Dienstag, 9. Mai 2017

Humor und ALS

Aus einem Leben eine Tragödie zu machen, ist keine grosse Kunst. Eine Komödie über ein Leben zu schreiben, ist hingegen schon recht beachtenswert. Aus einem gotterbärmlichen, todgeweihten Leben eine Komödie zu machen und Andere damit zum Lachen und Nachdenken zu bringen, finde ich bewundernswert.

Roee Yavin, Vater von drei Kindern, erkrankte kurz nachdem er 50 wurde an ALS.
Bald komplett gelähmt, ans Bett gefesselt und beatmet, wurde er auf Facebook aktiv, schrieb Lieder und Texte und kurze, lustig-sarkastische Szenen, die vor allem seine Krankheit, seine elende Situation und den Umgang seiner Mitmenschen mit seiner Krankheit zum Thema hatten. Mit Hilfe seines Bruders konnte er die bekanntesten israelischen Komiker einspannen, darunter Tal Friedmann, Shalom Asayag, Miki Kam und weitere. So wurden in seinem Krankenzimmer humoristische Videos produziert, die Roee auf Facebook und Youtube unter die Leute brachte. Vor zwei Tagen, am 7. Mai, ist Roee gestorben.
Ende 2014 schrieb er: „Ich habe das Haus seit dem 18. März nicht mehr verlassen. Am 21.9. stattete ich zum letzten mal unserer Stube einen Besuch ab. Ich habe ALS, aber betrachten wir doch die volle Hälfte des Glases: mein Gehirn und mein rechter kleiner Finger funktionieren einwandfrei.“

Für hebräisch-sprechende Leser hier ein Link zu einem seiner Videos, auf welchem Roee mit gewohnt trockenem Humor erzählt, wie er die ALS-Weltmeisterschaft für Schere-Stein-Papier gewonnen hat:


Für diejenigen, die kein Hebräisch sprechen, möchte ich einige Ausschnitte aus Roee’s selbstverfasster Grabesrede übersetzt wiedergeben:

„...Schon jetzt, mit meinen letzten Kräften, schreibe ich in einem dicken Heft alles auf: wer mich wie oft angerufen hat, wie oft ihr mich besuchen kommt und vor allem, wie oft ihr auf Facebook meine Einträge geliked habt. Eure Besuche sind mir sehr wichtig. Eure Anwesenheit ist für mich anstrengend und ermüdend, aber eure Bemühungen liegen mir am Herzen. Kommt doch einfach, umarmt mich, sagt mir, dass ihr mich mögt und verschwindet wieder....
...Manchmal denkt ihr, dass ihr euer Herz ausschütten könnt, wenn vor euch ein Mensch liegt, der nur noch Haut und Knochen ist und keine Reaktion zeigt. Hallo, ich habe ALS! Eure Sorgen möchte ich haben! Einmal hat mir jemand von einem Bekannten erzählt, der auch gelähmt ist, aber bei ihm ist es Multiple Sklerose. Ha! Das soll eine Krankheit sein?! Beinahe hätte ich gelacht, aber das Atemgerät hat gepfiffen. Tausende haben MS – sie nehmen ihr Copaxone und leben noch Jahrzehnte! Das ist, als ob du im Krieg beim Fussvolk bist anstatt im Spähtrupp!...
... Eine kurze Meldung auf Facebook wird meinen Tod und die Uhrzeit der Beerdigung bekanntgeben. Dafür werde ich 200 Likes erhalten, aber ich werde sie nicht mehr sehen. Fast wie Van Gogh. Einige werden kluge Kommentare dazu schreiben. Sie werden etwa so lauten: Ich habe ihn gerne gelesen. Manchmal. Leider war es nur virtuell. Schliesslich habe ich 5,876 Freunde auf Facebook, wo kämen wir da hin, wenn ich alle besuchen und an Familienfeiern und Beerdigungen teilnehmen würde....
... Meine Beerdigung wird kein alternatives Gedusel mit schönen Liedern und angenehmen Reden sein, sondern eine konventionell religiöse Zeremonie ohne den geringsten Nachlass. Die Beziehung zu Gott wird mir an diesem Tag wichtiger sein, als die Beziehung zu euch. Nach der Zeremonie wird jemand aus meinem dicken Heft vorlesen, wer mich wie oft und wann besucht hat, und wie oft er mich auf Facebook geliked hat.....
... Der Verein, in welchem ich einst gearbeitet habe, wird einen Kranz niederlegen. Der Kranz wird 180 Schekel kosten. Jeder wird 3 Schekel spenden. Die Neuen werden meckern, „das ist doch unverschämt, wir haben ihn ja gar nicht gekannt!“ Aber bestimmt wird es auch einige geben, die 5 Schekel bringen und weil es kein Wechselgeld gibt, werden sie grosszügig sagen, ach, ist schon gut, ich habe ihn gemocht....
... Es wird nicht aufhören zu regnen und die Bestattungszeremonie wird mehr als zwei Stunden dauern. Einige werden versuchen, sich vor dem Ende aus dem Staub zu machen, aber jemand wird mit einem neuen dicken Heft anwesend sein und alles aufschreiben. Die Erde wird schlammig vom Regen sein und es wird lange dauern, meine Leiche zu bedecken. Danach werdet ihr einen Stein auf mein Grab legen und euch dabei die Finger schmutzig machen. Sucht die grössten Steine aus, damit ich auf keinen Fall zurückkommen kann!
Das wär’s dann. Unterdessen ist bei mir alles in Ordnung – und bei euch?...“

Am 25. Mai organisiert Friends4ALS in Ramat Hasharon einen öffentlichen Anlass mit Lauf und Happening. Alle Einnahmen kommen der ALS-Forschung und den Betroffenen zugute. Ich bin dabei!

1 Kommentar:

Unknown hat gesagt…

das ist eine Krankheit, die ich bei einer guten Freundin von mir "miterlebt" habe. Sie hat in ihrem Blog immer wieder darueber geschrieben. Bis sie selber nicht mehr schreiben konnte und ihr Mann es fuer sie machte. Da sie in Deutschland lebte, hatte ich immer nur den Anfang teilweise mitbekommen. Da waren wir auf Shabbaton und sie hatte mich besucht.