Dienstag, 5. September 2017

Fundstücke

Über die Vorzüge der digitalen Ausleihplattform Onleihe habe ich in einem früheren Beitrag schon berichtet. Das grossartige an dieser kostenlosen Online-Bibliothek ist, dass ich aufs Geratewohl Stöbern und unbekannte Werke und Autoren „beschnuppern“ kann, an die ich mich mit grosser Wahrscheinlichkeit nie heranwagen würde, wenn ich das Buch kaufen oder auch nur von der Bibliothek nach Hause tragen müsste. So habe ich im Netz schon öfters mir unbekannte Autoren aufspüren können, die mich begeistern. Und wenn sich nach einigen Seiten herausstellt, dass mir die Lektüre doch nicht zusagt, kann ich die Wahl einfach wieder verwerfen.

Ausserdem habe ich bei Onleihe die Hörversion entdeckt. Nun lasse ich mich beim Autofahren über die Lautsprecher der Audioanlage meines Wagens mit professionell vorgetragener Lektüre berieseln. So macht es mir nichts aus, auch einmal etwas länger im Stau zu stehen. Gibt es etwas Schöneres als ein gutes Buch zu hören, ohne von irgendjemandem oder irgendetwas gestört zu werden? Manchmal spiele ich mit dem Gedanken, im Wagen einfach an einer unauffälligen Stelle am Strassenrand einige Stunden stehenzubleiben und ein Buch in Ruhe zu Ende zu hören. Wie lange es wohl dauern würde, bis mich jemand sucht? Diese Idee habe ich zwar noch nie umgesetzt, aber es kommt vor, dass ich nach der Ankunft im Büro oder zuhause jeweils noch einige Minuten auf dem Parkplatz im Wagen sitzen bleibe, bevor ich mich überwinden kann, den Vorleser zum Schweigen zu bringen, in die Realität zurückzukehren und mich den Anforderungen des Alltags zu stellen.

In diesen Tagen höre ich „am Beispiel meines Bruders“ von Uwe Timm. Der Autor spürt in diesem Buch seinem älteren Bruder nach, der als deutscher Soldat im zweiten Weltkrieg in Russland gefallen ist. Er schreibt über den Einfluss, den dieser Bruder auf ihn und in seiner Familie auch Jahre nach seinem Tod hatte, wie er als Vorbild, als Schatten, als Über-Bruder über dem jungen Uwe Timm schwebte, obwohl er ihn selbst ja kaum kannte. Ausserdem setzt er sich mit dem Verhalten der Deutschen und seiner eigenen Familie – dem Vater, dem Bruder – während dem Krieg auseinander. Warum hat man während des Krieges weggeschaut und danach so lange schweigen können, ist die Hauptfrage, die im Hintergrund dieses feinfühlenden Buches steht. Und die meines Erachtens heute wieder äusserst aktuell ist.

Uwe Timms Gedanken sind sehr interessant und vor allem beeindruckt mich seine ruhige, fliessende, einfache und doch sehr eindrückliche Sprache. Dieses Buch ist eine sehr erfreuliche und gelungene Entdeckung und gerne werde ich noch weitere Bücher von diesem Autor lesen.

Und hier noch einen Fund aus dem Internet, den es sich zu erkunden lohnt: das Web-Comic-Bauprojekt das Hochhaus. Die Berliner Zeichnerin und Architektin Katharina Greve baute im Internet ein Hochhaus und füllte es mit humorvollen Kommentaren zu alltäglichen Themen. Die Comics in einfacher Sprache sind witzig und die vielfältig miteinander verbundenen Episoden ergeben am Schluss ein ironisches Gesamtbild der aktuellen Lage. Hier ein Einblick in zwei der insgesamt 102 Stöcke...



1 Kommentar:

wegwunder hat gesagt…

Danke für den Comic-Tipp - musste schon wieder schmunzeln. Von wegen "möchtest du darüber sprechen", ich geh' dann mal die anderen 101 Etagen "checken" 😃. Liebe Grüsse aus der Schweiz, Sibylle