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Freitag, 21. April 2017

Heimat

Meinen inneren Schweinehund kenne ich nun schon mehr als 50 Jahre und daher weiss ich ganz genau, wie ich ihn überlisten kann. Deshalb klingelt an diesem Feiertagmorgen der erste Wecker (derjenige, der auf dem Nachttisch steht) um 5:00 Uhr, damit ich mich nicht mehr im Tiefschlaf befinde, wenn ich aus dem Bett springen muss und um 5:10 schellt das Smartphone laut aus der Stube, wo ich es am Vorabend absichtlich hingelegt habe.
„Was soll denn das?!“ meckert sogleich der Schweinehund noch schläfrig, aber bevor er richtig schnallt, was los ist, habe ich den Alarm schon ruhiggestellt und sitze auf dem Sofa in der Stube. Er hingegen dreht sich in meinem Bett auf die andere Seite und schläft weiter. Es hat geklappt!

Ich „blättere“ zehn Minuten im Internet die letzten Neuigkeiten durch. Nachdem ich mich vergewissert habe, dass die Erdkugel weiterhin ihre Runden dreht, während sich die Menschheit die Köpfe einschlägt, ziehe ich meine Laufklamotten an, trinke ein Glas Wasser und fahre los.
So erstaunlich entschlusskräftig am frühen Morgen bin ich, weil mich eine Laufrunde am Alexanderbach erwartet. Ich weiss, dass mich der Aufenthalt in dieser Gegend euphorisch stimmen wird, vor allem wenn gerade die Sonne aufgeht und dabei die ganze Landschaft verzaubert, einschliesslich mich.


Nun knirscht der Kies unter meinen Füssen und zu meiner linken plätschert das Flüsschen vor sich hin. Die Landschaft ist flach, bis sich am nicht allzu fernen Horizont die Hügelkette von Samaria abzeichnet und sorgfältig bestellte Felder erstrecken sich, so weit das Auge reicht. Die Vögel zwitschern und der Frühling beschert uns noch einige angenehme Tage vor der grossen Hitze des Sommers. Die wilden Gräser an den Gestaden des Baches stehen hüfthoch in noch kräftigem Grün, aber sie scheinen zu ahnen, dass ihre Tage gezählt sind – bald wird hier alles braun und vertrocknet sein. Ein erschreckter Schakal kreuzt meinen Weg und verschwindet eilig in den Büschen. Ich liebe diese frühen Morgenstunden, die Natur, die Ruhe, das Alleinsein.

Beim Laufen driften meine Gedanken ab. Spektakulär ist dieser Landstrich nicht. Keine atemberaubende Sicht auf die Alpen, kein überwältigender Blick von einem hohen Gipfel auf ein Nebelmeer. Nur ein paar weitreichende Felder, ein Flüsschen mit dornigem Gestade. Ich bin weder hier geboren noch hier aufgewachsen, aber ich fühle mich eins mit dieser Umgebung – angekommen, aufgenommen. Kann ich dieses Gebiet meine Heimat nennen? Was ist Heimat? Ein Ort, an dem man Wurzeln hat – oder auch ein Ort, an dem man Wurzeln schlägt? Ich denke an die Landschaften, Gerüche, Klänge und Stimmungen meiner Kindheit. Das sind nur noch vage Erinnerungen. Vielleicht ist Heimat gar nicht dort, wo wir herkommen, sondern da, wo wir ankommen?


Einige Tage später führt mich meine Laufrunde in unser Nachbardorf. Ganz am Ende des Dorfes, dort wo die letzten Häuser stehen, trennt eine kleine Strasse die bewohnten Quartiere von den Feldern. Nach links führt ein kurvenreicher Weg in leichter Steigung durch eine prächtige Olivenbaumallee zum kleinen Friedhof des Ortes. Der Friedhof liegt ruhig und abgeschieden unter Pinien- und Maulbeerbäumen auf einer Anhöhe und überschaut stoppelige Wiesen, wilde Eukalyptus-Gehölze und im Frühling weitreichende Erdbeerfelder. Ich schätze diesen ruhigen Ort und um meinen Puls in die Höhe zu treiben, wie ich es in der Laufgruppe gelernt habe, laufe ich mehrere Male die Olivenallee hinauf und wieder hinunter. Dabei fällt mir auf, dass der betörende Duft der Erdbeerfelder immer ausgeprägter wird, je mehr ich mich der Friedhof-Anhöhe nähere - es riecht wie bei mir zu Hause, wenn ich Erdbeermarmelade koche und der süsse Duft in alle Zimmer steigt.

Ich mag diesen schattigen Friedhof. Hier fühle ich mich wohl und ich weiss, hier möchte ich eines fernen Tages einmal ruhen – nicht in kalter Schweizer Erde, sondern hier, unter Pinienbäumen und mit dem Geruch der Erdbeerfelder in der tauben Nase.

Samstag, 22. Oktober 2016

The Swiss experience

In der Schweiz treffen wir auch unseren Sohn Itay für einige Tage. Nach einem Jahr in der “Milchfabrik Kibbutz”, wo aus mehreren hundert Kühen je 40 Liter Milch am Tag gequält werden und bevor er demnächst für mindestens drei Jahre im israelischen Militär Staub schlucken wird, erlebt er im Landdienst bei einem Bauern im Berner Oberland “the ultimate Swiss experience”. Auf dem kleinen Hof gibt es kaum zwanzig Kühe und diese werden tagelang liebevoll geputzt und gestriegelt, um sie dann mit Glocken zu behängen und mit ihnen an eine Viehschau zu ziehen. Dazu trägt Itay natürlich Edelweisshemd, wie es sich gehört.


Urlaub und wieder zuhause

Blick auf die Alpen vom Passwang
Unser Urlaub in Barcelona und der Schweiz vergeht in Windeseile. Barcelona ist sehr vielfältig und interessant und die Schweiz besticht einmal mehr mit Postkartenansichten, wohin man nur blickt – wenn es einmal nicht grau und bewölkt ist. Während mich aber in Israel immer das "Heimweh" plagt, wird mir, sobald ich Schweizer Boden betrete klar, dass ich doch nicht mehr hierher gehöre. Alles ist so gewohnt und doch so fremd. So ist Urlaub in der Schweiz für mich immer auch eine reichlich anstrengende Auseinandersetzung mit mir selbst. Ich fahre, gehe, wandere, spaziere durch diese Landschaften, Dörfer und Städte und fühle, das bin hundertprozentig ich, ich bin aus diesem Holz geschnitzt und doch empfinde ich eine Unbehaglichkeit, als wäre ich ein Kuckucksei im fremden Nest. Wo bin ich eigentlich zuhause? Für welches Land schlägt mein Herz? Was bedeuten mir meine Schweizer Wurzeln? Was bedeutet dieses Land, in welchem ich schon bald dreissig Jahre nicht mehr lebe, für mich? Könnte/möchte ich wieder hier leben?

Am Tag unseres Rückflugs reisen wir frühmorgens mit dem Zug nach Zürich. Draussen ist es kalt, grau und dunkel, es nieselt - typisches Schweizer Herbstwetter. Auch als wir um neun Uhr ankommen, liegt immer noch alles grau in grau. Im Zug lesen die Reisenden Zeitung oder tragen Kopfhörer und es ist so ruhig, dass wir beim Öffnen eines raschelnden Plastiktütchens mit zwei letzten Schweizer Gipfeli das Gefühl haben, dass sich alle Augen auf uns richten. Wir Israelis schauen uns an und müssen lachen. Jetzt glotzten die Mitreisenden erst recht.

Bei der Ankunft in Tel-Aviv hingegen herrscht heilloses Durcheinander: mehrere Flüge landen vor Shabbat zur gleichen Zeit. In der Ankunftshalle stürmen Menschen in alle Richtungen. Draussen kämpfen Busse, Taxen, Privatwagen und Fussgänger hupend und lärmend um den Vorrang auf der Strasse.

Lärm, Menschen, Durcheinander und vor allem Sonne – Leben! Ich atme auf und fühle mich zuhause.