Mein neunzehnjähriger Sohn macht sich selbständig. Nach mehr als einem Jahr im Kibbutz, der ja eigentlich noch ganz in der Nähe lag, fliegt er heute für sechs Wochen in die Schweiz. Dort hat er aber nicht etwa vor, bei seinen Verwandten an den bekannten Orten auf der faulen Haut zu liegen, sondern er will die Welt entdecken. Ein Monat Landdienst bei unbekannten Bauern ist schon gebucht und um das Abenteuer perfekt zu machen, hat er vor, in einer mehrtägigen Wanderung zu Fuss dorthin zu gelangen.
Dabei hat er von der Schweizer Geographie ungefähr soviel Ahnung wie ich von der Quantenphysik und unseren Vorschlag, uns im Internet etwas schlau zu machen, schlägt er in den Wind. Ich habe keine Ahnung, wie er vorhat, von A nach B zu gelangen und die Tatsache, dass er heute morgen fast den Flug verpasst, weil er in Tel-Aviv in einen falschen Zug gestiegen ist, lässt mich nicht gerade beruhigt zurück.
Beim Packen wird mir auch richtig bewusst, wie unterschiedlich wir beide ticken. Er nimmt nur das absolut Notwendigste mit und auch davon vergisst er am Morgen vor dem Flug noch die Hälfte. Das eingepackte Duschgel ist ein Miniature-Gratismuster und würde mir höchstens zwei Tage reichen und ein zweites Paar Schuhe findet er überflüssig. Wenn er also abends in einer Bar ein Bier trinken möchte, wird er dazu dieselben Schuhe tragen müssen, die er beim Stall-Ausmisten an hat.
Ach, was mache ich mir Sorgen! Es wird schon gut gehen. War ich eigentlich auch mal so unbesorgt? Wahrscheinlich schon, sonst wäre ich wohl kaum mit 24 Jahren wegen einer verheissungsvollen Romanze nach Israel gereist, ohne auch nur den geringsten Plan für die Zukunft zu haben.
Zugegeben, der Gedanke, dass nun eine Person weniger abgegessene Pfirsichkerne auf dem Sofa liegen lässt und schmutzige Kleider, nasse Frottiertücher und Schuhe in Grösse 46 im ganzen Haus verstreut, ist ganz verlockend, aber als Itay tatsächlich seine Siebensachen zusammen packt, ist mir doch reichlich schwer ums Herz.
"Bring mir nur ja keine Schweizer Freundin nach Hause", warne ich ihn noch, "die taugen nämlich nichts!"
Nun, die Chancen, dass überhaupt ein weibliches Wesen in seine Richtung schaut, sind wohl eher gering, wenn er mit Mistschuhen in den Ausgang geht und nach zwei Tagen kein Duschgel mehr hat.
Der Blick aus dem Fenster erfolgt aus Israel, wo ich seit 1988 lebe. Geboren und aufgewachsen bin ich in der Schweiz. Aus meinem Fenster blicken auch Eyal, mein israelischer Mann und meine erwachsenen, sehr israelischen Kinder, Sivan, Itay und Lianne. Die Personen sind echt, unsere Namen aber frei erfunden.
Mittwoch, 28. September 2016
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