Dienstag, 25. Juli 2017

Gedanken beim Reisen


Die Schweizer scheinen grossen Wert auf die Kultivierung ihrer Freizeittätigkeiten zu legen, deshalb sind unter anderem auch die Velowege sehr sorgfältig gekennzeichnet. So düsen wir auf unserer mehrtägigen Tour fernab der Autostrassen schnell Seen und Flüssen entlang und bergauf und bergab durch Täler und Orte. Langgestreckte Ebenen wechseln sich mit hügeligen Landschaften ab, enge Täler öffnen sich und wir ziehen an hohen Bergen und Seen in unzähligen blau- und türkis-Schattierungen vorbei.

In einigen besonders ruhigen und abgelegenen Gegenden wähne ich mich auf einem fremden Planeten. Alte, dunkle Bauernhäuser aus Holz liegen verstreut auf grünen Hügeln, die Täler sind von hohen Bergen flankiert, Grillen zirpen in der Mittagshitze, es riecht nach Heu, Kühen und Käse. Die wenigen Menschen, die wir treffen, haben braungebrannte, furchige Gesichter und sprechen eine Sprache, die man ausserhalb des Tales nicht versteht. Die Veloroute führt uns an grossen und kleinen Gehöften vorbei und bei einigen dieser ruhigen Bauerndörfer packt mich die Sehnsucht, einfach dazubleiben. Bestimmt muss es hier ein paar Häuser geben, deren Besitzer auf liebevolle Nachbewohner warten. Gerne würde ich den Garten pflegen, einige Hühner halten, einfach in den Tag hineinleben und die grünen Hügel bestaunen. Genau hier, wo die Welt noch in Ordnung ist und die Medienberichte über tägliche Katastrophen nicht anzukommen scheinen.

Reisen hilft uns, einen kritischen Blick auf uns selbst und unser Leben zu Hause zu werfen. Muss ich wirklich jeden Tag wie ein Roboter zur selben Zeit aufstehen und zur Arbeit gehen? Jeden Tag unter Neonlampen in einem tristen Büro fristen, nur um ein bisschen Kohle heimzubringen um damit nutzlose Dinge zu kaufen? Muss Eyal wirklich täglich mit besserwisserischen Kunden über spitzfindige Details in ellenlangen Verträgen streiten und abends genervt nach Hause kommen? Könnte er nicht hier mit einer langen Gabel auf den Feldern das Heu wenden und sich die Sonne in den Nacken brennen lassen, während ich im Garten riesengrosse Zucchettis und süsse Tomaten züchte? Warum lebe ich in einem Land, in welchem ständig Krieg herrscht, während mir doch eigentlich hier diese Idylle zu Füssen liegt? Muss das alles sein? Wie bin ich nur in dieses Leben hineingeschlittert? Wer hat das für mich bestimmt?

Während ich durch die fremden Dörfer strample, denke ich daran, dass in jedem Häuschen unbekannte Menschen ihre ganz eigenen Leben leben. Jeder findet sich sein Nischchen, baut sich ein Leben auf, mit Familie, Freunden, Arbeit und allem was dazugehört. Dann ist er festgefahren. Sorgt sich im immer wiederkehrenden Alltag um dieses und jenes. Folgt den vorbestimmten Pfaden.

Dabei sind wir alle nur zufällig, wie gut durchgeschüttelte Würfel aus einem Becher, irgendwo auf dieses Spielbrett namens Leben gefallen. Genausogut hätten wir im Garten des Nachbars landen können, oder in einem anderen Land, einem anderen Leben. Aber warum ist es dann so schwierig, einfach aufzustehen und einen ganz anderen Weg zu gehen? Alles hinter sich zu lassen, den „Reset“-Knopf zu drücken und neu anzufangen? Warum folgen wir alle so festgefahren unserem Pfad, den wir nur mehr oder weniger bewusst gewählt haben? Machen wir uns überhaupt noch Gedanken, ob er in die richtige Richtung führt?

Wäre unsere Velofahrt nicht so rasant, würde ich hier an einige Türen klopfen, bis ich ein passendes Häuschen gefunden hätte. Und am nächsten Montagmorgen, wenn mein Vorgesetzter in den USA wie gewohnt unser wöchentliches Gespräch anwählen würde, bliebe die Leitung ruhig. Ich wäre nämlich gerade dabei, auf meinem dreihundert Jahre alten Hof im Simmental die Eier von glücklich gackernden Hühnern einzusammeln.

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