Samstag, 20. Juli 2024

Eine Zeile im Newsticker


Man kann und mag gar nicht alles Schlimme aufzählen, das in den letzten Monaten bei uns hier im Nahen Osten los ist. Die Liste ist unerschöpflich. Der Wahnsinn nimmt kein Ende und es scheint fast jeden Tag schlimmer zu werden. Ich weiß, dass sich meine Bekannten in der Schweiz und überhaupt Menschen anderswo auch mit grösster Mühe nicht vorstellen können, was diese irrwitzige Situation für uns bedeutet. Mit meinem Blog versuche ich, einen kleinen Einblick in unser Leben vor Ort in diesem umstrittenen Teil der Welt zu vermitteln. 
Rein äußerlich betrachtet führen wir, oder immerhin diejenigen von uns, die nicht evakuiert, an der Front, verletzt oder sonst irgendwie von den katastrophalen Folgen des Krieges direkt betroffen sind, ein recht alltägliches Leben. Wir gehen arbeiten und wir vergnügen uns sogar. Wir treiben Sport, gehen ans Meer, treffen Freunde, essen in Restaurants. Nur die Gedanken und Gespräche befassen sich hauptsächlich mit dem Krieg und seinen Auswirkungen. Und trotz aller scheinbarer Normalität ist unser Alltag leider auch fast immer absurd abnormal.




"Ein Toter und mehrere Verletzte nach Explosion in Tel Aviv"
Hinter einer unauffälligen Zeile im Newsticker verschiedener Tageszeitungen, die man in Europa gleichgültig überfliegt, stehen anderswo oft Welten, die zusammenbrechen.

Meine beiden älteren Kinder Sivan und Itay leben im Zentrum Tel-Avivs nur einen Kilometer voneinander entfernt. Freitagnachts um drei Uhr wird Itay von einer heftigen Explosion aus dem Schlaf gerissen. Der Blick ins Netz ergibt nach wenigen Minuten, dass in der nahen Ben Yehuda Strasse etwas Katastrophales passiert sein muss. Sivan wohnt an der Ecke Ben Yehuda und jetzt gehen weder sie noch ihr Freund ans Telefon, trotz wiederholten Anrufen. Ans Schlafen ist nicht mehr zu denken, Itay wirft sich ein T-Shirt über, steigt auf einen Scooter und beginnt im Dunkeln der Nacht eine panikartige Odyssee durch Tel-Aviv. Zuerst rast er zur Wohnung seiner Schwester. Als trotz kräftigem Poltern niemand öffnet, verstärken sich Itays Befürchtungen und er beschließt, den Ort der Explosion aufzusuchen. Dutzende Menschen befinden sich schon auf der Strasse und versuchen herauszufinden, was los ist. Trümmer liegen herum, zerbrochene Fenster, in den Geschäften sind die Regale zusammengebrochen, es riecht nach Feuer. Das Gebiet ist abgesperrt, weder die Polzei noch die Sanitäter scheinen Genaueres zu wissen.
Endlich ruft Sivans Freund zurück. Er hat einen ausserordentlich gesegneten Schlaf und von allem nichts mitbekommen. Sivan jedoch schläft diese Nacht bei uns, dreißig Kilometer nördlich von Tel-Aviv. Auch sie haben die unzähligen Anrufe nicht wecken können. Deshalb klingelt gegen vier Uhr dann mein Handy. Itay vergewissert sich, dass seine Schwester in Sicherheit ist. Danach fährt er, beruhigt oder nicht, nach Hause um bis zum Morgen noch etwas Schlaf nachzuholen. 
Wir hingegen sind jetzt wach und versuchen uns schlau zu machen, was passiert ist. Doch erst am Morgen klärt sich das Bild: Die Huthis im Jemen, Verbündete des Terrorregimes Iran, haben mit mehreren Sprengstoffdrohnen das Zentrum Tel-Avivs angegriffen. Eine der Drohnen ist in der Ben Yehuda Strasse explodiert, nur wenige Meter von der amerikanischen Botschaft entfernt. Einmal mehr haben meine Kinder Glück gehabt. Nicht so die Menschen, die bei der Attacke verletzt wurden und vor allem nicht der Mann, der in seiner Wohnung getötet wurde.

Itays nächtliche Abenteuer sorgen immerhin für Gesprächsstoff am Schabbatessen und sogar – was bleibt uns anderes übrig – für einiges Gelächter. Dass Sivans Verlobter einfach weiter schläft, während in seiner unmittelbaren Nachbarschaft eine Drohnenattacke stattfindet und ein Haus explodiert ist ja auch wirklich lustig, nicht wahr? Sivan behauptet, dass ihn auch eine Bande Hamas-Terroristen direkt neben dem Bett nicht wecken könne. Sie witzelt, dass er sich wahrscheinlich wie immer auf die andere Seite drehen und murmeln würde "nur noch fünf Minuten bitte". 
Das sind unsere ganz normalen Gespräche und Witze beim gemeinsamen Abendessen: absurd abnormal.

Noch erwähnenswert wäre, dass Tausende Geschosse aus dem Libanon den Norden Israels seit Monaten unbewohnbar machen. An die Hunderttausend Israelis sind evakuiert und können nicht in ihre Häuser zurück. Städte, Dörfer, Wohnhäuser, Plantagen und Wälder sind zerstört, Menschen wurden verletzt und getötet.

Was wollen die Huthis im Jemen oder die Hisbollah im Libanon von uns? Wollen sie mit uns über den Frieden reden? Haben sie ein Problem mit jüdischen "Siedlern" im Westjordanland? Wollen sie vielleicht eine friedliche Zweistaatenlösung? Nein, wenn sie und ihre feinen Freunde im Iran, für die sie operieren, überhaupt eine Lösung wollen, dann die Endlösung: Sie wollen Israel vernichten. 


 

Mittwoch, 17. Juli 2024

Immer wieder der 7. Oktober

An unserem Kühlschrank, der nach der Küchenrenovation viele Monate in sauberem Inox-Look ohne störende Zettelchen oder farbige Fotos glänzte, hängt seit Oktober wieder ein einziges, blumenverziertes, laminiertes Blatt: das Schabbatgebet im Gedenken an Nitzan.
Seit Nitzan ermordet worden ist, zündet Sivan jeden Freitag die Schabbatkerzen an und spricht das Gebet, in welches sie Nitzan miteinschliesst. Weder Sivan noch sonst jemand in meiner Familie ist religiös, doch vielleicht spenden Gebete Trost, wer weiss. Jeder hat seine eigenen Wege, das Geschehene zu bewältigen.

Sivan besucht auch öfter die Familie von Nitzan. In ihrem Haus, in der Strasse hinter uns, treffen sich die Freunde, als wären Nitzan und Lidor immer noch anwesend.

Als Ronit, die Mutter von Nitzan Sivan vor einiger Zeit fragte, ob sie sie zu einem Besuch der Stätte des Massakers begleiten möchte, schrillten bei Sivan die Alarmglocken. "Auf gar keinen Fall! Das könnte ich nicht aushalten!" dachte sie – und antortete "Ja, natürlich komme ich mit".

An einem Tag dieser heissen Sommerwoche reiste Nitzans Familie in Begleitung von Freunden und Bekannten nach Re'im.


Am Abend erzählte mir Sivan von den Eindrücken des schweren Tages:

Die Strasse 232, in deren Nähe das Nova-Festivalgelände lag, ist blutgetränkte Erde. Der Hauch des Horrors liegt über der Gegend. Das Gestrüpp, jeder Busch, jedes Sandkorn und jeder Windhauch scheinen von den höllischen Geschehnissen zu erzählen, deren stumme Zeugen sie waren. 
Am 7. Oktober positionierten sich Hunderte Hamas-Terroristen entlang dieser Straße. Sie besetzten die Kreuzungen und erschossen und massakrierten Dutzende auf der Straße fahrende Zivilisten in ihren Autos. Nachdem die mordenden Bestien abgezogen waren, lagen alle paar Meter Fahrzeuge auf der Strasse, viele auf dem Kopf, zerstört, zerschossen, verkohlt. Die palästinensischen Terroristen hatten Granaten in die Fahrzeuge geworfen, in denen sich schon halbtote oder erschossene Menschen befanden. 
Die Autos sind unterdessen weggeräumt, doch Einschusslöcher, grosse dunkle Flecken und beschädigte Stellen überall zeugen von den grauenhaften Stunden.



Der offene Schutzbunker, in welchem Nitzan ermordet wurde, hat die Grösse eines kleinen Zimmers. Etwa dreissig junge Festivalbesucher hatten darin vermeintlichen Schutz gesucht, während die barbarischen Mörder in der Gegend wüteten. Um die zwanzig Menschen sind in dem Bunker ermordet worden. Mehrere wurden von den Bestien auf ihre Pick-ups gezerrt und nach Gaza verschleppt, wo sie bis heute festgehalten werden. Einige haben das Inferno überlebt. Sie lagen verletzt während Stunden unter den zerfetzten Leichen ihrer Freunde, bis Hilfe kam.

Bekannt geworden ist die heldenhafte Geschichte von Aner Shapira: Er packte sieben Handgranaten, welche die Barbaren in den Bunker warfen, und schleuderte eine nach der anderen zurück, bis ihn die achte tötete. Sein Freund Hersh Goldberg-Polin, einige Schritte hinter ihm, verlor durch die Explosion eine Hand. Minuten später drangen Hamas-Terroristen in den Bunker ein, nahmen den verletzten Hersh und andere als Geiseln mit und liessen die Ermordeten und Verletzten in Lachen von Blut und Zerstörung zurück.

Es gibt eine mehrstündige Wiedergabe der Horrorstunden im Bunker. Eine der jungen Frauen hatte, irgendeiner Eingabe folgend, auf ihrem Handy die Aufnahmefunktion betätigt und endlos laufen lassen. 

Lidor, der Verlobte von Nitzan, verliess irgendwann den überfüllten Todesbunker in einem verzweifelten Versuch, zu entkommen. Heute hängt sein Bild neben den zwei Einschusslöchern an der Leitplanke, wo er niedergeschossen wurde. Auf der Aufnahme aus dem Bunker hört man Nitzan sagen: "Jetzt haben sie meinen Lidor erschossen". Nitzan wurde eine unermessliche Zeitspanne später durch die Granaten getötet. Es dauerte eine Woche, bis ihre Überreste identifiziert werden konnten.




Der Bunker wurde gereinigt und irgendwann frisch getüncht. Die Einschusslöcher und Beschädigungen sind noch da und zeugen von den grauenhaften Ereignissen. Hunderte Kerzen, Bilder und Inschriften erinnern auf dem Boden und an den Wänden an die Ermordeten.

Im Januar wurden auf dem ehemaligen Festivalgelände von den Angehörigen der 364 ermordeten Menschen Bäume gepflanzt. Lauter kleine Pflänzchen trotzen jetzt hier der prallen Sonne. Jedes trägt ein Bild und jedes einzelne ist Zeichen für ein nach qualvollen letzten Stunden brutal geraubtes Leben. Irgendwann werden der Aufenthalt auf diesem Schlachtfeld und die Hitze zuviel, Sivan muss sich übergeben.

Am Abend erzählt Sivan von der Reise und zeigt mir die Fotos. Bei den Aufnahmen vom Innern des Bunkers denke ich unweigerlich an ihre Berichte aus den Gaskammern in den Konzentrationslagern in Europa, die sie mit ihrer Klasse im Abschlussjahr, vor etwas mehr als zehn Jahren, besuchte. Dort waren die Opfer die Grosseltern ihrer Generation, hier sind es ihre Freunde und Bekannten.

Als ich Sivan am nächsten Tag noch einmal auf ihre Schilderungen anspreche, scheint sie zuerst nicht zu wissen, wovon ich rede. Sie erwidert etwas, das überhaupt nichts mit dem Thema zu tun hat. Mir wird klar, dass sie die Erinnerung daran schon wieder ganz tief in ihr Innerstes verdrängt hat.



Obwohl ich nur in Gedanken dabei gewesen bin, wühlen mich Sivans Berichte enorm auf und lassen mir viele Tage und Nächte keine Ruhe. Wie lebt man weiter? Einige beten, andere schreiben. Stunden und Tage vergehen und werden zu Monaten. Nichts wird besser. Viele der Freunde unserer Kinder gehen seit dem 7. Oktober keiner geregelten Arbeit nach und sind unfähig, Zukunftspläne zu schmieden. Wir wissen nicht, was sein wird. Und wir können nicht fassen, was gewesen ist.





Donnerstag, 11. Juli 2024

Die Acht-Uhr-Nachrichten

Auf der zehnminütigen Heimfahrt vom Training vernehme ich heute Morgen aus den Acht-Uhr-Nachrichten, dass nun betreffend des neuesten Abkommens zwischen der Hamas und Israel eine echte Chance auf eine Einigung bestehe. Es handelt sich um ein mehrstufiges Abkommen und die einzelnen Schritte werden vom Nachrichtensprecher in kurzen Sätzen erläutert. Sie scheinen, aus Distanz betrachtet, völlig plausibel und durchführbar. Die Grundrisse des Abkommens liegen fest, jetzt gehe es nur noch um die Details und die Folge der einzelnen Schritte. Um auch eventuell kritische Zuhörer von der Richtigkeit des Abkommens zu überzeugen, wird gleich noch die Aussage des kürzlich aus der Geiselhaft befreiten Alexej eingeblendet, der bekundet, wie sehr ihm und den anderen Geiseln die Gespräche über ein Abkommen während des Horrors in Gaza Hoffnung gespendet hatten.

Mir ist jedoch nach wie vor völlig unklar, wie man überhaupt in Betracht ziehen kann, sich mit einer bestialischen Bande von Mördern und Terroristen an einen Tisch zu setzten. Die Ziele des Krieges in Gaza waren von Israel von Anfang an klar definiert: Befreiung oder Rückgabe der Geiseln und Vernichtung der Hamas. Unterdessen ist wohl vielen klar geworden, dass ein Auslöschen der Hamas nicht so einfach, wenn nicht gar unmöglich ist. Es sei denn, man würde Hunderttausende zivile Opfer in Kauf nehmen, und das scheint wohl keine Option zu sein.

Auslöschen kann man sie also nicht, ein glaubwürdiger Verhandlungspartner sind sie auch nicht. Wenn man zwischen Pech und Schwefel wählen muss, mag ein Abkommen wohl vorerst die bevorzugte Lösung sein. Auf die Dauer sieht es für Israel so oder so schlecht aus.

Mir kommt ein Artikel über den damaligen Großmufti von Jerusalem in den Sinn, den ich einmal gelesen habe. Hajj Amin al-Husayni wurde 1921 im damaligen Palästina von der britischen Besatzungsmacht als Mufti von Jerusalem zum Oberhaupt der Muslime von Palästina ernannt. Vor und während dem Zweiten Weltkrieg kollaborierte der Mufti vom Nahen Osten aus mit Hitler und den Nazis und er hetzte Araber und Muslime gegen die Alliierten auf.
Ende 1947 versuchten die Briten herauszufinden, ob der Mufti ein gewisses Maß an Flexibilität in Bezug auf seine Haltung zur Teilung des Landes zwischen Juden und Muslimen hätte, die er vorerst strikt abgelehnt hatte. Das war nicht aber der Fall. Er erklärte:

"Wir hätten nichts gegen den Abzug der britischen Truppen aus Palästina. Wir haben keine Angst vor den Juden und ihren Organisationen, Irgun, Haganah, der Stern-Gruppe. Am Anfang könnten wir verlieren. Wir werden viele Verluste haben, aber am Ende werden wir gewinnen."

Was meinte er mit dem "Ende"? Ich befürchte, es handelte sich schon damals nicht einfach um den nächsten Krieg, oder irgendeine andere zeitlich festgelegte Errungenschaft, sondern um ein grösseres, globales Ziel: „Israel existiert und wird weiter existieren, bis der Islam es ausgelöscht hat, so wie er schon andere Länder vorher ausgelöscht hat.“ (Aus der Charta der Hamas).

Israels Feinde, und damit auch die Feinde des Westens, sind entschlossen, beharrlich und ausdauernd. Ein Abkommen mehr oder weniger – das mag ihr Ziel vielleicht um einige Jahre verzögern. Es wird sie aber schlussendlich nicht von ihrem Streben nach dem Erreichen „des Endes“ abbringen.

Und wir? Auch wir haben die Vernichtung der Hamas auf unser Banner geschrieben, aber nach einigen Monaten knicken wir ein. Wir verfügen nicht über die unnachsichtige und fast übermenschliche Hartnäckigkeit unserer Feinde. Wir wollen vor allem unsere in Gaza festgehaltenen Brüder und Schwestern zu Hause wissen, nicht mehr jeden Tag Berichte über gefallene Soldaten in den Schlagzeilen sehen, wir wollen wenigstens einigermassen in Sicherheit leben und wir wollen an den Frieden glauben. Kurzfristig gesehen ist das verständlich.

Ich kann nur hoffen, dass sich – längerfristig, rückblickend und dann wahrscheinlich zu spät gesehen – die Variante, Hunderttausende zivile Opfer in Kauf zu nehmen, nicht doch als diejenige herausstellen wird, die eine noch grössere Katastrophe verhindert hätte.


Donnerstag, 27. Juni 2024

Träume und Ernüchterung



Wieder ist eine Woche Aufenthalt in der Schweiz zu Ende gegangen. Die Flugpassagiere von vielfältigster Herkunft auf dem Flug von Basel nach Tel-Aviv reflektieren Israels gemischte Bevölkerung. Aus Gesprächen erfahre ich, dass der Flug für eine geführte Reise mit Zielpublikum aus Israels Norden gechartert wurde. Der Grossteil der Reisenden besteht aus Drusen, einige sind arabisch-muslimisch, andere wiederum säkulare Israelis in allen Farbschattierungen.

Menschen mit allen möglichen kulturellen und religiösen Hintergründen, von Mittelost über Nordafrika bis Osteuropa, von säkular bis religiös-jüdisch und arabisch-muslimisch sind im israelischen Alltag der Normalfall. Die kulturelle und religiöse Vielfalt ist sogar ausgesprochen extrem. Die israelische Bevölkerung geht jedoch sehr unkompliziert mit dieser Vielfalt um, unter anderem weil die Israelis schon spätestens ab dem Kindergartenalter damit aufwachsen. Natürlich gibt es Rassisten jeder Art. Vor allem jetzt, aufgrund der Verbitterung, die der Konflikt und die Gewalt mit sich bringen, ist das Misstrauen gegenüber Menschen mit anderem kulturellen und religiösen Hintergrund bei jedem einzelnen von uns noch um einiges verstärkt. Doch Israelis machen ihren Gefühlen auf für europäische Gepflogenheiten fast unverschämte Weise Luft. Sie verstecken Rassismus nicht hinter Höflichkeit, Multikulti-Stolz oder demonstrativer Toleranz. Wenn nötig verflucht man sich gegenseitig, dann rauft man sich wieder zusammen. Vielleicht gerade, weil der Rassismus in Israel offener und unverschämter auftritt, hat er paradoxerweise oft weniger Einfluss. Schweizer, Deutsche und Österreicher hingegen rühmen sich oft gerne ihrer Toleranz und klopfen sich für eventuelle Beziehungen zu Andersfarbigen stolz auf die Schulter. Gerade deswegen sind Menschen anderer Herkunft oder Hautfarbe in diesen Ländern zwar wohlmeinendem - aber doch Rassismus ausgesetzt. Während man im deutschen Sprachraum Skepsis, Misstrauen und oft fast schon absurde Obsession mit Hautfarben hinter höflichen Floskeln oder unangebrachter Bevorteilung versteckt, lässt man in Israel einfach öfter Luft ab. Wenn dann alle Klartext geredet haben und jedermann weiss, was läuft, bewältigt man wieder den Alltag in wahrem Miteinander.


Auch in anderen Belangen sind Israelis unkompliziert: Auf der Heimreise, kaum gelandet in Tel-Aviv, werde ich im Zug in eine angeregte Unterhaltung mit einigen Mitreisenden verwickelt. In sekundenschnelle ergibt sich ein Gespräch, die Themen machen sich selbständig und wir finden uns in einer fröhlichen Diskussion zur Frage "Was würde ich tun, wenn ich drei Millionen Dollar zur Verfügung hätte". Zwei jüngere Männer würden eine Eigentumswohnung kaufen (der Wohnungsmarkt in Israel ist unvorteilhaft und überteuert) und schnelle Autos, wenn noch etwas übrigbliebe. Der eine möchte dann den Rest seines Lebens an Poolparties verbringen (das könnte mit den drei Millionen etwas knapp werden). Der dritte, etwas älter, möchte die israelische Bahn aufkaufen und endlich einmal das ganze Konzept und das Angebot gehörig verbessern. Und ich? Eine tolle Penthouse-Wohnung in Tel-Aviv? Wir fantasieren lachend und lautstark, als wären wir bestens vertraute Freunde. Nach kurzer Fahrt steigen in Tel-Aviv Hagana alle Beteiligten aus, gehen gutgelaunt und schmunzelnd über die lustige Zusammenkunft ihrer Wege und nehmen ihre Träume mit.

Ich liebe dieses Land und die Israelis, trotz dem ewigen "Balagan", Kakerlaken, tropischer Hitze und Krieg. Aber zuhause logge ich mich noch am Tag der Ankunft in die Webseite von El Al ein und suche Flüge für die ganze Familie, als Fluchtvorbereitung für den sich im Norden zusammenbrauenden Krieg.



Dienstag, 28. Mai 2024

4000 Kilometer

In den Tagen, bevor ich in die Schweiz fliege, geht es mir schlecht. Wie man meinem letzten Beitrag entnehmen kann, ist die Situation für mich nicht mehr auszuhalten. Ich habe eine innere Grenze erreicht, bei der es nicht mehr weiterzugehen scheint. Zu viele Katastrophen. Alles kommt zusammen, alles wird zu viel, so sehr, dass ich manchmal von dieser Welt verschwinden möchte. Nichts mehr wissen. Nichts mehr fühlen.

Dann wird am Abend vor dem Flug das verstörende Video der am 7. Oktober nach Gaza entführten Soldatinnen veröffentlicht. Der dreiminütige Clip ist nur ein kurzer Zusammenschnitt der Aufnahmen, die die mordenden Bestien mit Körperkameras selbst gefilmt haben. (Mehr darüber in der Jüdischen Allgemeinen)


Bis knapp ein Jahr vor dem 7. Oktober 2023 verrichtete unsere Tochter Lianne dieselbe Arbeit wie diese Soldatinnen, als Späherin in der Armee. Ich kenne die Arbeit und ich kenne die Geschichten der Mädchen über die Erlebnisse in den gemeinsamen Schlafräumen, über die Freundschaften und auch Problemchen zwischen den Kolleginnen. Die jungen Frauen sind fast noch Kinder, sie verlassen zum ersten Mal die gewohnte Umgebung ihrer Familie. Nach den Wochenenden zuhause rücken sie jeweils mit grossen Taschen oder Koffern wieder ein. Im Gepäck verstauen sie nebst frischgewaschenen Uniformen Unmengen an Toilettenartikeln, den Haarföhn, Naschzeug, vielleicht ein Bild oder sogar ein Plüschtier, das sie an zuhause erinnert, einige Freizeitkleider, Pyjamas.

In diesen Pyjamas wurden die 19-jährigen Mädchen in der Armeebasis Nahal Oz von den Hamas-Monstern aus den Betten gerissen, aufs brutalste misshandelt, geschändet und ermordet oder entführt.

Ich habe mir das Video nicht angesehen, aber wie schon oft den Fehler gemacht, im Netz zu surfen. Dort waren die Fotos der misshandelten Mädchen auf allen Kanälen zu finden und nicht zu übersehen. Blutverfleckte Pyjamas. Augen, aus denen nackte Todesangst schreit. Beim Anblick der Bilder stockt mir das Blut in den Adern. Die Mädchen haben soeben das Abschlachten ihrer Kolleginnen mitansehen müssen. Die verrenkten toten Körper liegen zu Dutzenden im Raum, doch das wird im kurzgeschnitten Clip nicht veröffentlicht. 

Am Vorabend meines Urlaubs in der Schweiz sollte ich mich auf die Reise freuen, aber ich kann kaum noch atmen. Das ganze schreckliche Trauma des 7. Oktobers, von welchem ich mich in den vergangenen Monaten mühevoll etwas aufgerafft habe, ist schlagartig zurück. Der Schrecken schnürt mir die Luft ab, ich bin völlig kaputt.
Und warum ermesse ich mich eigentlich, so eigensüchtig über mich selbst zu jammern? Wer bin ich schon, in dieser unermesslichen Katastrophe? Ich bin eine privilegierte Randfigur.
Wie muss es den jungen Frauen gehen, die das Massaker verletzt und geschändet überlebt haben und seit 8 Monaten in Gaza von ihren Peinigern festgehalten werden? Wie muss es den Eltern gehen, deren Tochter jeden Tag die Hölle durchlebt?

Irgendwie überstehe ich die Nacht, irgendwie schaffe ich es doch, meinen Koffer zum Flughafen zu schleppen.
Einen halben Tag später bin ich in der Schweiz, einem anderen Universum. Mir scheint, die Menschen hier schweben in frühlingshafter Leichtigkeit durch die Strassen. Fröhliche Kinder, Familien, Menschen auf Fahrrädern, lockere Gespräche über alles Mögliche.
Die Diskrepanz ist absurd und unfassbar, doch die Leichtigkeit ist ansteckend. Aus 4000 Kilometern Distanz ergeben sich in meinem Kopf endlich einige freie Zonen. Gedankeninseln. Ein paar der verstörenden Gedanken, die mich in Israel rund um die Uhr foltern, lösen sich und flattern davon wie Schmetterlinge auf einer Blumenwiese.





Am Sonntag flaniere ich durch die Stadt und freue mich wie ein kleines Kind über die Schönheit dieses friedlichen Lebens. Ich spaziere am Rhein, Menschen sitzen in Cafés und erfreuen sich des sonnigen Wetters an ihrem freien Tag. Ich möchte, dass das alles nie mehr aufhört, aber ich muss weiter und gehe zum Bahnhof. Etwas rotiert in meiner Tasche, ich ziehe das Handy heraus. Auf dem Sperrbildschirm die Push-up Meldungen der Heimatfrontschutz-App: Alarm in unserem Dorf, im Sharongebiet, im ganzen Zentrum Israels. Sorgenvolle WhatsApp Meldungen der Familie. Wer ist wo? Sind alle in Sicherheit? Sonntag ist ein Arbeitstag in Israel. Eyal sucht Schutz im Treppenhaus in seinem Bürogebäude in Ramat Gan, ebenso der Schwiegersohn in spe. Lianne und ihre Erstklässler verlassen in sekundenschnelle die Sporthalle und laufen panikartig in den Schutzraum. Auch Sivan und Itay suchen irgendwo Schutz vor den Raketen aus Rafah.

Ich setze mich in den Zug und während dieser langsam den Bahnhof verlässt, habe ich mit den Reisenden hier gar nichts mehr gemeinsam. Ich bin 4000 Kilometer entfernt.


Dienstag, 21. Mai 2024

Selbstdiagnose

Kürzlich habe ich mich doch wieder einmal etwas weiter von meiner gewohnten Umgebung Haus, Garten und Büro weg gewagt. Ich hatte einen Termin zum Röntgen, um den Grund für die monatelang anhaltenden Schmerzen im linken Knie abzuklären. Der Ausflug stand jedoch unter keinem guten Stern. Zweimal nahm ich trotz Navigations-App eine falsche Abbiegung. Als ich nach mehreren Runden im Stau und langer Suche nach einem Parkplatz in der stark frequentierten Tiefgarage des Geschäftszentrums endlich den richtigen Lift gefunden zu haben glaubte, ertönte ein markdurchdringender Alarm und ich wurde über die Lautsprecher aufgefordert, sofort das Gebäude zu verlassen, das ich gerade erst betreten hatte: Ein Brand war ausgebrochen! Vielleicht ein Fehlalarm? Ich zögerte einen Moment. Dann beschloss ich, dass es vielleicht doch besser wäre, der Aufforderung nachzukommen, wollte ich nicht Gefahr laufen, im Ernstfall das Auto für mehrere Stunden eingeschlossen zu finden. Nachdem der Wagen aus der möglichen Feuerhölle befreit war, betrat ich jedoch das Gebäude erneut und konnte dann die Röntgenaufnahmen erfolgreich durchführen. Von einem Brand war keine Rede mehr, wahrscheinlich hatte es sich um irgendeinen Aschenbecher im 24. Stock gehandelt.

Den Befund der Röntgenaufnahmen habe ich noch nicht erhalten, aber ich würde mich nicht wundern, wenn die Ursache des Schmerzes im Knie daraus nicht ersichtlich wäre. So ist das, wenn man älter wird, immer zwickt und schmerzt etwas, dabei hat man gar nichts Nachweisbares.

Ich weiss auch schon, wie meine Eigendiagnose lauten wird, falls der Arzt mir mitteilt, dass auf den Aufnahmen kein Schaden erkennbar ist: Mein Herzschmerz muss ins Knie gerutscht sein.

Es muss mein Herz sein, gebrochen am Schmerz für die geschändeten und verschleppten neunzehnjährigen Liri, Agam, Karina, Naama und Daniela, am Schmerz für die zwei Kleinkinder der Familie Bibas, für Shlomo Mansour, nur wenig jünger als mein sehr alter Vater und für all die anderen etwa 130 Frauen und Männer, die unter unerträglichen Qualen in Gaza festgehalten werden. Mein Herz, gebrochen am Schmerz für die 365 wunderbaren, hauptsächlich jungen Menschen, die am Nova-Festival niedergemetzelt und für all die anderen Hunderten Unschuldigen, die an jenem Tag brutal gejagt und ermordet worden sind. Für die Zigtausenden am Körper und an der Seele verletzten Überlebenden. Für unsere Kinder in Uniform, die seither täglich in diesem Krieg fallen. Gebrochen an der Aussichtslosigkeit der Situation. Und nicht zuletzt, gebrochen an der Erkenntnis, dass Israel zu einer Insel geworden ist, einer Insel in einem Meer von Hass, Lügen und Verleumdung.

Es ist so unerträglich viel, es grenzt an ein Wunder, dass meine Knie mich überhaupt noch tragen und dass das Röntgengerät von diesem immensen Schmerz nicht in die Luft geflogen ist.


Mittwoch, 15. Mai 2024

Siamesische Zwillinge

Der Gedenktag für die gefallenen Soldaten und die Opfer von Terrorismus (Yom Hazikaron) und der Unabhängigkeitstag (Yom Haatzmaut) sind in Israel unweigerlich miteinander verbunden. Wie siamesische Zwillinge sind die zwei Tage, die wir diese Woche begangen und gefeiert haben, miteinander verwachsen: Eigentlich zwei separate Einheiten, doch schicksalshaft miteinander verkuppelt und nichtig, wären sie allein stehend. Ohne die gefallenen Soldaten gäbe es leider keinen israelischen Staat. Der israelische Staat wird wohl für immer mit Opfern von Terror verbunden sein. Der Unabhängigkeitstag wird erst gefeiert, nachdem die Bürger Israels vierundzwanzig Stunden lang der tiefsten Trauer ins Antlitz geblickt und die Gefallenen und die Opfer geehrt haben, die die Existenz des Staates überhaupt ermöglichen.

Beide Tage dauern von Sonnenuntergang bis Sonnenuntergang. Um 20 Uhr des Vorabends steht alles still. Zu Beginn tönen eine Minute lang nur die Sirenen in einem markdurchdringenden Dauerton. Menschen halten inne, Autos bleiben stehen, Maschinen werden abgeschaltet. Der Gedenktag, Yom HaZikaron beginnt, die Israelis beweinen ihre Toten. In unserem relativ kleinen Dorf mit knapp 7500 Einwohnern wird der Gedenktag mit einem feierlichen Anlass im offenen Amphitheater eröffnet. Die Fahne Israels wird auf Halbmast gesetzt, die Stimmung ist gedämpft und ernst, zwischen den Vorträgen wird kein Applaus geklatscht. Zu den vierzehn in früheren Attentaten und den Kriegen Israels Gefallenen reihen sich dieses Jahr in unserem Dorf vier Opfer des Hamas-Gemetzels vom 7. Oktober. Vier junge Menschen, zwischen 26 und 28 Jahre alt, die das Nova-Musikfestival besuchten, zwei von ihnen sind ehemalige Klassenkameraden meiner Kinder. Jedes der achtzehn Opfer ist mit einem grossen Bild vertreten, die Namen werden verlesen und für jedes wird ein Kranz niedergelegt. Die Schwester der ermordeten Nitzan trägt auf der Bühne ein Lied vor. Viele der zahlreichen Anwesenden, die aufmerksam den offiziellen Ansprachen, den traurigen Liedern und den Gebeten lauschen, sind uns bekannt, wir haben in diesem Dorf in den vergangenen zwanzig Jahren unsere Kinder gemeinsam grossgezogen. Alt und Jung sitzen auf den Stühlen oder im Gras, lauschen andächtig und wischen sich die Tränen weg. Diese Erinnerungskultur gehört hier schon vom Kindesalter selbstverständlich dazu und ich finde die moralischen Werte, die an diesem Tag zum Ausdruck kommen, in höchstem Grad eindrucksvoll und bewundernswert.

Am darauffolgenden Morgen finden auf allen Friedhöfen des Landes Gedenkfeiern statt und Abertausende begleiten die Angehörigen der Opfer in diesen schweren Stunden. Auch wir finden uns auf dem kleinen Friedhof unseres Dorfes ein. Es wird gebetet, Kränze werden niedergelegt. Der Vater von Nitzan spricht, stellvertretend für die Familien der Opfer und Gefallenen, mit gebrochener Stimme das Yizkor (Erinnerungs-) Gebet.

Nach dem Anlass treffe ich zum ersten Mal seit seiner Verletzung auf Alon. Obwohl Alon im Mittelpunkt des Lebens meiner Familie steht, bei einigen von uns nur in Gedanken, bei anderen im täglichen Leben, habe ich mich auf dieser Plattform nur selten über sein Schicksal geäussert (ausser kurz hier und hier). Ich weiss nicht, ob ich je mehr Worte dafür finden werde. Erst seit einigen Wochen kann Alon das Rehazentrum ab und zu verlassen und die Wochenenden wieder mit seiner Familie in ihrem Haus hier im Dorf verbringen. Den Friedhof besucht Alon im Rollstuhl, denn mit der Prothese gehen zu lernen ist ein langwieriges Unterfangen. Wie immer ist Alon von mindestens zwei seiner besten Freunde begleitet, sie haben ihn zum Friedhof gebracht, sie karren den Rollstuhl um die Gräber herum und stützen Alon beim Singen der Hatikva, der israelischen Nationalhymne, denn er lässt es sich nicht nehmen, auf einem Bein stehend seinem Land die Ehre zu erbringen. Nach der Feier gehen wir zu ihm, er winkt uns mit seinem rechten Armstumpf zu, als wäre noch eine Hand dran, wir begrüssen und umarmen ihn. Ich sage ihm, dass ich froh bin, dass er hier ist. Man weiss nicht, was man sagen soll, niemand findet Worte. Auch meine Töchter umarmen ihn und können dabei ihre Tränen nicht zurückhalten. Es ist bestimmt äusserst verdriesslich für Alon, auf seine Mitmenschen und seine Bekannten so schockierend zu wirken, aber das wird nun Teil seines langwierigen und sehr komplexen Heilungsprozesses sein. Auch für mich, für uns alle, ist es ein schwieriger Weg. 
Gerade heute startet auch die Werbekampagne, die Alon mit einer namhaften israelischen Bekleidungsfirma ins Leben gerufen hat, um das Bewusstsein für Menschen wie ihn in der Bevölkerung zu verstärken. Er und weitere Amputierte präsentieren in Zusammenarbeit mit einigen der bekanntesten israelischen Models die Mode des Labels und sie werden bald im Netz und auf allen Werbetafeln des Landes in der Öffentlichkeit zu sehen sein. Ich weiss, dass dieses Sich-Entblössen Alon alles andere als leicht fällt. Ich persönlich bin mir über meine eigenen Gefühle noch nicht im Klaren und ich versuche seit unserem Treffen am Morgen vor allem die Kraft zu finden, mich mit all diesen tief greifenden Änderungen überhaupt auseinanderzusetzen.

Nach der Zeremonie auf dem Friedhof besuchen wir die Familie von Nitzan. Sivan und Lianne verbringen den Rest des traurigen Tages dort, mit vielen weiteren Besuchern.



Erst nach diesen zutiefst traurigen und schwer ertragbaren Stunden geht der Tag am Abend in die Feierlichkeiten des Unabhängigkeitstages über. Wir rappeln uns auf, um das Entstehen und die Existenz des Staates Israel zu feiern. Sivan stellt uns vor die Tatsache, dass sie für den Abend ihre Freunde zu uns zum Barbecue eingeladen hat. Deshalb unternehmen wir kurzfristig einen Wohnungstausch: Wir bekommen für eine Nacht eine Wohnung im Herzen Tel-Avivs, sie bekommt unser Haus mit Garten und Grill.

Nach einer Nacht im fremden Bett brechen Eyal und ich früh am Morgen wieder auf, in der Hoffnung, dass unser Haus von den jungen Leuten nicht abgefackelt worden ist. Nach einem schnellen Kaffee am Dizengoff-Square setzten wir uns ins Auto, denn auch wir erwarten am Mittag Gäste zum obligaten Barbecue. Doch, schlechtes Timing: kaum haben wir den Parkplatz verlassen, versperrt uns das Reinigungsmobil der Stadt Tel-Aviv die Weiterfahrt in der engen einspurigen Strasse. Wir manövrieren unser Auto wieder in die Einfahrt eines Hauses, um das Fahrzeug vorbeizulassen. Immer zu einem Spass bereit, bedeutet Eyal dem Reinigungsmann, der das Putzfahrzeug mit dem angeschlossenen Hochdruckwasserspritzer zu Fuss begleitet, doch auch noch gleich unser Auto zu säubern. Das macht der putzfreudige Mann offensichtlich gerne, er verpasst uns spontan und gratis eine intensive Rundum-Hochdruckreinigung, auf Kosten der Tel-Aviver Stadtverwaltung. Wir verabschieden uns lachend und dankend und machen uns mit blankgeputztem Auto in der noch nassen Strasse auf nach Hause. Was für eine Stadt! Was für ein wunderbares Land! In den nächsten Stunden werden wir die Unabhängigkeit Israels feiern, sofern das in Anbetracht der Ereignisse der letzten Monate möglich ist.

Mir wird an diesen zwei Tagen mehr denn je bewusst, wie kultiviert, wertvoll und von Herzen gut die Menschen dieses Landes sind und ich bin stolz, ein Teil dieses Volkes sein zu dürfen.



Das Büro für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der Vereinten Nationen (OCHA) hat die Zahl der getöteten Frauen und Kinder während des seit dem 7. Oktober 2023 andauernden Krieges zwischen Israel und der Hamas im Gazastreifen um fast die Hälfte reduziert (Hamas manipuliert Zahl der Kriegstoten). Es mag makaber tönen, aber ich glaube nicht, dass da überhaupt jemand zählt. Wer in den Videos vom 7. Oktober gesehen hat, wie die Hamas-Terroristen den Opfern auf ihrer eigenen Seite einfach die Waffen abnehmen, über sie hinwegsteigen und sie schwerstverletzt oder tot im Feld liegen lassen, versteht, mit Kreaturen welcher Art wir zu tun haben.

Jedes unschuldige Opfer ist eines zu viel, aber die krass schwankenden Opferzahlen machen vor allem einmal mehr klar, dass alles, was die Hamas in die Öffentlichkeit posaunt, erlogene Propaganda ist. Mögen die Menschen in Europa glauben, was sie wollen: Siedler-, Zionisten-, Landraub- und Genozid-Gefasel. Ich weiss aus tiefster Überzeugung, dass keiner der 30,134 Israelis, deren wir uns an diesem Gedenktag erinnern und keines der Opfer unserer Kriegsgegner gefallen wäre, wenn es an den Israelis läge.