Ich habe vor, um 11:30 das Haus zu verlassen um mich rechtzeitig am Flughafen einzufinden. Leider ist das Timing denkbar schlecht und Itay, mein Soldatensohn, muss genau zur selben Zeit abgeholt werden. Er kommt nach drei Wochen Kampftraining bedauerlicherweise just an diesem Wochenende auf Urlaub, an welchem ich verreise. Meine Hoffnung, dass er wenigstens frühmorgens entlassen würde, wird leider auch enttäuscht. Es reicht gerade für ein paar Sätze und einen Kuss, dann werde ich am Bahnhof ausgeladen. Kaum im Flughafen angekommen, erreicht mich das erste Telefon: Der Kampfsoldat und sein verwöhnter Vater versuchen, die Waschmaschine in Gang zu bringen. In der Warteschlange zur Sicherheitskontrolle erkläre ich ihnen, nach welchen Kriterien man Wäsche sortiert und welche Knöpfe zu drücken sind. Das Wäschesortieren schminken wir uns aber bald ab, es ist zu kompliziert und das weisse T-Shirt wird es überleben, wenn es einmal mit den stinkenden Uniformen zusammen in der Trommel baden muss. Dank der Skizze, die ich zu Hause vorahnend hinterlassen habe, meinen zusätzlichen präzisen Erläuterungen und vereinten Bemühungen schaffen es die beiden, die richtige Temperatur zu wählen und den Hauptknopf zu drücken. Hurra! Wir waschen Wäsche!
Nach vier Stunden angenehmem Flug bin ich schon in der Schweiz. Der Bühnenbildwechsel ist frappant. Ein spektakulärer Sonnenuntergang begleitet unsere Fahrt zu meinem Heimatdorf. Am leicht bewölkten und rotgefärbten Horizont zeichnen sich die Umrisse von spitzen Kirchtürmen ab – was für ein ungewohntes Bild. Bei meinen Eltern ist alles beim Alten: Die Vögel heissen mich zwitschernd willkommen, das tiefblaue Schwimmbadwasser glitzert in der Sonne, die Beeren wachsen mit den Salatköpfen um die Wette und der Rasenmähroboter dreht stoisch seine Runden. Eigentlich der perfekte Ort, um abzuschalten. Aber vor wenigen Wochen hat der Fortschritt auch in dieser internetfreien Insel Einzug gehalten. Mein Neffe hat WLAN installiert und nun verfügen meine Eltern im ganzen Haus über perfekten Internetempfang, so dass die junge Generation weiterhin zu Besuch kommen kann, ohne sich sorgen zu müssen, dass sie für ein paar Stunden von der Welt abgeschnitten sein könnte. Für mich hingegen wird es nun schwieriger, im Urlaub abzuschalten und mich der Illusion hinzugeben, dass alles in bester Ordnung und die Erde eine Scheibe sei. Die Wirklichkeit holt mich ein. In Israel hat gerade ein dreiwöchiges Baby seinen Vater bei einem sinnlosen Attentat auf dem Tempelberg verloren. Die arabischen Terroristen wollten Juden töten, brachten aber zwei israelische Polizisten um, die muslimische Beduinen sind. Das Foto des jungen Vaters der – vor seinem zum-Himmel-schreiend sinnlosen Tod – seinen neugeborenen Sohn mit unendlicher Zärtlichkeit und Liebe in den Armen hält, macht im Netz die Runde und holt mich auch auch in diesem fast idyllischen Zipfel der Schweiz ein.
In meinem Elternhaus eingetroffen, verbindet sich mein Handy aber unerklärlicherweise nicht sofort automatisch mit dem WLAN. Warum wohl? Was mache ich falsch? Meine Schwester und ich untersuchen alle möglichen Einstellungen und Knöpfe. Aber wir gehören halt auch schon zum alten Eisen und haben nicht mehr so ganz den Durchblick.„Jetzt mach doch mal den Flugmodus aus, dann tippe auf den WLAN Knopf“, „Vielleicht das Data-Roaming ein?“, „Schau mal unter mobile Netzwerke“. Es hilft alles nichts, die Verbindung kommt nicht zustande und während wir mindestens eine Viertelstunde die technischen Einstellungen meines neuen Handys zu ergründen versuchen, schauen meine über achtzigjährigen Eltern der Unterhaltung zu, als würden wir chinesisch reden. Dann frage ich sie direkt: „Ihr habt doch jetzt WLAN, oder?“. „Ja“ sagen sie dann, „aber nicht eingeschaltet, wir brauchen es ja nicht!“
Der Blick aus dem Fenster erfolgt aus Israel, wo ich seit 1988 lebe. Geboren und aufgewachsen bin ich in der Schweiz. Aus meinem Fenster blicken auch Eyal, mein israelischer Mann und meine erwachsenen, sehr israelischen Kinder, Sivan, Itay und Lianne. Die Personen sind echt, unsere Namen aber frei erfunden.
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1 Kommentar:
Herrlich, deine Eltern, Das gefaellt mir. Bei uns ist (noch) alles immer eingeschaltet.
Es ist nicht leicht, wegzufahren, wenn man einen Sohn beim Militaer hat. Ich musste mal zu meiner Mutter nach Deutschland, als meine Kinder nohc klein waren. Als ich zurueck kam, da war alle Waesche Rosa geworden. Vom weissen Hemd fuer Shabbat bis zu den Leintuechern.
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