Mittwoch, 14. August 2024

Wir bleiben hier

Ob der morgige Gipfel in Katar einen Durchbruch bei der Geiselfrage bringen wird? Ich bin skeptisch. Die Hamas will ja gar keine Verhandlungen. Und das trifft sich bestens. Ich nämlich auch nicht.

Die europäischen Medien geben sich grösste Mühe, Israel und die Hamas als gleichermassen schuldige Partner darzustellen, doch diese Kriegsparteien – eine genozidale Terrormaschinerie und eine liberale Demokratie – und ihre Ziele könnten nicht gegensätzlicher sein. Auch den "Geiseldeal" im November stellte der Grossteil der europäischen Medien dar, als gehe es um einen Austausch von auf beiden Seiten aus verschiedenen, mehr oder weniger lauteren Gründen inhaftierten Gefangenen. Dass es sich in Wahrheit um rechtmässig verurteilte palästinensische Straftäter im "Deal" gegen brutalst gejagte, verletzte, gegen ihren Willen in unmenschlichsten Bedingungen in Gaza festgehaltene unschuldige Zivilisten, darunter Kinder und junge Frauen handelte, blieb viel zu oft unerwähnt.

Einer der überführten palästinensischen Straftäter, der im November im Austausch gegen israelische Geiseln auf freien Fuss gesetzt wurde, war der kaum 18-jährige Palästinenser Tarek Daus. Nach seiner Freilassung verpasste der von Hass indoktrinierte Tarek keine Gelegenheit, sich weiter mit terroristischen Tätigkeiten zu befassen. Diese Woche sah er seine grosse Chance gekommen, als ein 60-jähriger jüdischer Mann die Stadt Qalqilya betrat. Der junge Palästinenser eröffnete das Feuer auf ihn und verletzte den Israeli schwer. Zwei weitere Palästinenser wurden bei dem Attentat ebenfalls verletzt. Das Auto des israelischen Mannes wurde vom palästinensischen Mob in Brand gesetzt. Der 18-jährige Schütze floh vom Tatort und wurde am Ende der Verfolgungsjagd von der IDF getötet.


Der im November freigelassene 18-jährige Palästinenser Tarek Ziad Abd al-Rahim Daus


(Zweifellos sollte man sich als nicht-arabischer Israeli in diesen Zeiten nicht in die arabischen Städte in Israel begeben, wenn man an seinem Leben hängt. Während es jedoch für Juden lebensgefährlich ist, arabische Orte zu betreten, besteht die israelische Bevölkerung weiterhin aus 20 Prozent Arabern, die im Kernland Israel leben und sich sicher und frei bewegen können. Sie haben die gleichen Rechte wie ihre jüdischen oder andersgläubigen israelischen Mitbürger. Auch an meinem Arbeitsplatz und in meinem gesamten Umfeld ist jeder fünfte Mensch, der mir begegnet und mit dem ich zu tun habe, Araber/in.)

In deutschen Medien ist über den vorgenannten Vorfall unter anderem zu lesen ("die Zeit", 12.8.2024):
"Palästinenser melden einen Toten nach israelischem Militäreinsatz im Westjordanland. Bei einem Einsatz der israelischen Armee im Westjordanland ist nach palästinensischen Angaben ein 18-jähriger Palästinenser getötet worden". 

Was entnimmt der gutgläubige Leser diesen Zeilen? Wer ist der Schuldige? Wer das Opfer? Offensichtlich, so suggeriert der Newsticker, sind einige Israelis an einem heiteren Montagmorgen aufgestanden, haben sich aus Langeweile Uniformen angezogen und sich gesagt "Na, was machen wir heute? Gehen wir doch ins Westjordanland und erschiessen wir in einem Militäreinsatz (sprich: nach Lust und Laune) einige Palästinenser."
Hat man irgendwo nachlesen können, dass dem Militäreinsatz ein von einem Palästinenser verübtes Attentat vorausging? Ist vielleicht mit einem Wort erwähnt worden, dass Tarek anlässlich des Geiseldeals im November freikam, weil er als Minderjähriger zu den zu Unrecht inhaftierten palästinensischen Kindern gezählt wurde? Natürlich nicht, es passt ja schliesslich nicht ins gängige Narrativ.

Ich bringe diesen Vorfall hier auf um zu zeigen, wie komplex die Situation ist. Ich, wir, alle Israelis, wollen vor allem und an erster Stelle die in Gaza festgehaltenen Geiseln wieder bei ihren Familien wissen. Wenn möglich, ohne dabei irgendjemandem zu schaden. Klar, wenn ich die Mutter einer der Geiseln wäre, wäre ich bereit, Hunderttausend Terroristen für mein Kind freizugeben. Die ganze Welt würde ich opfern für mein Kind. Zum Glück bin ich das aber nicht, meine Kinder sind einigermassen sicher zu Hause. Dort möchte ich sie auch weiterhin wissen und ich habe, offen gestanden, grosse Zweifel an irgendeinem Abkommen mit der Hamas und ihrer Verbündeten. Unter anderem, weil ich riesengrosse Angst habe vor "palästinensischen Kindern", die in einem Deal auf freien Fuss kommen sollten.


In meinem letzten Blogbeitrag habe ich über unser Dilemma betreffend einer Flucht aus Israel geschrieben. Am Dienstag Tischa B'Av, dem Tag, an dem die Chancen auf den iranischen Angriff am Grössten zu sein schienen, war der gewünschte Flug spontan da. Wie ein Wink Gottes erschien ein (zugegeben sehr spontaner, für den Abend desselben Tages) Schnäppchenflug nach Basel, zu einem mehr als erschwinglichen Preis. 

Nach einigen Minuten Nachdenkens liess ich das Angebot verfallen. Ich kann nicht behaupten, dass meine Wahl sonnenklar wäre, es gibt immer wieder Momente grosser Zerrissenheit. Aber ich habe gewählt: Ich werde am kommenden Samstag mit meinen Töchtern die Theatervorstellung in Tel-Aviv besuchen, für welche wir schon vor Wochen Karten besorgt haben. Ich werde am Sonntag mit meiner Familie den Geburtstag meines Sohnes feiern. Hier in Israel. Vielleicht riskieren wir dabei unser Leben. Doch könnte ich es ertragen, meine Freunde und Angehörigen in der Ferne in Gefahr zu wissen?

Ganz klar ist mir vor allem, was ich in Europa sicherlich nicht ertragen könnte: die anti-israelische Lügenpresse. Das Obengenannte ist nur ein winziges Beispiel für die unzähligen kleinen "Updates": Scheinbar ausgewogene Nachrichten, die die Meinung der Weltöffentlichkeit formen. Mit dieser Lügenpresse, die Hamaspropaganda ohne zu hinterfragen übernimmt und damit den Terroristen in die Hände spielt, möchte ich nicht leben. Sie ist in Europa der aktuelle Trend (nett ausgedrückt), doch – wenn man die Fakten aus erster Hand kennt – immer aufs Neue schockierend und unerträglich. Auch mit einer Gesellschaft, die von nichts wissen will und einfach inbrünstig hofft, dass der Lärm der grossen Welt die Stille im eigenen lieben Dörfchen nicht stören möge, hätte ich grösste Mühe.

Den Schnäppchenflug vom Dienstag habe ich aus diesen Gründen verschmäht. Bis zum nächsten Mal, wer weiss!





2 Kommentare:

Schreibschaukel hat gesagt…

Ich kann dich verstehen... und verstehe ansonsten so vieles nicht mehr in dieser neuen, absurden Welt. Es ist niederschmetternd.
Hoffentlich hattet ihr einen schönen Abend; für morgen wünsche ich von Herzen Yom Hu'ledet sameach.

Yael Levy hat gesagt…

Liebe Schreibschaukel, für mich, die ich in Israel lebe, ist die Devise, mich möglichst von allem fernzuhalten. Das klappt leider auch nur begrenzt und ich stelle mir vor, dass es noch viel schwieriger ist, wenn man ausserhalb Israels lebt.

Ja, wir hatten einen schönen Abend gestern in Tel-Aviv - zum Glück gibt es Klimaanlagen! Die Israelis geben sich grösste Mühe, trotz allem irgendeine Fröhlichkeit aufrecht zu erhalten (besonders in Tel-Aviv).

Danke für die Wünsche zum Yom Hu'ledet. Dein Hebräisch ist super!