Sonntag, 18. September 2016

Plauschtag

“Meine” Firma organisiert einen Plauschtag für die Angestellten unserer Geschäftseinheit. Etwa 350 Personen werden ins nationale Sportinstitut 'Wingate' eingeladen, um sich bei gemeinsamen Aktivitäten besser kennenzulernen und ausserhalb des gewohnten Rahmens etwas Spass zu haben. Ich mag solche Grossanlässe nicht, kann mich aber leider nicht davor drücken, denn als einziger Streber im Büro zu sitzen, würde einen denkbar schlechten Eindruck machen.

Mein sonntägliches Laufgruppentreff lasse ich mir aber nicht nehmen und so laufen heute meine Kolleginnen und ich gleich im Sportinstitut. Nachdem ich schon einen belebenden Morgenlauf und ebenso erfrischende Dusche hinter mir habe, kommen gegen acht Uhr alle Mitarbeiter an, die gerne etwas länger schlafen. Nun wird auf grossen Buffets ein reichhaltiges Frühstück serviert und mittels Hochglanz-Broschüren verrät man uns, was heute genau auf dem Programm steht. Die Aktivitäten werden in fünf Stationen eingeteilt (Jesus durchlitt in der Via Dolorosa zehn, bevor er in der elften gekreuzigt wurde…) zwischen welchen wir uns in zufällig aufgeteilten Gruppen turnusartig abwechseln sollen. Dabei geht es um Sport, Spass, Bewegung und gesunde Ernährung. Damit wir auch eine moralische Lektion mit nach Hause nehmen können, ist das Leitthema dieses Tages Gesundheit, Wohlbefinden, Glücklichsein, und alles, was dazwischen liegt. Hach! Mein Lieblingsthema! Ich liebe es, mir den Kopf über diese Werte zu zerbrechen!

Ironie beiseite - seit ich vor einigen Monaten an Brustkrebs erkrankt bin, ist dieses Thema für mich mit so vielen existenziellen und belastenden Fragen verbunden (siehe auch Warum Krebs?) dass ich es am liebsten in grossem Bogen umgehe. Es führt mich an den Rand des Wahnsinns, die Beziehung zwischen Krankheit/Gesundheit und meinem seelischen Zustand ergründen zu wollen. Ich habe Angst, dass mein ganzes Leben wie ein fragiles Kartengebilde über mir zusammenbrechen könnte, wenn ich nur allzu viele Fragen stelle oder leicht daran zu rütteln beginne. Wann immer also in letzter Zeit Fragen aus dieser Richtung auftauchen, wische ich sie höchst geflissentlich unter den Teppich. Genau dort gehören sie meines Erachtens hin.

Zurück zum Plauschtag: für die erste Aktivität erklärt uns eine Coacherin, wie wichtig es für unser Wohlbefinden ist, sich genussvolle Momente zu gönnen. Das sollen wir auch gleich am eigenen Leib erfahren und um auf Befehl glücklich zu sein, wird Musik aufgelegt und wir dürfen tanzen. Ich tanze aber nicht gerne, schon gar nicht um neun Uhr morgens und mit grösstenteils unbekannten Mitarbeitern. Die verbundenen Augen helfen ein wenig, aber so sehr ich mich auch anstrenge, glücklich und befreit zu sein, ich bleibe gehemmt und zähle die Sekunden.

Bei der nächsten Station geht es um Sport, der uns auch glücklich machen soll. Wir strecken und dehnen uns, spielen Ball, balancieren auf einer umgekehrten Bank. Hier leide ich zwar weniger als beim Tanzen, aber wenn ich daran denke, dass ich heute morgen schon einige Kilometer bei frischer Luft in der freien Natur gelaufen bin, finde ich diese Herumhüpferei in einer Turnhalle doch ziemlich albern.

Danach müssen wir in spontan koordinierter Teamarbeit spielerische Aufgaben lösen. Für die erste Aufgabe halten wir alle gemeinsam ein an Strängen befestigtes Brett in die Höhe. Nach einigen Minuten wird uns ein Ball zugeworfen und ich stelle plötzlich fest, dass ich wohl gedanklich abwesend war (Tagträume!) und die ganze Erklärung verpasst habe. Ich spiele trotzdem mit und versuche, nicht allzu viel Schaden anzurichten. Das gelingt mir aber nicht besonders und so schleiche ich mich davon. Nun sehe ich nur noch einen Ausweg: ich rufe meinen Zahnarzt an, um notfallmässig die gestern entdeckte, wackelnde Krone in meinen Mund behandeln zu lassen. Oh Wunder, mein Zahnarzt hat gerade eine freie Viertelstunde und so mache ich mich eiligst aus dem Staub.

Ich verpasse das Mittagessen und zwei weitere Stationen, liege anstelle dessen im Zahnarztstuhl und geniesse ausnahmsweise die Bohrerei. Lieber lasse ich mir sämtliche Zähne auf Vordermann bringen, als in einer Gruppe mit Unbekannten knifflige Aufgaben zu lösen und auf Befehl Spass zu haben.

Keine Kommentare: