Dass die Zeit in Israel nicht gerade mit schweizerischen Maßstäben gemessen wird, ist mir schon lange klar. Wenn ich zum Beispiel Gäste einlade, gebe ich meistens schon gar keinen Zeitpunkt mehr an, es kommt ja doch jeder, wann es ihm passt.
In Eilat, der südlichsten Urlaubsstadt Israels, sind die Zeitverhältnisse noch etwas lockerer. Daran werde ich bei unserem Tauchurlaub Ende Juli erinnert. Und in den Tauchklubs, das ist allgemein bekannt, herrschen ganz besondere Verhältnisse. Als ich am ersten Tag für den zweiten Tauchgang fast zwei Stunden auf die Tauchlehrerin warte, drängt sich mir der Vergleich mit den Amundawa auf: ein Volk am Amazonas, das keine Vorstellung von Zeit hat. Ihnen fehlen folglich auch Wörter für morgen und gestern. Ihr Leben richtet sich vollständig nach dem Lauf der Sonne.
Auch hier läuft einfach alles, wie es gerade kommt. Die Agenda mit den wöchentlich geplanten Tauchgängen, die in fast jedem Tauchklub an der Wand hängt, stammt aus dem Jahr 1973 und war damals so akkurat wie heute – nämlich gar nicht. Alles hängt von den Gezeiten, den Wasserströmungen, dem Dieselpegel im Schiffstank, dem verkaterten Briten, der für den Unterhalt der Tauchausrüstungen zuständig ist und der Verfügbarkeit des passenden Tauchleiters ab. Daran gewöhnt man sich am besten so schnell wie möglich und dann geniesst man die Zeitlosigkeit, die es eben nur im Urlaub geben kann.
Ende Juli absolviere ich einen weiteren Tauchkurs (Ferien in Eilat) und muss für die Lizenz ein Formular mit meinen Angaben ausfüllen. Yuval, der Inhaber des Tauchklubs bestätigt mir dann, dass meine Daten sofort aufgenommen werden und die Lizenz schon in einer Viertelstunde in meiner Mailbox eintreffen wird. Von soviel Effizienz in einem Tauchklub wird mir fast schwindlig. Am nächsten Tag tauche ich in einem anderen Klub und benötige meine neue Lizenz, die natürlich nirgendwo eingetroffen ist, obwohl schon viele Viertelstunden vergangen sind, genauer gesagt an die Hundert. Ich suche Yuval auf und er versichert mir, dass die Lizenz in wenigen Minuten ankommen wird, unterdessen händigt er mir ein Gekripsel mit Stempel aus, damit ich tauchen kann.
Ich verbringe noch einige unbesorgte Tauchtage in Eilat, ohne auch nur irgendetwas von meiner Lizenz zu hören. Am Tag der Abreise schauen wir noch einmal im Tauchklub vorbei und Yuval, nun schon leicht verärgert ob meiner Ungeduld, weiss wirklich nicht, warum ich mir Sorgen mache, schliesslich handelt es sich bei dieser Dateneingabe nur um eine Frage von Minuten.
Was bin überrascht, als heute, am 15. August, die schon vergessene Lizenz in meiner Mailbox eintrifft und mich an schöne vergangene Tage mit sorgenloser Urlaubsstimmung erinnert. Ob er wohl damals 15 Tage sagte und nicht 15 Minuten….?
Der Blick aus dem Fenster erfolgt aus Israel, wo ich seit 1988 lebe. Geboren und aufgewachsen bin ich in der Schweiz. Aus meinem Fenster blicken auch Eyal, mein israelischer Mann und meine erwachsenen, sehr israelischen Kinder, Sivan, Itay und Lianne. Die Personen sind echt, unsere Namen aber frei erfunden.
Montag, 15. August 2016
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