Der Blick aus dem Fenster erfolgt aus Israel, wo ich seit 1988 lebe. Geboren und aufgewachsen bin ich in der Schweiz. Aus meinem Fenster blicken auch Eyal, mein israelischer Mann und meine erwachsenen, sehr israelischen Kinder, Sivan, Itay und Lianne. Die Personen sind echt, unsere Namen aber frei erfunden.
Samstag, 19. August 2017
Geburtstag
Seit Itay eingerückt ist, sind schon neun Monate vergangen. Nach sechs Monaten Grundausbildung steckt er nun mitten in einem Kurs, der insgesamt 14 Monate dauert. Im Grossen und Ganzen gefällt es ihm ganz gut, zweifellos gibt es bessere und schlechtere Tage, aber die Ausbildung ist interessant und es ist auszuhalten. Natürlich kann die Schikaniererei, die im Militär wohl einfach dazu gehört, manchmal reichlich auf die Nerven gehen, aber Itay trägt es meistens mit Fassung und macht das Beste aus seiner Pflicht. Schlussendlich hat er ja auch keine andere Wahl.
Wie wunderbar, dass sein zwanzigster Geburtstag auf ein Wochenende fällt, an welchem er Urlaub hat. Als er uns am Abend vor dem grossen Ereignis anruft, bin ich gerade am Geburtstagskuchen backen und Lianne, seine Schwester, bläst Ballone auf und verziert damit unsere Stube. Wir freuen uns auf das Wochenende, schliesslich feiert man ja nicht jeden Tag einen so bedeutenden Geburtstag. Leider hat aber Itay keine erfreuliche Nachricht: Ausgerechnet jetzt, zum ersten Mal, seit er seinen Dienst angetreten hat, wird er wegen einer Dummheit bestraft. Der Kommandant hat Itay mit einer Patrone zuwenig im Halter erwischt. Die Patrone war zwar nicht etwa verloren, sie war nur aus dem Halter gefallen und in den Schaft gerutscht. Aber keine Frage, so ein grobes Vergehen muss natürlich gebührend bestraft werden, Geburtstag hin oder her! Der Wochenendurlaub wird erbarmungslos gestrichen.
Wir alle fallen ob dieser Nachricht aus allen Wolken - wie traurig, einen zwanzigsten Geburtstag alleine in einer Militärbasis zu verbringen! Wie schade um den schönen Kuchen, die Geschenke, die Freunde und Familienmitglieder, die feiern wollen. Itay ist wütend und wir versuchen ihn zu ermuntern, aber die Geburtstagsvorbereitungen werden bis auf Weiteres eingestellt. Mit Itays Erlaubnis schickt Eyal noch eine verzweifelte Nachricht an den Kommandanten: Er gaukelt ihm etwas von einer geplanten Überraschungsparty vor, schmiert ihm etwas Honig ums Maul und bittet um Nachsicht mit dem Soldaten. Viel Hoffnung haben wir nicht, das israelische Militär ist schliesslich kein Kindergarten.
Am Geburtstagsmorgen gratuliere ich uns Beiden in Gedanken und erinnere mich an jenen Tag vor 20 Jahren, als Itay durch einen Kaiserschnitt geboren wurde. Kaum aus meinem Leib gezogen, legte man mir das warme Köpfchen des neugeborenen Wunders an meine Wange. Die Berührung dieser zarten weissen Haut ist auf ewig in meine Wange eingebrannt, ich kann sie heute noch spüren. Während ich mir diese süsseste aller Berührungen in Erinnerung rufe, denke ich an den Soldaten, der heute bestimmt frustriert in der Basis herumtigert.
Gegen Mittag findet der Kommandant eine Lösung, auf die elterliche Bitte einzugehen und etwas Nachsicht walten zu lassen, ohne gleich vor der ganzen Kompanie das Gesicht zu verlieren: Itay darf die Basis am Abend von sechs Uhr bis Mitternacht verlassen! Wir freuen uns alle über die geschenkten Stunden und holen Itay genau um sechs Uhr ab. Die Basis liegt zum Glück nur zehn Autominuten von unserem Wohnort entfernt.
Jetzt zählt jede Minute, schliesslich heisst es, ein ganzes Geburtstagswochenende in weniger als sechs Stunden hineinzupacken. Kaum eingetroffen, duscht Itay kurz, die Wäsche wird eiligst in die Maschine gesteckt, dann fahren wir zu den Grosseltern, wo schon die ganze Familie für die Party versammelt ist. Wir essen, aber kaum haben wir den letzten Bissen hinuntergeschluckt, räumt Itay schon schleunigst den Tisch ab – er hat keine Zeit, schliesslich muss er auch noch mit seinen Kollegen feiern. Geschwind noch ein paar Geburtstagswünsche, auch den Kuchen verschlingen wir im Schnellverfahren, dann geht es eiligst wieder nach Hause. Unterwegs nickt Itay noch für einige Minuten ein, denn immerhin ist er Soldat und auch ein bisschen Erholung muss sein. Zu Hause packt er zügig seine Siebensachen, während ich die Wäsche ausnahmsweise in den Trockner stecke. Dann hupt es draussen schon, die Kollegen holen Itay ab und düsen davon, denn die Uhr tickt und dem Geburtstagskind bleiben nur noch knappe zwei Stunden für den Ausgang. Um halb zwölf und einige Stangen Bier später ist Itay wieder da, stürzt sich flink in die Uniform, schultert das Gewehr und um fünf Minuten vor Mitternacht laden wir ihn am Tor seiner Militärbasis ab. Das war ein Geburtstagswochenende im Schnelldurchgang! Itay tritt durch das Tor und wird nun noch den ganzen Samstag Zeit haben, seine Strafe abzusitzen und sein fehlerhaftes Benehmen zu bereuen.
Im Bett denke ich noch einmal an die watteweiche Wange, die vor zwanzig Jahren zum ersten Mal die meine berührte, dann schlafe ich ein.
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