Mittwoch, 3. April 2024

Fliegen mit dem Papst

Trotz überfülltem Flugzeug habe ich den Heimflug gut überstanden. Nun bin ich wieder in dem Land, das ich so sehr liebe und weiterhin lieben möchte, obwohl mir diese Liebe im Moment nicht leicht fällt. Das Land ist gebeutelt und geschunden und hat gerade sehr wenig mit dem starken, lebensfreudigen und bewundernswerten Israel gemeinsam, das es bis vor einigen Jahren noch war.

Beim Boarding des El Al Flugs nach Tel-Aviv erspähte ich in der Business-Class Rabbiner Meir Israel Lau, über den ich hier geschrieben habe. Rabbiner Lau ist vielleicht eine etwas seltsame Kultfigur für einen säkularen Menschen wie mich, doch seit ich seine Lebensgeschichte gelesen habe, finde ich ihn bewundernswert. Lustigerweise erkannte ich Rabbiner Meir Israel Lau, aber um sicherzugehen, dass es sich wirklich um ihn handelt, hätte ich beinahe seinen Begleiter angesprochen. Zum Glück unterliess ich die Nachfrage, denn wie ich später in Erfahrung bringen konnte, handelte es sich bei dem jüngeren der Reisenden um den Sohn Rabbiner David Lau – der amtierende Oberrabbiner Israels! (Das hingegen kann nur einer säkularen Person wie mir geschehen und ich schäme mich für das Unwissen.)

Was für eine Begleitung! Noch nie hatte ich mich auf einem Flug so sicher gefühlt! Für Christen wäre das wohl so etwa, als ob der Papst mitfliegen würde. Wie aufregend!  Leider hatte ich nicht den Mut, die Beiden anzusprechen. Und die Idee, meinem Idol durch die Flugbegleiterin ein Zettelchen zukommen zu lassen, wie ein aufgeregter Teenager seinem Angebeteten, schien mir auch unangebracht. Schade, so habe ich wieder einmal eine bereichernde Gelegenheit aufgrund fehlender Chuzpe verpasst.

In der Woche meiner Abwesenheit hat sich das Wetter in Israel vom Winter verabschiedet. Heute zeigt das Aussenthermometer 28 Grad. Ich weiss, dass mir die Hitze in den kommenden Monaten auf die Nerven gehen wird. Aber gerade heute noch geniesse ich die Helligkeit, das Licht und die Sonne. Alle Fenster stehen offen, ein leichter Wind spielt mit den Vorhängen und seit sechs Uhr morgens ist es taghell. Nach der grauen, regnerischen Woche in der Schweiz ist das Genuss pur.

Nun gilt es, sich wieder mit den Katastrophen vor Ort auseinander zu setzen. Das fällt mir in Israel erheblich leichter, als aus der Distanz. Dort sind die Katastrophen eh mit dabei (in meinem Kopf) und ich fühle mich damit alleingelassen. Ausserdem bin ich nach einer Woche in der Schweiz, wo ich leider den Nachrichten auf SRF und anderen Kanälen nicht immer entkommen konnte, auch schon fast überzeugt, dass die Israelis ein extrem kriegsfreudiges und rücksichtsloses, wenn nicht sogar blutrünstiges Volk sind. So viele Falschinformationen und subtiles Weglassen von wichtigen Hintergrundinformationen, das steht der Propagandamaschinerie des dritten Reiches wirklich in nichts mehr nach. Da sind mir die Katastrophen vor Ort, aber wenigstens aus erster Hand, schon fast lieber.

Am Tag vor meinem Rückflug demonstrierten wieder Zigtausende Israelis gegen die Regierung unter Blockierung wichtiger Verkehrsadern und Gebrauch rechtswidriger Gewalt. Einige der Demonstranten wurden festgenommen – nur um am nächsten Tag wieder freigelassen zu werden. Es sind mehr oder weniger dieselben Menschen, die schon Monate vor dem 7. Oktober jede Woche demonstrierten, doch jetzt kappen sie das Geiselthema für sich. Sie skandieren "sofortige Freilassung der Geiseln". Ich verstehe das nicht – glauben sie wirklich, dass irgendjemand in der jetzigen Regierung nicht dasselbe wünscht? Und wie genau stellen sie sich die Lösung des Problems vor?

Das ist perfide Ausbeutung und Übernahme der Geiselthematik, mit der die Angehörigen der Geiseln gar nicht unbedingt zu tun haben wollen, ja, die sogar den Schmerz der Familien der Geiseln ausnutzt. Dazu unter anderem dieser Artikel in der Jerusalem Post, in welchem Yarden Pivko, die Tochter einer der in Gaza festgehaltenen Geiseln, ihrer Meinung Ausdruck gibt.

Wie viele Israelis halte auch ich die Demonstrationen für rücksichtsloses und verantwortungsloses Verhalten. Doch die israelische Bevölkerung ist zutiefst zerrissen. Beide Lager glauben, dass das andere Lager Schuld an den Geschehnissen des 7. Oktobers hat. Doch während man nach dem 7. Oktober noch zutiefst beschämt schwieg, werden nun die Stimmen wieder lauter. Unterschiedliche Meinungen und entgegengesetzte Lager gab es in Israel schon immer. Doch der Graben zwischen den Lagern wird immer unüberbrückbarer. Das israelische Volk zerbröckelt von innen. Das ist nicht eine neue Entwicklung, doch jetzt, während eines existenziellen Krieges, ist sie gefährlicher denn je.

Wie man das wendet und dreht, die Geiselfrage ist ausweglos. Keine Regierung dieser Welt könnte sie zu Zufriedenheit lösen. Einen sehr aufschlussreichen Artikel darüber hat Dr. Ben Segenreich geschrieben. Nur die Hamas hätte es in der Hand, die Sache zu Ende zu bringen.

Ein Teil der 1,650 am 7. Oktober-Massaker abgefakelten und zerstörten israelischen Autos. Jedes einzelne erzählt eine tragische Geschichte. (Foto von Yossi Masa)




2 Kommentare:

Schreibschaukel hat gesagt…

Ich hoffe, die Mehrheit besinnt sich darauf, wie wichtig Einigkeit jetzt ist - Einigkeit nach aussen, die trotz unterschiedlicher Meinungen im Inneren möglich ist; mit dem nötigen Respekt füreinander.

Yael Levy hat gesagt…

Das wäre wünschenswert, es sieht jedoch leider nicht danach aus.