Donnerstag, 18. April 2024

Kein bisschen dazugelernt

Nach der Erleichterung und einigen kurzen, vielleicht sogar euphorischen Momenten, die dem erfolgreich abgewehrten Angriff des Iran folgten, bricht nun wieder alles über mir zusammen. Die Angst, das unterschwellige Trauma, das kontinuierliche Leid, die Hoffnungslosigkeit, alles ist wieder da. Die Last ist schwer und es geht mir nicht gut. Niemandem in Israel geht es gut und vielen geht es viel schlechter als mir.

Die Welt der anderen in Europa und Amerika dreht sich weiter. Krisen und Kriege kommen und gehen, werden diskutiert, analysiert, politisiert und ad acta gelegt. Jetzt gerade diskutiert die Weltöffentlichkeit die möglichen Konsequenzen eines israelischen Gegenschlags, bald wird es etwas anderes sein. Bei uns aber ist immer noch Oktober 2023. Tausende Israelis haben schlimmste Traumata und Verletzungen zu bewältigen. Vor allem aber wollen wir zuerst einmal einfach unsere Leute zurück. Ich verbringe keine Stunde, ohne an die Geiseln und ihre Angehörigen zu denken. Die Kinder, die jungen Frauen, die Männer, die Alten. ALLE! Die Aussichten, sie zurückzubekommen, sind geringer denn je. Man kann sich das Leid der Angehörigen nicht ausmalen, diesen endlosen, zermürbenden, brutalen Wahnsinn.

Die Hamas-Versteher auf den Strassen Europas aber vermehren sich. Sie beschuldigen Israel, nicht aber die von den Wählern Gazas ins Amt gehobene Terrororganisation, in deren Gründungscharta die Vernichtung aller Juden als Grundgesetz verankert ist.

Im Norden Israels können weiterhin Zigtausende Israelis nicht in ihre Wohnungen zurückkehren. Städte und Dörfer stehen leer. Israel wird nicht nur aus dem Iran, sondern auch täglich aus dem Libanon, aus Jemen, Irak und Syrien beschossen. Das wird sich nicht ändern, wenn nicht irgendetwas passiert. Das „irgendetwas“ wird vermutlich nichts Angenehmes sein, also verbleiben wir weiter in lähmender Erwartung der Entwicklungen. Ausser El Al haben wieder alle Fluggesellschaften ihre Flüge storniert. Wir sitzen hier fest ohne Fluchtmöglichkeit, umringt von feindlichen Staaten.



Mitte Woche staucht mich das „Gedicht“ Dieter Hallervordens "Gaza Gaza", über das ich im Netz stolpere, total zusammen (ich verlinke es nicht). Vollkommen selbstverliebt zelebriert Hallervorden drei Minuten antisemitische Klischees vor dem Hintergrund von Propaganda-Videos der Hamas. Ich denke nicht, dass Hallervorden je mit einem einzigen Israeli oder Palästinenser gesprochen hat. Er sitzt im bequemen Deutschland und reimt sich seine Wahrheit zusammen. Israel als Apartheidstaat, die Juden als Kindermörder. Er spricht von Völkermord und mit der Aussage „Kein Mensch wird als Terrorist geboren", rechtfertigt er den Terrorismus. Klarer kann er wohl kaum ausdrücken, dass er in der Existenz Israels den Grund für die Probleme im Nahen Osten sieht.

Nun wäre ja eine einzelne verblendete Person halb so schlimm. Aber der Text entspricht dem Zeitgeist – in den Kommentarspalten jubeln ihm Tausende zu! Die wenigen Stimmen, die den Song verurteilen, sind jüdische. Doch die Juden werden allein gelassen mit der Situation.

Die Parallelen zum Judenhass in den Dreissiger Jahren sind so augenfällig, dass mir schlecht davon wird.

Ich schätze, dass Dieter Hallervorden so um die 90 Jahre alt sein muss und frage mich, mit welchen Aktivitäten er wohl seine Kindheit verbracht hat. Bei einer kurzen Suche im Netz erfahre ich, dass er 1935 geboren ist und finde folgendes, aus einem Interview vom Februar 2008:

Bild am Sonntag: Wer waren die Vorbilder Ihrer Jugend?

Dieter Hallervorden: Als 6-Jähriger: Hitler! Verführt von einer perfiden Nazi-Propaganda-Maschine.

Dieter Hallervorden – 89 Jahre und kein bisschen dazugelernt?


1 Kommentar:

Schreibschaukel hat gesagt…

Dank tiktok sind Propaganda-Maschinen heute leider noch effizienter. Das Gedicht ist mir auch begegnet, aber ich habe es dank seiner ...äh ..."feinsinnigen Lyrik" (O-Ton des Co-Writers Dieter Dehm) sofort verdrängt. Ich halte so was einfach nicht aus. Aber ja, es ist unter jeder Kanone. :-(