Ein ruhiger Wochenendtag zu Hause. Wir haben keine Lust, irgendwohin zu gehen. Der Krieg ist auf Pause, doch die Ruhe ist trügerisch. Das ungute Gefühl, dass es nach der Pause noch viel schlimmer weitergehen wird, lässt uns nicht los. Wir wissen, dass die Hamas-Terroristen in Gaza während der Feuer- und Überwachungspause fleissig am Wiederaufbau ihrer Infrastruktur arbeiten. Um mich abzulenken, räume ich auf und arbeite im Garten. Auch die Fenster sollten dringend geputzt werden, aber macht das im Krieg noch Sinn?
In der arabischen Stadt Tulkarem lynchen Hamas-Anhänger zwei Männer, die sie der „Kollaboration mit Israel“ verdächtigen. Sie hängen die Männer kopfüber an einen Strommast und misshandeln sie zu Tode, dann werfen sie sie zerstückelt in einen Abfallcontainer. Ein blutrünstiger Mob begleitet die Szene mit Allahu Akbar Rufen. Tulkarem ist dreizehn Kilometer Luftlinie von meinem Wohnort entfernt. Man fühlt sich wirklich nicht gerade wohl in dieser Nachbarschaft. Tulkarem gehört zum Westjordanland, dem Gebiet, von dem einige unverbesserliche Friedensanhänger immer noch glauben, dass es zugunsten einer Zweistaatenlösung ein eigener Staat werden sollte. Aber natürlich kann dieser Staat erst zustande kommen, wenn die Region von Juden (den sogenannten „Siedlern“) und von Israelkollaborateuren gesäubert sein wird. Das ist alles so absurd.
Die Geiselfreilassungs-Seifenoper, die man uns täglich für 16 Uhr versprochen hat, wird leider verzögert und wir müssen heute Abend ohne sie schlafen gehen.
Sonntag, 26.11.
Sofort nach dem Aufwachen suche ich nach Nachrichten auf dem Handy. Tatsächlich sind in der Nacht dreizehn weitere israelische und fünf nicht-israelische Verschleppte freigelassen worden. Die Hamas spielen jetzt die humanen Gönner, aber was genau soll human daran sein, Babys, Kinder, Männer und Frauen, alte und kranke Menschen unter unmenschlichen Bedingungen im Untergrund und ohne Verbindung zur Außenwelt monatelang festzuhalten – und sie dann tröpfchenweise freizulassen?
Die Geschichten jeder einzelnen der Geiseln sind unfassbar tragisch. Der Vater der neunjährigen Emily gab zwei Wochen nach dem 7. Oktober-Massaker schluchzend und vollkommen zerrüttet anlässlich eines Presseinterviews seiner Erleichterung darüber Ausdruck, dass Emily tot sei und ihr deshalb die Qualen der Geiselhaft erspart blieben. Später musste er erfahren, dass die Totgeglaubte doch unter den Geiseln war. Niemand kann sich die Höllenqualen vorstellen, die er durchgegangen ist und immer noch durchgeht. Letzte Nacht konnte er Emily nach der Freilassung wieder lebendig in die Arme nehmen. Ob die leidgeprüfte Familie von Emily vor sieben Jahren, als die Mutter an Krebs gestorben ist, wohl geglaubt hatte, das sei das Schlimmste, das sie je erleben würde? Emily’s Adoptivmutter Narkis wurde am 7. Oktober ermordet. Emily hat zweimal eine Mutter verloren.
Von den Geschwistern Maya und Itay, die vor 50 Tagen brutal von dem Musikfestival entführt wurden, ist nun die verletzte 21-jährige Maya wieder in Freiheit – ohne ihren zwei Jahre jüngeren Bruder Itay. Die Kinder Noam und Alma Or sind ohne Eltern zurück in Israel, ihre Mutter wurde von den Hamasniks am 7. Oktober ermordet, der Vater bleibt weiterhin in Geiselhaft. Die Kinder Yahel und Nave werden mit ihrer Mutter, aber ohne den Vater freigelassen. Auch die dreizehnjährige Hila muss ihre Mutter zurücklassen. Niemand garantiert ihnen, dass sie ihre Angehörigen je wiedersehen werden. Wem drängt sich da nicht das Bild der Selektionen auf den Bahnrampen in den Vernichtungslagern der Nazis auf? Du nach rechts! Du nach links!
Siebzehn weitere Freigelassene gibt es heute gegen Abend. Die Erleichterung darüber ist leider keine richtige. Siebzehn weitere, unfassbar tragische Geschichten.
Montag, 27.11.
In meinem Fitnesszentrum hängen seit ein paar Wochen die Bilder von Matan und Adir, zwei 23-jährigen jungen Männern, die hier trainiert haben, bis sie am 7. Oktober ermordet worden sind. Ich mache noch ein paar Liegestützen mehr, für sie.
Wie Fensterputzen ist auch Mülltrennen zu einer Frage geworden, deren Notwendigkeit und Sinn man unter den jetzigen Umständen bezweifeln könnte. Offensichtlich haben andere die Frage schon für mich beantwortet, der Abfall in den Containern quillt nämlich über, es scheint, dass seit dem 7. Oktober nichts mehr abgeholt wird. Das war’s dann wohl für uns, mit dem Umweltbewusstsein.
Zum dritten Mal ist ein Leserkommentar von mir zu Artikeln in deutschen Zeitungen einfach nicht veröffentlicht worden.
Die Meinungsmacherei überrascht mich nicht, doch über die unverfrorenen Ausmasse bin ich schockiert. Meine Ansichten sind nicht fanatisch, aber offensichtlich lässt man lieber Menschen diskutieren, die Hamas und die Israelis in einer „Spirale der Gewalt“ gleichsetzen. Menschen, deren Kenntnis der Situation meist auf gängige Schlagzeilen fundiert. Während ich, Gott bewahre, realitätsbezogene Ansichten haben könnte. Nun gut, dann ziehe ich mich eben aus der öffentlichen Diskussion zurück. Einmal mehr habe ich mir die Finger verbrannt.
Mittwoch, 29.11.
Am Dienstag war ich mit Freundinnen einen Tag wandern. Es tat gut, Städte, Hügel und Wälder aus der Ferne und von oben zu betrachten. Während ich die Silhouette von Tel-Aviv am Horizont bestaune, wünsche ich mir so sehr, ich könnte Abstand halten, von allem, das abläuft. Das scheint von hier, auf diesem friedlichen Hügel und unter dem wunderschönen Olivenbaum, mit Blick auf die Küste Israels von Ashdod bis Herzliya, absolut umsetzbar.
Aber Wünsche sind eines, Realität etwas anderes. Wie soll ich Abstand halten, wenn Bekannte in Gaza stationiert und dem Inferno ausgesetzt sind? Wenn die Nachbarn über ihre ermordete Tochter trauern? Wenn Bekannte meiner Kinder als Geiseln in Gaza festgehalten werden? Jedes Mal, wenn ich mein Handy zur Hand nehme, springen mich die Gesichter und Geschichten der Betroffenen an. Wir sind leider alle mittendrin.
Donnerstag, 30.11.
Am Mittwochabend ging ich mit der Nachricht schlafen, dass die Feuerpause aufgehoben ist , weil Hamas für die abgesprochenen zehn nur sieben lebende und drei tote Geiseln übergeben will. Am morgen danach hingegen vernehme ich aus den Nachrichten, dass die Feuerpause doch verlängert wird, man hat sich über die Zahlen geeinigt. Was für ein Nerven zermürbender, vermaledeiter Deal! Die Manipulationen der Terrorgruppe sind ein grausames Spiel mit dem Leben der Geiseln und den Angehörigen. Was immer beschlossen wird – es ist zu unserem Nachteil und einfach nicht mehr auszuhalten. So viele Menschen werden immer noch festgehalten. Viele werden wahrscheinlich nie zurückkommen. Einige wurden von Zivilisten aus Gaza entführt und sind gar nicht mehr auffindbar. Andere sind vielleicht ihren Verletzungen erlegen oder wurden ermordet.
Heute Morgen ein Attentat in Jerusalem. Palästinenser erschiessen drei Menschen an einer Bushaltestelle. Aber hey, es sind ja nur drei, das ist im Vergleich zu 1.200 absolut nebensächlich. Da können wir gleich zur Tagesordnung übergehen.
Freitag, 1.12.
Seit heute Morgen früh hageln wieder Raketen auf Israel nieder. Zuerst nur im Süden, dann, im Laufe des Tages, ist das ganze Zentrum um Tel-Aviv unter Beschuss. Wir verschanzen uns zu Hause, in der Hoffnung, oder der Illusion, dass wir hier sicher sind. Noch immer werden fast 140 Israelis in Gaza festgehalten. Was wird jetzt, da die Feuerpause und der Geisel-Deal so offensichtlich zu Ende sind, mit ihnen geschehen?
Samstag, 2.12.
Sieben Todesanzeigen werden dieses Wochenende bekannt gegeben, von Israelis, die am 7. Oktober nach Gaza verschleppt und dann ermordet worden sind, wie man aufgrund von Aussagen der Freigelassenen nun weiss. Sieben Familien, deren Hoffnungen nach 55 Tagen zerbersten und die nicht einmal einen Leichnam haben, den sie begraben können.
Unsere Kinder, die in Tel-Aviv leben, verbringen das Wochenende bei uns. Mit ihnen kommen unvermeidlich all die schrecklichen Storys und Nachrichten, die ich in den sozialen Medien zu vermeiden versuche und auch von ihren Freunden und Bekannte, die in Gaza statioiniert sind. Ich bringe beim Shabbatessen kaum einen Bissen runter. Die Gespräche sind gar nicht ermunternd, aber was soll man tun, sollen wir etwa über das Wetter reden?
Als ich schlafen gehe, vibriert mein Handy: Raketenalarm in Tel-Aviv. Das bedeutet, dass unsere Kinder, jetzt wieder in Tel-Aviv, Schutz suchen müssen. In vielen der älteren Häuser in Tel-Aviv gibt es keine Schutzräume. Den Bewohnern wird empfohlen, sich während dem Alarm in den Hauskorridoren aufzuhalten, die eventuellen Raketeneinschlägen am ehesten standhalten und wo auch die Gefahr von zersplitterten Fensterscheiben am geringsten ist. Etwa zehn Raketen feuert die Hamas auf Israels bevölkerungsdichtestes Gebiet ab. Zum Glück können die Raketen vom israelischen Iron Dome vernichtet werden, bevor sie einschlagen, sonst sähe Tel-Aviv vielleicht ähnlich aus wie Gaza. In Holon gibt es Verletzte von herunterfallenden Trümmern. Auch im Norden feuert die Hisbollah immer stärker auf Israel. Die Detonationen in Tel-Aviv und Umgebung hört man bis hierher. Ich liege noch etwas wach, bis die lauten dumpfen Schläge vorbei sind, die Fenster nicht mehr wackeln und die Kinder in Tel-Aviv auf WhatsApp bestätigen, dass sie wieder in ihren Wohnungen sind, dann schlafe ich ein.
Donnerstag, 30.11.
Am Mittwochabend ging ich mit der Nachricht schlafen, dass die Feuerpause aufgehoben ist , weil Hamas für die abgesprochenen zehn nur sieben lebende und drei tote Geiseln übergeben will. Am morgen danach hingegen vernehme ich aus den Nachrichten, dass die Feuerpause doch verlängert wird, man hat sich über die Zahlen geeinigt. Was für ein Nerven zermürbender, vermaledeiter Deal! Die Manipulationen der Terrorgruppe sind ein grausames Spiel mit dem Leben der Geiseln und den Angehörigen. Was immer beschlossen wird – es ist zu unserem Nachteil und einfach nicht mehr auszuhalten. So viele Menschen werden immer noch festgehalten. Viele werden wahrscheinlich nie zurückkommen. Einige wurden von Zivilisten aus Gaza entführt und sind gar nicht mehr auffindbar. Andere sind vielleicht ihren Verletzungen erlegen oder wurden ermordet.
Heute Morgen ein Attentat in Jerusalem. Palästinenser erschiessen drei Menschen an einer Bushaltestelle. Aber hey, es sind ja nur drei, das ist im Vergleich zu 1.200 absolut nebensächlich. Da können wir gleich zur Tagesordnung übergehen.
Freitag, 1.12.
Seit heute Morgen früh hageln wieder Raketen auf Israel nieder. Zuerst nur im Süden, dann, im Laufe des Tages, ist das ganze Zentrum um Tel-Aviv unter Beschuss. Wir verschanzen uns zu Hause, in der Hoffnung, oder der Illusion, dass wir hier sicher sind. Noch immer werden fast 140 Israelis in Gaza festgehalten. Was wird jetzt, da die Feuerpause und der Geisel-Deal so offensichtlich zu Ende sind, mit ihnen geschehen?
Samstag, 2.12.
Sieben Todesanzeigen werden dieses Wochenende bekannt gegeben, von Israelis, die am 7. Oktober nach Gaza verschleppt und dann ermordet worden sind, wie man aufgrund von Aussagen der Freigelassenen nun weiss. Sieben Familien, deren Hoffnungen nach 55 Tagen zerbersten und die nicht einmal einen Leichnam haben, den sie begraben können.
Unsere Kinder, die in Tel-Aviv leben, verbringen das Wochenende bei uns. Mit ihnen kommen unvermeidlich all die schrecklichen Storys und Nachrichten, die ich in den sozialen Medien zu vermeiden versuche und auch von ihren Freunden und Bekannte, die in Gaza statioiniert sind. Ich bringe beim Shabbatessen kaum einen Bissen runter. Die Gespräche sind gar nicht ermunternd, aber was soll man tun, sollen wir etwa über das Wetter reden?
Als ich schlafen gehe, vibriert mein Handy: Raketenalarm in Tel-Aviv. Das bedeutet, dass unsere Kinder, jetzt wieder in Tel-Aviv, Schutz suchen müssen. In vielen der älteren Häuser in Tel-Aviv gibt es keine Schutzräume. Den Bewohnern wird empfohlen, sich während dem Alarm in den Hauskorridoren aufzuhalten, die eventuellen Raketeneinschlägen am ehesten standhalten und wo auch die Gefahr von zersplitterten Fensterscheiben am geringsten ist. Etwa zehn Raketen feuert die Hamas auf Israels bevölkerungsdichtestes Gebiet ab. Zum Glück können die Raketen vom israelischen Iron Dome vernichtet werden, bevor sie einschlagen, sonst sähe Tel-Aviv vielleicht ähnlich aus wie Gaza. In Holon gibt es Verletzte von herunterfallenden Trümmern. Auch im Norden feuert die Hisbollah immer stärker auf Israel. Die Detonationen in Tel-Aviv und Umgebung hört man bis hierher. Ich liege noch etwas wach, bis die lauten dumpfen Schläge vorbei sind, die Fenster nicht mehr wackeln und die Kinder in Tel-Aviv auf WhatsApp bestätigen, dass sie wieder in ihren Wohnungen sind, dann schlafe ich ein.
1 Kommentar:
Sie sind so traurig, deine Tagebücher - und doch eben ein wichtiges Dokument, zu dem ich gerne wieder einen Link machen werde.
Mir ist es auch schon passiert, dass ein (in meinen Augen sehr sachlicher Kommentar) nicht veröffentlicht wurde; frustrierend und ein Hohn, wenn man liest, was sonst dann so dort stehen darf.
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