Sonntag, 14. April 2024

Doch kein Medien-Spin

Nach zu vielen Tagen der zermürbenden Anspannung relativiert sich meine Angst. Ich trete das Wochenende recht locker und zuversichtlich an. Vielleicht sollte man nicht auf jeden Medien-Spin hereinfallen, denke ich mir schon fast, was die Bedrohung aus dem Iran anbetrifft.



Ich freue mich über den Frühling im Garten, der am Samstagmorgen die Fenster zum Leuchten bringt. Doch am Abend spitzt sich die Lage zu. Der Sprecher der IDF und das Heimatfrontkommando ändern ab sofort die Richtlinien aufgrund der hohen Alarmbereitschaft für einen iranischen Angriff. Israel schließt für den Wochenanfang die Schulen, sagt ausserschulische Bildungsaktivitäten ab und verbietet grössere öffentliche Veranstaltungen.

Sofort ist meine Anspannung wieder auf dem Höchstpegel, aber noch viel mehr die Verwirrung. Was bedeuten die Anweisungen? Was weiss unsere Regierung? Was erwartet uns?

Wir frischen die Wasservorräte im Schutzraum auf und laden alle vorhandenen Ladegeräte für den Fall eines Stromausfalls. Was noch? Wie kann man sich auf das Unvorhersehbare vorbereiten?

Kurz bevor ich schlafen gehe, erfahren wir, dass der Iran Dutzende unbemannte Fluggeräte auf Israel abgefeuert hat. Die Eilmeldung kursiert in Sekundenschnelle durch alle WhatsApp-Gruppen und sozialen Medien. Eyals Brüder rufen an. Sie besprechen einen Katastrophenplan für die alleinlebende Schwiegermutter. Dann telefonieren wir mit Itay und Sivan in Tel-Aviv und bitten sie ausdrücklich, sofort zu uns fahren, um bei uns zu übernachten. Natürlich weigern sie sich genauso wie die Schwiegermutter. Wie für die meisten jungen Israelis sind solche Situationen leider auch für unsere Kinder nichts aussergewöhnliches. Sie sind nicht so leicht aus der Ruhe zu bringen und behaupten, es würde neun Stunden dauern, bis die Katbamim in Israel eintreffen, bis dann könnten sie zehnmal zu uns fahren.

UAVs (unmanned aerial vehicle) nennt man in der hebräischen Abkürzung KatbamKatbamim im Plural. Wie viele andere hebräische Abkürzungen war mir dieser Ausdruck bis gestern Abend unbekannt. Ich bin total verwirrt und weiss nicht, was ich mit der Meldung anfangen soll, dass Dutzende iranische Flugkörper, unter denen ich mir nichts vorstellen kann, in Richtung Israel unterwegs sind. Schlafen gehen? Mich aus dem Fenster stürzen? Ich weiss es ganz einfach nicht. 

Nach den Telefongesprächen bitte ich Eyal mir zu erklären, was ein Katbam ist – etwas das in Israel offensichtlich jedes Kind weiss. Neun Stunden? Ich rechne kurz nach. Wie investiert man seine vielleicht letzten neun Stunden vor dem Super-GAU? Die Situation ist absolut nicht überschaubar und sehr beängstigend. Ich stelle sicher, dass irgendwelche Kleider griffbereit sind und da ich schon im Bett liege, bleibe ich liegen. Vielleicht wäre es doch eine gute Idee gewesen, in die Schweiz zu flüchten. Aber jetzt ist es zu spät, der Luftraum ist gesperrt. Mit diesen Gedanken schlafe ich ein.

Morgens um drei schrecke ich zum ersten Mal hoch und ein Blick auf das Handy ergibt, dass die Sache mit den neun Stunden offensichtlich nicht so genau recherchiert war. Der Himmel über Jerusalem ist voller Leuchtkörper und sieht aus wie eine Mischung von Feuerwerk und überreagierenden Sternschnuppen. Die iranischen Geschosse sind da. Bei uns aber ist es ruhig und so schlafe ich wieder ein. Ich erwache um sieben Uhr morgens und bin unendlich erleichtert, dass wir nicht in den Schutzraum flüchten mussten und wir einmal mehr gesund und unversehrt erwacht sind.

Ich setzte mich sofort an den Computer, um Nachrichten zu lesen. Wieder einmal bringen mehrere deutsche Zeitungen beim Versuch, die Situation im Nahen Osten zu umschreiben, mein Blut umgehend zum Kochen. Auch jetzt, nach dem Angriff des Irans auf Israel, können sie es nicht unterlassen, den Satz nachzuschieben"...dabei wurden nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums, die sich nicht unabhängig überprüfen lassen, in Gaza bisher fast 33.700 Menschen getötet."
Was soll dieser Satz, der nur auf Unterstellungen, Lügen und Verschwörungen beruht? Was sollen diese Relativierungsversuche, auch in Momenten, in denen Israel existentiell bedroht wird? Man kann es einfach nicht lassen, den Lesern weiszumachen, dass die Juden schuldig sind. Was soll das ganze "Nie Wieder"-Gefasel, wenn die Juden weiterhin so unverforen  zum Schuldenbock gemacht werden? Dieser Satz ist das moderne Äquivalent zur Theorie der Brunnenvergiftung durch die Juden im Mittelalter und zu allen anderen Schuldzuweisungen und Verschwörungstheorien über das jüdische Volk im Laufe der Jahrhunderte!




Im Laufe des Sonntagmorgens klärt sich die Situation auf. Das iranische Mullahregime hat in der Nacht über 300 Selbstmorddrohnen, Marschflugkörper und ballistische Raketen auf Israel abgefeuert. Es ist das erste Mal, dass der Iran Israel direkt von seinem Gebiet aus mit Drohnen und Raketen angreift. Mit Hilfe von internationalen Partnern konnten fast 100 Prozent der Flugkörper neutralisiert werden, bevor sie auch nur den israelischen Luftraum erreichten.

Der Iran hat versagt. Die meisten abgefeuerten Raketen wurden erfolgreich abgefangen und keine einzige Drohne oder Rakete ist in Israel eingedrungen. Aber der Iran hat folgendes erreicht:

Ein arabisches Beduinen-Mädchen wurde von Splittern schwer verletzt.

Die Verbindung zwischen Israel und den westlichen Ländern, die es unterstützen, wurde verstärkt. Jordanien hat einige der Raketen abgefangen und laut einem Bericht des Senders Al Arabiya soll auch Saudi-Arabien Raketen abgefangen haben.

Die Hauptleidenden sind wohl die Menschen im Iran. Sie haben die ganze Nacht über Tankstellen und Supermärkte geplündert und befinden sich nun vermutlich in hysterischer Panik. Die iranische Währung fällt auf einen historischen Tiefstand. Das iranische Regime ist offensichtlich im Begriff, den Nahen Osten und sein eigenes Volk zu zerstören.




Die Kosten für die Abwehrsysteme in dieser Nacht werden übrigens auf etwa 5 Milliarden Shekel, etwas über 1,300 Millionen Dollar, geschätzt.




Und jetzt? Wie wird es weitergehen? Heute sind wir alle etwas gelähmt von den Schrecken der Nacht. Ich spreche mit den Kindern, sie schildern, wie sie die Situation erlebt haben. Ich bin froh, dass Israel dieses Mal seine Bürger schützen konnte, aber es tut mir so leid, dass meine Kinder – überhaupt die junge Generation – mit dieser schrecklichen Realität aufwachsen müssen.


2 Kommentare:

Schreibschaukel hat gesagt…

Ich hab auch die halbe Nacht vor den Nachrichten gesessen - das war wirklich beängstigend, selbst aus der Ferne...

Yael Levy hat gesagt…

Oh ja, vielleicht die beängstigendsten Stunden meines Lebens. Auf etwas zu warten, von dem man (ich jedenfalls) nicht weiss, was es sein wird. Nur dass es nichts Gutes ist und von sehr schmerzhaft bis tödlich sein kann. Keine guten Aussichten...