Montag, 11. Dezember 2023

Lege deine Hand nicht an den Knaben

Die Bücher, für welche ich mir die Mühe gemacht habe, sie in der hebräischen Originalausgabe zu lesen, kann man an einer Hand abzählen. Eines davon ist die Autobiografie des Rabbiners Israel Meir Lau. 

Israel Meir Lau wurde 1937 in Polen geboren und verlor schon als Sechsjähriger seine Eltern in der Shoah. Der kleine „Loulek“ stand auf allen Todeslisten, die das Schicksal bereithalten konnte und die man sich nur erdenken kann. Er sprang dem Tod immer wieder von der Schippe. Nicht umsonst ist der hebräische Titel seiner Autobiografie der Bibelspruch, mit dem Gott Abraham im letzten Moment davon abhielt, seinen Sohn Isaak zu opfern: „Lege deine Hand nicht an den Knaben“. 
Meines Wissens gibt es die Autobiografie nicht in deutscher Übersetzung, wer das Buch auf Englisch lesen möchte, findet es unter dem Titel „Out of the Depths“.

Im Jahr 1945 wurde Israel Meir aus dem Konzentrationslager Buchenwald befreit, nachdem der US-Armee-Rabbiner ihn hinter einem Leichenhaufen versteckt entdeckt hatte. Israel Meir wurde von anderen Überlebenden als achtjährige Waise 1945 nach Palästina gebracht. Er rappelte sich von den Traumata auf und wurde in Israel zu einer führenden Persönlichkeit. Er amtierte viele Jahre als Oberrabiner der Stadt Tel-Aviv und als aschkenasischer Oberrabiner Israels. Israel Meir Lau ist Versinnbildlichung des sprichwörtlichen Phönix aus der Asche, ein Symbol für wundersames Überleben und für einen zutiefst beeindruckenden Neuanfang nach der grössten aller Niederlagen.


Israel Meir Lau bei seiner Ankunft in Haifa im Juli 1945
 

Am vergangenen Donnerstag feierte der dreizehnjährige Ariel Zohar aus dem Kibbutz Nir Oz seine Bar-Mizwa. An der Feier begleiteten ihn Onkel und Tante und sein Grossvater. Ariel ist der einzige Überlebende des 7. Oktober-Massakers seiner Kernfamilie. Die Eltern Jasmin und Yaniv und seine Schwestern Keshet und Tchelet sind alle von den Hamas-Terroristen ermordet worden, während sich Ariel viele Stunden versteckt hielt. Das Haus der Familie wurde zerstört und abgebrannt. Die Geschichte wiederholt sich: Auch Ariel‘s Grossvater war als Vierzehnjähriger schon Waise, seine Eltern wurden von den Nazis ermordet. Vom Grossvater stammen die Gebetsriemen, die der Bar-Mizwa-Junge gemäss Tradition um seine Arme wickelt und die in einer gefährlichen Aktion aus dem verkohlten Haus der Familie im Kibbutz Nir Oz gerettet werden konnten.

Rabbiner Israel Meir Lau war als Ehrengast auf Ariel‘s Bar-Mizwa-Feier.

Israel Meir Lau und Ariel Zohar

 

Ariel, sein Grossvater und Israel Meir Lau sind drei Waisen, drei vom Schicksal Verbundene, drei Glieder einer langen Kette des jüdischen Überlebens. Ich wünsche Ariel von ganzem Herzen, dass er sich aufrappeln wird und dass er, vielleicht von Israel Meir Lau inspiriert, allen Widrigkeiten zum Trotz zu einem aufrechten und standhaften Menschen heranwächst. Für uns alle hoffe ich, dass Ariel Kinder und Enkel haben wird, wie sein Grossvater und wie Israel Meir Lau, dass diese jedoch in einem sicheren Lande Israel nie mehr um ihr Leben werden fürchten müssen.




2 Kommentare:

Ulrike Herrmann hat gesagt…

Die "Geschichte der Waisen" ist so traurig und gleichzeitig birgt sie eine Hoffnung, die nicht mit dem Verstand zu erfassen ist, die man aber mit der Seele begreift - Leben bricht sich Bahn gegen alle Widerstände. Das wünsche ich sehr, dass das Leben gelingt und gut ist.

Yael Levy hat gesagt…

Danke, liebe Ulrike. Ja, es gibt eine traurige Hoffnung, dass es irgendwie weitergeht und es ist beruhigend zu sehen, dass es positive Beispiele gibt.