben. ‚Drei Jahre‘, sagt meine Freundin, deren Sohn erst gerade vor einigen Tagen die Uniform zurückgegeben hat, ‚drei Jahre, die sich anfühlen wie zehn‘. Jetzt bleiben uns nur noch einige Nachzügler, die auch bald einrücken werden. Von Generation zu Generation wird die Hoffnung israelischer Eltern, dass Friede herrschen wird, bis ihr Kind an der Reihe ist, von neuem enttäuscht. Ende Monat rückt mein Sohn ein. Jetzt wird es wirklich höchste Zeit, den Nahostkonflikt zu lösen. Einige Gläser Wein und wir sind sicher, das Patent zum sicheren Frieden in der Region gefunden zu haben. Leider haben wir es am nächsten Morgen wieder vergessen...
Mittwoch, 2. November 2016
Kakerlake Teil 1
Es ist neun Uhr abends, ich muss Eyal vom Bahnhof abholen, sein Zug fährt bestimmt gleich ein, während ich hier an einer grossen Kreuzung vom Rotlicht aufgehalten werde. Ich höre Musik und betrachte müde und in Gedanken versunken im Dunkeln die Autofahrer, die neben mir wartend in ihren Wagen sitzen.
Plötzlich huscht über das Armaturenbrett meines Wagens eine Riesen-Kakerlake! Sofort bin ich hellwach und in absoluter Panikstimmung: ein ekliges, widerliches braunes Ding von mindestens sechs oder sieben Zentimeter Länge! Hier, mit mir im Wagen! Alarmstufe 10, in meinem Kopf kreischen Sirenen, mein Puls steigt auf 180! Was nun? Ich kann kaum mehr klar denken, versuche aber trotzdem eiligst eine Lösung zu finden. Den Wagen mitten auf der Kreuzung verlassen? Kommt wohl kaum in Frage. Und sonst? Ich bin mit diesem Biest im Wagen eingeschlossen, ohne Fluchtmöglichkeit! Gleich wird es mich anspringen, oder unter meine Füsse hüpfen, um dann meine Beine hochzuklettern! Ich mache, was wohl jeder halbwegs vernünftige Mensch tun würde: ich kreische hysterisch und betätige den Schleudersitz – ach, das war nur die Hupe! Ich atme hechelnd, während das Tier vor mir nach Kakerlakenart mit haarigen Beinen in alle Richtungen rennt. Dann wechselt endlich die Ampel auf grün und ich schaffe es, schon fast ohnmächtig, den Wagen zur nächsten Bushaltestelle auf der anderen Seite der Kreuzung zu steuern. Dort verlasse ich nach einer reifenquitschenden Notbremsung fluchtartig den Wagen. Ich öffne alle Türen, damit die Ratten ungestört das sinkende Schiff verlassen können und nehme sicherheitshalber einen meiner Schuhe in die Hand, um bereit zu sein, falls das Ungetüm mich anspringen sollte.
Nun versuche ich, tief zu atmen und klar zu denken. Wie ich aus sicherer Entfernung sehen kann, scheint die Kakerlake die frische Luft nicht zu mögen und sucht sich – ganz entgegen meinem Plan - in meinem Wagen eine warme Ecke. Ich hingegen stehe nun frierend im Dunkeln. Während ich die Israelis sonst als sehr hilfreiches Volk gegenüber Menschen in Not kenne, scheint sich an diesem Abend niemand um eine Frau zu kümmern, die zu Tode erschrocken, mit einem Schuh in der Hand und mit den Armen fuchtelnd am Strassenrand steht, während ekelerregende Mächte aus der Unterwelt gerade ihr Auto in Besitz nehmen. Sogar eine Polizeistreife fährt vorbei, keiner hält an - was vielleicht auch besser ist, denn was sollte ich der Feuerwehr oder dem Pannendienst erklären? Dass ich eine Kakerlake im Auto habe? Dann doch besser auf das nächste Taxi oder den Bus warten. Ja, es war ein schöner Wagen, nur ein paar Monate alt, knappe 9000 Kilometer, aber beim Gedanken an die Kakerlakenfamilie, die nun vermutlich in den Röhren und Ritzen meines Wagens lebt, ergebe ich mich kampflos, wenn auch schweren Herzens.
Ach was, fasse ich dann Mut, denke an Eyal, der müde und hungrig am Bahnhof auf mich wartet und nähere mich mit dem Schuh in der erhobenen Hand dem Wagen. Da sitzt das Biest, in einer sicheren Ecke, es inspiziert seine neueste Errungenschaft, meinen geliebten Wagen, grinst mich schadenfreudig an und wackelt frech mit den langen Fühlern. Ich hebe meine Hand und…
Fortsetzung folgt …..
Plötzlich huscht über das Armaturenbrett meines Wagens eine Riesen-Kakerlake! Sofort bin ich hellwach und in absoluter Panikstimmung: ein ekliges, widerliches braunes Ding von mindestens sechs oder sieben Zentimeter Länge! Hier, mit mir im Wagen! Alarmstufe 10, in meinem Kopf kreischen Sirenen, mein Puls steigt auf 180! Was nun? Ich kann kaum mehr klar denken, versuche aber trotzdem eiligst eine Lösung zu finden. Den Wagen mitten auf der Kreuzung verlassen? Kommt wohl kaum in Frage. Und sonst? Ich bin mit diesem Biest im Wagen eingeschlossen, ohne Fluchtmöglichkeit! Gleich wird es mich anspringen, oder unter meine Füsse hüpfen, um dann meine Beine hochzuklettern! Ich mache, was wohl jeder halbwegs vernünftige Mensch tun würde: ich kreische hysterisch und betätige den Schleudersitz – ach, das war nur die Hupe! Ich atme hechelnd, während das Tier vor mir nach Kakerlakenart mit haarigen Beinen in alle Richtungen rennt. Dann wechselt endlich die Ampel auf grün und ich schaffe es, schon fast ohnmächtig, den Wagen zur nächsten Bushaltestelle auf der anderen Seite der Kreuzung zu steuern. Dort verlasse ich nach einer reifenquitschenden Notbremsung fluchtartig den Wagen. Ich öffne alle Türen, damit die Ratten ungestört das sinkende Schiff verlassen können und nehme sicherheitshalber einen meiner Schuhe in die Hand, um bereit zu sein, falls das Ungetüm mich anspringen sollte.
Nun versuche ich, tief zu atmen und klar zu denken. Wie ich aus sicherer Entfernung sehen kann, scheint die Kakerlake die frische Luft nicht zu mögen und sucht sich – ganz entgegen meinem Plan - in meinem Wagen eine warme Ecke. Ich hingegen stehe nun frierend im Dunkeln. Während ich die Israelis sonst als sehr hilfreiches Volk gegenüber Menschen in Not kenne, scheint sich an diesem Abend niemand um eine Frau zu kümmern, die zu Tode erschrocken, mit einem Schuh in der Hand und mit den Armen fuchtelnd am Strassenrand steht, während ekelerregende Mächte aus der Unterwelt gerade ihr Auto in Besitz nehmen. Sogar eine Polizeistreife fährt vorbei, keiner hält an - was vielleicht auch besser ist, denn was sollte ich der Feuerwehr oder dem Pannendienst erklären? Dass ich eine Kakerlake im Auto habe? Dann doch besser auf das nächste Taxi oder den Bus warten. Ja, es war ein schöner Wagen, nur ein paar Monate alt, knappe 9000 Kilometer, aber beim Gedanken an die Kakerlakenfamilie, die nun vermutlich in den Röhren und Ritzen meines Wagens lebt, ergebe ich mich kampflos, wenn auch schweren Herzens.
Ach was, fasse ich dann Mut, denke an Eyal, der müde und hungrig am Bahnhof auf mich wartet und nähere mich mit dem Schuh in der erhobenen Hand dem Wagen. Da sitzt das Biest, in einer sicheren Ecke, es inspiziert seine neueste Errungenschaft, meinen geliebten Wagen, grinst mich schadenfreudig an und wackelt frech mit den langen Fühlern. Ich hebe meine Hand und…
Fortsetzung folgt …..
Sonntag, 23. Oktober 2016
Danke
Ich besuche E. im Heim. Nach zwei epileptischen Anfällen hat sich ihr Zustand radikal verschlechtert, sie spricht kaum noch, sitzt im Rollstuhl und schaut mit leerem Blick vor sich hin. Ich weiss nicht, was sie noch wahrnimmt und was nicht. Heute ist ihr Geburtstag, aber bis ich sie daran erinnere, weiss sie nichts davon. Auf meine Frage, wie alt sie ist, antwortet sie “58”, dabei ist sie 72.
Trotzdem bringt sie es auch bei diesem Besuch fertig, mich zu berühren: “vielen Dank für deinen Besuch”, sagt sie in reinstem Deutsch und in einem Augenblick absoluter Klarheit, als ich mich verabschiede.
Trotzdem bringt sie es auch bei diesem Besuch fertig, mich zu berühren: “vielen Dank für deinen Besuch”, sagt sie in reinstem Deutsch und in einem Augenblick absoluter Klarheit, als ich mich verabschiede.
Samstag, 22. Oktober 2016
The Swiss experience
In der Schweiz treffen wir auch unseren Sohn Itay für einige Tage. Nach einem Jahr in der “Milchfabrik Kibbutz”, wo aus mehreren hundert Kühen je 40 Liter Milch am Tag gequält werden und bevor er demnächst für mindestens drei Jahre im israelischen Militär Staub schlucken wird, erlebt er im Landdienst bei einem Bauern im Berner Oberland “the ultimate Swiss experience”. Auf dem kleinen Hof gibt es kaum zwanzig Kühe und diese werden tagelang liebevoll geputzt und gestriegelt, um sie dann mit Glocken zu behängen und mit ihnen an eine Viehschau zu ziehen. Dazu trägt Itay natürlich Edelweisshemd, wie es sich gehört.
Urlaub und wieder zuhause
Blick auf die Alpen vom Passwang |
Unser Urlaub in Barcelona und der Schweiz vergeht in Windeseile. Barcelona ist sehr vielfältig und interessant und die Schweiz besticht einmal mehr mit Postkartenansichten, wohin man nur blickt – wenn es einmal nicht grau und bewölkt ist. Während mich aber in Israel immer das "Heimweh" plagt, wird mir, sobald ich Schweizer Boden betrete klar, dass ich doch nicht mehr hierher gehöre. Alles ist so gewohnt und doch so fremd. So ist Urlaub in der Schweiz für mich immer auch eine reichlich anstrengende Auseinandersetzung mit mir selbst. Ich fahre, gehe, wandere, spaziere durch diese Landschaften, Dörfer und Städte und fühle, das bin hundertprozentig ich, ich bin aus diesem Holz geschnitzt und doch empfinde ich eine Unbehaglichkeit, als wäre ich ein Kuckucksei im fremden Nest. Wo bin ich eigentlich zuhause? Für welches Land schlägt mein Herz? Was bedeuten mir meine Schweizer Wurzeln? Was bedeutet dieses Land, in welchem ich schon bald dreissig Jahre nicht mehr lebe, für mich? Könnte/möchte ich wieder hier leben?
Am Tag unseres Rückflugs reisen wir frühmorgens mit dem Zug nach Zürich. Draussen ist es kalt, grau und dunkel, es nieselt - typisches Schweizer Herbstwetter. Auch als wir um neun Uhr ankommen, liegt immer noch alles grau in grau. Im Zug lesen die Reisenden Zeitung oder tragen Kopfhörer und es ist so ruhig, dass wir beim Öffnen eines raschelnden Plastiktütchens mit zwei letzten Schweizer Gipfeli das Gefühl haben, dass sich alle Augen auf uns richten. Wir Israelis schauen uns an und müssen lachen. Jetzt glotzten die Mitreisenden erst recht.
Bei der Ankunft in Tel-Aviv hingegen herrscht heilloses Durcheinander: mehrere Flüge landen vor Shabbat zur gleichen Zeit. In der Ankunftshalle stürmen Menschen in alle Richtungen. Draussen kämpfen Busse, Taxen, Privatwagen und Fussgänger hupend und lärmend um den Vorrang auf der Strasse.
Lärm, Menschen, Durcheinander und vor allem Sonne – Leben! Ich atme auf und fühle mich zuhause.
Freitag, 7. Oktober 2016
Fragen
Eine Krebserkrankung bringt für die meisten Betroffenen viele Fragen mit sich. Warum Krebs? Warum ich? Warum dies? Warum jenes?
Ich war schon vor meiner Brustkrebs-Erkrankung ein Mensch mit vielen Fragen und die Krankheit erschütterte in meinem Leben noch zusätzlich Einiges, von dem ich nie gedacht hätte, dass daran etwas zu rütteln wäre.
Und nun? Wie kann ich das Schlechte aussondern, ohne vorher mein Leben zu entflechten? Muss ich nun alles aufarbeiten? Lösungen finden? Forschen, bis alles schön säuberlich auf dem Tisch liegt und in die richtigen Schubladen einsortiert werden kann?
Nur etwas wird mir in den letzten Wochen immer klarer: dass ich mich mit vielen Fragen im Moment gar nicht auseinandersetzen möchte. Vielleicht macht es mir ein wenig Angst, Antworten zu finden, die ich nicht wahrhaben will und ausserdem habe ich eine leise Ahnung, dass es keinen Zustand der absoluten Klarheit gibt. Heute habe ich bei Rainer Maria Rilke einen wunderschönen Hinweis darauf gefunden, dass ich damit vielleicht gar nicht so falsch liege:
An Franz Xaver Kappus
z. Zt. Worpswede bei Bremen, am 16. Juli 1903
…Sie sind so jung, so vor allem Anfang, und ich möchte Sie, so gut ich es kann, bitten, lieber Herr, Geduld zu haben gegen alles Ungelöste in Ihrem Herzen und zu versuchen, die Fragen selbst liebzuhaben wie verschlossene Stuben und wie Bücher, die in einer sehr fremden Sprache geschrieben sind. Forschen Sie jetzt nicht nach den Antworten, die Ihnen nicht gegeben werden können, weil Sie sie nicht leben könnten. Und es handelt sich darum, alles zu leben. Leben Sie jetzt die Fragen. Vielleicht leben Sie dann allmählich, ohne es zu merken, eines fernen Tages in die Antwort hinein….
Rainer Maria Rilke
Ich war schon vor meiner Brustkrebs-Erkrankung ein Mensch mit vielen Fragen und die Krankheit erschütterte in meinem Leben noch zusätzlich Einiges, von dem ich nie gedacht hätte, dass daran etwas zu rütteln wäre.
Und nun? Wie kann ich das Schlechte aussondern, ohne vorher mein Leben zu entflechten? Muss ich nun alles aufarbeiten? Lösungen finden? Forschen, bis alles schön säuberlich auf dem Tisch liegt und in die richtigen Schubladen einsortiert werden kann?
Nur etwas wird mir in den letzten Wochen immer klarer: dass ich mich mit vielen Fragen im Moment gar nicht auseinandersetzen möchte. Vielleicht macht es mir ein wenig Angst, Antworten zu finden, die ich nicht wahrhaben will und ausserdem habe ich eine leise Ahnung, dass es keinen Zustand der absoluten Klarheit gibt. Heute habe ich bei Rainer Maria Rilke einen wunderschönen Hinweis darauf gefunden, dass ich damit vielleicht gar nicht so falsch liege:
An Franz Xaver Kappus
z. Zt. Worpswede bei Bremen, am 16. Juli 1903
…Sie sind so jung, so vor allem Anfang, und ich möchte Sie, so gut ich es kann, bitten, lieber Herr, Geduld zu haben gegen alles Ungelöste in Ihrem Herzen und zu versuchen, die Fragen selbst liebzuhaben wie verschlossene Stuben und wie Bücher, die in einer sehr fremden Sprache geschrieben sind. Forschen Sie jetzt nicht nach den Antworten, die Ihnen nicht gegeben werden können, weil Sie sie nicht leben könnten. Und es handelt sich darum, alles zu leben. Leben Sie jetzt die Fragen. Vielleicht leben Sie dann allmählich, ohne es zu merken, eines fernen Tages in die Antwort hinein….
Rainer Maria Rilke
Donnerstag, 6. Oktober 2016
Geburtstag
Heute ist mein Geburtstag. Das hat für mich keine besondere Bedeutung, ausser dass die Uhr tickt und das unvermeidbare Ende wieder etwas näher rückt… Es ist nur eine Zahl, versuche ich mir einzureden, aber dass ich schon mehr als die Hälfte überschritten habe, ist unbestreitbar, selbst wenn mir ein langes Leben wie das von Shimon Peres vergönnt wäre.
Ausserdem ist dieser absolut unspektakuläre Tag eingeklemmt zwischen einem langen Feiertagswochenende und unserer morgigen Reise nach Spanien und in die Schweiz. Ein vollgepackter Arbeitstag also, dann noch Besorgungen und Kofferpacken. Zum Feiern werde ich heute bestimmt keine Zeit finden, da der Grund dafür aber eine bevorstehende Urlaubsreise ist, macht mich das ganz und gar nicht traurig.
Während ich versuche, im Büro alles Notwendige nach- und vorzuholen, treffen auf meinem Smartphone schon frühmorgens die ersten Geburtstagswünsche ein. Gegen Mittag nimmt die Anzahl der Meldungen zu: über facebook, WhatsApp und Messenger gratulieren mir mehr oder weniger Bekannte zum Geburtstag. Menschen aus Israel, der Schweiz und anderen Ländern, von Neuseeland bis Kanada. Sogar meine Töchter, die mich in wenigen Stunden zu Hause wieder zur Schnecke machen werden, müssen unbedingt der besten Mutter auf dieser Welt über facebook zum Geburtstag gratulieren. Einige Personen laden Fotos mit mir hoch und beglückwünschen mich, andere antworten darauf, so entstehen Wortwechsel und Antwortstränge, ohne dass ich mich einmische. Irgendwann, zwischen der Gratulation des Bürgermeisters meines Wohnorts (!) und den Grüssen von G. aus Neuseeland, mit welcher ich vor dreissig Jahren meinen ersten Tauchkurs absolviert habe, verliere ich die Übersicht. Likes, Grüsse, Wünsche, Gratulationen. Das Gerät macht sich selbständig und während ich mich auf die Arbeit konzentriere, geht in der Party meines virtuellen Lebens so richtig die Post ab und ich bin nicht sicher, ob das alles etwas mit mir zu tun hat. Zwischen letzten eiligen Reisebesorgungen nachmittags und Kofferpacken am Abend werfe ich ab und zu amüsiert einen Blick auf das heisslaufende Gerät, das den ganzen Tag surrt, piepst und zirpt. Erst Nachts, nach einigen letzten Zuckungen (Bekannte aus den USA) verstummt es wieder – das Fest ist vorbei.
Ausserdem ist dieser absolut unspektakuläre Tag eingeklemmt zwischen einem langen Feiertagswochenende und unserer morgigen Reise nach Spanien und in die Schweiz. Ein vollgepackter Arbeitstag also, dann noch Besorgungen und Kofferpacken. Zum Feiern werde ich heute bestimmt keine Zeit finden, da der Grund dafür aber eine bevorstehende Urlaubsreise ist, macht mich das ganz und gar nicht traurig.
Während ich versuche, im Büro alles Notwendige nach- und vorzuholen, treffen auf meinem Smartphone schon frühmorgens die ersten Geburtstagswünsche ein. Gegen Mittag nimmt die Anzahl der Meldungen zu: über facebook, WhatsApp und Messenger gratulieren mir mehr oder weniger Bekannte zum Geburtstag. Menschen aus Israel, der Schweiz und anderen Ländern, von Neuseeland bis Kanada. Sogar meine Töchter, die mich in wenigen Stunden zu Hause wieder zur Schnecke machen werden, müssen unbedingt der besten Mutter auf dieser Welt über facebook zum Geburtstag gratulieren. Einige Personen laden Fotos mit mir hoch und beglückwünschen mich, andere antworten darauf, so entstehen Wortwechsel und Antwortstränge, ohne dass ich mich einmische. Irgendwann, zwischen der Gratulation des Bürgermeisters meines Wohnorts (!) und den Grüssen von G. aus Neuseeland, mit welcher ich vor dreissig Jahren meinen ersten Tauchkurs absolviert habe, verliere ich die Übersicht. Likes, Grüsse, Wünsche, Gratulationen. Das Gerät macht sich selbständig und während ich mich auf die Arbeit konzentriere, geht in der Party meines virtuellen Lebens so richtig die Post ab und ich bin nicht sicher, ob das alles etwas mit mir zu tun hat. Zwischen letzten eiligen Reisebesorgungen nachmittags und Kofferpacken am Abend werfe ich ab und zu amüsiert einen Blick auf das heisslaufende Gerät, das den ganzen Tag surrt, piepst und zirpt. Erst Nachts, nach einigen letzten Zuckungen (Bekannte aus den USA) verstummt es wieder – das Fest ist vorbei.
Dienstag, 4. Oktober 2016
Rückkehr nach Neutitschein
Es ist zwar nicht Holocaust-Gedenktag, sondern Neujahr, aber ich verschlinge an diesen Feiertagen das Buch “drei Leben” von Max Mannheimer.
Die nachfolgenden Sätze bringen mich dazu, das Buch zur Seite zu legen und eine Pause zu machen, aber erst, nachdem ich den Abschnitt mehrere Male gelesen habe.
Wie Phönix aus der Asche entsteigen Max und sein Bruder, die einzigen Überlebenden der Familie, der Hölle und haben wenige Wochen nach Kriegsende die Gelegenheit, in den Ort ihrer Kindheit zurückzufahren:
“Es war ein warmer Sommertag, die Sonne schien, der Himmel war hoch und blau, und in den Blumenkästen vor den Fenstern blühten die Geranien, ganz wie früher. Auf den ersten Blick hatte sich die Stadt nicht verändert. Sie war immer noch die hübsche Provinzstadt mit ihren schönen alten Fassaden und dem grossen Marktplatz, die wir zurückgelassen hatten. Dennoch war sie uns ganz und gar fremd geworden. Unsere Vergangenheit war daraus verschwunden. Bedrückt gingen wir durch die Strassen, vorbei an den Häusern, in denen die Lilienthals, die Kupfermanns, die Bermanns und all die anderen gewohnt hatten, und lasen die fremden Namen auf den Klingelschildern.”
Die nachfolgenden Sätze bringen mich dazu, das Buch zur Seite zu legen und eine Pause zu machen, aber erst, nachdem ich den Abschnitt mehrere Male gelesen habe.
Wie Phönix aus der Asche entsteigen Max und sein Bruder, die einzigen Überlebenden der Familie, der Hölle und haben wenige Wochen nach Kriegsende die Gelegenheit, in den Ort ihrer Kindheit zurückzufahren:
“Es war ein warmer Sommertag, die Sonne schien, der Himmel war hoch und blau, und in den Blumenkästen vor den Fenstern blühten die Geranien, ganz wie früher. Auf den ersten Blick hatte sich die Stadt nicht verändert. Sie war immer noch die hübsche Provinzstadt mit ihren schönen alten Fassaden und dem grossen Marktplatz, die wir zurückgelassen hatten. Dennoch war sie uns ganz und gar fremd geworden. Unsere Vergangenheit war daraus verschwunden. Bedrückt gingen wir durch die Strassen, vorbei an den Häusern, in denen die Lilienthals, die Kupfermanns, die Bermanns und all die anderen gewohnt hatten, und lasen die fremden Namen auf den Klingelschildern.”
Freitag, 30. September 2016
Guaranteed
Heute wird beim Autofahren im Radio das Lied Guaranteed von Eddie Vedder gespielt. Ein faszinierender Song aus dem Soundtrack des Films “Into the Wild” von Sean Penn. Der Film erzählt die Geschichte eines jungen Mannes, der nach dem Studium nicht den für ihn von Gesellschaft und Familie vorbestimmten Weg gehen will, sondern eine lange Reise unternimmt. Er sagt sich von materiellem Besitz los, reist und jobbt durch die USA und lebt zum Schluss alleine in der Wildnis Alaskas. Ja, zum Schluss, denn der Film endet nicht mit einem Happyend. Der junge Mann stirbt, ganz unspektakulär erliegt er aber nicht einem wilden Bären im Kampf und fällt auch nicht beim Fischen von einem hohen Wasserfall, sondern geht kümmerlich zu Grunde, weil er unwissend eine giftige Pflanze isst.
Ich habe den Film vor zwei, drei Jahren zusammen mit meinem Sohn gesehen und Itay identifizierte sich so sehr mit dem Helden, dass er ob dem erschütternden Ende in bittere Tränen ausbrach.
Ich habe den Film vor zwei, drei Jahren zusammen mit meinem Sohn gesehen und Itay identifizierte sich so sehr mit dem Helden, dass er ob dem erschütternden Ende in bittere Tränen ausbrach.
Natürlich denke ich, als ich das Lied heute im Radio höre, sofort an Itay. Er durchlebt in diesen Tagen sein eigenes kleines “Into the Wild”-Abenteuer. Er wandert alleine und mit Rucksack von Interlaken nach Worb. Nun kann man den Thunersee wirklich nicht mit der Wildnis Alaskas vergleichen, aber die Idee von Freiheit und Selbsterfahrung ist dieselbe, nur mit dem Vorteil, dass man sich anstelle von wilden Pflanzen mit knusprigen Gipfeli und Schweizer Käse aus der Migros verpflegen kann.
Übrigens habe ich mich heute schon mindestens zwei oder dreimal bei Google maps an den Uferweg des Thunersees gezoomt und bin per Mauszeiger dem ganzen See entlang gestiefelt. Nein, ich werde Itay auf Google maps nicht finden, aber in Gedanken erwandere ich mit ihm dort am See meine und auch ein wenig seine Schweizer Wurzeln.
Übrigens habe ich mich heute schon mindestens zwei oder dreimal bei Google maps an den Uferweg des Thunersees gezoomt und bin per Mauszeiger dem ganzen See entlang gestiefelt. Nein, ich werde Itay auf Google maps nicht finden, aber in Gedanken erwandere ich mit ihm dort am See meine und auch ein wenig seine Schweizer Wurzeln.
Mittwoch, 28. September 2016
Flügge
Mein neunzehnjähriger Sohn macht sich selbständig. Nach mehr als einem Jahr im Kibbutz, der ja eigentlich noch ganz in der Nähe lag, fliegt er heute für sechs Wochen in die Schweiz. Dort hat er aber nicht etwa vor, bei seinen Verwandten an den bekannten Orten auf der faulen Haut zu liegen, sondern er will die Welt entdecken. Ein Monat Landdienst bei unbekannten Bauern ist schon gebucht und um das Abenteuer perfekt zu machen, hat er vor, in einer mehrtägigen Wanderung zu Fuss dorthin zu gelangen.
Dabei hat er von der Schweizer Geographie ungefähr soviel Ahnung wie ich von der Quantenphysik und unseren Vorschlag, uns im Internet etwas schlau zu machen, schlägt er in den Wind. Ich habe keine Ahnung, wie er vorhat, von A nach B zu gelangen und die Tatsache, dass er heute morgen fast den Flug verpasst, weil er in Tel-Aviv in einen falschen Zug gestiegen ist, lässt mich nicht gerade beruhigt zurück.
Beim Packen wird mir auch richtig bewusst, wie unterschiedlich wir beide ticken. Er nimmt nur das absolut Notwendigste mit und auch davon vergisst er am Morgen vor dem Flug noch die Hälfte. Das eingepackte Duschgel ist ein Miniature-Gratismuster und würde mir höchstens zwei Tage reichen und ein zweites Paar Schuhe findet er überflüssig. Wenn er also abends in einer Bar ein Bier trinken möchte, wird er dazu dieselben Schuhe tragen müssen, die er beim Stall-Ausmisten an hat.
Ach, was mache ich mir Sorgen! Es wird schon gut gehen. War ich eigentlich auch mal so unbesorgt? Wahrscheinlich schon, sonst wäre ich wohl kaum mit 24 Jahren wegen einer verheissungsvollen Romanze nach Israel gereist, ohne auch nur den geringsten Plan für die Zukunft zu haben.
Zugegeben, der Gedanke, dass nun eine Person weniger abgegessene Pfirsichkerne auf dem Sofa liegen lässt und schmutzige Kleider, nasse Frottiertücher und Schuhe in Grösse 46 im ganzen Haus verstreut, ist ganz verlockend, aber als Itay tatsächlich seine Siebensachen zusammen packt, ist mir doch reichlich schwer ums Herz.
"Bring mir nur ja keine Schweizer Freundin nach Hause", warne ich ihn noch, "die taugen nämlich nichts!"
Nun, die Chancen, dass überhaupt ein weibliches Wesen in seine Richtung schaut, sind wohl eher gering, wenn er mit Mistschuhen in den Ausgang geht und nach zwei Tagen kein Duschgel mehr hat.
Dabei hat er von der Schweizer Geographie ungefähr soviel Ahnung wie ich von der Quantenphysik und unseren Vorschlag, uns im Internet etwas schlau zu machen, schlägt er in den Wind. Ich habe keine Ahnung, wie er vorhat, von A nach B zu gelangen und die Tatsache, dass er heute morgen fast den Flug verpasst, weil er in Tel-Aviv in einen falschen Zug gestiegen ist, lässt mich nicht gerade beruhigt zurück.
Beim Packen wird mir auch richtig bewusst, wie unterschiedlich wir beide ticken. Er nimmt nur das absolut Notwendigste mit und auch davon vergisst er am Morgen vor dem Flug noch die Hälfte. Das eingepackte Duschgel ist ein Miniature-Gratismuster und würde mir höchstens zwei Tage reichen und ein zweites Paar Schuhe findet er überflüssig. Wenn er also abends in einer Bar ein Bier trinken möchte, wird er dazu dieselben Schuhe tragen müssen, die er beim Stall-Ausmisten an hat.
Ach, was mache ich mir Sorgen! Es wird schon gut gehen. War ich eigentlich auch mal so unbesorgt? Wahrscheinlich schon, sonst wäre ich wohl kaum mit 24 Jahren wegen einer verheissungsvollen Romanze nach Israel gereist, ohne auch nur den geringsten Plan für die Zukunft zu haben.
Zugegeben, der Gedanke, dass nun eine Person weniger abgegessene Pfirsichkerne auf dem Sofa liegen lässt und schmutzige Kleider, nasse Frottiertücher und Schuhe in Grösse 46 im ganzen Haus verstreut, ist ganz verlockend, aber als Itay tatsächlich seine Siebensachen zusammen packt, ist mir doch reichlich schwer ums Herz.
"Bring mir nur ja keine Schweizer Freundin nach Hause", warne ich ihn noch, "die taugen nämlich nichts!"
Nun, die Chancen, dass überhaupt ein weibliches Wesen in seine Richtung schaut, sind wohl eher gering, wenn er mit Mistschuhen in den Ausgang geht und nach zwei Tagen kein Duschgel mehr hat.
Sonntag, 25. September 2016
Gedanken beim Badezimmer-Putzen
In einer idealen Welt, so stelle ich mir vor, gibt es keinen Krieg, keinen Hunger, keinen sinnlosen Hass, und alle, aber wirklich ausnahmslos alle Familienmitglieder helfen beim Putzen mit!
Samstag, 24. September 2016
Max Mannheimer
Gestern ist Max Mannheimer, einer der prominentesten Holocaust-Überlebenden und Repräsentant der Juden in Deutschland, im Alter von 96 Jahren verstorben. (Artikel in der "Zeit")
Sein Buch “drei Leben” hat mich vor einiger Zeit sehr beeindruckt. Nun lese ich es zum Gedenken gleich zum zweiten Mal.
Sein Buch “drei Leben” hat mich vor einiger Zeit sehr beeindruckt. Nun lese ich es zum Gedenken gleich zum zweiten Mal.
Freitag, 23. September 2016
Solidarität mit den Drusen
Die drusische Stadt Daliat al-Carmel im Norden Israels organisiert einmal im Jahr einen sportlichen Anlass zur Erinnerung an die in den Kriegen gefallenen Söhne. Scharen von Teilnehmern (etwa 12’000) machen sich an einem Tag im September auf nach Daliat al-Carmel. Ein Grund dafür mögen die vielfältigen Lauf- und Rad-Wettbewerbskategorien sein, aber sicherlich noch viel mehr die Tatsache, dass die Israelis ihrer Dankbarkeit und der Solidarität mit den Drusen Ausdruck geben wollen.
Die drusische Religionsgemeinschaft umfasst etwas mehr als eine Million Mitglieder, welche grösstenteils in Syrien, teilweise im Libanon und mit etwas mehr als 100,000 Personen in Israel leben. Sie sehen sich als Araber, jedoch nicht als Muslime. Ihre Religion ist aus dem schiitischen Islam entstanden und da Praktiken und Einzelheiten der Religion der Drusen nicht außerhalb der Gemeinschaft bekannt sind, wird das Drusentum als Geheimreligion betrachtet. Kein Andersgläubiger kann sich der drusischen Religion anschliessen und nur wer von drusischen Eltern geboren wird, ist Druse. Die größte drusische Ansiedlung in Israel ist Daliat al-Carmel mit über 10.000 Einwohnern. Auf den Golanhöhen leben weitere rund 20’000 Drusen. Dieses ehemals syrische Gebiet wurde 1967 von der israelischen Armee erobert, die dort lebenden Drusen gehören somit nun zu Israel und wäre dem nicht so, wären sie vielleicht heute als Flüchtlinge unterwegs nach Europa.
Weiterhin sind die Drusen in Israel auf rund 20 drusische Dörfer verstreut. Ganz im Gegensatz zu der in Europa weitverbreiteten Meinung, dass jeder Fremde schnellstmöglich integriert und innert einer oder höchstens zwei Generationen zu einem liberalen, aufgeklärten und demokratischen Europäer metamorphieren muss, leben in Israel die verschiedenen Religionsgemeinschaften - mit einigen Ausnahmen - in ihren eigenen Orten und treffen sich nur in öffentlichen Institutionen, wie Universitäten, im Militär und an den gemeinsamen Arbeitsplätzen. Abends jedoch kehrt jeder wieder in sein Dorf zurück, wo er mit seinesgleichen leben und seine eigenen Traditionen bewahren kann.
Die traditionelle Kleidung der Drusen ist schwarz, die Männer tragen dazu ein weisses Käppi, die Frauen meist einen weissen, durchsichtigen Voile-Schleier, den sie luftig-locker um den Kopf legen.
Die Drusen und die Israelis verbindet eine tiefe Freundschaft und als loyale Bürger leisten die meisten drusischen Männer Wehrdienst in der israelischen Armee. Da die drusische Gemeinschaft traditionell konservativ ist, ist es für die drusischen Frauen nicht angebracht, Wehrdienst zu leisten.
Eyal und ich begnügen uns mit dem 5km-Lauf zur “Erinnerung an die drusischen Söhne” (es gäbe auch 10 und 15 km Strecken). Die anspruchsvolle Laufstrecke in der hügeligen Gegend um Daliat al-Carmel führt uns abwechslungsweise bergab und dann wieder bergauf. Einige junge Drusen laufen in ihrer traditionellen Kleidung, einer schwarzen, sehr eigenartigen Pumphose. Die zahlreichen Mitläufer, hauptsächlich junge Soldaten, sorgen für gute Stimmung. Sie lärmen, singen, unterstützen sich und feuern sich gegenseitig an. Ich sehe aber auch viele Privatpersonen mit bedruckten T-Shirts “Zur Einnerung an …., gefallen am ….”, oder “…., wir werden dich nie vergessen”, “ich laufe in Erinnerung an meinen Bruder, …., gefallen am …”.
Viele von ihnen können keine 5 Kilometer am Stück laufen, aber sie bestreiten diese Herausforderung, zur Erinnerung an ein gefallenes Familienmitglied und aus Solidarität mit anderen leidtragenden Familien, welcher Religion auch immer.
Nach dem Lauf findet ein grosses Happening statt und die Läufer und Radfahrer werden mit Datteln, Bananen, Jogurts, frisch gebrautem Kaffee und traditionellem Gebäck versorgt.
Die Beziehung zwischen den Drusen und den Israelis ist von Respekt und meist harmonischem Zusammenleben, aber ab und zu auch von Problemen geprägt. Wie Geschwister streitet man sich und rauft sich wieder zusammen, denn eine andere Möglichkeit gibt es nicht.
Es tut mir sehr leid, dass in Europa so viel Schlechtes über Israel geschrieben und verbreitet wird. Hier ist ein Beispiel von einer loyalen und respektvollen Partnerschaft zwischen Religionsgemeinschaften, von welcher in Europa kaum jemand etwas weiss, obwohl es in Israel einige davon gibt.
Die drusische Religionsgemeinschaft umfasst etwas mehr als eine Million Mitglieder, welche grösstenteils in Syrien, teilweise im Libanon und mit etwas mehr als 100,000 Personen in Israel leben. Sie sehen sich als Araber, jedoch nicht als Muslime. Ihre Religion ist aus dem schiitischen Islam entstanden und da Praktiken und Einzelheiten der Religion der Drusen nicht außerhalb der Gemeinschaft bekannt sind, wird das Drusentum als Geheimreligion betrachtet. Kein Andersgläubiger kann sich der drusischen Religion anschliessen und nur wer von drusischen Eltern geboren wird, ist Druse. Die größte drusische Ansiedlung in Israel ist Daliat al-Carmel mit über 10.000 Einwohnern. Auf den Golanhöhen leben weitere rund 20’000 Drusen. Dieses ehemals syrische Gebiet wurde 1967 von der israelischen Armee erobert, die dort lebenden Drusen gehören somit nun zu Israel und wäre dem nicht so, wären sie vielleicht heute als Flüchtlinge unterwegs nach Europa.
Weiterhin sind die Drusen in Israel auf rund 20 drusische Dörfer verstreut. Ganz im Gegensatz zu der in Europa weitverbreiteten Meinung, dass jeder Fremde schnellstmöglich integriert und innert einer oder höchstens zwei Generationen zu einem liberalen, aufgeklärten und demokratischen Europäer metamorphieren muss, leben in Israel die verschiedenen Religionsgemeinschaften - mit einigen Ausnahmen - in ihren eigenen Orten und treffen sich nur in öffentlichen Institutionen, wie Universitäten, im Militär und an den gemeinsamen Arbeitsplätzen. Abends jedoch kehrt jeder wieder in sein Dorf zurück, wo er mit seinesgleichen leben und seine eigenen Traditionen bewahren kann.
Die traditionelle Kleidung der Drusen ist schwarz, die Männer tragen dazu ein weisses Käppi, die Frauen meist einen weissen, durchsichtigen Voile-Schleier, den sie luftig-locker um den Kopf legen.
Die Drusen und die Israelis verbindet eine tiefe Freundschaft und als loyale Bürger leisten die meisten drusischen Männer Wehrdienst in der israelischen Armee. Da die drusische Gemeinschaft traditionell konservativ ist, ist es für die drusischen Frauen nicht angebracht, Wehrdienst zu leisten.
Eine Polizistin passt auf uns auf |
Viele von ihnen können keine 5 Kilometer am Stück laufen, aber sie bestreiten diese Herausforderung, zur Erinnerung an ein gefallenes Familienmitglied und aus Solidarität mit anderen leidtragenden Familien, welcher Religion auch immer.
Nach dem Lauf findet ein grosses Happening statt und die Läufer und Radfahrer werden mit Datteln, Bananen, Jogurts, frisch gebrautem Kaffee und traditionellem Gebäck versorgt.
Die Beziehung zwischen den Drusen und den Israelis ist von Respekt und meist harmonischem Zusammenleben, aber ab und zu auch von Problemen geprägt. Wie Geschwister streitet man sich und rauft sich wieder zusammen, denn eine andere Möglichkeit gibt es nicht.
Es tut mir sehr leid, dass in Europa so viel Schlechtes über Israel geschrieben und verbreitet wird. Hier ist ein Beispiel von einer loyalen und respektvollen Partnerschaft zwischen Religionsgemeinschaften, von welcher in Europa kaum jemand etwas weiss, obwohl es in Israel einige davon gibt.
Mittwoch, 21. September 2016
Volles Haus
Im Anschluss an meinen letzten Beitrag muss ich sagen, dass ich zum Glück nicht allzu viel Zeit habe, an existenziellen Fragen über mein Leben herumzugrüblen. Im Moment wohnen bei mir zuhause nämlich wieder fünf erwachsene Personen, die allesamt sehr viel Arbeit ergeben.
Im letzten Winter ging es bei uns schon ganz gemächlich zu, nur noch Eyal und ich und unsere jüngste Tochter, die kaum ab und zu die Nase aus ihrem Zimmer streckte, teilten uns unser ruhig gewordenes Haus. Ich hatte so viel Zeit zur Verfügung, dass ich sogar beschloss, eine einsame Grossmutter zu “adoptieren”.
Nun muss ich wieder für fünf Personen waschen, einkaufen, aufräumen und vor allem kochen. Vier erwachsene Personen (ich verpflege mich in der Firmenkantine) essen in diesem Haushalt zwei bis drei Mahlzeiten täglich, wobei ein muskulöser, grossgewachsener Neunzehnjähriger gut und gerne für zwei bis drei Personen isst. Nur ich koche. Bestimmt gibt es Eltern von Grossfamilien, für welche das alles ein Pappenstiel ist, aber nachdem ich mich vor wenigen Monaten schon fast an ein Leben im Altenheim gewöhnt habe, fühle ich mich nun wie ein Artist, der einmal ganz gut im Handstand auf einem Seil fünf Bälle gleichzeitig jonglieren konnte, mit den Jahren aber ziemlich aus der Übung gekommen ist.
Heute sieht mein Tag so aus:
Wie immer am Mittwochmorgen, Laufgruppentreff um 5:30. Wir laufen eine Stunde dem Strand entlang und ich schöpfe Kraft für diesen Tag. Danach Dusche und Frühstück in der Firma. An der Arbeit geht es heute ganz geruhsam zu und ich habe Zeit, endlich etwas aufzuarbeiten, das schon lange ansteht. Dann verschiebe ich noch kurzentschlossen ein für den späteren Nachmittag geplantes Telefongespräch (Mitarbeiterin aus den USA). Nun ist mein Arbeitstag frei von Sitzungen und da ich unbedingt einen Grosseinkauf tätigen muss, mache ich mich schon um 14:30 aus dem Staub. Trotzdem wird es fast 17:00 Uhr bis ich zuhause bin (Warterei an der Kasse und Feierabendverkehr). Mein Sohn schleppt die Einkäufe ins Haus und verräumt auch gleich das Meiste, während ich mich umziehe (Dresscode Küchenarbeit). Ich habe gestern schon Einiges auf Vorrat gekocht und ein Teil des Essens ist immer noch im Kühlschrank. Ich hoffe, dass die Resten auch noch für morgen reichen (absolute Fehleinschätzung, wie sich bald herausstellen wird) und beschliesse, heute nur Erdnussbutter-Cookies zu backen. Um 18:30 ziehe ich das letzte Blech Cookies aus dem Ofen und unterdessen haben meine Töchter das Essen aus dem Kühlschrank vertilgt. Spontan koche ich also noch einen asiatischen Nudeleintopf, damit die hungrigen Leute morgen wieder etwas im Kühlschrank haben und bereite noch einen Mozarella-Tomatensalat für das Abendessen vor. Zwischendurch helfe ich Lianne mit einem Englisch-Aufsatz zum Thema “Wie ich die Welt verändern würde". Die Arabisch-Hausaufgaben hat sie zum Glück an den Bruder delegiert…
Dann zaubere ich noch ein paar Pausenbrote für die Schule (mache ich immer am Vorabend, da ich am Morgen früh losziehe), spüle alle Töpfe und Pfannen und räume die Küche auf. Unterdessen ist es 20:30 Uhr. Ich gehe nach oben und räume die saubere Wäsche weg, die noch draussen hängt und hänge eine neue Ladung zum Trocknen auf. Im Badezimmer wische ich mit einigen Feuchttüchern die Dusche ab, die meine Töchter verdreckt zurückgelassen haben. Um 21:00 bereite ich mir einen starken Espresso zu und setze mich endlich mit einem Buch aufs Sofa. Nun rufe ich noch schnell meine Freundin I. an, mit welcher ich heute abend verabredet bin und sage so energetisch wie möglich “nun, gehen wir jetzt?”, denn ich weiss genau, dass auch sie um diese Zeit am Ende ihrer Kräfte ist und sich den geplanten Ausgang schon lange abgeschminkt hat. Zwei Minuten später fallen mir die Augen zu…
Im letzten Winter ging es bei uns schon ganz gemächlich zu, nur noch Eyal und ich und unsere jüngste Tochter, die kaum ab und zu die Nase aus ihrem Zimmer streckte, teilten uns unser ruhig gewordenes Haus. Ich hatte so viel Zeit zur Verfügung, dass ich sogar beschloss, eine einsame Grossmutter zu “adoptieren”.
Nach abgeschlossenem Militärdienst wohnt aber Sivan wieder zuhause und seit
einigen Tagen ist sogar unser Sohn wieder da. Sein Freiwilligenjahr im Kibbuz ist
zu Ende und ich habe das Gefühl, ich hätte eine Herde Soldaten im Haus:
Gummistiefel, Wanderschuhe, Berge von schmutziger Wäsche, Rucksäcke und
Werkzeug liegen im ganzen Haus verstreut und warten darauf, verräumt zu werden.
Und wem zum Teufel gehören
nur all diese Zahnbürsten?
Nun muss ich wieder für fünf Personen waschen, einkaufen, aufräumen und vor allem kochen. Vier erwachsene Personen (ich verpflege mich in der Firmenkantine) essen in diesem Haushalt zwei bis drei Mahlzeiten täglich, wobei ein muskulöser, grossgewachsener Neunzehnjähriger gut und gerne für zwei bis drei Personen isst. Nur ich koche. Bestimmt gibt es Eltern von Grossfamilien, für welche das alles ein Pappenstiel ist, aber nachdem ich mich vor wenigen Monaten schon fast an ein Leben im Altenheim gewöhnt habe, fühle ich mich nun wie ein Artist, der einmal ganz gut im Handstand auf einem Seil fünf Bälle gleichzeitig jonglieren konnte, mit den Jahren aber ziemlich aus der Übung gekommen ist.
Heute sieht mein Tag so aus:
Wie immer am Mittwochmorgen, Laufgruppentreff um 5:30. Wir laufen eine Stunde dem Strand entlang und ich schöpfe Kraft für diesen Tag. Danach Dusche und Frühstück in der Firma. An der Arbeit geht es heute ganz geruhsam zu und ich habe Zeit, endlich etwas aufzuarbeiten, das schon lange ansteht. Dann verschiebe ich noch kurzentschlossen ein für den späteren Nachmittag geplantes Telefongespräch (Mitarbeiterin aus den USA). Nun ist mein Arbeitstag frei von Sitzungen und da ich unbedingt einen Grosseinkauf tätigen muss, mache ich mich schon um 14:30 aus dem Staub. Trotzdem wird es fast 17:00 Uhr bis ich zuhause bin (Warterei an der Kasse und Feierabendverkehr). Mein Sohn schleppt die Einkäufe ins Haus und verräumt auch gleich das Meiste, während ich mich umziehe (Dresscode Küchenarbeit). Ich habe gestern schon Einiges auf Vorrat gekocht und ein Teil des Essens ist immer noch im Kühlschrank. Ich hoffe, dass die Resten auch noch für morgen reichen (absolute Fehleinschätzung, wie sich bald herausstellen wird) und beschliesse, heute nur Erdnussbutter-Cookies zu backen. Um 18:30 ziehe ich das letzte Blech Cookies aus dem Ofen und unterdessen haben meine Töchter das Essen aus dem Kühlschrank vertilgt. Spontan koche ich also noch einen asiatischen Nudeleintopf, damit die hungrigen Leute morgen wieder etwas im Kühlschrank haben und bereite noch einen Mozarella-Tomatensalat für das Abendessen vor. Zwischendurch helfe ich Lianne mit einem Englisch-Aufsatz zum Thema “Wie ich die Welt verändern würde". Die Arabisch-Hausaufgaben hat sie zum Glück an den Bruder delegiert…
Dann zaubere ich noch ein paar Pausenbrote für die Schule (mache ich immer am Vorabend, da ich am Morgen früh losziehe), spüle alle Töpfe und Pfannen und räume die Küche auf. Unterdessen ist es 20:30 Uhr. Ich gehe nach oben und räume die saubere Wäsche weg, die noch draussen hängt und hänge eine neue Ladung zum Trocknen auf. Im Badezimmer wische ich mit einigen Feuchttüchern die Dusche ab, die meine Töchter verdreckt zurückgelassen haben. Um 21:00 bereite ich mir einen starken Espresso zu und setze mich endlich mit einem Buch aufs Sofa. Nun rufe ich noch schnell meine Freundin I. an, mit welcher ich heute abend verabredet bin und sage so energetisch wie möglich “nun, gehen wir jetzt?”, denn ich weiss genau, dass auch sie um diese Zeit am Ende ihrer Kräfte ist und sich den geplanten Ausgang schon lange abgeschminkt hat. Zwei Minuten später fallen mir die Augen zu…
Sonntag, 18. September 2016
Plauschtag
“Meine” Firma organisiert einen Plauschtag für die Angestellten unserer Geschäftseinheit. Etwa 350 Personen werden ins nationale Sportinstitut 'Wingate' eingeladen, um sich bei gemeinsamen Aktivitäten besser kennenzulernen und ausserhalb des gewohnten Rahmens etwas Spass zu haben. Ich mag solche Grossanlässe nicht, kann mich aber leider nicht davor drücken, denn als einziger Streber im Büro zu sitzen, würde einen denkbar schlechten Eindruck machen.
Mein sonntägliches Laufgruppentreff lasse ich mir aber nicht nehmen und so laufen heute meine Kolleginnen und ich gleich im Sportinstitut. Nachdem ich schon einen belebenden Morgenlauf und ebenso erfrischende Dusche hinter mir habe, kommen gegen acht Uhr alle Mitarbeiter an, die gerne etwas länger schlafen. Nun wird auf grossen Buffets ein reichhaltiges Frühstück serviert und mittels Hochglanz-Broschüren verrät man uns, was heute genau auf dem Programm steht. Die Aktivitäten werden in fünf Stationen eingeteilt (Jesus durchlitt in der Via Dolorosa zehn, bevor er in der elften gekreuzigt wurde…) zwischen welchen wir uns in zufällig aufgeteilten Gruppen turnusartig abwechseln sollen. Dabei geht es um Sport, Spass, Bewegung und gesunde Ernährung. Damit wir auch eine moralische Lektion mit nach Hause nehmen können, ist das Leitthema dieses Tages Gesundheit, Wohlbefinden, Glücklichsein, und alles, was dazwischen liegt. Hach! Mein Lieblingsthema! Ich liebe es, mir den Kopf über diese Werte zu zerbrechen!
Ironie beiseite - seit ich vor einigen Monaten an Brustkrebs erkrankt bin, ist dieses Thema für mich mit so vielen existenziellen und belastenden Fragen verbunden (siehe auch Warum Krebs?) dass ich es am liebsten in grossem Bogen umgehe. Es führt mich an den Rand des Wahnsinns, die Beziehung zwischen Krankheit/Gesundheit und meinem seelischen Zustand ergründen zu wollen. Ich habe Angst, dass mein ganzes Leben wie ein fragiles Kartengebilde über mir zusammenbrechen könnte, wenn ich nur allzu viele Fragen stelle oder leicht daran zu rütteln beginne. Wann immer also in letzter Zeit Fragen aus dieser Richtung auftauchen, wische ich sie höchst geflissentlich unter den Teppich. Genau dort gehören sie meines Erachtens hin.
Zurück zum Plauschtag: für die erste Aktivität erklärt uns eine Coacherin, wie wichtig es für unser Wohlbefinden ist, sich genussvolle Momente zu gönnen. Das sollen wir auch gleich am eigenen Leib erfahren und um auf Befehl glücklich zu sein, wird Musik aufgelegt und wir dürfen tanzen. Ich tanze aber nicht gerne, schon gar nicht um neun Uhr morgens und mit grösstenteils unbekannten Mitarbeitern. Die verbundenen Augen helfen ein wenig, aber so sehr ich mich auch anstrenge, glücklich und befreit zu sein, ich bleibe gehemmt und zähle die Sekunden.
Bei der nächsten Station geht es um Sport, der uns auch glücklich machen soll. Wir strecken und dehnen uns, spielen Ball, balancieren auf einer umgekehrten Bank. Hier leide ich zwar weniger als beim Tanzen, aber wenn ich daran denke, dass ich heute morgen schon einige Kilometer bei frischer Luft in der freien Natur gelaufen bin, finde ich diese Herumhüpferei in einer Turnhalle doch ziemlich albern.
Danach müssen wir in spontan koordinierter Teamarbeit spielerische Aufgaben lösen. Für die erste Aufgabe halten wir alle gemeinsam ein an Strängen befestigtes Brett in die Höhe. Nach einigen Minuten wird uns ein Ball zugeworfen und ich stelle plötzlich fest, dass ich wohl gedanklich abwesend war (Tagträume!) und die ganze Erklärung verpasst habe. Ich spiele trotzdem mit und versuche, nicht allzu viel Schaden anzurichten. Das gelingt mir aber nicht besonders und so schleiche ich mich davon. Nun sehe ich nur noch einen Ausweg: ich rufe meinen Zahnarzt an, um notfallmässig die gestern entdeckte, wackelnde Krone in meinen Mund behandeln zu lassen. Oh Wunder, mein Zahnarzt hat gerade eine freie Viertelstunde und so mache ich mich eiligst aus dem Staub.
Ich verpasse das Mittagessen und zwei weitere Stationen, liege anstelle dessen im Zahnarztstuhl und geniesse ausnahmsweise die Bohrerei. Lieber lasse ich mir sämtliche Zähne auf Vordermann bringen, als in einer Gruppe mit Unbekannten knifflige Aufgaben zu lösen und auf Befehl Spass zu haben.
Ironie beiseite - seit ich vor einigen Monaten an Brustkrebs erkrankt bin, ist dieses Thema für mich mit so vielen existenziellen und belastenden Fragen verbunden (siehe auch Warum Krebs?) dass ich es am liebsten in grossem Bogen umgehe. Es führt mich an den Rand des Wahnsinns, die Beziehung zwischen Krankheit/Gesundheit und meinem seelischen Zustand ergründen zu wollen. Ich habe Angst, dass mein ganzes Leben wie ein fragiles Kartengebilde über mir zusammenbrechen könnte, wenn ich nur allzu viele Fragen stelle oder leicht daran zu rütteln beginne. Wann immer also in letzter Zeit Fragen aus dieser Richtung auftauchen, wische ich sie höchst geflissentlich unter den Teppich. Genau dort gehören sie meines Erachtens hin.
Zurück zum Plauschtag: für die erste Aktivität erklärt uns eine Coacherin, wie wichtig es für unser Wohlbefinden ist, sich genussvolle Momente zu gönnen. Das sollen wir auch gleich am eigenen Leib erfahren und um auf Befehl glücklich zu sein, wird Musik aufgelegt und wir dürfen tanzen. Ich tanze aber nicht gerne, schon gar nicht um neun Uhr morgens und mit grösstenteils unbekannten Mitarbeitern. Die verbundenen Augen helfen ein wenig, aber so sehr ich mich auch anstrenge, glücklich und befreit zu sein, ich bleibe gehemmt und zähle die Sekunden.
Bei der nächsten Station geht es um Sport, der uns auch glücklich machen soll. Wir strecken und dehnen uns, spielen Ball, balancieren auf einer umgekehrten Bank. Hier leide ich zwar weniger als beim Tanzen, aber wenn ich daran denke, dass ich heute morgen schon einige Kilometer bei frischer Luft in der freien Natur gelaufen bin, finde ich diese Herumhüpferei in einer Turnhalle doch ziemlich albern.
Danach müssen wir in spontan koordinierter Teamarbeit spielerische Aufgaben lösen. Für die erste Aufgabe halten wir alle gemeinsam ein an Strängen befestigtes Brett in die Höhe. Nach einigen Minuten wird uns ein Ball zugeworfen und ich stelle plötzlich fest, dass ich wohl gedanklich abwesend war (Tagträume!) und die ganze Erklärung verpasst habe. Ich spiele trotzdem mit und versuche, nicht allzu viel Schaden anzurichten. Das gelingt mir aber nicht besonders und so schleiche ich mich davon. Nun sehe ich nur noch einen Ausweg: ich rufe meinen Zahnarzt an, um notfallmässig die gestern entdeckte, wackelnde Krone in meinen Mund behandeln zu lassen. Oh Wunder, mein Zahnarzt hat gerade eine freie Viertelstunde und so mache ich mich eiligst aus dem Staub.
Ich verpasse das Mittagessen und zwei weitere Stationen, liege anstelle dessen im Zahnarztstuhl und geniesse ausnahmsweise die Bohrerei. Lieber lasse ich mir sämtliche Zähne auf Vordermann bringen, als in einer Gruppe mit Unbekannten knifflige Aufgaben zu lösen und auf Befehl Spass zu haben.
Samstag, 17. September 2016
One More Cup Of Coffee
Ist es das Lied, das mich verhext und in mir eine unerklärliche Sehnsucht weckt oder ist es der Vollmond in dieser hellen Nacht?
Bob Dylan & Emmylou Harris / One More Cup Of Coffee
Bob Dylan & Emmylou Harris / One More Cup Of Coffee
Laufen
Ich setze einen Fuss vor den andern, immer wieder. Die Arme schwingen mit, mein Körper arbeitet schwer, schwitzend, tief atmend. Augen, Nase, Ohren, alle meine Sinne damit beschäftigt, die Umgebung aufzunehmen. Ich bin alleine, mein Kopf ist leer. Kein Raum für Gedanken. Keine Ziele, Absichten und Aufgaben. Atemzüge, Herzschläge und das Knirschen des Kieses unter meinen Schritten ergeben einen gleichmässigen, rythmischen Kanon. Die Sonne ist eben erst aufgegangen, Nebel hängt noch auf den Feldern. Ich fühle mich lebendig und stark. Laufrunde am Samstagmorgen.
Strecke auf meiner "Heimrunde", keine zwei Kilometer von meinem Wohnort entfernt |
Dienstag, 13. September 2016
Roter Flieder
Kürzlich habe ich entdeckt, dass meine Amazon-Bücher-Wunschliste 43 Artikel umfasst. Eine kurze Kopfrechnung ergibt, dass ich auch bei Lesen eines Buches per Monat fast vier Jahre zur Abarbeitung dieser Liste benötigen würde, wobei ich nicht sicher bin, ob die Rechnung realistisch ist, solange sie Projekte wie “Die Tora: Die fünf Bücher Mose nach der Übersetzung von Mendelssohn, Moses. Mit den Prophetenlesungen im Anhang” enthält. Ganz abgesehen davon, sooft ich auch meinen Bücherturm von oben um ein gelesenes Buch kürze, wächst er von unten auf unerklärliche Weise immer wieder nach.
Na ja, es wäre dumm, sich von so etwas aus der Ruhe bringen zu lassen, aber es gibt doch bestimmte Bücher, die ich unbedingt lesen möchte und ich wäre froh, hätte ich mehr Zeit dazu.
Nun überwinde ich mich endlich “Roter Flieder” des österreichischen Autors Reinhard Kaiser-Mühlecker fertig zu lesen. Trotz überschwänglicher Kritiken, begeisterten Kundenrezessionen und einer eindrücklichen Liste an Literatur-Preisen, die der junge Mann schon aufweisen kann, waren die 624 Seiten für mich eine ziemliche Qual.
In “Roter Flieder” wird die Geschichte und letztendlich auch der Niedergang der Familie Goldberger von der Zeit des Nationalsozialismus bis in die Gegenwart als alttestamentarisch aufgeladenes Epos von Schuld und Zerstörung nachgezeichnet.
Ja, die Geschichte ist originell und der junge Mann hat bestimmt Talent und schreibt in einem ruhigen, fliessenden und eindrücklichen Stil. Er wird in der aktuellen Presse in den höchsten Tönen gelobt: Virtuos, hypnotisierend, sprachlich atemberaubend, psychologisch höchst sensibel…
Ich aber schlafe beim Lesen ein. Denn wo bleiben Humor, Sinnlichkeit und Lebensfreude?
Ich quäle mich also endlich durch die letzten Seiten und kaum fünf Minuten später lade ich mir zum Abbau des Bücherturms schon das nächste Buch auf den Kindle.
Na ja, es wäre dumm, sich von so etwas aus der Ruhe bringen zu lassen, aber es gibt doch bestimmte Bücher, die ich unbedingt lesen möchte und ich wäre froh, hätte ich mehr Zeit dazu.
Nun überwinde ich mich endlich “Roter Flieder” des österreichischen Autors Reinhard Kaiser-Mühlecker fertig zu lesen. Trotz überschwänglicher Kritiken, begeisterten Kundenrezessionen und einer eindrücklichen Liste an Literatur-Preisen, die der junge Mann schon aufweisen kann, waren die 624 Seiten für mich eine ziemliche Qual.
In “Roter Flieder” wird die Geschichte und letztendlich auch der Niedergang der Familie Goldberger von der Zeit des Nationalsozialismus bis in die Gegenwart als alttestamentarisch aufgeladenes Epos von Schuld und Zerstörung nachgezeichnet.
Ja, die Geschichte ist originell und der junge Mann hat bestimmt Talent und schreibt in einem ruhigen, fliessenden und eindrücklichen Stil. Er wird in der aktuellen Presse in den höchsten Tönen gelobt: Virtuos, hypnotisierend, sprachlich atemberaubend, psychologisch höchst sensibel…
Ich aber schlafe beim Lesen ein. Denn wo bleiben Humor, Sinnlichkeit und Lebensfreude?
Ich quäle mich also endlich durch die letzten Seiten und kaum fünf Minuten später lade ich mir zum Abbau des Bücherturms schon das nächste Buch auf den Kindle.
Sonntag, 11. September 2016
Noch einmal “la pazza gioia”
Als ich heute E. im Heim für Holocaust-Überlebende besuche, ist sie besonders quirlig und verwirrt, aber guter Laune. Wenn ich manchmal den Verdacht hege, dass die Heiminsassen konsequent Valium zur Beruhigung erhalten, denke ich heute, ob ihr wohl jemand die falschen Tabletten verabreicht hat. Sie ist sonst meistens ziemlich ruhig, aber heute spricht sie ununterbrochen und übertrifft sich mit ihren witzigen Aussagen immer wieder selbst. Meinen Vorschlag, draussen spazieren zu gehen, schlägt sie ab mit der Begründung, sie sei schon den ganzen Tag draussen gewesen. Ich weiss genau, dass das nicht möglich ist. Eine neue Angestellte fragt mich wer ich bin und E. kommt mir zuvor und stellt mich als “Professorin des Instituts….” vor.
Auf meine Frage, ob sie sich erinnern kann, wo sie an 9/11, zur Zeit der Terroranschläge auf die Türme des WTC heute vor 15 Jahren war, behauptet sie, in Manhatten selbst gewesen zu sein und erzählt mir auch gleich von ihren aufregenden Erlebnissen am Ort des Geschehens.
E. erinnert mich heute an Beatrice, die Protagonistin aus dem Film vom letzten Donnerstag, die auch pausenlos redete, nur war dort, im Film, das Therapiezentrum eine bunte italienische Villa mit üppiger mediterraner Flora, während das Heim hier ziemlich trist in schwarz-weiss und Geruch nach Putzmitteln daherkommt. Und trotzdem will Beatrice im Film nur eines: ausbrechen, um ein wenig Glück zu suchen.
Später behauptet E. noch verschmitzt, in Budapest, wo sie aufgewachsen ist, gäbe es keine Irrenhäuser, die ganze Stadt sein nämlich ein Irrenhaus.
Als ich mich verabschiede und E. auf meinen Besuch in einer Woche vertröste, sagt sie “ dann bin ich dann aber nicht mehr da…”
“Wo gehst du denn hin?”
“Das weiss ich noch nicht… Hier ist es langweilig. Einöde”
Auf meine Frage, ob sie sich erinnern kann, wo sie an 9/11, zur Zeit der Terroranschläge auf die Türme des WTC heute vor 15 Jahren war, behauptet sie, in Manhatten selbst gewesen zu sein und erzählt mir auch gleich von ihren aufregenden Erlebnissen am Ort des Geschehens.
E. erinnert mich heute an Beatrice, die Protagonistin aus dem Film vom letzten Donnerstag, die auch pausenlos redete, nur war dort, im Film, das Therapiezentrum eine bunte italienische Villa mit üppiger mediterraner Flora, während das Heim hier ziemlich trist in schwarz-weiss und Geruch nach Putzmitteln daherkommt. Und trotzdem will Beatrice im Film nur eines: ausbrechen, um ein wenig Glück zu suchen.
Später behauptet E. noch verschmitzt, in Budapest, wo sie aufgewachsen ist, gäbe es keine Irrenhäuser, die ganze Stadt sein nämlich ein Irrenhaus.
Als ich mich verabschiede und E. auf meinen Besuch in einer Woche vertröste, sagt sie “ dann bin ich dann aber nicht mehr da…”
“Wo gehst du denn hin?”
“Das weiss ich noch nicht… Hier ist es langweilig. Einöde”
Donatella und Beatrice aus "la pazza gioia" auf der Flucht |
Samstag, 10. September 2016
Wochenend-Bilanz
0 Kilometer gelaufen (für Freitagabend Freunde zum Nachtessen eingeladen und deshalb schon ab frühmorgens mit Einkaufen, Vorbereiten und Kochen beschäftigt. Am Samstagmorgen nicht früh genug aus den Federn gekommen)
1 kaputter Rasenmäher (nach 12 Jahren treuem Dienst hat unser Rasenmäher abgedankt. Anständigerweise hat er am Freitag vor Ankunft der Gäste noch den ganzen Rasen fertig gemäht – dann zerbrochen)
20 –mal gesagt “ich muss endlich diese Fenster putzen”
150 Seiten in Reinhard Kaiser-Mühlecker’s “Roter Flieder” gelesen (bald habe ich die 624 - wird noch ganz spannend zum Schluss)
3’987’234 Kalorien gegessen (Abendessen mit Freunden, Wein, Kuchen und am Samstag, weil ich schon nicht laufen gegangen bin, ungebremst weiter gefressen)
1 kaputter Rasenmäher (nach 12 Jahren treuem Dienst hat unser Rasenmäher abgedankt. Anständigerweise hat er am Freitag vor Ankunft der Gäste noch den ganzen Rasen fertig gemäht – dann zerbrochen)
20 –mal gesagt “ich muss endlich diese Fenster putzen”
150 Seiten in Reinhard Kaiser-Mühlecker’s “Roter Flieder” gelesen (bald habe ich die 624 - wird noch ganz spannend zum Schluss)
3’987’234 Kalorien gegessen (Abendessen mit Freunden, Wein, Kuchen und am Samstag, weil ich schon nicht laufen gegangen bin, ungebremst weiter gefressen)
La pazza gioia
Wir sehen uns im Kino den italienischen Film “La pazza gioia” an. Ein intelligenter und nicht leichter Film, der nach lustigem Anfang an Tiefe gewinnt, wobei dem Zuschauer früher oder später das Lachen im Halse stecken bleibt. Über zwei unterschiedliche Frauen, die die Flucht aus einem Therapiezentrum ergreifen, auf der Suche nach dem Glück in dem Irrenhaus namens Realität. Über “Normale”, “Verrückte” und dem schmalen Grad dazwischen. Und mir persönlich teilt dieser Film vor allem mit: es ist nicht selbstverständlich, sich auf der Sonnenseite des Lebens zu befinden.
Donnerstag, 8. September 2016
Die Erde, das globale Dorf
Als ich zwanzig Jahre alt war - vor vielen, vielen Jahren also – gab es einen netten jungen Mann in meinem Leben, der mir sehr gefiel. Er war witzig, hatte ein ansteckendes Lachen, ausserdem war er intelligent, charmant und vieles mehr. Wir waren einige Zeit zusammen und ich zog ihn definitiv in die nähere Auswahl für etwas Ernsthafteres. Die Sache hatte nur einen Haken: der junge Mann war auf Reisen, eigentlich lebte er in Kanada und dorthin verschwand er auch eines Tages wieder. Wir schrieben uns noch einige verzweifelte Briefe und das war es dann.
Mehr als zwei Jahrzehnte später – nun gab es schon Internet – entdeckten wir uns auf facebook. Bilanz: beide “glücklich” verheiratet, je drei Kinder. Wir wechselten ein paar Zeilen, überlegten uns wohl beide “was wäre, wenn…?” und lebten unser Leben weiter.
Heute morgen lade ich nach dem morgendlichen Lauftreff am Meer ein Foto von mir auf facebook hoch: Ich sitze in Laufklamotten hoch oben einsam auf der Klippe und unten streckt sich der kilometerlange und menschenleere Strand ins Unendliche. Es vergehen nur ein paar Minuten, bis auf meinem Smartphone eine Mitteilung auftaucht:
“Tolles Foto!” schreibt mir jemand per Messenger. Ich schaue genauer hin, tatsächlich, das ist ER, aus Kanada!
“Danke. Wann kommst du mal mit mir laufen?” flirte ich zurück. Das erlaube ich mir, weil ich ihn in sicherer 11,000-km Entfernung weiss.
“Wow - Schwimme aber lieber” schreibt er.
In der Kürze liegt die Würze, denke ich und lasse es bei diesem kurzen Wortwechsel bleiben. Das war’s dann wohl wieder für ein paar Jahre.
Heute trage ich den ganzen Tag ein geheimnisvolles Lächeln zu Schau und die Schmetterlinge im Bauch erinnern sich an gute alte Tage. “Warum strahlst du so?” fragt mich meine Arbeitskollegin beim Mittagessen. Tja…
Mehr als zwei Jahrzehnte später – nun gab es schon Internet – entdeckten wir uns auf facebook. Bilanz: beide “glücklich” verheiratet, je drei Kinder. Wir wechselten ein paar Zeilen, überlegten uns wohl beide “was wäre, wenn…?” und lebten unser Leben weiter.
Heute morgen lade ich nach dem morgendlichen Lauftreff am Meer ein Foto von mir auf facebook hoch: Ich sitze in Laufklamotten hoch oben einsam auf der Klippe und unten streckt sich der kilometerlange und menschenleere Strand ins Unendliche. Es vergehen nur ein paar Minuten, bis auf meinem Smartphone eine Mitteilung auftaucht:
“Tolles Foto!” schreibt mir jemand per Messenger. Ich schaue genauer hin, tatsächlich, das ist ER, aus Kanada!
“Danke. Wann kommst du mal mit mir laufen?” flirte ich zurück. Das erlaube ich mir, weil ich ihn in sicherer 11,000-km Entfernung weiss.
“Wow - Schwimme aber lieber” schreibt er.
In der Kürze liegt die Würze, denke ich und lasse es bei diesem kurzen Wortwechsel bleiben. Das war’s dann wohl wieder für ein paar Jahre.
Heute trage ich den ganzen Tag ein geheimnisvolles Lächeln zu Schau und die Schmetterlinge im Bauch erinnern sich an gute alte Tage. “Warum strahlst du so?” fragt mich meine Arbeitskollegin beim Mittagessen. Tja…
Mittwoch, 7. September 2016
Rohrbruch
Eigentlich hätte ich es mir ja denken müssen. Aus dem Duschkopf strömt schwach kaum die Hälfte des gewohnten Wasserstrahls und ich brauche eine Ewigkeit, um das Schampoo auszuspülen. Nichtsahnend verfluche ich die israelischen Wasserwerke. Danach fahre ich frisch geduscht und sauber zur Arbeit. Am späteren Nachmittag dann der Anruf: unser Nachbar, welcher zum Glück öfters rauchend im Garten sitzt, beklagt sich über Wasser, das von unserem höherliegenden Garten in den seinen strömt. Verflixt, das darf doch nicht wahr sein: schon der dritte Rohrbruch in den letzen zwei Jahren!
Wir sind gerade alle nicht zuhause und so wird der Nachbar gleich gebeten, bei uns den Hauptwasserschieber zu schliessen. Aber sobald ich eintreffe, sehe ich mir natürlich sofort die Bescherung an: unser Garten ist wieder einmal total verschlammt und an der Stelle, wo das Wasser mit grossem Druck aus dem Boden sprudelte, klafft ein grosses Loch. Wie erwartet, scheint das Rohr an der selben Stelle wie das letzte Mal leck zu sein.
Draussen ist es schon dunkel und so stellen wir uns erst mal auf einen Abend ohne Wasser ein: die Badezimmer stinken und in der Küche türmen sich die verkrusteten Töpfe, die gespült werden sollten. Meine Tochter muss ausgerechnet heute die Haare waschen und erledigt dies mit zwei Flaschen Mineralwasser. Dann putze ich mit einem Resten Wasser aus der Flasche die Zähne und gehe schlafen.
Am Morgen stehle ich mich früh im Pyjama aus dem Haus und fahre ins Büro. Zum Glück gibt es da eine Dusche. Während ich den starken Strahl des heissen Duschwassers geniesse, denke ich, dass ich eigentlich fast hier lebe: ich dusche hier, ich esse hier, ich verbringe den ganzen Tag hier… Wer braucht überhaupt ein Haus, wenn er in so einer Firma arbeitet? Es fehlt nur noch eine gemütliche Hängematte in einem der Sitzungszimmer.
Zum Glück kann Eyal heute zu Hause arbeiten. Er telefoniert mit der Versicherung und ist bereit, auf den Rettungstrupp zu warten, der den Schaden beheben soll. Ich hingegen kümmere mich erst mal um meine Mailbox und was der Arbeitstag so bringt.
Eyal hält mich per Whatsapp auf dem Laufenden: “komm ja nicht nach Hause!”, “Sie graben alles um!” und so weiter. Das tönt ja vielversprechend! Die telefonische Nachfrage ergibt, dass das Leck trotz Aufbrechen des Bodens an verschiedensten Stellen noch nicht geortet werden konnte. Da der einzige Zugang zum Garten durch unser Wohnzimmer führt, konzentriere ich micht heute ganz besonders intensiv auf meine Arbeit und versuche, an nichts anderes zu denken.
Am Nachmittag teilt mir Eyal mit, dass ein Fachmann mit Rohrkamera zum Aufspüren von Rohrbrüchen eingetroffen ist. Er ist der Mann der Stunde und die defekte Stelle ist nun schnell gefunden.
Etwas später bekomme ich Bescheid, dass der Schaden behoben ist und so fahre ich nach Hause, natürlich aber erst, nachdem ich noch einmal auf Kosten der Firma die Zähne putze, meine Hände gründlich wasche und einfach so das Wasser aus dem Hahnen fliessen lasse. Wer weiss, was mich zu Hause erwartet.
Wir sind gerade alle nicht zuhause und so wird der Nachbar gleich gebeten, bei uns den Hauptwasserschieber zu schliessen. Aber sobald ich eintreffe, sehe ich mir natürlich sofort die Bescherung an: unser Garten ist wieder einmal total verschlammt und an der Stelle, wo das Wasser mit grossem Druck aus dem Boden sprudelte, klafft ein grosses Loch. Wie erwartet, scheint das Rohr an der selben Stelle wie das letzte Mal leck zu sein.
Draussen ist es schon dunkel und so stellen wir uns erst mal auf einen Abend ohne Wasser ein: die Badezimmer stinken und in der Küche türmen sich die verkrusteten Töpfe, die gespült werden sollten. Meine Tochter muss ausgerechnet heute die Haare waschen und erledigt dies mit zwei Flaschen Mineralwasser. Dann putze ich mit einem Resten Wasser aus der Flasche die Zähne und gehe schlafen.
Am Morgen stehle ich mich früh im Pyjama aus dem Haus und fahre ins Büro. Zum Glück gibt es da eine Dusche. Während ich den starken Strahl des heissen Duschwassers geniesse, denke ich, dass ich eigentlich fast hier lebe: ich dusche hier, ich esse hier, ich verbringe den ganzen Tag hier… Wer braucht überhaupt ein Haus, wenn er in so einer Firma arbeitet? Es fehlt nur noch eine gemütliche Hängematte in einem der Sitzungszimmer.
Zum Glück kann Eyal heute zu Hause arbeiten. Er telefoniert mit der Versicherung und ist bereit, auf den Rettungstrupp zu warten, der den Schaden beheben soll. Ich hingegen kümmere mich erst mal um meine Mailbox und was der Arbeitstag so bringt.
Eyal hält mich per Whatsapp auf dem Laufenden: “komm ja nicht nach Hause!”, “Sie graben alles um!” und so weiter. Das tönt ja vielversprechend! Die telefonische Nachfrage ergibt, dass das Leck trotz Aufbrechen des Bodens an verschiedensten Stellen noch nicht geortet werden konnte. Da der einzige Zugang zum Garten durch unser Wohnzimmer führt, konzentriere ich micht heute ganz besonders intensiv auf meine Arbeit und versuche, an nichts anderes zu denken.
Am Nachmittag teilt mir Eyal mit, dass ein Fachmann mit Rohrkamera zum Aufspüren von Rohrbrüchen eingetroffen ist. Er ist der Mann der Stunde und die defekte Stelle ist nun schnell gefunden.
Etwas später bekomme ich Bescheid, dass der Schaden behoben ist und so fahre ich nach Hause, natürlich aber erst, nachdem ich noch einmal auf Kosten der Firma die Zähne putze, meine Hände gründlich wasche und einfach so das Wasser aus dem Hahnen fliessen lasse. Wer weiss, was mich zu Hause erwartet.
Nachdem ich einen Parkplatz gefunden habe (auf meinem steht ein grosser Lieferwagen) klettere ich über mehrere Erd- und Geröllhaufen in unser Haus. In meiner Küche sitzen zwei schwitzende Männer mit schmutzigen Händen und noch viel schmutzigeren Schuhen und trinken Kaffee. Unsere Stube sieht aus wie ein frisch gepflügter Acker. Zwei weitere schwitzende und schmutzige Männer sind damit beschäftigt, das Loch im Garten zuzuschaufeln und die Geräte wegzuräumen. Auch Eyal, mit nacktem Oberkörper, riecht und sieht aus wie ein Klempner.
Die fünf Rohrbruch-Profis bestätigen, dass sie gleich das ganze Rohr ausgewechselt haben und somit das Problem jetzt garantiert endgültig gelöst ist. Wir können also optimistisch in die trockene Zukunft blicken.
Der Garten ist verwüstet, das Haus verschlammt, aber das Rohr ist geflickt, halleluja! Jetzt geht es ans Putzen!
Die fünf Rohrbruch-Profis bestätigen, dass sie gleich das ganze Rohr ausgewechselt haben und somit das Problem jetzt garantiert endgültig gelöst ist. Wir können also optimistisch in die trockene Zukunft blicken.
Der Garten ist verwüstet, das Haus verschlammt, aber das Rohr ist geflickt, halleluja! Jetzt geht es ans Putzen!
Mittwoch, 31. August 2016
Lagebericht
Morgen ist der 1. September, endlich Schulferien-Ende und der erste Schultag in der neunten Klasse für meine jüngste Tochter. Die Vorbereitungen dazu laufen in den letzten Tagen auf Hochtouren: ihre Nägel sind frisch lackiert, sie besitzt eine neue Jeans und nach einigen Stunden beim Friseur sind ihre Haare glatt wie die einer Japanerin. Dem perfekten Auftritt am ersten Schultag steht also nichts mehr im Weg. Alles weitere ist im Moment nicht interessant. Ich wünsche viel Erfolg!
Mein Sohn schickt per Whatsapp ein Foto aus dem Kibbutz und schreibt dazu: wer hat Lust auf ein paniertes Schnitzel?
Er hat heute die Aufgabe, die toten Hühner in einem Eimer (oder vielen Eimern) einzusammeln…
Ja, in dieser Beziehung ist Israel noch ein Entwicklungsland und die Bedingungen sind katastrophal. Zwei meiner Kinder essen deshalb kein Hühnerfleisch mehr und auch ich habe vor, mit schlechtem Gewissen noch die Vorräte im Tiefkühler aufzubrauchen und dann keines mehr zu kaufen. Man kann es ethisch wirklich nicht verantworten. Ich mag gar nicht daran denken, wo bei uns die Eier herkommen, aber ich versuche, mich möglichst nicht damit zu befassen, denn auf Eier möchte ich nicht verzichten. Gerne würde ich für Bio-Eier ein wenig mehr bezahlen, aber ich traue dem Prädikat “Bio” in Israel nicht. Bestimmt verfristen auch Bio-Hühner in Israel ihr Leben in KZ-Bedingungen, nur weiss der Halter, wen er unter der Hand bezahlen muss, um den richtigen Stempel zu bekommen. Nun, Israel ist nun mal nicht die Schweiz, aber ich bin sicher, dass die Israelis, sobald sie nur die Probleme mit den feindlichen Nachbarländern und den Konflikt mit den Palästinensern gelöst haben, sich auch um die Tierhaltung kümmern werden.
Sivan, meine älteste Tochter, kümmert im Moment weder der erste Schultag ihrer Schwester noch die israelische Geflügelhaltung, denn sie hat Liebeskummer. Sie hat sich erneut von ihrem Freund getrennt und ist nun besonders am Boden zerstört, denn nach der letzten Trennung hat sich ihre Beziehung eher verfestigt und ich hörte insgeheim schon die Hochzeitglocken läuten. Nun hat er sie mit irgendeiner Tat (die ich hier nicht ausplaudern möchte) so sehr verletzt, dass sie für die Beziehung keine Zukunft mehr sieht. Schon zwei Tage leidet sie, ist schlecht gelaunt, isst nichts und bricht in Tränen aus, wenn ich ihr nur “Guten Tag” sage. Als Mutter zerbricht es mir das Herz, sie so zu sehen, auch wenn sie schon einundzwanzig ist. Liebeskummer ist furchtbar. Ich wünsche ihr, dass sie bald und ohne zu viel Kummer den idealen Partner fürs Leben findet. Ist das überhaupt möglich? Wahrscheinlich eher nicht. Es muss wohl so sein, wie es ist.
Manchmal bin ich ganz froh, dass ich nicht mehr zwanzig bin. Natürlich gibt es auch in meinem Alter Probleme, man lässt sich scheiden, hadert mit pfegebedürftigen Eltern, wird krank (ich selbst bin erst vor einigen Monaten an Brustkrebs erkrankt), aber wenn ich zwischen Brustkrebs und Liebeskummer wählen müsste….
Und wie geht es mir? Ich freue mich auf das Wochenende. Wir haben uns für eine zweitägige Wanderung im Norden Israels angemeldet, mit Übernachtung im Beduinenzelt. Nur Eyal und ich. Die Kinder mit ihren Problemen lassen wir zu hause.
Sivan, meine älteste Tochter, kümmert im Moment weder der erste Schultag ihrer Schwester noch die israelische Geflügelhaltung, denn sie hat Liebeskummer. Sie hat sich erneut von ihrem Freund getrennt und ist nun besonders am Boden zerstört, denn nach der letzten Trennung hat sich ihre Beziehung eher verfestigt und ich hörte insgeheim schon die Hochzeitglocken läuten. Nun hat er sie mit irgendeiner Tat (die ich hier nicht ausplaudern möchte) so sehr verletzt, dass sie für die Beziehung keine Zukunft mehr sieht. Schon zwei Tage leidet sie, ist schlecht gelaunt, isst nichts und bricht in Tränen aus, wenn ich ihr nur “Guten Tag” sage. Als Mutter zerbricht es mir das Herz, sie so zu sehen, auch wenn sie schon einundzwanzig ist. Liebeskummer ist furchtbar. Ich wünsche ihr, dass sie bald und ohne zu viel Kummer den idealen Partner fürs Leben findet. Ist das überhaupt möglich? Wahrscheinlich eher nicht. Es muss wohl so sein, wie es ist.
Manchmal bin ich ganz froh, dass ich nicht mehr zwanzig bin. Natürlich gibt es auch in meinem Alter Probleme, man lässt sich scheiden, hadert mit pfegebedürftigen Eltern, wird krank (ich selbst bin erst vor einigen Monaten an Brustkrebs erkrankt), aber wenn ich zwischen Brustkrebs und Liebeskummer wählen müsste….
Und wie geht es mir? Ich freue mich auf das Wochenende. Wir haben uns für eine zweitägige Wanderung im Norden Israels angemeldet, mit Übernachtung im Beduinenzelt. Nur Eyal und ich. Die Kinder mit ihren Problemen lassen wir zu hause.
Schlapp
Heute schreckt mich das Klingeln des Weckers um 04:45 aus dem Tiefschlaf und ich falle beinahe aus dem Bett. Es ist ja auch noch fast mitten in der Nacht. Dann stehe ich todmüde und mit Kopfschmerzen auf. Ich ziehe mich an fürs Lauftraining, meine Handlungen sind intuitiv und automatisch, da ich um diese Zeit noch nicht denken kann. Mein Gehirn befindet sich im Schlafmodus und so bleibt mir das Dilemma erspart, ob ich kneifen soll. Auf der Fahrt zum Treffpunkt döse ich weitere 15 Minuten (am Steuer!) und noch während der ersten Hälfte des Trainings kann ich den Gedanken, dass vielleicht hinter der nächsten Wegbiegung eine Matratze mit Kissen auf mich wartet, nicht verdrängen. Erst als es heller wird, finde ich mich damit ab, dass es mit Weiterschlafen heute wohl nichts mehr wird. Irgendwie schaffe ich auch die fünf Kilometer zurück, aber ich fühle mich schlapp, denn es ist ecklig feucht und drückend heiss. Laufen im Sommer macht einfach wirklich nicht immer Spass. Zum Glück werden wir mit einem atemberaubend schönen knallroten Sonnenaufgang belohnt, meine Kopfschmerzen sind verschwunden und ich bin froh, dass ich etwas Gutes für meine Gesundheit getan habe.
Dienstag, 23. August 2016
Der Trafikant
"Der Trafikant", von Robert Seethaler, lässt bei mir einen schalen Geschmack im Mund (oder eher im Kopf) zurück, trotz vielversprechendem Anfang. Ich drehe den Bissen noch etwas auf der Zunge, um mir klar zu werden, warum das so ist und vermute dann, dass das Thema “Nazizeit” ein Gebiet ist, an das man sich nicht unbedingt heranwagen sollte, wenn man keine besondere Beziehung dazu hat. Die Geschichte ist zwar gut geschrieben, enthält für mich aber zu viele Klischees und Ungereimtheiten und sagt schlussendlich nichts aus. Da hat mir das nachfolgende Buch "ein ganzes Leben" doch viel besser gefallen.
Sonntag, 21. August 2016
Vorbereitungen für die Olympiade
In wenigen Monaten wird es vier Jahre her sein, dass unsere Laufgruppe zustande gekommen ist. Vier Jahre, in welchen wir uns zweimal wöchentlich um 5:30 morgens (oder nachts, wie einige eher sagen würden) bei jedem Wetter zum Laufen treffen. Im Winter trotzen wir der Dunkelheit und der Kälte, ab und zu regnet und stürmt es und im viel zu langen Sommer, wenn wir das Gefühl haben, in einer feuchten Sauna zu laufen, sehnen wir uns nach dem Winter. Wir treffen uns in einem Naturreservat an der Mittelmeerküste südlich von Netanya, meistens laufen wir im Sand, manchmal am steinigen Strand. Oft treffen wir Rehe und Schakale, die sich über dieses seltsame Trüppchen wundern, welches sich in neonfarbigen Kleidern zu unmenschlichen Tageszeiten in ihr Revier verirrt. Jedesmal bestaunen wir die Sonnenaufgänge. Für mich gibt es keine schönere Art, den Tag zu beginnen.
Von Laufkollegin Helena an einem Regentag fotografiert |
Unser Trainer Irmi, der in jüngeren Jahren zur Laufelite Israels gehörte, ist ziemlich, tja, wie soll man sagen - sportverrückt. Sport ist für ihn das ganze Leben. So nehmen zum Beispiel er und seine Frau an ihrem Hochzeitstag, wenn andere Paare schön Essen oder ins Kino gehen, an einem Laufevent irgendwo in der Umgebung teil und holen beide den ersten Platz. Wie romantisch! An einem Kindergeburtstag organisiert er für seine Kinder und ihre Freunde einen Zehnkampf-Parcours im staatlichen Sportinstitut oder ein Wettschwimmen im Olympiabecken.
Die Olympiade in Rio fällt zeitlich gerade auf die Schulferien seiner Kinder und das findet Irmi fantastisch, denn Olympiade-Schauen ist in seiner Familie offensichtlich das beliebteste Ferienprogramm von allen. Die ganze Familie fiebert 24 Stunden am Tag bei sämtlichen Wettkämpfen mit, nur unterbrochen von einigen tatsächlichen Trainingseinheiten, denen seine Kinder natürlich gewissenhaft nachkommen. Auch dass die Wettkämpfe in der südamerikanischen Zeitzone stattfinden, tut ihnen keinen Abbruch, obwohl Irmi nun meistens morgens todmüde, ohne eine Minute geschlafen zu haben, im Training erscheint. Spätestens beim Laufen erwacht er schon. Und wenn jemand eine Frage hat: Irmi weiss in jeder Sportdisziplin, wer welchen Platz geholt hat und natürlich auch warum.
All diese Macken verzeihen wir ihm gerne, wenn er es mit uns nicht zu streng nimmt. Fünfmal die steile Klippe hoch und dann das ganze noch einmal - zum “Auslaufen”, Fartlek-Training im tiefen Sand, auf einem Bein eine Sanddüne hochhüpfen, und dann noch einmal - mit dem zweiten, das geht alles noch. Und dass sein Versprechen auf eine “Trainingseinheit mit Überraschung” keinesfalls ein kühles Bier oder ein Eis zur wohlverdienten Belohnung bedeutet, daran haben wir uns auch schon gewöhnt.
Aber heute, am letzten Tag der Olympiade, steigt er alt und müde aus dem Auto und bringt kaum ein “Morgen” über die Lippen. Ich weiss nicht, ob die letzten Wochen ohne Schlaf doch langsam ihre Wirkung zeigen, oder ob er gerade den totalen Frust erlebt, weil die Olympiade zu Ende geht, aber er jagt uns im Wettkampftempo zum Strand und dort passiert etwas, das wir die letzten vier Jahre nicht erlebt haben: wir machen 200 m Sprints im Sand und da steht er doch tatsächlich, mit der Stoppuhr in der Hand und misst uns die Zeit! Hallo, was soll das!? Ich bin doch nicht Usain Bolt!!
Samstag, 20. August 2016
Gesund
Ich muss gesünder leben. Zum Beispiel, kein Fleisch mehr essen. Schlecht geht es mir deswegen noch lange nicht.
Dienstag, 16. August 2016
Briefpost
Übermorgen feiert mein Sohn seinen neunzehnten Geburtstag. Schon anlässlich seines letzten Wochenendurlaubs teilte er uns mit, dass er an seinem Geburtstag wohl kaum zu Hause sein werde, sondern erst am Freitag danach. Ich muss es akzeptieren, wir können ja auch einen Tag später noch feiern. Ich hoffe für ihn, dass er mit seinen Freunden und den Menschen, die ihn jetzt umgeben, einen schönen Tag verbringen wird. Nun hat aber sein Smartphone den Geist aufgegeben, es wurde uns gestern von einem Kollegen, der vorbeireiste, überbracht, damit wir es möglichst schnell zur Reparatur bringen. Das bedeutet – unterdessen kein Kontakt! Ich werde ihn weder anrufen und ihm gratulieren, noch wenigstens ein paar Geburtstags-emojis per Whatsapp senden können. Das ist dann doch ein wenig hardcore.
Wie Mütter so sind, kommt mir mitten in der Nacht – im Schlaf – der Geistesblitz: die gute alte Post! Am Morgen setzte ich mich vor einen Bogen Papier, schreibe ein paar Geburtstagsgrüsse darauf, klebe mit einem Kuss eine Briefmarke auf den Umschlag und ab geht die Post. Wie in guten alten Zeiten. Itay ist schon ein Jahr von zuhause weg, aber ich habe keine Ahnung, ob er eine Postadresse hat. So schreibe ich einfach seinen Namen und Kibbutz Soundso auf den Umschlag. Ich bin gespannt…
Wie Mütter so sind, kommt mir mitten in der Nacht – im Schlaf – der Geistesblitz: die gute alte Post! Am Morgen setzte ich mich vor einen Bogen Papier, schreibe ein paar Geburtstagsgrüsse darauf, klebe mit einem Kuss eine Briefmarke auf den Umschlag und ab geht die Post. Wie in guten alten Zeiten. Itay ist schon ein Jahr von zuhause weg, aber ich habe keine Ahnung, ob er eine Postadresse hat. So schreibe ich einfach seinen Namen und Kibbutz Soundso auf den Umschlag. Ich bin gespannt…
Montag, 15. August 2016
Zeit
Dass die Zeit in Israel nicht gerade mit schweizerischen Maßstäben gemessen wird, ist mir schon lange klar. Wenn ich zum Beispiel Gäste einlade, gebe ich meistens schon gar keinen Zeitpunkt mehr an, es kommt ja doch jeder, wann es ihm passt.
In Eilat, der südlichsten Urlaubsstadt Israels, sind die Zeitverhältnisse noch etwas lockerer. Daran werde ich bei unserem Tauchurlaub Ende Juli erinnert. Und in den Tauchklubs, das ist allgemein bekannt, herrschen ganz besondere Verhältnisse. Als ich am ersten Tag für den zweiten Tauchgang fast zwei Stunden auf die Tauchlehrerin warte, drängt sich mir der Vergleich mit den Amundawa auf: ein Volk am Amazonas, das keine Vorstellung von Zeit hat. Ihnen fehlen folglich auch Wörter für morgen und gestern. Ihr Leben richtet sich vollständig nach dem Lauf der Sonne.
Auch hier läuft einfach alles, wie es gerade kommt. Die Agenda mit den wöchentlich geplanten Tauchgängen, die in fast jedem Tauchklub an der Wand hängt, stammt aus dem Jahr 1973 und war damals so akkurat wie heute – nämlich gar nicht. Alles hängt von den Gezeiten, den Wasserströmungen, dem Dieselpegel im Schiffstank, dem verkaterten Briten, der für den Unterhalt der Tauchausrüstungen zuständig ist und der Verfügbarkeit des passenden Tauchleiters ab. Daran gewöhnt man sich am besten so schnell wie möglich und dann geniesst man die Zeitlosigkeit, die es eben nur im Urlaub geben kann.
Ende Juli absolviere ich einen weiteren Tauchkurs (Ferien in Eilat) und muss für die Lizenz ein Formular mit meinen Angaben ausfüllen. Yuval, der Inhaber des Tauchklubs bestätigt mir dann, dass meine Daten sofort aufgenommen werden und die Lizenz schon in einer Viertelstunde in meiner Mailbox eintreffen wird. Von soviel Effizienz in einem Tauchklub wird mir fast schwindlig. Am nächsten Tag tauche ich in einem anderen Klub und benötige meine neue Lizenz, die natürlich nirgendwo eingetroffen ist, obwohl schon viele Viertelstunden vergangen sind, genauer gesagt an die Hundert. Ich suche Yuval auf und er versichert mir, dass die Lizenz in wenigen Minuten ankommen wird, unterdessen händigt er mir ein Gekripsel mit Stempel aus, damit ich tauchen kann.
Ich verbringe noch einige unbesorgte Tauchtage in Eilat, ohne auch nur irgendetwas von meiner Lizenz zu hören. Am Tag der Abreise schauen wir noch einmal im Tauchklub vorbei und Yuval, nun schon leicht verärgert ob meiner Ungeduld, weiss wirklich nicht, warum ich mir Sorgen mache, schliesslich handelt es sich bei dieser Dateneingabe nur um eine Frage von Minuten.
Was bin überrascht, als heute, am 15. August, die schon vergessene Lizenz in meiner Mailbox eintrifft und mich an schöne vergangene Tage mit sorgenloser Urlaubsstimmung erinnert. Ob er wohl damals 15 Tage sagte und nicht 15 Minuten….?
In Eilat, der südlichsten Urlaubsstadt Israels, sind die Zeitverhältnisse noch etwas lockerer. Daran werde ich bei unserem Tauchurlaub Ende Juli erinnert. Und in den Tauchklubs, das ist allgemein bekannt, herrschen ganz besondere Verhältnisse. Als ich am ersten Tag für den zweiten Tauchgang fast zwei Stunden auf die Tauchlehrerin warte, drängt sich mir der Vergleich mit den Amundawa auf: ein Volk am Amazonas, das keine Vorstellung von Zeit hat. Ihnen fehlen folglich auch Wörter für morgen und gestern. Ihr Leben richtet sich vollständig nach dem Lauf der Sonne.
Auch hier läuft einfach alles, wie es gerade kommt. Die Agenda mit den wöchentlich geplanten Tauchgängen, die in fast jedem Tauchklub an der Wand hängt, stammt aus dem Jahr 1973 und war damals so akkurat wie heute – nämlich gar nicht. Alles hängt von den Gezeiten, den Wasserströmungen, dem Dieselpegel im Schiffstank, dem verkaterten Briten, der für den Unterhalt der Tauchausrüstungen zuständig ist und der Verfügbarkeit des passenden Tauchleiters ab. Daran gewöhnt man sich am besten so schnell wie möglich und dann geniesst man die Zeitlosigkeit, die es eben nur im Urlaub geben kann.
Ende Juli absolviere ich einen weiteren Tauchkurs (Ferien in Eilat) und muss für die Lizenz ein Formular mit meinen Angaben ausfüllen. Yuval, der Inhaber des Tauchklubs bestätigt mir dann, dass meine Daten sofort aufgenommen werden und die Lizenz schon in einer Viertelstunde in meiner Mailbox eintreffen wird. Von soviel Effizienz in einem Tauchklub wird mir fast schwindlig. Am nächsten Tag tauche ich in einem anderen Klub und benötige meine neue Lizenz, die natürlich nirgendwo eingetroffen ist, obwohl schon viele Viertelstunden vergangen sind, genauer gesagt an die Hundert. Ich suche Yuval auf und er versichert mir, dass die Lizenz in wenigen Minuten ankommen wird, unterdessen händigt er mir ein Gekripsel mit Stempel aus, damit ich tauchen kann.
Ich verbringe noch einige unbesorgte Tauchtage in Eilat, ohne auch nur irgendetwas von meiner Lizenz zu hören. Am Tag der Abreise schauen wir noch einmal im Tauchklub vorbei und Yuval, nun schon leicht verärgert ob meiner Ungeduld, weiss wirklich nicht, warum ich mir Sorgen mache, schliesslich handelt es sich bei dieser Dateneingabe nur um eine Frage von Minuten.
Was bin überrascht, als heute, am 15. August, die schon vergessene Lizenz in meiner Mailbox eintrifft und mich an schöne vergangene Tage mit sorgenloser Urlaubsstimmung erinnert. Ob er wohl damals 15 Tage sagte und nicht 15 Minuten….?
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