Dienstag, 30. April 2019

Ein Ausflug, den keiner will



Schulferien und angenehmes Frühlingswetter treiben an den Pessachfeiertagen fast alle Israelis aus den Wohnungen. Zu Tausenden, ja zu Millionen sogar (1,25 Mio Israelis sollen an Pessach Ausflüge unternommen haben, wird heute morgen in den Nachrichten berichtet) brechen sie auf. An Pessach ist alles übervoll, jedes Hügelchen besteigen die Israelis in Scharen, jedem Bächlein entlang trampeln sie dicht an dicht, mit Kind und Kegel. Die Strassen sind im ganzen Land katastrophal verstopft, denn wer nicht in der freien Natur unterwegs ist, fährt wenigstens in eines der unzähligen Shopping-Zentren.

Wer Menschenscharen nicht mag und nicht gerne im Stau steht, bleibt also an Pessach besser zuhause.

Genau das machen auch wir. Die Kinder hängen faul herum, schauen fern oder geniessen die neuen Gartenmöbel. Mir wird schnell langweilig, deshalb putze ich, räume auf, koche, werkle etwas im Garten. Da ich Frühaufsteherin bin, habe ich mein Tagessoll aber meist schon um die Mittagszeit erledigt und nach einer oder zwei Stunden lesen und faul herumliegen – wird mir langweilig.

Ein klitzekleiner Ausflug, ganz hier in der Nähe, wird doch wohl drinliegen, denke ich mir nach zwei Tagen Putzen, Kochen und Aufräumen, sonst kraxle ich ja schon bald die Wände hoch. Ein Strandspaziergang zum Beispiel, am späteren Nachmittag, wenn bestimmt alle Familien mit kleinen Kindern schon zuhause sind.

Lianne möchte nicht mit. Sie hat zwei Wochen Ferien und muss genau jetzt, in dieser Stunde, plötzlich Mathe lernen. Dagegen kann ich nichts einwenden. Ich suche weitere Opfer und finde sie in den beiden sechzehnjährigen Mädchen aus Brasilien, die wir in diesen Ferien beherbergen. Sie liegen auf ihren Betten im klimatisierten Zimmer und glotzten auf ihre Handys. Ich lade sie herzlichst ein, mitzukommen und sie sind zu anständig und getrauen sich nicht, nein zu sagen. Auch der Gatte, der schon das ganze TV-Programm leergeschaut hat, würde wohl lieber sitzen bleiben, ahnt aber, dass er meine Langeweile noch schlimmer zu spüren bekommen könnte, wenn wir zuhause bleiben.

Ich packe zwei Flaschen Wasser ein und wir ziehen los. Unser Ziel, der Strand von Mikhmoret, wo wir nordwärts nach Giv’at Olga gehen möchten, ist nur etwa eine Viertelstunde Autofahrt entfernt. Der Zustand auf den Strassen ist erträglich. Bis wir uns Mikhmoret nähern. Dort kommt uns auf der einspurigen Strasse in Richtung Strand eine nicht endenwollende Autoschlange entgegen. Bestimmt zwei Kilometer lang reiht sich Wagen an Wagen, die in langsamstem Schrittempo nur stockend vorwärts kommen. Wir fahren in die entgegengesetzte Richtung und bestaunen die Autoschlange. Was ist denn hier los? Wo kommen die alle her? Ist dies der Auszug aus Ägypten im 21. Jahrhundert? Viele haben Surfbretter auf dem Dach und sind mit Strandmatten und -Stühlen beladen. Je länger wir dem Stau entgegenfahren, desto unerklärlicher wird er uns. Wir wissen aber, dass auch wir auf der Rückfahrt in genau diesem Stau stehen werden und es jetzt schon kein Zurück mehr gibt. Eyal sagt kein Wort, aber sein Gesicht spricht Bände. Auch mein Tatendrang ist nullkommaplötzlich verflogen. Was für eine Schnapsidee, dieser Ausflug! Besser hätte ich zuhause noch Wäsche gebügelt!

Am Ziel unserer Fahrt wird uns klar, dass die ganze Blechlawine tatsächlich hier, auf genau diesem Parkplatz, ihren Ursprung hat. Weil jetzt, am späteren Nachmittag, starke Winde aufgekommen sind und es schon recht kühl ist, scheinen alle Strandbesucher den Strand zur selben Zeit verlassen zu wollen. Na ja, mir ist das erstmal egal, unser Ausflug fängt ja erst an. Wir gehen jetzt nordwärts, mit starkem Gegenwind. Der Strand zwischen Mikhmoret und Giv’at Olga ist mit seinen kleinen felsigen Buchten meines Erachtens einer der schönsten Israels. Ich ziehe energiegeladen los, merke aber bald, dass meine Mitwanderer ziemlich widerwillig mit dabei sind. Leider musste ich für diesen Ausflug Kompromisse eingehen, wenn ich überhaupt Partner gewinnen wollte und so verzichtete ich auf die Idee, mit zwei Autos loszufahren und eines am Ziel zu parkieren. Ergo würden wir dieselbe Strecke zurückgehen müssen, eine Tatsache, die der interessantesten Wanderung die Spannung nimmt und sie sinnlos und sysiphisch macht. Und dann noch die Aussicht auf den kilometerlangen Stau... Schon ziemlich sinnlos, dieses Unternehmen. Der Gatte trottet freudlos nebenher, die Mädchen schauen immer öfter auf ihre Handys. Wir kommen kaum vorwärts. Der Gegenwind scheint sie rückwärts zu drücken und die negative Aura, die sie umgibt, ist für mich buchstäblich sichtbar.

Nach zweieinhalb Kilometern gebe ich auf. Wir kehren um. Man kann die Leute nicht zu ihrem Glück zwingen.

Als wir rechtzeitig zum Sonnenuntergang wieder in Mikhmoret eintreffen, ist der Strand schon fast leer. Jetzt stehen tatsächlich alle Strandbesucher auf der Strasse – und so bald auch wir. Die zwei Kilometer bis zur Kreuzung legen wir in etwa einer halben Stunde zurück, während im Auto eisige Stille herrscht.

Endlich dem Stau entkommen, gönnen wir uns ein grosses Eis. Das haben sich meine tapferen Wanderkameraden redlich verdient. Und am letzten Ferientag werde ich Fenster putzen!

Sonntag, 28. April 2019

Sie sind da!

Mir nahestende Mitmenschen behaupten, dass ich mich nur schwer oder gar nicht entscheiden könne. Ich finde, das stimmt überhaupt nicht. Ich wäge nur jeweils alle in Frage kommenden Möglichkeiten geflissentlichst ab. Sortiere aus, was zu viele Nachteile hat. Vergleiche die verbleibenden Optionen. Hole Meinungen von anderen ein. Erst wenn ich ganz genau weiss, was ich will, schlage ich zu. Und dann bin ich zufrieden. Dieses Vorgehen hat sich bis anhin in den meisten Lebensfragen als äusserst erfolgreich bestätigt.

So kommt es auch, dass ich während der Suche nach den perfekten Gartenmöbeln für unsere neue Pergola zum Gespött meiner Familie wurde. Fast ein Jahr lang besichtigte ich alle in der näheren und weiteren Umgebung liegenden Gartenmöbel-Center und wog ab. Rattan, Aluminium oder Holz? Aluminium. Aber weiss oder grau? Ein Dreier- oder ein Ecksofa? Mit Tisch oder ohne? Langsam langsam kristallisierte sich mein Entschluss heraus und dann schlug ich zu. Jetzt sind die neuen Möbel da und sie sind perfekt!

Den alten schweren Holztisch verscherbelte ich noch auf einer Secondhand-Plattform. Der bald gefundene Käufer schenkte mir als sehr erfreuliche Zugabe verschiedene Setzlinge, unter anderem von vier verschiedenen Basilikumsorten. Haben sie gewusst, dass es Zitronenbasilikum und thailändischen Basilikum gibt? Jetzt freue ich mich nicht nur über die absolut perfekten Gartenmöbel, sondern verfolge auch gespannt das Gedeihen meines Basilikums! Der Sommer kann kommen!


Montag, 22. April 2019

Auf Heimatbesuch

Alltag. Die Tage rasen dahin. Immer ist etwas los, es findet sich kaum Zeit zum Schreiben. Ein Bombeneinschlag im Nachbardorf, eine Schweizreise, die Wahlen, endlich neue Gartenmöbel. Bevor ich beim Blogschreiben endgültig den Anschluss verpasse, möchte ich versuchen, eiligst noch etwas nachzuholen und vielleicht doch noch den davonrasenden Zug zu erwischen.

In der ersten Aprilwoche durfte ich spontan geschäftlich nach Basel reisen. In der Filiale meines Arbeitgebers im Zentrum Basels standen Meetings mit der aus den USA angereisten Chefin und mit Mitarbeitern auf dem Programm, von denen ich bis anhin nur die Stimme am Telefon kannte. Dabei war aber nicht von allzu ernsthafter Arbeit die Rede, es handelte sich eher um gesellschaftliches Zusammenfinden, um sich bei gemeinsamen Mahlzeiten (Basel hat einige sehr gute Restaurants, vor allem, wenn die Firma bezahlt) und Aktivitäten (ein geführter Stadtrundgang) kennenzulernen.

Der Fasnachtsbrunnen in Basel

Vor einer Ewigkeit, in einem anderen, früheren Leben, hatte ich in Basel das Gymnasium besucht. Nun, nach mehr als dreissig Jahren im Ausland, fühlen sich „Heimatbesuche“ in Basel sehr seltsam an. Ich sehe diese mir einst so bekannte Stadt aus den Augen einer Touristin. Auf dem Weg vom Büro ins Hotel durchquere ich den Schulhof „meines“ Gymnasiums. Ich spähe durch die Fenster in die Klassenräume, in welchen ich als junge Frau den Blick in die umgekehrte Richtung schweifen liess und – damals von unerklärlichem Fernweh geplagt und von exotischen Ländern träumend  – stundenlang den Flug der Schwalben verfolgte. Das Gefasel der Lehrer drang kaum je zu mir durch. Während der Arbeit erspähe ich jetzt vom Bürofenster aus das Dach und die Dachfenster eben dieser Schule, wo ich im Dachstock einst am Bühnenbild unserer Schüleraufführung werkelte. Die Theateraufführung war ein kläglicher Flop, das Bühnenbild katastrophal – aber dafür hatte ich danach einen Freund... 

Im Hotel bekomme ich ein überraschendes Upgrade und logiere in einem Loft, an welchem ich mich gar nicht sattsehen kann – mit Küche, Balkon und einem Badezimmer in der Grösse meiner Stube! Ich lasse sofort heisses Wasser mit viel Schaum in die freistehende Badewanne laufen und geniesse den ruhigen Abend ganz stilvoll mit Cüpli in der Wanne. Was für ein unbeschreibliches Vergnügen, diese paar gezählten Tage Singleleben in einer hübsch gestylten Hotelwohnung im Zentrum Basels! Danke, danke, mein geliebter Arbeitgeber! Was für ein Genuss, das Büro zu Fuss in wenigen Minuten zu erreichen und die Stunden mit lockerer Arbeit und Gesprächen zu verplempern. Die WhatsApp-Anrufe meiner hungrigen Familienmitglieder, die zu Hause in Wäschebergen versinken, ignoriere ich genüsslichst. Lasst mich in Ruhe! Ich habe das grosse Los im Lotto gezogen! Endlich lebe ich mein Traumleben!

Und alles so schön sauber...

Ich geniesse auch die wohl hundertste Rheinüberquerung mit der legendären Fähre und den geführten Stadtrundgang, trotz Regen und Kälte. Die Stadt aus den Augen meiner amerikanischen Mitarbeiter zu betrachten und den Erklärungen der waschechten Basler Reiseführerin zu folgen, die sich mit dem Englischen abquält, ist äusserst amüsant. Und ja, Basels pittoreske Altstadt ist sehr hübsch, dafür hatte ich als Schülerin nun wirklich keine Augen.

Im Zug nach Zürich

Nach einigen Tagen in dem modernen Loft stelle ich fest, dass ich mich in der sterilen und unpersönlichen Umgebung doch nicht so recht zu Hause fühle. Am Morgen der Abreise schneit es und als ich am Flughafengate Hebräisch höre, freue ich mich schon auf mein Zuhause, inklusive Lärm, Schmutz und Unordnung meiner Kinder.