Heute morgen überrascht mich, noch während ich den Wagen parke, ein kräftiger Wolkenbruch: der erste Regen! Es giesst in Strömen! Obwohl das Bürogebäude nur wenige Meter entfernt ist, bin ich nach einem Sprint in die Lobby klitschnass. Hier treffe ich auf mehrere durchnässte Mitarbeiter, die sich aufgeregt und fröhlich lachend die Tropfen von den Kleidern schütteln.
Man kann sich vorstellen, dass der erste Herbstregen – nach der langen Trockenzeit des Sommers heiss herbeigesehnt – in Israel eine aussergewöhnliche Bedeutung hat. Deswegen verdient er auf Hebräisch sogar einen eigenen Namen: HaYoré. Und bei mir verdient er einen eigenen Blogbeitrag.
Die Schweiz, wo ich aufgewachsen bin, ist meines Erachtens eindeutig mit zu viel Regen gesegnet. Wenn ich heute an die zwei Jahrzehnte zurückdenke, die ich in der Schweiz verbracht habe, erinnere ich mich vor allem an ein einziges endloses Warten auf ein paar sonnige Tage, die – kaum waren sie einmal da – schon wieder vorbei waren. Ich kann mich erinnern, dass ich einmal in Basel unter blauem Himmel in einem Strassencafé sass und mal schnell auf die Toilette musste. Als ich zurückkam, waren die Sitzplätze im Freien leergefegt, es war grau und kalt und es goss wie aus Kübeln. Im Sommer, wohlgemerkt. So schnell schlägt das Wetter in diesen Breitengraden um.
In Israel hingegen wundere ich mich immer wieder, dass man im Radio und Fernsehen in den Sommermonaten überhaupt Sendezeit für die Wetterprognose vergeudet. Diese lautet nämlich von ungefähr Mai bis etwa Oktober immer gleich: sonnig und heiss. Manchmal sehr heiss. Ausserordentlich heiss. Aber abgesehen von Temperaturschwankungen von höchstens zwei bis drei Grad gibt es nichts zu berichten. Das einzige, das sich jeden Tag minimal ändert, ist der schwangere Bauch der Moderatorin. Doch während sie immer dicker wird und dann nach einigen Monaten wieder schlank ist, verläuft die Temperaturkurve monatelang unverändert horizontal ohne nach oben oder unten auszuschlagen.
Natürlich freuen sich die Israelis über die ersten Niederschläge, die jedes Jahr mit ziemlicher Sicherheit zum Laubhüttenfest eintreffen: Endlich ist der lange stickigheisse Sommer vorbei, die Temperaturen werden angenehmer, man kann sich im Freien aufhalten, ohne gleich von der Hitze erschlagen zu werden, wenn man nur vor die Türe tritt. Für die Kinder ist der Regen ein aufregendes Abenteuer. Ich kann mich erinnern, als vor einigen Jahren (Jahrzehnten?) meine Drei unbedingt den ersten Wolkenguss draussen erleben wollten. Was für eine Enttäuschung, dass der Spuk schon wieder vorbei war, bis wir für alle drei die Stiefel und Schirme vom letzten Winter hervorgesucht hatten!
Keine Frage, Regen ist ein Segen, aber in Israel bedeutet das auch:
- Die Israelis ziehen die dicken Jacken und die geschlossenen Schuhe aus den Schränken. Dabei lassen sich die Frierenden im Grossen und Ganzen in drei Gruppen unterteilen. Diejenigen, die sich nicht um die Mode kümmern, tragen auch mit 55 noch den olivgrünen dickgefütterten Anorak, den sie im Militärdienst mit 20 Jahren ergattert haben. Die zweite Gruppe fühlt sich mit der Daunenjacke, die sie für das Wochenende in Prag im November 1986 gekauft hat, immer noch sehr modebewusst, trotz Mottenmief. Die meist jüngeren Fashonistas hingegen tragen modische Jacken in allen Farben und Versionen, die aber meistens weder in der Dicke noch in Stil oder Stoff zum Wetter passen.
- Und dann die Schuhe...!
- Die jüngeren Kinder werden frühmorgens warm verpackt in zwei bis drei gefütterten Kleiderschichten und Stiefeln in die Schule geschickt und kommen mittags in kurzärmeligen T-Shirts nach Hause, weil das Thermometer wieder über 25 Grad geklettert ist. Dass die restlichen Kleiderschichten in den langen Schulfluren auf unergründliche Art und Weise verschwinden und auf immer verschollen bleiben, muss wohl kaum erwähnt werden.
- Trotz der warmen Kleidung werden die Kinder beim Erscheinen von mehr als drei grauen Wolken am Himmel von den Eltern in die Schule gefahren, auch wenn diese nur zwei Strassen weiter liegt. Die lieben Kleinen könnten ja nass werden.
- Auf den Strassen herrscht das Chaos. Die Fahrt ins Büro dauert plötzlich 45 anstatt 15 Minuten, weil alle im Schneckentempo dahinschleichen. Die nassen Strassen könnten ja schleuderglatt sein. Ich mag gar nicht daran denken, wie sich israelische Fahrer auf Glatteis verhalten würden.
- In mehreren Städten sorgen hüfttiefe Seen an den Hauptverkehrskreuzungen (an den immer gleichen Stellen!) für den totalen Verkehrszusammenbruch.
- Einige Autofahrer fahren tagsüber mit angeschalteten Nebelscheinwerfern, schliesslich ist jetzt offiziell Winter!
P.S. Der erste Regen ist vorbei, die Strassen trocken, der Himmel blau, das Thermometer zeigte auch heute über Mittag 28 Grad. Die Wettermoderatorin ist schon wieder schwanger. Alles beim Alten.
2 Kommentare:
Was für eine schöne Beschreibung des etwas anderen Herbstbeginns!
Danke, Schreibschaukel!
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