Mittwoch, 13. September 2023

Himmel und Hölle


Als die ersten Menschen zu biblischen Zeiten durch die damals noch strassenlose Negevwüste und über die Eilater Berge an den Golf von Aqaba gelangten, musste ihnen die langgestreckte Bucht, in welche das Rote Meer an seinem Nordende ausläuft, paradiesisch schön erschienen sein. Eine von sanften, rötlich leuchtenden Bergkämmen geschützte Bucht breitete sich vor ihnen aus, mit weitläufigem Kieselstrand, trockenem Klima, klarem, spiegelglattem Meer und – falls die ersten Menschen schon baden gingen – einer Vielfalt von farbigen Korallen und Fischen im angenehm kühlen Wasser.

Blick auf Jordanien


Von diesem Paradies ist heute nichts mehr übrig. Im östlichen Drittel der Bucht liegt die jordanische Stadt Aqaba, welche ich zwar aus der Ferne betrachten, aber nur nach einer umständlichen Grenzüberqerung besuchen könnte. Im israelischen Teil der Bucht liegt die Stadt Eilat. Hier verschandeln unzählige riesige Hotelanlagen das einstige Paradies. Einige monströse, nicht identifizierbare Gebäude sind reichlich heruntergekommen oder liegen sogar leer, dem Verfall überlassen. Die Stadt ist katastrophal strukturiert: In der Stadtmitte stört der ausrangierte Flughafen, zurzeit eine unübersichtliche Baustelle. Wie eine eiternde Wunde klafft zwischen den Hotels die bedrohlich eingezäunte und nicht gerade charmant gestaltete Militärbasis. Den südlichen Teil der Stadt verunstaltet der kolossale Hafen.
Das Angebot an öffentlichem Verkehr ist minimal, dementsprechend ist die Stadt von Autos überfüllt und zum Bersten volle Parkplätze dominieren alle öffentlichen Anlagen.
Das türkisfarbene Meer täuscht. Die Korallenriffe sind grösstenteils zerstört und abgestorben. Unter der Wasseroberfläche ist alles grau, tot und hässlich. Vereinzelte Fische bringen noch etwas Farbe in die Unterwasserwelt, als stumme Mahnmale des einstigen Reichtums.
Etwa 99 % der Hotelgäste sind Israelis, die Billigferienangebote ihrer Arbeitgeber in Anspruch nehmen. (Wobei das Wort „billig“ mit Bedacht genossen werden muss, denn billig ist in Israel, dem offiziell teuersten Land der Welt überhaupt nichts.)
In den Hotels wimmelt es von schlecht erzogenen lärmenden Kindern und schwitzenden Erwachsenen in unvorteilhaften Bad- und Strandkleidern.
Über all dem weht der Hauch des Todes: Eine unerträgliche Hitze, rund um die Uhr. Ein starker heisser Wind bläst ununterbrochen, als halte jemand im Himmel einen Riesenföhn im Turbomodus auf die Stadt gerichtet. Sogar abends um acht zeigt das Thermometer noch 41 Grad und wer sich gar über Mittag nach draussen wagt, läuft Gefahr, lebendigen Leibes verbrannt zu werden!
Das israelische Tourismusbüro möge mir verzeihen, aber – Eilat ist die Hölle auf Erden!


Doch auch in der Hölle scheint es Lichtblicke zu geben: Wir bekommen ein dezent gestyltes grosses Hotelzimmer mit – am Allerwichtigsten – perfekt funktionierender Klimaanlage. Auch die Aussicht über den Pool ist famos (wenigstens morgens um sieben).



Und – das absolute Highlight: Der Mann an meiner Seite, den ich vor bald 40 Jahren ausgerechnet in Eilat kennengelernt habe, überrascht mich mit einem verwöhnenden Spa-Schwebe-Erlebnis. Schweben ist ja an sich schon ein traumhafter Zustand. Gesteuertes Schweben ist überwältigend! Das geht so: Ich schwebe in Rückenlage in einem überdachten Meerwasserbecken mit perfekter Wassertemperatur, ein kleines Kissen unter dem Kopf. Eine hübsche junge Dame, die ich aber schon nach zwei Minuten absolut nicht mehr wahrnehme, bewegt, dehnt und streckt vorsichtig meinen Körper. Sie dehnt meinen Nacken, streckt meine Wirbelsäule, bewegt meine Finger, lockert meine Beine, drückt meine Füsse. Während ich schwebe, halten mich ihre Hände (es scheinen mehrere zu sein) mit leichtem Drücken und Stupsen in ständiger Bewegung. 
Ich werde eins mit dem Wasser, mein Körper verliert seine Grenzen. Ich schalte ab und bin weg. Schwerelos, aber immer in Bewegung. Ich bin eine Welle. Eine Welle, getragen von anderen Wellen. Zusammen erzeugen wir das Meeresrauschen. Leise Unterwassermusik begleitet uns. An meinem Ohr ein fremder Herzschlag. Ist es meine Mutter, in deren Leib ich heranwachse? Atme ich? Oder nehme ich Sauerstoff über Kiemen auf? Meine Hüften wiegen sich in einem flüssigen Sambatakt (was man nicht alles kann, wenn man sich vergisst). Meine Extremitäten werden zu weichen, im Wasser tanzenden Flossen.
Nach einer Weile ohne Zeitmessung werden eben diese Flossen sanft nach unten gedrückt. Einige nachdrückliche Versuche bringen mich in die Vertikale. Ich erinnere mich, dass ich Beine und Arme habe und wundere mich, ob ich gerade geboren worden bin. Es ist vorbei, aber ich bin ruhig und glücklich.
Ich darf in einem der weiteren Becken noch etwas alleine vor mich hinschweben und nutze das Angebot ausgiebig. Danach gucken wir uns die Delphine an, die hier in zum Meer offenen Becken leben. Die Delphine lächeln. Kein Wunder! So schlimm ist es gar nicht in der Hölle.