Dienstag, 26. Dezember 2017

Die Übermutter

Lianne, meine Sechzehnjährige, ist Leiterin einer Mädchengruppe bei den Pfadfindern. Heute kommt sie erledigt vom Treffen nach Hause und lässt sich aufs Sofa fallen. Sie ist fix und fertig. „Ach“, stöhnt sie „du hast ja keine Ahnung wie es ist, Mami von 14 Mädchen zu sein!“.

Montag, 18. Dezember 2017

Nachtgespräche

Nachts um drei Uhr liegen wir beide wach. Ich, weil das Medikament Tamoxifen mir ab und zu schlaflose Stunden beschert und weil die Unsicherheit über meine berufliche Zukunft mir Sorgen bereitet. Der Konzern, in dem ich arbeite, soll gesundgeschrumpft werden und es droht die Schliessung mehrerer Werke und Massenentlassung Tausender Angestellter weltweit. Auch für mich stehen die Chancen schlecht. Eyal liegt wach, weil er erkältet ist und Halsschmerzen hat. Er produziert eimerweise Rotz und Schleim und dreht sich schnäuzend, räuspernd und hustend im Bett, als wäre er am Ersticken.

„Erinnere mich morgen früh daran, dass ich dich in meinem Testament erwähnen will“, sagt er mit heiserer Stimme in die Dunkelheit.

„Bin ich da etwa noch nicht drin?“, frage ich staunend.

„Nein, habe dich vergessen, ist mir jetzt gerade in den Sinn gekommen“, gibt er zurück.

Ich drehe mich im Dunkeln lächelnd auf die andere Seite.

Solange wir noch Humor haben, ist alles gut.

Mittwoch, 13. Dezember 2017

Könnte es sein?

Meine Tochter Lianne – bald 16 – ist schon eine junge Frau. Sie kümmert sich selbst um ihre Hygiene, sie wäscht und duscht sich, lässt ihr Haar beim Frisör glätten und föhnt es jeden Morgen.

Und ich bin schon eine ältliche Mutter, geniesse meine wiedergewonnene Freiheit und habe nicht mehr viel im Sinne mit Kleinkinderkram und -Sorgen. Bis ich gestern plötzlich in alte Zeiten zurückversetzt wurde.

Eigentlich waren die Anzeichen schon lange da, ziemlich klar sogar, aber ohne dass wir sie wahrgenommen hätten. Lianne klagte schon öfter über ein Jucken auf der Kopfhaut. Beim Nachschauen fand ich ab und zu kleine weisse Punkte, die wie Läuseeier aussahen. Einmal fand ich eine kleine Fliege in der Dusche, die ziemlich genau wie eine Laus aussah.

Könnten es Läuse sein?

Manchmal dauert es eben etwas länger, bis wir Tatsachen akzeptieren können. Da faselt das Töchterchen schon von „Sweet 16“-Party, Fahrstunden, Schulabschluss, undsoweiter. Und dann Läuse? Ja, es waren Läuse, vier Stück fand ich davon, nach endlich akribischer Untersuchung ihrer Kopfhaut.

Ich denke an die Brustkrebsdiagnose, die ich vor bald zwei Jahren erhalten habe (ja, die Gedanken an Krebs sind immer da, auch wenn der Tumor schon lange weggeschnipselt wurde). Ein Knoten in der Brust. Eine Biopsie. Der Krebsbefund traf ein. Ich konnte es nicht glauben, wollte es nicht wahrhaben. Die OP. Der Laborbefund. Die Ärzte. Es war offensichtlich. Die Fakten waren nicht zu leugnen. Aber irrten sich Ärzte etwa nicht?

Könnte es wirklich Krebs sein?

Manchmal dauert es eben etwas länger, bis wir der Wahrheit ins Gesicht sehen können.

Als ich heute an der Arbeit vor dem Bildschirm sitze, kratze ich mich am Kopf, ohne es zu beachten. Dann fühle ich etwas Kleines auf meinen Nacken fallen und bevor das Etwas auf meinem Rücken in mein Hemd rutscht, greife ich danach, immer noch den Bildschirm vor mir fixierend. Dann untersuche ich, was die Finger meiner rechten Hand ergriffen haben. Es ist ein kleines ovales Etwas, nicht viel grösser als ein Punkt, mit sechs kleinen Beinen, die man fast nicht sieht. Es ist eine kleine Fliege.

Sie sieht aus wie eine Laus.

Montag, 11. Dezember 2017

Date um 8 Uhr morgens

07:50 Uhr: Mein Computer fährt gerade hoch und weil das ziemlich lange dauert, werde ich mir unterdessen gleich einen ersten Kaffee holen. Aber dann klingelt das Telefon. Ich antworte, obwohl die Nummer des Anrufers nicht zu erkennen ist und obwohl ich wirklich dringend gerne einen Kaffee hätte.

„Hello“ säuselt eine Männerstimme auf Englisch.

„Hallo“ antworte ich kurz angebunden.

„I’m Rafi“, sagt er.

„Hallo Rafi“, sage ich. Ich kenne keinen Rafi.

Der Mann am anderen Ende murmelt etwas Unverständliches.

„Wie bitte?“ frage ich nach, obwohl mir schon klar ist, dass sich da jemand verwählt hat.

„Bist du Single?“ fragt er mit englischem Akzent. Wie bitte? Höre ich recht?

„Warum? Wer ist dran? Wen suchen sie?“

„Suchst du ein Date?” holt Rafi nun aus.

Ich pruste los. Nein, ich suche keinen Partner. Bestimmt nicht vor acht Uhr morgens. Ich hätte nur gerne einen Kaffee.

“Ich habe deine Nummer von einer Dating-Plattform.” behauptet er.

Welche Plattform denn, frage ich nach. Hat sich vielleicht jemand mit meinen Angaben einen Spass erlaubt?

Er rückt aber keine verständlichen Details heraus, säuselt nur weiter etwas von „Treffen heute abend“.

„Danke, kein Interesse!“ vermelde ich klipp und klar.

Vielleicht habe ich nun gerade die Chance meines Lebens verpasst, aber 07:50 ist mir zu früh für Partnersuche. Jetzt aber Kaffee bitte!

Dienstag, 5. Dezember 2017

Organisation - WMDEDGT 12/2017

Und was machst du eigentlich den ganzen Tag? 

Diesen Beitrag verlinke ich auf der Blogseite von Frau Brüllen, die jeweils am Fünften des Monats fragt  „Was Machst Du Eigentlich Den Ganzen Tag?“ Also bitte:

Gute Organisation ist alles, wenn man wenig Zeit hat. Bis vor wenigen Jahren arbeitete ich täglich nur bis kurz nach Mittag und eilte dann jeweils nach Hause, um nachmittags und abends möglichst viel Zeit mit den Kindern zu verbringen. Damals arbeitete ich hauptsächlich mit europäischen Mitarbeitern und die Zeitdifferenz von ein bis zwei Stunden war leicht zu überbrücken. Seither habe ich – eher unfreiwillig – in der Firma den Job gewechselt und nun ist nicht nur mein direkter Vorgesetzter sondern mein gesamtes Team in den USA ansässig. Das bedeutet für mich in Israel, dass alle Besprechungen erst etwa um 15 Uhr beginnen. Unterdessen sind aber auch meine Kinder schon grösser und scheren sich einen Deut um mich. Trotzdem, eine Menge Hausarbeit fällt leider immer noch an. Im Organisieren und Abwickeln von mehreren Aufgaben gleichzeitig bin ich aber unterdessen ganz gut. Das läuft dann zum Beispiel so ab:

Am Morgen angenehm ruhige Arbeit im Büro. Beim Mittagessen in der Kantine vergesse ich nicht, eine doppelte Portion zu verlangen. Die Hälfte davon lasse ich zum Mitnehmen einpacken. Um 15 Uhr fällt die wöchentliche Besprechung mit dem Vorgesetzten an. Weil ich heute zeitlich knapp dran bin, sage ich absichtlich so wenig möglich. Um 15:30, kaum hat mir der Boss eine gute Woche gewünscht, fahre ich den PC runter und mache mich aus dem Staub. Auf dem Nachhauseweg hole ich die Bügelwäsche ab. Zuhause treffe ich, wie richtig berechnet, eine Viertelstunde vor Lianne ein. Während der PC wieder hochfährt, füttere ich zuerst die Katze, denn eine hungrig miauende Katze als Lärmkulisse macht keinen guten Eindruck bei geschäftlichen Besprechungen. Dann werfe ich die Waschmaschine an, wärme das Essen aus der Kantine auf und nehme Lianne, die von der Schule kommt, mit einer heissen Mahlzeit in Empfang. Um 16:30 folgt eine weitere geschäftliche Besprechung, die zum Glück nur eine halbe Stunde dauert. Zwischen 17 bis 18 Uhr bereite ich panierte Schnitzel zu, lade die Wäsche von der Maschine in den Trockner um und räume den Geschirrspüler aus. Lianne verlässt das Haus um 17:30 für einen Kurs und ausnahmsweise haben sich heute einmal andere Eltern geopfert, die Kinder in die Stadt zu fahren. Um 18 Uhr steht schon der nächste geschäftliche Termin an. Eine Einführung in ein neues System steht auf dem Programm, da muss ich nichts dazu beitragen, aber Aufpassen wäre von Vorteil. Nebenbei noch Wäsche falten liegt aber drin. Um 19 Uhr, während das Arbeitstempo in den USA erst so richtig heissläuft, linke ich mich aus, es ist jetzt wirklich genug für heute. Jetzt kommen die panierten Schnitzel in die Pfanne und während dem Fritieren schneide ich etwas frisches Gemüse auf. Bis Eyal nach Hause kommt, entleere ich noch schnell die Abfalleimer im ganzen Haus und verräume die saubere und perfekt gefaltete Wäsche. Später bringe ich die Küche wieder auf Vordermann und fahre einmal flink mit dem Besen durch die Stube. Feierabend!
Na, das habe ich ja wieder einmal fantastisch hingekriegt.

Als ich vor dem Zubettgehen in den Spiegel blicke, schaut mir eine um Jahre gealterte Frau entgegen. „Was staunst du?“ raunt sie mir zu, „bei diesem Tempo!“


Dienstag, 28. November 2017

Taxi im Dorf

Wie eine neueste Zählung kürzlich ergeben hat, weist das Dorf, in dem ich lebe, etwa 5600 Einwohner auf. Das ist eine gute Grösse, man kennt sich und alles fühlt sich sehr familiär an. Es gibt eine Grundschule, einen Supermarkt, zwei „Tante Emma“-Läden, ein öffentliches Schwimmbad, eine Bibliothek, alles gut zu Fuss erreichbar. Für ein Einkaufszentrum, ein Kino, oder auch ein Restaurant muss man aber ausser Ort fahren. Auch das Schulhaus der Mittel- und Oberstufe befindet sich in etwa sieben Kilometer Entfernung und die Schulkinder werden mit Schulbussen hin- und wieder zurücktransportiert. Nun wäre das alles schön und gut – gäbe es funktionierenden öffentlichen Verkehr. Leider sind aber Busverbindungen in die umliegenden Dörfer oder Städte spärlich, schlecht organisiert oder gar nicht vorhanden. Der nächste Bahnhof ist fast nur mit Privatwagen zu erreichen und die zehn Kilometer Entfernung dorthin bedeuten im Morgenverkehr oft mehr als eine ärgerliche halbe Stunde stockende Fahrt. Wenn die Schulkinder der Oberstufe am Morgen den Schulbus verpassen (was bei Jugendlichen ja gerne vorkommt), wäre der Schultag vorbei, wenn sie sich auf den öffentlichen Verkehr verlassen würden um zur Schule zu fahren. Zum Glück dreht der alte pensionierte Gemeindepräsident immer noch allmorgendlich seine Runden und sammelt die Jugendlichen ein, die verschlafen zu spät an den Bussammelstellen eintrudeln, und fährt sie zur Schule. Er hat aber nur Platz für vier Personen und die Nachfrage übersteigt fast immer das Angebot. Leider bedeuten die fehlenden Busverbindungen auch, dass Eltern viel zu oft als Taxidienst hinhalten müssen, wenn die Kinder ins Kino, zu Freunden oder irgendwelchen Besorgungen ausserhalb des Dorfes gelangen möchten. Viele Familien mit schon älteren Kindern sind im Besitz mehrerer Privatwagen, so auch wir. Das wiederum hat hohe Kosten und Umweltverschmutzung zur Folge und auch Streit mit den Nachbarn um die heissbegehrten Parkplätze in der Strasse ist an der Tagesordnung.

Nun soll eine neue WhatsApp-Gruppe das Verkehrsproblem mindern. Hunderte Einwohner sind schon Mitglieder und die Gruppe verbreitet sich wie ein Lauffeuer im Dorf. Die einzige Aufnahmebedingung ist, im Dorf zu wohnen. Jeder der irgendwohin muss und kein Auto hat, kann sich melden. Müssen sie zu einer bestimmten Zeit am Flughafen sein? Am Bahnhof? Möchten sie ins nächste Einkaufzentrum? Dann können sie einfach Ziel und Uhrzeit angeben und abwarten. Die Chancen sind gross, dass sich eine Mitfahrgelegenheit findet.

Ich finde diese Gruppe eine geniale gemeinnützige Einrichtung, in welcher ich auf jeden Fall aktiv tätig sein werde. Für das vermehrte WhatsApp-Gepiepse morgens kurz nach acht (habe mich verschlafen, fährt jemand zufällig in Richtung Schule) oder Meldungen in den frühen Morgenstunden (bin im Ausgang versumpft, fährt jemand gerade nach Hause?) gibt es zum Glück die Möglichkeit, die Gruppe stumm zu schalten.

Samstag, 11. November 2017

Zwillinge


In unserer Familie gibt es Nachwuchs. In der erweiterten Familie, wohlvermerkt, bei uns selbst ist dieses Kapitel ja abgeschlossen (die Älteren) oder noch nicht aktuell (die Jüngeren). Mein Schwager aber ist zum ersten Mal Grossvater geworden. Die Freude ist gross und da es sich um Zwillinge handelt, sogar doppelt. Vor einigen Tagen stattete ich den beiden Würmchen, die nach 40 Tagen in der Frühchenstation endlich nach Hause durften, einen ersten Besuch ab. Die Beiden sind zehn Wochen zu früh geboren, aber ich bin trotzdem erstaunt, wie klitzeklein und unfertig sie auch jetzt noch sind. 
An die ersten Wochen nach meinen eigenen Geburten kann ich mich nur noch diffus erinnern, ich war wohl jeweils reichlich verwirrt. Bis ich mich einigermassen von den Strapazen der Geburt, der hormonellen Umstellung und dem Durcheinander mit der neuen Familienkonstellation erholt hatte, kraxelten mir schon drei ausgewachsene Kleinkinder um die Beine. Vielleicht versetzt mich nun deshalb die Winzigkeit und Unfertigkeit der kleinen neugeborenen Menschlein ins Staunen. Aber wenn ich mich auch nicht mehr genau erinnere, weiss ich doch, dass jedes einzelne meiner Kinder bei der Geburt fast ein Kilogramm mehr auf die Waage brachte als die Zwillinge zusammen!
Ich darf beim Stillen zusehen. Als die zwei Winzlinge – stereofon! – an den prallen Brüsten hängen, drängt sich mir unweigerlich der Vergleich mit einem Wurf Kätzchen auf. Mit blinden Augen suchen sie die Warze und saugen sich voll. Dabei verschlucken sie sich ab und zu und müssen ein wenig geschüttelt und dann wieder angesetzt werden. Dann, kurz bevor sie wie betrunken in den Schlaf fallen, bekommen sie je eine frische Windel in Puppengrösse verpasst.
Das Leben der Beiden lässt sich in wenigen Sätzen zusammenfassen: Vor dem Essen quengeln sie, weil sie ein Hüngerchen verspüren, nach dem Essen jammern sie, weil ein Gäschen in ihren zarten Gedärmen rumort. Dazwischen schlummern sie ein wenig, weil das Nuckeln, Verdauen und das Zellteilen im Turboverfahren sie erschöpft.
Zwei wehrlose Bündelchen Mensch, denen das Leben zugeworfen wurde. Die Winzigkeit und das totale Ausgeliefertsein dieser Geschöpfe führt mir vor Augen: Wir kommen aus dem Nichts. Wir sind nichts und am Schluss kehren wir ins Nichts zurück. Noch erstaunlicher finde ich: Eben noch ein Nichts, werden wir aus wehrlosen Würmchen – ein bisschen Muttermilch trinkend, ein paar Müskelchen dehnend, ein paar Schläfchen haltend – flugs zu strammen jungen Menschen, die glauben, das Zentrum des Universums zu sein und die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben.
Ich verlasse die junge Familie mit guten Wünschen, aber auch staunend und nachdenklich. Was für eine eindrückliche Begegnung. Das Bild der zwei nuckelnden Menschenbabies wird mir noch lange im Gedächtnis haften bleiben!

Sonntag, 5. November 2017

Gefährliche Begegnung



Nächsten Monat werden es schon sechs Jahre sein, seit ich meinem Laufhobby fröne. Dabei ist eine der Herausforderungen beim Laufen das Erkunden von immer neuen Routen, denn jahrelang dieselbe Runde zu drehen wäre todlangweilig. Nun bin ich leider nicht mit einem sehr ausgeprägten Orientierungssinn gesegnet und muss deshalb die Strecken jeweils gut voraus planen, damit sie meinen Anforderungen entsprechen. Das ist gar nicht so einfach, denn es sollte möglichst eine Rundstrecke sein, sie muss von der geplanten Entfernung her ungefähr passen und ausserdem laufe ich nicht gerne in bewohnten Gebieten und auf asphaltierten Strassen. Querfeldein finden sich aber auch so einige Hindernisse: Viele Feldwege werden im israelischen Sommer zu Sanddünen, während ich im Winter manchmal plötzlich vor einem undurchquerbaren Tümpel stehe, der am Vortag noch gar nicht da war. Für weitere Gefahren habe ich jeweils einen Pfefferspray dabei, den ich hoffentlich nie werde gebrauchen müssen, denn die Chancen sind gross, dass ich ihn im Eifer des Gefechts mir selbst in die Augen sprayen würde.

Diese Woche hatte ich beim Erkunden einer neue Route eine sehr unangenehme Begegnung mit einem Rudel streunender Hunde. Leider sind Begegnungen dieser Art für Jogger in Israel keine Seltenheit, aber bisher waren die Hunde noch immer mit einem autoritären „Nach Hause!“-Ruf zu beeindrucken und die Kombination mit einem strengen Blick liess sie jeweils das Weite suchen.

Leider nicht so an diesem Morgen: ich nahm die drei Hunde auf dem Feld aus einigen hundert Metern Entfernung wahr. Zum Glück kam mir auch noch ein landwirtschaftlicher Traktor entgegen, so entschied ich mich mutig, nicht umzukehren sondern weiter zu laufen. Bald sprangen die Hunde auf mich zu und während zwei sich tatsächlich aus dem Staub machten, als ich ihnen energisch einen Befehl zurief, kam der dritte - ein deutscher Schäferhund! - zähnefletschend auf mich zu! Er schien mit seinem Hundespürsinn sofort gewittert zu haben, dass es mit meinem autoritären Durchsetzungsvermögen nicht allzu weit her ist und er knurrte mich an, zeigte mir die Zähne und wartete nur auf den richtigen Moment, mich anzuspringen und zu zerfleischen! Wie ich richtig berechnet hatte, kreuzte nun aber gerade der Traktor meinen Weg und während ich noch eine Zehntelsekunde überlegte, ob ich lieber von einem deutschen Schäferhund zerfleischt oder von einem unbekannten thailändischen Traktorfahrer vergewaltigt werden möchte (wer weiss: #metoo!), sprang ich dem Lebensretter aufs Trittbrett und schon fuhren wir dem Rudel mit dem Traktor davon. Etwa einen Kilometer weiter stieg ich unbehelligt wieder ab und lief dann mit klopfendem Herzen und etwas schneller als gewöhnlich meine Runde zu Ende.

Fazit: Lieber auf den gewohnten Strecken laufen! Zum Beispiel dem Alexanderfluss entlang, hier ist es ziemlich sicher, es gibt jederzeit viele Läufer und Radfahrer und wenn auch die Strecke immer dieselbe ist, sind doch die Sonnenaufgänge jeden Tag anders (siehe Foto)!

Dienstag, 10. Oktober 2017

Der erste Regen



Heute morgen überrascht mich, noch während ich den Wagen parke, ein kräftiger Wolkenbruch: der erste Regen! Es giesst in Strömen! Obwohl das Bürogebäude nur wenige Meter entfernt ist, bin ich nach einem Sprint in die Lobby klitschnass. Hier treffe ich auf mehrere durchnässte Mitarbeiter, die sich aufgeregt und fröhlich lachend die Tropfen von den Kleidern schütteln.

Man kann sich vorstellen, dass der erste Herbstregen – nach der langen Trockenzeit des Sommers heiss herbeigesehnt – in Israel eine aussergewöhnliche Bedeutung hat. Deswegen verdient er auf Hebräisch sogar einen eigenen Namen: HaYoré. Und bei mir verdient er einen eigenen Blogbeitrag.

Die Schweiz, wo ich aufgewachsen bin, ist meines Erachtens eindeutig mit zu viel Regen gesegnet. Wenn ich heute an die zwei Jahrzehnte zurückdenke, die ich in der Schweiz verbracht habe, erinnere ich mich vor allem an ein einziges endloses Warten auf ein paar sonnige Tage, die – kaum waren sie einmal da – schon wieder vorbei waren. Ich kann mich erinnern, dass ich einmal in Basel unter blauem Himmel in einem Strassencafé sass und mal schnell auf die Toilette musste. Als ich zurückkam, waren die Sitzplätze im Freien leergefegt, es war grau und kalt und es goss wie aus Kübeln. Im Sommer, wohlgemerkt. So schnell schlägt das Wetter in diesen Breitengraden um.

In Israel hingegen wundere ich mich immer wieder, dass man im Radio und Fernsehen in den Sommermonaten überhaupt Sendezeit für die Wetterprognose vergeudet. Diese lautet nämlich von ungefähr Mai bis etwa Oktober immer gleich: sonnig und heiss. Manchmal sehr heiss. Ausserordentlich heiss. Aber abgesehen von Temperaturschwankungen von höchstens zwei bis drei Grad gibt es nichts zu berichten. Das einzige, das sich jeden Tag minimal ändert, ist der schwangere Bauch der Moderatorin. Doch während sie immer dicker wird und dann nach einigen Monaten wieder schlank ist, verläuft die Temperaturkurve monatelang unverändert horizontal ohne nach oben oder unten auszuschlagen.

Natürlich freuen sich die Israelis über die ersten Niederschläge, die jedes Jahr mit ziemlicher Sicherheit zum Laubhüttenfest eintreffen: Endlich ist der lange stickigheisse Sommer vorbei, die Temperaturen werden angenehmer, man kann sich im Freien aufhalten, ohne gleich von der Hitze erschlagen zu werden, wenn man nur vor die Türe tritt. Für die Kinder ist der Regen ein aufregendes Abenteuer. Ich kann mich erinnern, als vor einigen Jahren (Jahrzehnten?) meine Drei unbedingt den ersten Wolkenguss draussen erleben wollten. Was für eine Enttäuschung, dass der Spuk schon wieder vorbei war, bis wir für alle drei die Stiefel und Schirme vom letzten Winter hervorgesucht hatten!

Keine Frage, Regen ist ein Segen, aber in Israel bedeutet das auch:
  • Die Israelis ziehen die dicken Jacken und die geschlossenen Schuhe aus den Schränken. Dabei lassen sich die Frierenden im Grossen und Ganzen in drei Gruppen unterteilen. Diejenigen, die sich nicht um die Mode kümmern, tragen auch mit 55 noch den olivgrünen dickgefütterten Anorak, den sie im Militärdienst mit 20 Jahren ergattert haben. Die zweite Gruppe fühlt sich mit der Daunenjacke, die sie für das Wochenende in Prag im November 1986 gekauft hat, immer noch sehr modebewusst, trotz Mottenmief. Die meist jüngeren Fashonistas hingegen tragen modische Jacken in allen Farben und Versionen, die aber meistens weder in der Dicke noch in Stil oder Stoff zum Wetter passen. 
  • Und dann die Schuhe...!
  • Die jüngeren Kinder werden frühmorgens warm verpackt in zwei bis drei gefütterten Kleiderschichten und Stiefeln in die Schule geschickt und kommen mittags in kurzärmeligen T-Shirts nach Hause, weil das Thermometer wieder über 25 Grad geklettert ist. Dass die restlichen Kleiderschichten in den langen Schulfluren auf unergründliche Art und Weise verschwinden und auf immer verschollen bleiben, muss wohl kaum erwähnt werden.
  • Trotz der warmen Kleidung werden die Kinder beim Erscheinen von mehr als drei grauen Wolken am Himmel von den Eltern in die Schule gefahren, auch wenn diese nur zwei Strassen weiter liegt. Die lieben Kleinen könnten ja nass werden.
  • Auf den Strassen herrscht das Chaos. Die Fahrt ins Büro dauert plötzlich 45 anstatt 15 Minuten, weil alle im Schneckentempo dahinschleichen. Die nassen Strassen könnten ja schleuderglatt sein. Ich mag gar nicht daran denken, wie sich israelische Fahrer auf Glatteis verhalten würden.
  • In mehreren Städten sorgen hüfttiefe Seen an den Hauptverkehrskreuzungen (an den immer gleichen Stellen!) für den totalen Verkehrszusammenbruch.
  • Einige Autofahrer fahren tagsüber mit angeschalteten Nebelscheinwerfern, schliesslich ist jetzt offiziell Winter!

P.S. Der erste Regen ist vorbei, die Strassen trocken, der Himmel blau, das Thermometer zeigte auch heute über Mittag 28 Grad. Die Wettermoderatorin ist schon wieder schwanger. Alles beim Alten.

Samstag, 30. September 2017

Yom Kippur

Am 10. Tag des hebräischen Monats Tischrei, der dieses Jahr auf diesen Samstag fällt, feiern die Juden Yom Kippur, den „Tag der Sühne“, der mit Fasten und Beten begangen wird. Bereits am Vorabend, am 9. Tischrei, kommt alles Leben in Israel zum Stillstand. Niemand arbeitet, der private sowie auch der öffentliche Verkehr liegen lahm. Die streng religiösen Juden benützen keine elektrischen Geräte und zünden kein Licht an. Sobald es dunkel wird (drei Sterne müssen am Himmel sichtbar sein) ergattert jeder rechtzeitig einen sicheren Parkplatz, der Verkehr hält ein und dann findet sich bis am nächsten Abend kein motorisiertes Fahrzeug mehr auf der Strasse. Die Übertragungen im Fernsehen und Radio werden eingestellt. Kinder erobern mit Rädern oder Rollschuhen die autoleeren Fahrwege. Dann trifft man sich in Scharen auf der Strasse und in oder vor der Synagoge. Da man nicht arbeiten soll/darf, nicht kochen, anrichten, wegräumen muss und man nirgendwo hinfahren kann, hat plötzlich jedermann unendlich viel Zeit zum Herumstehen und Plaudern. Die Jugendlichen aller Jahrgänge treffen sich spätabends im Dorfzentrum und verbringen dort die Nacht mit Gesprächen und Gesellschaftsspielen.

Mir ist Yom Kippur der liebste Feiertag von allen. Der jüdische Versöhnungstag hat einen ganz besonders faszinierenden Zauber. Obwohl ich selber säkular bin, färbt die spirituelle Stimmung an diesem Tag, an welchem die Juden ihre Sünden bereuen und um Vergebung bitten, sogar auf mich ab.

Unser Haus ist nicht religiös und unsere Kinder und ihre Freunde wiederspiegeln die religiöse Vielfalt der israelischen Gesellschaft: Lianne, die Sechzehnjährige, ist noch nicht gefestigt und probiert Verschiedenes aus. Während sie sich sonst sehr säkular gibt und über die religiöse Gehirnwäsche an ihrer Schule wettert, unterliegt sie am Versöhnungstag dem gesellschaftlichen Zwang ihrer Freundinnen und fastet. Dabei sind für sie aber nicht etwa 24 Stunden ohne Essen und Trinken die grosse Herausforderung, sondern – unglaublich und sensationell – sie rührt aus freier Wahl ihr Handy 24 Stunden nicht an.

Kaum ist der Feiertag angebrochen, versammeln sich die Kinder, die sich sonst tagelang mit Fernsehen und Handies in ihren Zimmern verschanzen, in der Stube. Lianne und der Gatte spielen Backgammon, ich lese und höre Musik (heute verboten, deshalb „leise“, bittet Lianne, „die Nachbarn hören mit“) und geniesse die TV-lose Zeit mit der Familie. Itay hingegen hält nicht viel vom Fasten, schliesslich ist er Soldat und möchte an seinem Urlaubswochenende Kräfte tanken, denn er muss am Sonntag wieder für 14 Tage einrücken. Er trinkt schon das zweite Bier und isst einen Hamburger mit Fleisch und Käse (erst recht verboten). Dann trudelt Sivan mit zwei Freundinnen ein, von denen die eine die religiösen Gesetze einhält, weswegen ich die Musik ausschalte, während die andere Hunger hat und ebenfalls einen Hamburger bekommt. Aus Rücksicht auf die Freundin isst sie diesen aber in der hintersten Küchenecke. Sivan selbst nimmt die religiöse Diversität ihrer Freundinnen locker und hat sich auch mehr als eine Stunde nach Einbruch des Fastentags noch nicht entschlossen, ob sie heute fasten will. Sie lässt es wohl darauf ankommen, was ihr an Essbarem bis am nächsten Abend angeboten wird.

Als Lianne am Abend aufbricht, um ihre Freunde im Dorfzentrum zu treffen macht sie eine ganz neue Erfahrung: Wie, wann und wo trifft man Freunde, wenn man kein Handy zur Verfügung hat? „Geh einfach und mach dir keine Sorgen“, sage ich zu ihr, „du wirst schon sehen, an Yom Kippur geschehen Wunder“.

Sonnenuntergänge haben immer etwas spritiuell Inspirierendes...

Freitag, 22. September 2017

Strandlilien

Schon öfter habe ich über die Laufrunden mit meiner Laufgruppe im Naturreservat der Hasharon-Küste geschrieben (zum Beispiel hier und hier). Heute möchte ich einmal die Bilder sprechen lassen. Die Strandlilien blühen!




Bei Sonnenaufgang

Und etwas später

Zum Verschnaufen, Sinnieren und Staunen gibt es auch einige spektakuläre Sitzgelegenheiten. Bitte nehmen Sie Platz!






Sonntag, 17. September 2017

Soldatenwäsche

Wochenende. Ausruhen. Pause machen. Getriebe herunterfahren. Entschleunigen. Ein bisschen aufräumen, ein bisschen kochen. Zu Hause sein. Auf dem Sofa liegen. Lesen. Musik hören. Zeit für Gespräche. Aufatmen. Energie tanken. Die Mädchen sind irgendwo. Itay der Soldat hat keinen Urlaub.

Es ist Freitagnachmittag, Eyal und ich hängen auf den Sofas herum. Ruhe im Haus. Eyal versucht beim Zeitung lesen die Augen offen zu halten, ich lese ein Buch.

„Vielleicht gehen wir ein bisschen ans Meer?“ schlägt Eyal vor.

„Ja, gute Idee“, sage ich „Oder mit den Mädchen ins Kino“.

„Wir könnten Freunde zum Nachtessen einladen. Einige haben wir schon lange nicht mehr getroffen.“ sinniert Eyal.

Ja, wir sollten irgendetwas tun, ständig sitzen wir nur hier herum. Sogar die Yoga-Stunde heute morgen habe ich geschwänzt.

„Komm, fahren wir nach Tel-Aviv, zum alten Hafen“, spintisiert Eyal weiter und wird in seiner Fantasie immer übermütiger, aber nur solange er sich nicht vom Sofa erheben muss.

Lauter gute Ideen. Aber man müsste aufstehen. Etwas Anständiges anziehen. Draussen brütet die Sonne bei 30 Grad. Hier drin, mit Klimaanlage, ist es hingegen sehr angenehm. Ich lese weiter. Nur noch 50 Seiten von den 600, dann habe ich das Buch geschafft. Eyal fallen die Augen zu, er schlummert ein, sein Ideenarsenal hat sich wohl erschöpft.

Das Telefon klingelt. Endlich meldet sich Itay, zu dem wir wie immer die ganze Woche keinen Kontakt gehabt haben. Er hat nur eine Stunde frei, bis 18 Uhr.

Eyal und ich springen wie von Wespen gestochen von den Sofas. Kaum sind fünf Minuten vergangen und schon sitzen wir angezogen, frisch und munter im Wagen, unterwegs zu der Basis. Soldatenwäsche abholen, die wir morgen wieder sauber zurückbringen werden! Auch eine Tätigkeit.

Freitag, 8. September 2017

Beim Friseur


Liebe Leser, ich muss ihnen etwas gestehen: Ich bin gar nicht blond. Auch nicht dunkelblond. Nicht einmal brünett! Mein Haar ist ganz einfach schlohweiss – und gefärbt!
Warum und wann ich mit dem Färben angefangen habe, entzieht sich meiner Erinnerung. Es gehört seit Jahren einfach zu meiner Routine. Einst färbte ich mein Haar blond, als ich noch jünger war, dann in allen Blond- und Brauntönen, die die verschiedenen Färbpaletten zu bieten haben: Sonnenblond, aschblond, dunkelblond, hellbraun, rehbraun, caramelbraun undsoweiter. Über all der Färberei geriet mein natürlicher Haarton in Vergessenheit. Unterdessen ist der Tag, an dem ich mir eingestehen muss, dass mein Haar unter all der Farbe ganz einfach weiss ist, schon lange eingetroffen.
Nun, eigentlich strebe ich nicht nach einer jüngeren Version von mir selbst, aber – wie wird man die Farbe jetzt los? Monatelang mit grau nachwachsendem Ansatz aufzutreten würde mich schon sehr viel Überwindung kosten. Dazu kommt das absolute Unverständnis des Gatten und der Kinder für den „Grossmutter-Look“. Kurzum, ich sitze in der Färbe-Falle.
Aus Kosten- und Zeitgründen habe ich bis heute jeweils im Eigenverfahren gefärbt. Das ist nicht nur billiger sondern auch zeitsparend, denn ich kann, während die Farbe einwirkt, auch noch Wäsche verräumen oder den Boden fegen und nach nur einer halben Stunde ist wieder etwas Hausarbeit erledigt und ich sehe aus wie aus dem Ei gepellt. Leider hält die frische Farbe jeweils nicht lange, nach einer Woche fängt sie schon an zu verbleichen, die schönen Brauntöne werden zu einem undefinierbaren Gelb und spätestens nach zwei drei Wochen gesellt sich auch noch der weiss spriessende Ansatz dazu.
Vor einigen Tagen habe ich mich endlich vom Friseur, der schon seit Jahren den Locken meiner Töchter den Garaus macht und für ihre glatten Haare verantwortlich ist, zu einem Färbversuch in seinem Haarstudio überreden lassen. Der junge Mann ist ein sehr talentierter Verkäufer und als ich neulich wegen Lianne bei ihm vorbeischaute, versprach er mir eindringlich, dass ich mit einer professionellen Koloration unvergleichlich viel besser aussehen würde. Das tönte vielversprechend und schon stand der Termin fest. Nicht genug also, dass der verkaufsbegabte Haarkünstler einen mit dem Geld meiner Töchter finanzierten flotten Sportwagen fährt – jetzt werde ich auch noch für sein Benzin blechen.

So treffe ich also nach der Arbeit mit schweizerischer Pünktlichkeit zum vereinbarten Zeitpunkt bei ihm ein. Nun, wir befinden uns in Israel und so muss ich zuerst fast eine halbe Stunde warten, obwohl wir ja einen Termin vereinbart haben – und bin schon ziemlich genervt, bevor mein „Haar-Makeover“ überhaupt beginnt.
Die Prozedur ist, wie sich bald herausstellt, eine ziemlich unangenehme Tortur: Die chemischen Färbmittel stinken ätzend (viel mehr als diejenigen, die ich zuhause verwende!), sie treiben mir die Tränen in die Augen, die Kopfhaut juckt. Dann muss ich beinahe zwanzig Minuten mit dem Kopf rücklings im Haarspülbecken liegen und brauche danach fast einen halben Tag, bis ich wieder aufrecht stehen kann. Ausserdem mag ich es nicht, die Zügel nicht selbst in der Hand zu haben und befürchte, dass sich mein Haar unter der beissenden Substanz hellorange, auberginenviolett oder silbergrau färbt.
Nun, immerhin sieht der muskulöse Haarfachmann gut aus, so dass ich während der zweistündigen Tortur im Spiegel etwas zu betrachten habe. Und ausserdem – wann genau ist es zuletzt vorgekommen, dass ein junger Mann zwei Stunden um mich herumtänzelt? Ich versuche nicht daran zu denken, dass ich ihn dafür bezahle und geniesse die Aufmerksamkeit und die charmant eingeflochtenen Komplimente. Wobei – für die horrende Summe, die ich dann schlussendlich hinblättern muss, hätte er gerne noch etwas mehr bieten können...

Als mein Haar dann endlich ein letztes mal gespült und trockengeföhnt ist, bin ich angenehm überrascht. Das Resultat lässt sich sehen: Mein Haar glänzt wie das eines jungen Mädchens und das helle Braun sieht so natürlich aus, wie es wohl seit dem Tag meiner Geburt nicht mehr war.

Also, Haarproblem wäre gelöst. Nun bleibt nur noch das Faltenproblem.

Dienstag, 5. September 2017

Fundstücke

Über die Vorzüge der digitalen Ausleihplattform Onleihe habe ich in einem früheren Beitrag schon berichtet. Das grossartige an dieser kostenlosen Online-Bibliothek ist, dass ich aufs Geratewohl Stöbern und unbekannte Werke und Autoren „beschnuppern“ kann, an die ich mich mit grosser Wahrscheinlichkeit nie heranwagen würde, wenn ich das Buch kaufen oder auch nur von der Bibliothek nach Hause tragen müsste. So habe ich im Netz schon öfters mir unbekannte Autoren aufspüren können, die mich begeistern. Und wenn sich nach einigen Seiten herausstellt, dass mir die Lektüre doch nicht zusagt, kann ich die Wahl einfach wieder verwerfen.

Ausserdem habe ich bei Onleihe die Hörversion entdeckt. Nun lasse ich mich beim Autofahren über die Lautsprecher der Audioanlage meines Wagens mit professionell vorgetragener Lektüre berieseln. So macht es mir nichts aus, auch einmal etwas länger im Stau zu stehen. Gibt es etwas Schöneres als ein gutes Buch zu hören, ohne von irgendjemandem oder irgendetwas gestört zu werden? Manchmal spiele ich mit dem Gedanken, im Wagen einfach an einer unauffälligen Stelle am Strassenrand einige Stunden stehenzubleiben und ein Buch in Ruhe zu Ende zu hören. Wie lange es wohl dauern würde, bis mich jemand sucht? Diese Idee habe ich zwar noch nie umgesetzt, aber es kommt vor, dass ich nach der Ankunft im Büro oder zuhause jeweils noch einige Minuten auf dem Parkplatz im Wagen sitzen bleibe, bevor ich mich überwinden kann, den Vorleser zum Schweigen zu bringen, in die Realität zurückzukehren und mich den Anforderungen des Alltags zu stellen.

In diesen Tagen höre ich „am Beispiel meines Bruders“ von Uwe Timm. Der Autor spürt in diesem Buch seinem älteren Bruder nach, der als deutscher Soldat im zweiten Weltkrieg in Russland gefallen ist. Er schreibt über den Einfluss, den dieser Bruder auf ihn und in seiner Familie auch Jahre nach seinem Tod hatte, wie er als Vorbild, als Schatten, als Über-Bruder über dem jungen Uwe Timm schwebte, obwohl er ihn selbst ja kaum kannte. Ausserdem setzt er sich mit dem Verhalten der Deutschen und seiner eigenen Familie – dem Vater, dem Bruder – während dem Krieg auseinander. Warum hat man während des Krieges weggeschaut und danach so lange schweigen können, ist die Hauptfrage, die im Hintergrund dieses feinfühlenden Buches steht. Und die meines Erachtens heute wieder äusserst aktuell ist.

Uwe Timms Gedanken sind sehr interessant und vor allem beeindruckt mich seine ruhige, fliessende, einfache und doch sehr eindrückliche Sprache. Dieses Buch ist eine sehr erfreuliche und gelungene Entdeckung und gerne werde ich noch weitere Bücher von diesem Autor lesen.

Und hier noch einen Fund aus dem Internet, den es sich zu erkunden lohnt: das Web-Comic-Bauprojekt das Hochhaus. Die Berliner Zeichnerin und Architektin Katharina Greve baute im Internet ein Hochhaus und füllte es mit humorvollen Kommentaren zu alltäglichen Themen. Die Comics in einfacher Sprache sind witzig und die vielfältig miteinander verbundenen Episoden ergeben am Schluss ein ironisches Gesamtbild der aktuellen Lage. Hier ein Einblick in zwei der insgesamt 102 Stöcke...



Mittwoch, 30. August 2017

Herbst

Die Sommermonate in Israel sind klimamässig die Hölle. Gerade die letzte Augustwoche war noch so unerträglich heiss und feucht, dass ich am Wochenende keinen Fuss vor die Tür setzte, denn nur schon der Gedanke an die Hitze draussen brachte meine Ohren zum Kochen. Überhaupt drehte ich den ganzen Sommer durch nur jeweils in den frühen Morgenstunden eine schnelle Runde im Garten, um die heruntergefallenen Mangos einzusammeln. Das war dann wieder genug „frische“ Luft, um mich danach den ganzen Tag ausschliesslich in klimatisierten Räumen aufzuhalten. Nun wird es aber endlich etwas erträglicher: Über Mittag ist die Hitze zwar immer noch erdrückend, aber nachts ist es auszuhalten und wir schlafen schon einige Nächte mit weit geöffneten Fenstern anstatt mit surrender Klimaanlage  und schon sprechen die Israelis von „kühl“.
Als ich heute morgen um kurz nach fünf das Haus verlasse, zeigt das Thermometer angenehme 23 Grad. Prompt treffen wir im Naturreservat beim Lauftraining die erste weisse Meerzwiebel (siehe Foto) deren volle Blüte gemäss israelischem Volksmund den Herbst ankündigt. Beim Laufen schwitzen wir dann natürlich trotzdem, aber es ist doch ganz erträglich. Die heissen Sommermonate, in denen sich das Klima in der gesamten Küstenregion mit den Bedingungen in einem heissen türkischen Dampfbad vergleichen lässt, gehen zur Neige. Nun kommt also sicher der Herbst und ich freue mich, dass wir wieder einige Stunden werden draussen verbringen können, ohne von der Hitze erschlagen zu werden.

Samstag, 19. August 2017

Geburtstag



Seit Itay eingerückt ist, sind schon neun Monate vergangen. Nach sechs Monaten Grundausbildung steckt er nun mitten in einem Kurs, der insgesamt 14 Monate dauert. Im Grossen und Ganzen gefällt es ihm ganz gut, zweifellos gibt es bessere und schlechtere Tage, aber die Ausbildung ist interessant und es ist auszuhalten. Natürlich kann die Schikaniererei, die im Militär wohl einfach dazu gehört, manchmal reichlich auf die Nerven gehen, aber Itay trägt es meistens mit Fassung und macht das Beste aus seiner Pflicht. Schlussendlich hat er ja auch keine andere Wahl.

Wie wunderbar, dass sein zwanzigster Geburtstag auf ein Wochenende fällt, an welchem er Urlaub hat. Als er uns am Abend vor dem grossen Ereignis anruft, bin ich gerade am Geburtstagskuchen backen und Lianne, seine Schwester, bläst Ballone auf und verziert damit unsere Stube. Wir freuen uns auf das Wochenende, schliesslich feiert man ja nicht jeden Tag einen so bedeutenden Geburtstag. Leider hat aber Itay keine erfreuliche Nachricht: Ausgerechnet jetzt, zum ersten Mal, seit er seinen Dienst angetreten hat, wird er wegen einer Dummheit bestraft. Der Kommandant hat Itay mit einer Patrone zuwenig im Halter erwischt. Die Patrone war zwar nicht etwa verloren, sie war nur aus dem Halter gefallen und in den Schaft gerutscht. Aber keine Frage, so ein grobes Vergehen muss natürlich gebührend bestraft werden, Geburtstag hin oder her! Der Wochenendurlaub wird erbarmungslos gestrichen.

Wir alle fallen ob dieser Nachricht aus allen Wolken - wie traurig, einen zwanzigsten Geburtstag alleine in einer Militärbasis zu verbringen! Wie schade um den schönen Kuchen, die Geschenke, die Freunde und Familienmitglieder, die feiern wollen. Itay ist wütend und wir versuchen ihn zu ermuntern, aber die Geburtstagsvorbereitungen werden bis auf Weiteres eingestellt. Mit Itays Erlaubnis schickt Eyal noch eine verzweifelte Nachricht an den Kommandanten: Er gaukelt ihm etwas von einer geplanten Überraschungsparty vor, schmiert ihm etwas Honig ums Maul und bittet um Nachsicht mit dem Soldaten. Viel Hoffnung haben wir nicht, das israelische Militär ist schliesslich kein Kindergarten.

Am Geburtstagsmorgen gratuliere ich uns Beiden in Gedanken und erinnere mich an jenen Tag vor 20 Jahren, als Itay durch einen Kaiserschnitt geboren wurde. Kaum aus meinem Leib gezogen, legte man mir das warme Köpfchen des neugeborenen Wunders an meine Wange. Die Berührung dieser zarten weissen Haut ist auf ewig in meine Wange eingebrannt, ich kann sie heute noch spüren. Während ich mir diese süsseste aller Berührungen in Erinnerung rufe, denke ich an den Soldaten, der heute bestimmt frustriert in der Basis herumtigert.

Gegen Mittag findet der Kommandant eine Lösung, auf die elterliche Bitte einzugehen und etwas Nachsicht walten zu lassen, ohne gleich vor der ganzen Kompanie das Gesicht zu verlieren: Itay darf die Basis am Abend von sechs Uhr bis Mitternacht verlassen! Wir freuen uns alle über die geschenkten Stunden und holen Itay genau um sechs Uhr ab. Die Basis liegt zum Glück nur zehn Autominuten von unserem Wohnort entfernt.

Jetzt zählt jede Minute, schliesslich heisst es, ein ganzes Geburtstagswochenende in weniger als sechs Stunden hineinzupacken. Kaum eingetroffen, duscht Itay kurz, die Wäsche wird eiligst in die Maschine gesteckt, dann fahren wir zu den Grosseltern, wo schon die ganze Familie für die Party versammelt ist. Wir essen, aber kaum haben wir den letzten Bissen hinuntergeschluckt, räumt Itay schon schleunigst den Tisch ab – er hat keine Zeit, schliesslich muss er auch noch mit seinen Kollegen feiern. Geschwind noch ein paar Geburtstagswünsche, auch den Kuchen verschlingen wir im Schnellverfahren, dann geht es eiligst wieder nach Hause. Unterwegs nickt Itay noch für einige Minuten ein, denn immerhin ist er Soldat und auch ein bisschen Erholung muss sein. Zu Hause packt er zügig seine Siebensachen, während ich die Wäsche ausnahmsweise in den Trockner stecke. Dann hupt es draussen schon, die Kollegen holen Itay ab und düsen davon, denn die Uhr tickt und dem Geburtstagskind bleiben nur noch knappe zwei Stunden für den Ausgang. Um halb zwölf und einige Stangen Bier später ist Itay wieder da, stürzt sich flink in die Uniform, schultert das Gewehr und um fünf Minuten vor Mitternacht laden wir ihn am Tor seiner Militärbasis ab. Das war ein Geburtstagswochenende im Schnelldurchgang! Itay tritt durch das Tor und wird nun noch den ganzen Samstag Zeit haben, seine Strafe abzusitzen und sein fehlerhaftes Benehmen zu bereuen.

Im Bett denke ich noch einmal an die watteweiche Wange, die vor zwanzig Jahren zum ersten Mal die meine berührte, dann schlafe ich ein.

Sonntag, 6. August 2017

Misslungenes Training


Irmi, der Trainer unserer Laufgruppe, erholt sich zur Zeit mit seiner Familie im Urlaub in Slowenien. Ha! Wer’s glaubt! Ich bin sicher, seine Kinder empfänden ein Trainingslager des FC Barcelona kurz vor dem UEFA Cup als entspannend im Vergleich zu zwei Wochen Ferien mit ihrem Vater. Bestimmt schleppt Irmi sie in Slowenien rund um die Uhr von Intervall- zu Pyramidentraining und von Gymnastik- zu Muskelaufbau-Übungen und ich vermute, dass am Ende des Urlaubs nur diejenigen ein Flugticket nach Hause erhalten, die den Halbmarathon unter 90 Minuten schaffen.

Wer sich jetzt immer noch nicht vorstellen kann, wie verrückt Irmi ist, dem sei verraten, dass er es ganz normal findet, tote Riesenquallen am Strand als instabile Unterlagen für Gleichgewichtsübungen zu missbrauchen...

Wie dem auch sei, ich hoffe er geniesst es – und seine Familienmitglieder wenigstens ein bisschen.

In unserem heutigen Lauftraining bekommen wir Roy als stellvertretenden Trainer und erst jetzt wird mir bewusst, wieviel uns Irmi wert ist. Wie immer findet unser Training im Naturreservat an der Küste südlich von Netanya statt. Dieses Küstengebiet liegt auf einer Klippe hoch über dem Strand und Läufer, die den sandigen Untergrund nicht fürchten, finden darin unzählige Laufwege zwischen hügeligen Dünen und wildem Gestrüpp, immer mit Aussicht auf das darunter liegende Meer und (zu unserer Tageszeit) die aufgehende Sonne im Osten.

Nun ist aber unsere Gruppe ganz und gar nicht homogen und wir bringen alle sehr verschiedene Stufen von Ausdauer und Schnelligkeit mit. Moran zum Beispiel trainiert fast jeden Tag, denn sie bereitet sich auf den Tiberias-Marathon vor. In unserem Gruppentraining schiesst sie jeweils davon wie eine Rakete und wenn sie einmal loslegt, ist sie kaum aufzuhalten. Nach Moran kommt ein mittelmässiges Trüppchen: Läufer, die ganz gut im Schuss sind, die aber auch ab und zu gerne auf die Nachhut warten. Dann taumeln mit grossem Abstand jeweils noch einige Nachzügler hinterher, die immer ausser Atem sind und die jede denkbare Gelegenheit ergreifen, wieder umzukehren. So richtig in Fahrt kommen diese „Sportler“ erst auf dem Rückweg, denn wenn sie einmal den Stall gerochen haben, kann sie nichts mehr halten.

Irmi kennt nicht nur seine Läufer seit Jahren, sondern auch die Region wie seine Hosentasche und er schafft es, wie ein aufmerksamer Hütehund zwischen der Vorhut und den Nachzüglern flink hin- und her zu spurten und seine Herde zusammenzuhalten.

Roy hingegen ist heute morgen trotz Anweisungen von Irmi ziemlich verwirrt. So kommt es, dass Moran schon nach zehn Minuten davongerast und zwischen den Dünen auf Nimmerwiedersehen verschwunden ist. Ich schliesse mich den mittelmässigen Läufern an und wir versuchen, zusammenzuhalten, denn Roy ist bald auch ausser Sicht. Als wir auf einer kleinen Anhöhe das ganze Küstengebiet überblicken, erspähen wir ihn weit in der Ferne, wo er einem kleinen neonfarbigen Punkt am Horizont hinterherhechelt – Moran!

Als der ganze unordentliche Haufen sich nach etwa einer Stunde wieder am Ausgangspunkt einfindet, warten dort schon Ayelet und ihre Tochter, die sich immer noch schwer atmend von ihrem abgekürzten Training von nur 20 Minuten erholen. Schlussendlich trudelt dann auch mit letzten Kräften Roy wieder ein, schweissnass und schwer atmend. Er hat es knapp geschafft, Moran einzuholen, aber nur um dann doch alleine zurückzukehren, weil sie gemäss Trainingsplan für den Marathon noch weiterlaufen wollte.

Kurzum, die ganze Truppe – und vermutlich auch Roy – wartet sehnsüchtig auf Irmis Rückkehr.

Dienstag, 25. Juli 2017

Gedanken beim Reisen


Die Schweizer scheinen grossen Wert auf die Kultivierung ihrer Freizeittätigkeiten zu legen, deshalb sind unter anderem auch die Velowege sehr sorgfältig gekennzeichnet. So düsen wir auf unserer mehrtägigen Tour fernab der Autostrassen schnell Seen und Flüssen entlang und bergauf und bergab durch Täler und Orte. Langgestreckte Ebenen wechseln sich mit hügeligen Landschaften ab, enge Täler öffnen sich und wir ziehen an hohen Bergen und Seen in unzähligen blau- und türkis-Schattierungen vorbei.

In einigen besonders ruhigen und abgelegenen Gegenden wähne ich mich auf einem fremden Planeten. Alte, dunkle Bauernhäuser aus Holz liegen verstreut auf grünen Hügeln, die Täler sind von hohen Bergen flankiert, Grillen zirpen in der Mittagshitze, es riecht nach Heu, Kühen und Käse. Die wenigen Menschen, die wir treffen, haben braungebrannte, furchige Gesichter und sprechen eine Sprache, die man ausserhalb des Tales nicht versteht. Die Veloroute führt uns an grossen und kleinen Gehöften vorbei und bei einigen dieser ruhigen Bauerndörfer packt mich die Sehnsucht, einfach dazubleiben. Bestimmt muss es hier ein paar Häuser geben, deren Besitzer auf liebevolle Nachbewohner warten. Gerne würde ich den Garten pflegen, einige Hühner halten, einfach in den Tag hineinleben und die grünen Hügel bestaunen. Genau hier, wo die Welt noch in Ordnung ist und die Medienberichte über tägliche Katastrophen nicht anzukommen scheinen.

Reisen hilft uns, einen kritischen Blick auf uns selbst und unser Leben zu Hause zu werfen. Muss ich wirklich jeden Tag wie ein Roboter zur selben Zeit aufstehen und zur Arbeit gehen? Jeden Tag unter Neonlampen in einem tristen Büro fristen, nur um ein bisschen Kohle heimzubringen um damit nutzlose Dinge zu kaufen? Muss Eyal wirklich täglich mit besserwisserischen Kunden über spitzfindige Details in ellenlangen Verträgen streiten und abends genervt nach Hause kommen? Könnte er nicht hier mit einer langen Gabel auf den Feldern das Heu wenden und sich die Sonne in den Nacken brennen lassen, während ich im Garten riesengrosse Zucchettis und süsse Tomaten züchte? Warum lebe ich in einem Land, in welchem ständig Krieg herrscht, während mir doch eigentlich hier diese Idylle zu Füssen liegt? Muss das alles sein? Wie bin ich nur in dieses Leben hineingeschlittert? Wer hat das für mich bestimmt?

Während ich durch die fremden Dörfer strample, denke ich daran, dass in jedem Häuschen unbekannte Menschen ihre ganz eigenen Leben leben. Jeder findet sich sein Nischchen, baut sich ein Leben auf, mit Familie, Freunden, Arbeit und allem was dazugehört. Dann ist er festgefahren. Sorgt sich im immer wiederkehrenden Alltag um dieses und jenes. Folgt den vorbestimmten Pfaden.

Dabei sind wir alle nur zufällig, wie gut durchgeschüttelte Würfel aus einem Becher, irgendwo auf dieses Spielbrett namens Leben gefallen. Genausogut hätten wir im Garten des Nachbars landen können, oder in einem anderen Land, einem anderen Leben. Aber warum ist es dann so schwierig, einfach aufzustehen und einen ganz anderen Weg zu gehen? Alles hinter sich zu lassen, den „Reset“-Knopf zu drücken und neu anzufangen? Warum folgen wir alle so festgefahren unserem Pfad, den wir nur mehr oder weniger bewusst gewählt haben? Machen wir uns überhaupt noch Gedanken, ob er in die richtige Richtung führt?

Wäre unsere Velofahrt nicht so rasant, würde ich hier an einige Türen klopfen, bis ich ein passendes Häuschen gefunden hätte. Und am nächsten Montagmorgen, wenn mein Vorgesetzter in den USA wie gewohnt unser wöchentliches Gespräch anwählen würde, bliebe die Leitung ruhig. Ich wäre nämlich gerade dabei, auf meinem dreihundert Jahre alten Hof im Simmental die Eier von glücklich gackernden Hühnern einzusammeln.

Samstag, 15. Juli 2017

Reise in die Schweiz

Ich habe vor, um 11:30 das Haus zu verlassen um mich rechtzeitig am Flughafen einzufinden. Leider ist das Timing denkbar schlecht und Itay, mein Soldatensohn, muss genau zur selben Zeit abgeholt werden. Er kommt nach drei Wochen Kampftraining bedauerlicherweise just an diesem Wochenende auf Urlaub, an welchem ich verreise. Meine Hoffnung, dass er wenigstens frühmorgens entlassen würde, wird leider auch enttäuscht. Es reicht gerade für ein paar Sätze und einen Kuss, dann werde ich am Bahnhof ausgeladen. Kaum im Flughafen angekommen, erreicht mich das erste Telefon: Der Kampfsoldat und sein verwöhnter Vater versuchen, die Waschmaschine in Gang zu bringen. In der Warteschlange zur Sicherheitskontrolle erkläre ich ihnen, nach welchen Kriterien man Wäsche sortiert und welche Knöpfe zu drücken sind. Das Wäschesortieren schminken wir uns aber bald ab, es ist zu kompliziert und das weisse T-Shirt wird es überleben, wenn es einmal mit den stinkenden Uniformen zusammen in der Trommel baden muss. Dank der Skizze, die ich zu Hause vorahnend hinterlassen habe, meinen zusätzlichen präzisen Erläuterungen und vereinten Bemühungen schaffen es die beiden, die richtige Temperatur zu wählen und den Hauptknopf zu drücken. Hurra! Wir waschen Wäsche!

Nach vier Stunden angenehmem Flug bin ich schon in der Schweiz. Der Bühnenbildwechsel ist frappant. Ein spektakulärer Sonnenuntergang begleitet unsere Fahrt zu meinem Heimatdorf. Am leicht bewölkten und rotgefärbten Horizont zeichnen sich die Umrisse von spitzen Kirchtürmen ab – was für ein ungewohntes Bild. Bei meinen Eltern ist alles beim Alten: Die Vögel heissen mich zwitschernd willkommen, das tiefblaue Schwimmbadwasser glitzert in der Sonne, die Beeren wachsen mit den Salatköpfen um die Wette und der Rasenmähroboter dreht stoisch seine Runden. Eigentlich der perfekte Ort, um abzuschalten. Aber vor wenigen Wochen hat der Fortschritt auch in dieser internetfreien Insel Einzug gehalten. Mein Neffe hat WLAN installiert und nun verfügen meine Eltern im ganzen Haus über perfekten Internetempfang, so dass die junge Generation weiterhin zu Besuch kommen kann, ohne sich sorgen zu müssen, dass sie für ein paar Stunden von der Welt abgeschnitten sein könnte. Für mich hingegen wird es nun schwieriger, im Urlaub abzuschalten und mich der Illusion hinzugeben, dass alles in bester Ordnung und die Erde eine Scheibe sei. Die Wirklichkeit holt mich ein. In Israel hat gerade ein dreiwöchiges Baby seinen Vater bei einem sinnlosen Attentat auf dem Tempelberg verloren. Die arabischen Terroristen wollten Juden töten, brachten aber zwei israelische Polizisten um, die muslimische Beduinen sind. Das Foto des jungen Vaters der – vor seinem zum-Himmel-schreiend sinnlosen Tod – seinen neugeborenen Sohn mit unendlicher Zärtlichkeit und Liebe in den Armen hält, macht im Netz die Runde und holt mich auch auch in diesem fast idyllischen Zipfel der Schweiz ein.

In meinem Elternhaus eingetroffen, verbindet sich mein Handy aber unerklärlicherweise nicht sofort automatisch mit dem WLAN. Warum wohl? Was mache ich falsch? Meine Schwester und ich untersuchen alle möglichen Einstellungen und Knöpfe. Aber wir gehören halt auch schon zum alten Eisen und haben nicht mehr so ganz den Durchblick.„Jetzt mach doch mal den Flugmodus aus, dann tippe auf den WLAN Knopf“, „Vielleicht das Data-Roaming ein?“, „Schau mal unter mobile Netzwerke“. Es hilft alles nichts, die Verbindung kommt nicht zustande und während wir mindestens eine Viertelstunde die technischen Einstellungen meines neuen Handys zu ergründen versuchen, schauen meine über achtzigjährigen Eltern der Unterhaltung zu, als würden wir chinesisch reden. Dann frage ich sie direkt: „Ihr habt doch jetzt WLAN, oder?“. „Ja“ sagen sie dann, „aber nicht eingeschaltet, wir brauchen es ja nicht!“

Mittwoch, 5. Juli 2017

WMDEDGT 07/2017

10:00 
Omelette, Rührei oder Pfannkuchen? Geräucherter Lachs, Thunfisch oder Salzhering? Salat- oder Früchtebuffet? Verschiedene Käsesorten, Joghurt, Butter, Kuchen, Croissants, Brot - die Auswahl ist unendlich.

Ach, welch ein Dilemma am Frühstücksbuffet! Am liebsten würde ich den ganzen Tag im Esszimmer verbringen und schlemmen. Ich fange erst mal ganz solide an. Dann noch ein bisschen von Diesem, ein wenig von Jenem... Aber zum Glück bin ich ja auch noch morgen hier, dann werde ich die Speisen probieren können, auf die ich heute wegen begrenztem Fassungsvermögen verzichten muss.


Diesen Beitrag schreibe ich als Antwort auf Frau Brüllen‘s Aufruf zum Tagebuchbloggen. Sie fragt auf ihrem Blog "Was Machst Du Eigentlich Den Ganzen Tag?" (WMDEDGT) und da muss ich natürlich heute unbedingt dabei sein. Endlich einmal ein Tag, an dem ich nicht von 8 bis 17 Uhr vor dem Rechner sitze und virtuelle Dokumentenstapel abarbeite. Hurra, ich bin im Urlaub!

Wie schon öfter mache ich Tauchferien in Eilat. Und das, obwohl ich von Eilat wirklich langsam die Nase voll habe. Es ist eine schreckliche Stadt, die zwar an einem wunderschönen Ort liegt, aber mit Hotelblöcken verbaut und von lärmenden Menschen überlaufen ist, so dass man die schöne Landschaft rund um den Golf von Akaba eigentlich nur noch erahnen kann. Und dann die Hitze – rund um den Tag fühlt es sich an, als würde eine unerbittliche unsichtbare Macht die Stadt mit einem Riesenhaartrockner auf höchster Hitzestufe befönen. Die Gluthitze ist unerträglich und deshalb spielt sich das ganze Leben in klimatisierten Räumen ab. Oder im Wasser.

Auch ich bin zum Tauchen da, obwohl Eilat auch für Taucher keine Traumdestination mehr ist. Der Tauchtourismus hat die einst vielfältige Unterwasserwelt ruiniert, nur wenige Korallen sind verblieben und auf jedes klitzekleine Fischchen kommen geschätzte zehn Taucher. Ausserdem grüssen mich die Fische hier schon schon beim Namen, denn ich komme jedes Jahr wieder, während ich von Tauchferien auf den Malediven träume. Die paar Tage im Hotel in Eilat sind von meinem Arbeitgeber subventioniert und das ist zwar sehr verwöhnend – für Urlaub auf den Malediven reicht das Budget der Firma aber leider nicht. Und mein privater Geldbeutel leider noch viel weniger.

Ferienstimmung kommt aber trotzdem auf - ich geniesse das Nichtstun und es ist einfach wunderbar, in den Tag hinein zu leben, an nichts denken zu müssen und nur zu tun, wonach ich gerade Lust habe, ohne mich um die Wäsche oder die Küche zu kümmern.


12:00 Den ersten Tauchgang kann ich leider nicht so recht geniessen, denn meine Tochter Lianne taucht mit uns und so muss ich gluckenhaft immer nach ihr schauen, vor allem weil sie erkältet ist und ihre Ohren schmerzen.

13:30 Erfrischende Wassermelone am Hotelpool. Es ist zu heiss. Ich muss dringend wieder ins Wasser.

15:00 Zweiter Tauchgang, nun ohne Lianne. Ich vergesse mich sofort in Schwärmen von farbigen Fischen und geniesse die Ruhe und Schwerelosigkeit unter Wasser. Wir sichten einen Tintenfisch und einen besonders fetten „Steinfisch“, der, wie sein Name verrät, kaum von einem grossen Stein zu unterscheiden ist.

16:30 Eyal und ich sitzen auf der Hotelterrasse mit einem kühlen Drink, schauen dem Treiben am Pool zu und bedauern die Eltern, die sich um ihre lärmenden kleinen Rotzkinder kümmern müssen.
Ha, ha, wie gut es uns doch geht!

19:00 Erneutes Dilemma im Speisesaal, aber immerhin nicht so schlimm wie beim Frühstück, denn das Morgenessen ist meine Lieblingsmahlzeit.

20:30 Wir schauen uns die Show „Wow Splash“ an. Sie ist nicht gerade ein kulturelles Highlight, aber immerhin unterhaltsam und lustig, mit einigen sehr talentierten Akrobaten und Künstlern. Vor allem der italienische Clown bringt das Publikum ausnahmslos zum Lachen.

22:30 Als wir die Aufführung verlassen, ist es draussen immer noch über 40 Grad heiss.

23:00 Wir essen eine kühlende Kalorienbombe und fahren dann schnell zurück ins klimatisierte Hotel. Gute Nacht!

Mittwoch, 28. Juni 2017

Abenteuer Radfahren

Für diesen Sommer steht bei mir ausser Tauchferien in Eilat (schon nächste Woche!) auch eine mehrtägige Fahrradtour in der Schweiz auf dem Programm. Natürlich freue ich mich darauf, habe aber auch etwas Angst, dass ich dem langen auf-dem-Sattel-sitzen und in-die-Pedale-treten nicht mehr gewachsen sein könnte. Schliesslich habe ich kein Fahrrad mehr, seit meines vor einigen Jahren gestohlen wurde. Um mich für die bevorstehende Tour etwas in Form zu bringen, habe ich nun von einer guten Arbeitskollegin ein Fahrrad geliehen bekommen. Dabei scheint es sich um ein echtes Luxusobjekt zu handeln– es ist gross, mit extrabreiten Reifen und trotzdem überraschend leicht und schnell. Die erste Fahrt, mehr als 20 Kilometer von der Kollegin zu mir nach Hause, verlief ganz gut, wenn man davon absieht, dass ich die letzten paar Kilometer stehend fahren musste, weil ich nicht mehr sitzen konnte.

Trotzdem, oder gerade deswegen, übe ich aber fleissig weiter. Da meine freie Zeit mit sportlichen Betätigungen schon ziemlich ausgelastet ist (dreimal wöchentlich Lauftraining und einmal Yoga), lasse ich nun einfach meinen Wagen zu Hause stehen und fahre mit dem geliehenen zweirädrigen Rolls-Royce zur Arbeit. Mein Arbeitsweg beträgt auf der Strasse etwa 10 und querfeldein etwa 7 Kilometer. Nun wäre diese Kurzdistanz für die meisten westeuropäischen Radfahrer wohl kaum der Rede wert –in Israel kann es sich dabei aber um ein recht abenteuerliches Unterfangen handeln. Obwohl Radfahren sehr beliebt ist, gibt es kaum ordentliche Radwege. Viele Radfahrer weichen deshalb auf die Strasse aus und nicht selten trifft man auf Autobahnen Radfahrer, die die Pannenstreifen als Velowege nutzen. Dafür ist mir mein Leben aber noch zu wertvoll, vor allem, da die israelischen Autofahrer alles andere als rücksichtsvoll sind. So machen sie sich zum Beispiel beim Überholen gerne mit der Hupe bemerkbar, für den Fall, dass der schwerhörige Radfahrer sie sonst nicht bemerken könnte. Dass eine während dem gesamten Überholmanöver durchgedrückte Hupe einen Radfahrer aus dem Sattel hauen kann, wissen wahrscheinlich nur diejenigen, die sich selbst zur zweiten Gattung zählen.
Querfeldein gibt es einige Wege, die mit landwirtschaftlichen oder Gelände-Fahrzeugen zwar befahrbar und streckenweise ganz akzeptabel sind, aber immer wieder von undurchquerbaren Pfützen (im Winter) und von tiefsandigen Strecken (im langen Sommer) unterbrochen sind. Haben sie schon einmal versucht, auf einer Sanddüne radzufahren?
Nach einigen Probefahrten, auf welchen ich mehrere Male in tiefem Sand einsank, absteigen und - das Fahrrad stossend – umkehren musste, habe ich nun aber den idealen Weg gefunden. 7 Kilometer fast ausnahmslos angenehm befahrbare Feldwege. Jetzt können mich auch die stacheligen Büsche, giftige Skorpione, Schlangen, die sich paarungsfreudig im Sand tummeln, die brütende Hitze und 99% Luftfeuchtigkeit nicht vom Abenteuer Radfahren abhalten. Zum Glück erwarten mich an meinem Arbeitsort eine gute Dusche und klimatisierte Büros.

Nun sehe ich der langen Steigung auf den Brünigpass gelassen entgegen, sie wird für meine Sanddünen-erprobten Beine ein Kinderspiel sein.

Sonnenaufgang unterwegs

Sonntag, 4. Juni 2017

Spontane Reise

Am Donnerstagmorgen früh verlässt Itay spontan das Haus, nur mit einer Badehose und einem T-Shirt bekleidet. Da nichts geplant ist und er keine Ahnung hat, wohin es gehen soll, nimmt er im letzten Augenblick seinen Schlafsack und ein Frottiertuch mit. Einer der Kollegen bringt einen gusseisernen, feuerfesten Topf und der dritte steuert einen Sack Reis und etwas Gemüse bei.
Ihre ungeplante Reise führt sie zuerst in die Golanhöhen, dort gehen sie den Wasserläufen entlang, machen an erfrischenden Quellen Rast, kochen abends das Reis auf einem Feuer. Sie übernachten am Donnerstag in einem schattigen Wäldchen und am Freitag am Ufer des See Genezareths.
Am Samstagabend steht Itay wieder da, in eben selbiger Badehose und T-Shirt, braungebrannt und zufrieden. Das Frottiertuch ist schwer und nass und ich frage ihn, ob er es beim Baden gleich mit ins Wasser genommen hätte. Nein, sagt er, aber die Kollegen hatten keines dabei, deshalb haben wir es zusammen benützt.

Ach, manchmal möchte ich wieder zwanzig sein. Diese Unbekümmertheit! Sich um nichts sorgen müssen. Keine Minute vorausplanen. Einfach losziehen, ohne Verpflichtungen. Die Welt entdecken. Ich bin so begeistert von Itay’s spontaner Reise, dass ich mir sofort etwas ähnliches auszumalen beginne. Am besten schon gleich für nächstes Wochenende.

Aber im Schlafsack auf dem Boden übernachten? Nicht gerade bequem. Ich würde mir erlauben, eine Campingmatratze mitzunehmen. Und vielleicht ein Kopfkissen? Und eine Zahnbürste, also bitte, das ist doch das Mindeste. Sonnenschutz. Mückenspray. Und frische Unterwäsche. In Gedanken stelle ich eine kleine Packliste zusammen.
Ein Blick auf den Terminkalender ruiniert meine Spontanreisepläne endgültig. Termin beim Zahnarzt mit Lianne, Kinokarten...
Es gibt einfach zuviel Ballast in meinem Leben für spontane Entscheidungen.

Man muss ja nicht allzu Grosses im Schilde führen – meine Laufrunden am Wochenende sind meine kleinen Ausbrüche.

Mittwoch, 31. Mai 2017

Schavuot

Die Schavuot-Feiertage verbringe ich mit Nichtstun. Nicht einmal Wäsche waschen muss ich, denn unser Sohn ist zwar vom Militär auf Urlaub gekommen, hat aber mit einem Kollegen den Rucksack verwechselt. Als er das Missgeschick im Zug nach Hause entdeckte, war es schon zu spät, der Kollege und er fuhren in entgegengesetzte Richtungen und sie würden sich erst nach den Feiertagen wieder sehen. Nun stinkt also die fremde Soldatenwäsche bei uns zuhause im Rucksack vor sich hin und ich sitze auf dem Sofa und lese fast den ganzen Tag Bücher und Blogs und Artikel im Internet. Mein Angebot, die verwechselte Wäsche zu waschen, wird vom eigenen Soldaten strikt abgelehnt.

Abends führe ich ein lustiges Gespräch mit meiner Tochter Lianne, die gerade einige Minuten himmelhochjauchzende Laune hat. Sie ist mit einem guten Sinn für Humor und Ironie gesegnet und irgendwie entwickelt sich das Gespräch so, dass wir darüber fabulieren, wie sie von zu Hause ausreißen wird. Ihre Türmpläne sind bis ins Detail durchdacht, wie sich zu meiner Überraschung herausstellt.

Ich klaue deine Kreditkarte und fahre mit dem Zug zum Flughafen, dort buche ich einen Flug.
Du kannst als Noch-nicht-Sechzehnjährige nicht alleine fliegen, sage ich.
Doch, kann ich. Sie hat das überprüft.
Na gut, dann musst du aber schnell handeln, sonst gibt es eine Suchmeldung und dann lassen sie dich bei der Passkontrolle nicht mehr raus.
Wir gehen das Szenario am Flughafen durch und sie hat einige Fragen zum Ticketkauf, Check-in, Sicherheitskontrolle, usw. Ich schmunzle und erkläre ihr alles.
Und wohin fliegst du? Afrika?
Ich warne sie, dass das für eine alleinreisende Fünfzehnjährige recht gefährlich werden könnte.
Na, dann eben Schweiz, zu den Grosseltern.
Ich atme auf. Sehr gute Idee, finde ich.
Aber dort findet ihr mich ja gleich, und dann schickt ihr die Polizei und holt mich wieder nach Hause.
Nein, ist schon in Ordnung, bei deinen Grosseltern kannst du eine Weile bleiben.
Wir besprechen den Flughafen in Kloten und wie man sich dort zurechtfindet. Passkontrolle, Gepäckrückgabe.
Dann nehme ich ein Taxi zu den Grosseltern.
Nein, bitte kein Taxi in der Schweiz mit meiner Kreditkarte!! Weise ich sie vehement zurecht.
Ich erkläre ihr, welchen Zug sie nehmen muss.
Wir malen uns aus, wie sie bei Nacht und Nebel (natürlich muss es nachts sein) bei ihren Grosseltern klingeln wird.
Aber wie erkläre ich ihnen, dass ich von zu Hause weggelaufen bin? (sie spricht leider kein schweizerdeutsch).
Wenn du willst, schreibe ich’s dir auf und geb‘ dir einen Zettel mit... Wir lachen beide.

Am zweiten Abend der Feiertage stellt sich heraus, dass Itay morgen doch noch nicht wieder einrücken muss, sondern noch weiter Urlaub hat – wir sitzen also mit der fremden Stinkwäsche bis nach dem Wochenende fest. Das geht dann doch zu weit, finde ich, und nach einer kurzen Abklärung per WhatsApp darf ich nun spätabends doch noch fremde Wäsche waschen.
Morgen geht’s wieder ins Büro.

Schüleraustausch

Gerne hätte ich die beiden Jungs auf unserem Sofa fotografiert, lasse es aus Anstandsgründen dann aber sein. Zwei Siebzehnjährige, der eine blond und blauäugig, der andere eine wenig dunkler, jeder sitzt an einem Ende des Sofas, dazwischen klaffende Leere, bestimmt eine halbe Stunde schon, ohne ein Wort zu wechseln. Beide in ihre Smartphones vertieft. Schüleraustausch Deutschland-Israel 2017...

Sonntag, 14. Mai 2017

12 Von 12

Eigentlich wollte ich am Freitag an der Blogparade „12 von 12“ teilnehmen. Hier stellen andere Blogger ihren Tagesablauf vor, jeweils am Zwölften des Monats, mit der Kamera in 12 Bildern dokumentiert. Leider war dann aber mein Freitag nicht besonders foto-präsentabel und so habe ich es nur bis zum fotografierten Morgenkaffee geschafft. Dann bestand der Rest des Wochenendes nur noch aus Kochen (könnte ja noch ganz fotogen sein), Putzen (eher weniger fototauglich) und einem traurigen Krankenhausbesuch (überhaupt nicht fototauglich).

Den Samstagmorgen startete ich im Badezimmer wieder einmal mit einer höchst unangenehmen Begegnung mit einer Kakerlake. Nachdem das widerliche Tier mich beim Zähneputzen überrascht hatte, rannte ich ihm mit dem Kakerlaken-Vernichtungsspray hinterher und sprühte es von allen Seiten ein. Die Kakerlake zeigte sich vom Gift aber nicht besonders beeindruckt, sondern krabbelte einfach weiter, etwa wie meine Tochter, wenn sie einen Joint geraucht hat und besonders heiter, aber sich möglichst nichts anmerken lassend durch unsere Stube stolziert. Die Kakerlaken-Verfolgungsjagd wäre bestimmt fotoreif gewesen, leider hatte ich aber gerade keinen Fotografen in der Nähe.

Erst am Samstagabend waren wir zu einem Lag Ba’Omer Feuer eingeladen, welches bestimmt ein gutes Motiv für einige Schnappschüsse abgegeben hätte, aber da war ja schon nicht mehr der Zwölfte.

Ausser der Fotoreportage brachte ich auch meine Joggingrunde am Freitagmorgen nicht wie geplant zu Ende. Ich hatte mir nämlich ganz fest vorgenommen, die 15 Kilometer jetzt endlich einmal ernsthaft durchzuziehen, ohne immer wieder viel zu lange Fotopausen einzulegen. Das hat aber leider auch diesmal absolut nicht geklappt. Mit dem Fotografieren konnte ich mich zwar recht zurückhalten, da sich der Sonnenaufgang hinter den Wolken abspielte (hier nur eine klitzekleine Kostprobe).


Dann aber entdeckte ich in etwa der Hälfte der Runde das ultimative und noch unentdeckte Maulbeeren-Paradies und so scheiterte der pausenlos durchgezogene Dauerlauf wieder einmal grandios: anstatt zu laufen schlug ich mir am Ufer des Alexanderbachs den Bauch mit süssen Maulbeeren voll und erst dann nahm ich watschelnd und rülpsend die zweite Hälfte der Runde in Angriff. 
Zum Glück war ich wieder einmal zu sehr früher Stunde unterwegs, denn nebst mit maulbeerschwarzen Fingern schaffte ich es auch, mit beerenverschmierten Gesicht durch die Gegend zu laufen, was ich aber erst zu Hause vor dem Spiegel entdeckte. 



Nach ausgiebiger Dusche gab es dann noch mehr Beeren und einen schönen Kaffee zum Frühstück und damit endet meine Fotoreportage.

 


Die Tageszeitung, die ich während dem Frühstück überflog, berichtete wieder einmal über einen weiteren schrecklichen Fall, in welchem ein Kleinkind an Überhitzung starb, weil es von nachlässigen Eltern im Auto vergessen wurde.  Eyal erzählte mir darauf, dass er am Vorabend auf dem Bahnhofparkplatz mindestens eine halbe Stunde seinen Wagen suchte (natürlich vertieft in ein äusserst wichtiges Telefongespräch), bis er sich endlich erinnerte, dass er ja am Morgen mit meinem Wagen zum Bahnhof gefahren war. „Zum Glück sind unsere Kinder schon gross...“ meinte er trocken. Ja, zum Glück.

Dienstag, 9. Mai 2017

Humor und ALS

Aus einem Leben eine Tragödie zu machen, ist keine grosse Kunst. Eine Komödie über ein Leben zu schreiben, ist hingegen schon recht beachtenswert. Aus einem gotterbärmlichen, todgeweihten Leben eine Komödie zu machen und Andere damit zum Lachen und Nachdenken zu bringen, finde ich bewundernswert.

Roee Yavin, Vater von drei Kindern, erkrankte kurz nachdem er 50 wurde an ALS.
Bald komplett gelähmt, ans Bett gefesselt und beatmet, wurde er auf Facebook aktiv, schrieb Lieder und Texte und kurze, lustig-sarkastische Szenen, die vor allem seine Krankheit, seine elende Situation und den Umgang seiner Mitmenschen mit seiner Krankheit zum Thema hatten. Mit Hilfe seines Bruders konnte er die bekanntesten israelischen Komiker einspannen, darunter Tal Friedmann, Shalom Asayag, Miki Kam und weitere. So wurden in seinem Krankenzimmer humoristische Videos produziert, die Roee auf Facebook und Youtube unter die Leute brachte. Vor zwei Tagen, am 7. Mai, ist Roee gestorben.
Ende 2014 schrieb er: „Ich habe das Haus seit dem 18. März nicht mehr verlassen. Am 21.9. stattete ich zum letzten mal unserer Stube einen Besuch ab. Ich habe ALS, aber betrachten wir doch die volle Hälfte des Glases: mein Gehirn und mein rechter kleiner Finger funktionieren einwandfrei.“

Für hebräisch-sprechende Leser hier ein Link zu einem seiner Videos, auf welchem Roee mit gewohnt trockenem Humor erzählt, wie er die ALS-Weltmeisterschaft für Schere-Stein-Papier gewonnen hat:


Für diejenigen, die kein Hebräisch sprechen, möchte ich einige Ausschnitte aus Roee’s selbstverfasster Grabesrede übersetzt wiedergeben:

„...Schon jetzt, mit meinen letzten Kräften, schreibe ich in einem dicken Heft alles auf: wer mich wie oft angerufen hat, wie oft ihr mich besuchen kommt und vor allem, wie oft ihr auf Facebook meine Einträge geliked habt. Eure Besuche sind mir sehr wichtig. Eure Anwesenheit ist für mich anstrengend und ermüdend, aber eure Bemühungen liegen mir am Herzen. Kommt doch einfach, umarmt mich, sagt mir, dass ihr mich mögt und verschwindet wieder....
...Manchmal denkt ihr, dass ihr euer Herz ausschütten könnt, wenn vor euch ein Mensch liegt, der nur noch Haut und Knochen ist und keine Reaktion zeigt. Hallo, ich habe ALS! Eure Sorgen möchte ich haben! Einmal hat mir jemand von einem Bekannten erzählt, der auch gelähmt ist, aber bei ihm ist es Multiple Sklerose. Ha! Das soll eine Krankheit sein?! Beinahe hätte ich gelacht, aber das Atemgerät hat gepfiffen. Tausende haben MS – sie nehmen ihr Copaxone und leben noch Jahrzehnte! Das ist, als ob du im Krieg beim Fussvolk bist anstatt im Spähtrupp!...
... Eine kurze Meldung auf Facebook wird meinen Tod und die Uhrzeit der Beerdigung bekanntgeben. Dafür werde ich 200 Likes erhalten, aber ich werde sie nicht mehr sehen. Fast wie Van Gogh. Einige werden kluge Kommentare dazu schreiben. Sie werden etwa so lauten: Ich habe ihn gerne gelesen. Manchmal. Leider war es nur virtuell. Schliesslich habe ich 5,876 Freunde auf Facebook, wo kämen wir da hin, wenn ich alle besuchen und an Familienfeiern und Beerdigungen teilnehmen würde....
... Meine Beerdigung wird kein alternatives Gedusel mit schönen Liedern und angenehmen Reden sein, sondern eine konventionell religiöse Zeremonie ohne den geringsten Nachlass. Die Beziehung zu Gott wird mir an diesem Tag wichtiger sein, als die Beziehung zu euch. Nach der Zeremonie wird jemand aus meinem dicken Heft vorlesen, wer mich wie oft und wann besucht hat, und wie oft er mich auf Facebook geliked hat.....
... Der Verein, in welchem ich einst gearbeitet habe, wird einen Kranz niederlegen. Der Kranz wird 180 Schekel kosten. Jeder wird 3 Schekel spenden. Die Neuen werden meckern, „das ist doch unverschämt, wir haben ihn ja gar nicht gekannt!“ Aber bestimmt wird es auch einige geben, die 5 Schekel bringen und weil es kein Wechselgeld gibt, werden sie grosszügig sagen, ach, ist schon gut, ich habe ihn gemocht....
... Es wird nicht aufhören zu regnen und die Bestattungszeremonie wird mehr als zwei Stunden dauern. Einige werden versuchen, sich vor dem Ende aus dem Staub zu machen, aber jemand wird mit einem neuen dicken Heft anwesend sein und alles aufschreiben. Die Erde wird schlammig vom Regen sein und es wird lange dauern, meine Leiche zu bedecken. Danach werdet ihr einen Stein auf mein Grab legen und euch dabei die Finger schmutzig machen. Sucht die grössten Steine aus, damit ich auf keinen Fall zurückkommen kann!
Das wär’s dann. Unterdessen ist bei mir alles in Ordnung – und bei euch?...“

Am 25. Mai organisiert Friends4ALS in Ramat Hasharon einen öffentlichen Anlass mit Lauf und Happening. Alle Einnahmen kommen der ALS-Forschung und den Betroffenen zugute. Ich bin dabei!

Freitag, 21. April 2017

Heimat

Meinen inneren Schweinehund kenne ich nun schon mehr als 50 Jahre und daher weiss ich ganz genau, wie ich ihn überlisten kann. Deshalb klingelt an diesem Feiertagmorgen der erste Wecker (derjenige, der auf dem Nachttisch steht) um 5:00 Uhr, damit ich mich nicht mehr im Tiefschlaf befinde, wenn ich aus dem Bett springen muss und um 5:10 schellt das Smartphone laut aus der Stube, wo ich es am Vorabend absichtlich hingelegt habe.
„Was soll denn das?!“ meckert sogleich der Schweinehund noch schläfrig, aber bevor er richtig schnallt, was los ist, habe ich den Alarm schon ruhiggestellt und sitze auf dem Sofa in der Stube. Er hingegen dreht sich in meinem Bett auf die andere Seite und schläft weiter. Es hat geklappt!

Ich „blättere“ zehn Minuten im Internet die letzten Neuigkeiten durch. Nachdem ich mich vergewissert habe, dass die Erdkugel weiterhin ihre Runden dreht, während sich die Menschheit die Köpfe einschlägt, ziehe ich meine Laufklamotten an, trinke ein Glas Wasser und fahre los.
So erstaunlich entschlusskräftig am frühen Morgen bin ich, weil mich eine Laufrunde am Alexanderbach erwartet. Ich weiss, dass mich der Aufenthalt in dieser Gegend euphorisch stimmen wird, vor allem wenn gerade die Sonne aufgeht und dabei die ganze Landschaft verzaubert, einschliesslich mich.


Nun knirscht der Kies unter meinen Füssen und zu meiner linken plätschert das Flüsschen vor sich hin. Die Landschaft ist flach, bis sich am nicht allzu fernen Horizont die Hügelkette von Samaria abzeichnet und sorgfältig bestellte Felder erstrecken sich, so weit das Auge reicht. Die Vögel zwitschern und der Frühling beschert uns noch einige angenehme Tage vor der grossen Hitze des Sommers. Die wilden Gräser an den Gestaden des Baches stehen hüfthoch in noch kräftigem Grün, aber sie scheinen zu ahnen, dass ihre Tage gezählt sind – bald wird hier alles braun und vertrocknet sein. Ein erschreckter Schakal kreuzt meinen Weg und verschwindet eilig in den Büschen. Ich liebe diese frühen Morgenstunden, die Natur, die Ruhe, das Alleinsein.

Beim Laufen driften meine Gedanken ab. Spektakulär ist dieser Landstrich nicht. Keine atemberaubende Sicht auf die Alpen, kein überwältigender Blick von einem hohen Gipfel auf ein Nebelmeer. Nur ein paar weitreichende Felder, ein Flüsschen mit dornigem Gestade. Ich bin weder hier geboren noch hier aufgewachsen, aber ich fühle mich eins mit dieser Umgebung – angekommen, aufgenommen. Kann ich dieses Gebiet meine Heimat nennen? Was ist Heimat? Ein Ort, an dem man Wurzeln hat – oder auch ein Ort, an dem man Wurzeln schlägt? Ich denke an die Landschaften, Gerüche, Klänge und Stimmungen meiner Kindheit. Das sind nur noch vage Erinnerungen. Vielleicht ist Heimat gar nicht dort, wo wir herkommen, sondern da, wo wir ankommen?


Einige Tage später führt mich meine Laufrunde in unser Nachbardorf. Ganz am Ende des Dorfes, dort wo die letzten Häuser stehen, trennt eine kleine Strasse die bewohnten Quartiere von den Feldern. Nach links führt ein kurvenreicher Weg in leichter Steigung durch eine prächtige Olivenbaumallee zum kleinen Friedhof des Ortes. Der Friedhof liegt ruhig und abgeschieden unter Pinien- und Maulbeerbäumen auf einer Anhöhe und überschaut stoppelige Wiesen, wilde Eukalyptus-Gehölze und im Frühling weitreichende Erdbeerfelder. Ich schätze diesen ruhigen Ort und um meinen Puls in die Höhe zu treiben, wie ich es in der Laufgruppe gelernt habe, laufe ich mehrere Male die Olivenallee hinauf und wieder hinunter. Dabei fällt mir auf, dass der betörende Duft der Erdbeerfelder immer ausgeprägter wird, je mehr ich mich der Friedhof-Anhöhe nähere - es riecht wie bei mir zu Hause, wenn ich Erdbeermarmelade koche und der süsse Duft in alle Zimmer steigt.

Ich mag diesen schattigen Friedhof. Hier fühle ich mich wohl und ich weiss, hier möchte ich eines fernen Tages einmal ruhen – nicht in kalter Schweizer Erde, sondern hier, unter Pinienbäumen und mit dem Geruch der Erdbeerfelder in der tauben Nase.