Sonntag, 7. April 2024

Ein verrücktes Wochenende

Die ganze Nation hält in Erwartung des unmittelbar bevorstehenden Krieges mit dem Iran den Atem an. Die Reservisten des Luftverteidigungssystems werden eingezogen. Wir bekommen von verschiedenen Ämtern und Organisationen Anweisungen, wie wir uns im Ernstfall zu verhalten haben. Im Supermarkt häufen die Kunden ihre Wagen voll und das hat nicht nur mit dem bevorstehenden Pessachfest zu tun.

Und wir? Bei uns sind überhaupt alle total aus dem Häuschen: Unsere Tochter Sivan und ihr langjähriger Freund haben sich verlobt! Sie verbringen das Wochenende bei uns und wir laden zum ersten Mal offiziell die Eltern des Zukünftigen ein. Das ganze Wochenende bricht der Strom der ein- und ausgehenden Freunde gar nicht mehr ab. Das Haus füllt sich mit freudigem Lärm und Blumen. Der Küchendienst läuft auf Hochtouren. Die Champagnergläser werden mehrere Male gespült und sofort wieder eingesetzt. Die Themen des Tages sind die ausführlichen Details des Antrages – unsere sonst immer geistesgegenwärtige und zungenfertige Tochter soll so verblüfft gewesen sein, dass sie nicht einmal ein simples Ja über die Lippen brachte. Alle erdenkbaren Hochzeitskonzepte werden besprochen, wer welche Gäste bringen darf und natürlich – das Kleid. Mögliche Daten für das Fest werden in Betracht gezogen: September? Oktober? Vielleicht am besten spontan, gleich morgen oder besser noch heute, schlägt jemand vor. Mehrere Blicke treffen sich. Ohne es auszusprechen, wissen wir alle, was er denkt.

Was wird sein, bis im September oder Oktober? Wen oder was wird der Iran zuerst angreifen? Ist unser Haus, unser Wohnort noch sicher? Wer wird überhaupt noch leben? Wen wird es treffen? Ich weiss, dass alle hier Anwesenden dieselben Gedanken verdrängen. Keiner sagt ein Wort. Wir feiern, als wären es unsere letzten Tage. Wer weiss… 

Einer der Jungen, der im Dienst ist, berichtet aus erster Hand von der evakuierten Stadt Kiryat Shmona im Norden, die man schon seit Monaten nicht mehr besuchen kann. Früher war ich dort öfter, meistens auf Durchreise, aber einige Male auch zum Übernachten. Jetzt sind die Hauptstrassen in die Stadt mit Betonblöcken verbarrikadiert. Die Strassen sind vom Verkehr der Panzer zerstört, sowie auch viele Gebäude von den Geschossen der Hisbollah. Die Einwohner der Stadt leben seit Monaten im ganzen Land verstreut in Behelfswohnungen und Hotels.

Bei einem Blick auf die Nachrichten zwischen den Feierlichkeiten erfahren wir, dass die IDF den Leichnam des israelischen Landwirts Elad Katzir aus Gaza geborgen hat. Er wurde in Geiselhaft ermordet, nachdem die Hamas Anfang Januar noch Videos von ihm lebend verbreitet hatte. Der Vater Avraham Katzir wurde bei den Massakern von der Hamas und weiteren Palästinensergruppen getötet. Elads Mutter Hanna Katzir wurde ebenfalls aus Nir Oz in den Gazastreifen verschleppt und dort als Geisel festgehalten, sie kam im Rahmen des Abkommens Ende November vergangenen Jahres frei. Jetzt muss sie, nach allem, das sie durchgemacht hat, auch noch ihren Sohn zu Grabe bringen.



Heute Morgen sind die Gläser und die leeren Flaschen verräumt. Während wir feierten, sind am Wochenende im Gazastreifen vier zwanzigjährige Israelis gefallen. Nun, ein halber Tag später, erscheint die ausgelassene Fröhlichkeit einiger Stunden surreal. Der bodenlose Schmerz zwingt uns wieder in die Knie. Dazu erwarten wir jeden Tag, jede Stunde den grossen Knall. Was wird passieren? Wird der Iran direkt oder über einen seiner Terrorvermittler angreifen, die Hisbollah im Libanon, die Houthis im Jemen oder Milizen in Syrien? Die Spannung ist unerträglich. Und die Angst vor dem, was die nächsten Tage und Wochen bringen werden, schnürt uns erneut die Kehle zu.

Heute markieren wir ein halbes Jahr seit dem Tag, an dem das Leben im Nahen Osten für alle eine schlimme Wendung genommen hat. Auf instagram stolpere ich über einen Beitrag der IDF, die zum ersten mal einige der schockierenden Aufnahmen des 7. Oktobers veröffentlicht. Ich kann es mir nicht ansehen, es ist nicht zu ertragen. Während die Welt vor allem Mitleid mit den Palästinensern hat und Israel verurteilt, lese ich diesen längeren Artikel, der aufzeigt, wie die Hamas mit allen modernsten Mitteln absolut klug, berechnend und systematisch seit Jahren auf ein Ziel hinarbeitet: die Vernichtung Israels. Dass da noch die Palästinenser beweint werden, die für die Hamas und alle hinter ihr stehenden Organisationen nur ein weiteres Mittel zum Zweck sind, ist unfassbar, traurig und lächerlich und alles zusammen. 
Wer ist einem so finster entschlossenen und kompromisslosen Feind überhaupt gewachsen? Wer könnte ihn besiegen? Vielleicht – wenn sich alle Menschen und Mächte der Erde zusammenschliessen würden… Aber davon sind wir weit entfernt. Beim Lesen des Artikels stockt mir das Blut in den Adern und ich möchte nur noch eines: die Koffer packen und irgendwohin verschwinden, am besten gleich auf den Mond.


2 Kommentare:

Andreas hat gesagt…

Liebe Bloggerin,

ich melde Dir zurück, dass Dein Text für mich wichtig und gut ist.
Seid dem 07.10. wächst eine intensive Beziehung zu Israel.
Anfang Februar war ich mit zwei Freunden in Shave Tzion, ein wenig helfen.

Solch ein authentischer Text wie Deiner intensiviert diese Beziehung.
Ich habe mit ein paar weiteren Menschen ein kleine Israel Arbeitsgruppe gegründet.

Wir wissen, Israel ist nicht irgendein Land. Gerade ich als Deutscher weiss das.

Gruß aus der Nordheide.

Andreas

Yael Levy hat gesagt…

Lieber Andreas, ich bin dir sehr dankbar, dass du Israel besistehst, obwohl die Medien in diesen Tagen etwas ganz anderes suggerieren. Danke für deinen Einsatz. Jede Stimme und jedes auch noch so kleine Zeichen für Israel ist unendlich viel Wert!