In wenigen Monaten wird es vier Jahre her sein, dass unsere Laufgruppe zustande gekommen ist. Vier Jahre, in welchen wir uns zweimal wöchentlich um 5:30 morgens (oder nachts, wie einige eher sagen würden) bei jedem Wetter zum Laufen treffen. Im Winter trotzen wir der Dunkelheit und der Kälte, ab und zu regnet und stürmt es und im viel zu langen Sommer, wenn wir das Gefühl haben, in einer feuchten Sauna zu laufen, sehnen wir uns nach dem Winter. Wir treffen uns in einem Naturreservat an der Mittelmeerküste südlich von Netanya, meistens laufen wir im Sand, manchmal am steinigen Strand. Oft treffen wir Rehe und Schakale, die sich über dieses seltsame Trüppchen wundern, welches sich in neonfarbigen Kleidern zu unmenschlichen Tageszeiten in ihr Revier verirrt. Jedesmal bestaunen wir die Sonnenaufgänge. Für mich gibt es keine schönere Art, den Tag zu beginnen.
Von Laufkollegin Helena an einem Regentag fotografiert |
Unser Trainer Irmi, der in jüngeren Jahren zur Laufelite Israels gehörte, ist ziemlich, tja, wie soll man sagen - sportverrückt. Sport ist für ihn das ganze Leben. So nehmen zum Beispiel er und seine Frau an ihrem Hochzeitstag, wenn andere Paare schön Essen oder ins Kino gehen, an einem Laufevent irgendwo in der Umgebung teil und holen beide den ersten Platz. Wie romantisch! An einem Kindergeburtstag organisiert er für seine Kinder und ihre Freunde einen Zehnkampf-Parcours im staatlichen Sportinstitut oder ein Wettschwimmen im Olympiabecken.
Die Olympiade in Rio fällt zeitlich gerade auf die Schulferien seiner Kinder und das findet Irmi fantastisch, denn Olympiade-Schauen ist in seiner Familie offensichtlich das beliebteste Ferienprogramm von allen. Die ganze Familie fiebert 24 Stunden am Tag bei sämtlichen Wettkämpfen mit, nur unterbrochen von einigen tatsächlichen Trainingseinheiten, denen seine Kinder natürlich gewissenhaft nachkommen. Auch dass die Wettkämpfe in der südamerikanischen Zeitzone stattfinden, tut ihnen keinen Abbruch, obwohl Irmi nun meistens morgens todmüde, ohne eine Minute geschlafen zu haben, im Training erscheint. Spätestens beim Laufen erwacht er schon. Und wenn jemand eine Frage hat: Irmi weiss in jeder Sportdisziplin, wer welchen Platz geholt hat und natürlich auch warum.
All diese Macken verzeihen wir ihm gerne, wenn er es mit uns nicht zu streng nimmt. Fünfmal die steile Klippe hoch und dann das ganze noch einmal - zum “Auslaufen”, Fartlek-Training im tiefen Sand, auf einem Bein eine Sanddüne hochhüpfen, und dann noch einmal - mit dem zweiten, das geht alles noch. Und dass sein Versprechen auf eine “Trainingseinheit mit Überraschung” keinesfalls ein kühles Bier oder ein Eis zur wohlverdienten Belohnung bedeutet, daran haben wir uns auch schon gewöhnt.
Aber heute, am letzten Tag der Olympiade, steigt er alt und müde aus dem Auto und bringt kaum ein “Morgen” über die Lippen. Ich weiss nicht, ob die letzten Wochen ohne Schlaf doch langsam ihre Wirkung zeigen, oder ob er gerade den totalen Frust erlebt, weil die Olympiade zu Ende geht, aber er jagt uns im Wettkampftempo zum Strand und dort passiert etwas, das wir die letzten vier Jahre nicht erlebt haben: wir machen 200 m Sprints im Sand und da steht er doch tatsächlich, mit der Stoppuhr in der Hand und misst uns die Zeit! Hallo, was soll das!? Ich bin doch nicht Usain Bolt!!
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