Vorgestern fünf, gestern acht, heute Mittag schon wieder zwei. Jeden Tag überschlagen sich die unerträglichen Meldungen über schwerverletzte und gefallene Soldaten. Ich verkrafte die Nachrichten mit den Namen und Bildern dieser eben noch lebensfrohen Männer im Alter meiner Kinder nicht mehr. In den sozialen Medien folgen oft Fotos der Gefallenen mit ihren Freundinnen oder ihren Verlobten, Bilder von Beerdigungen mit gebrochenenen Familien, oder herzzerreissende Abschiedsbriefe – in extremster Widersprüchlichkeit mit Posts über Weihnachtsdekorationen, Rezepten für Christstollen, oder sonstigen Oberflächlichkeiten. Ich scrolle immer schneller, aber es nützt nichts. Die Schreckensmeldungen sind nicht zu übersehen und die Posts über Oberflächliches drängen sich dazwischen und fühlen sich an wie Ohrfeigen.
An die Posts über Gefallene und Vorschläge für Weihnachtsgeschenke schliessen sich klägliche Ausrufe für die Freilassung der Geiseln. Es schnürt mir die Kehle zu, wenn ich daran denke. Werden sie ihre Familien wiedersehen? Oder werden sie, wie die zwei Israelis, die aus Versehen vor Jahren die Grenze zu Gaza übertreten haben, nie mehr zurückkommen? (Während bis zum 7. Oktober täglich Zigtausende Arbeiter aus Gaza nach Israel ein- und natürlich problemlos wieder zurückreisen konnten)
An Israels Grenzen im Süden, im Norden und auch im Osten folgen Angriffe und militärische Aktionen im Minutentakt, so schnell, dass man gar nicht mehr auf dem Laufenden sein kann. Ich will es auch gar nicht mehr wissen. Wenn der Weltkrieg ausgebrochen ist, werde ich es schon erfahren.
Die ganze Katastrophe wird begleitet und untermalt von absurden Medienberichten und Kommentaren, im In- sowie im Ausland. Alle haben eine Meinung. Alle geben ihren Senf dazu. Die Linken sind schuld, die Rechten sind schuld. Israel soll dies, Israel soll das. Alle schlagen sich die Köpfe ein.
Die ganze Katastrophe wird begleitet und untermalt von absurden Medienberichten und Kommentaren, im In- sowie im Ausland. Alle haben eine Meinung. Alle geben ihren Senf dazu. Die Linken sind schuld, die Rechten sind schuld. Israel soll dies, Israel soll das. Alle schlagen sich die Köpfe ein.
Tel-Aviv im Dezember |
Aber die Kinder kommen zu Besuch und holen uns zurück in die Realität. Wir diskutieren über Sinn und Unsinn des Krieges, über die Opfer auf allen Seiten, über Nationalismus, über Sinn und Unsinn der Religionen. Über fragliche Hoffnung, für die Geiseln, für uns, für die Soldaten. Über die Zukunft und darüber, was Jüdischsein bedeutet. Was Jüdischsein für Israel bedeutet und welche Wichtigkeit es für uns hat.
Es gibt so viele Narrative, sogar in der eigenen Familie. Jeder hat andere Ideen und Vorstellungen, aber mir scheint, dass keiner mehr so richtig von irgend etwas überzeugt ist. Unsere Weltordnung ist in ihren Grundfesten erschüttert worden. Wir sind verwirrt und es wird mit jedem Tag schlimmer. Rennen wir nicht mit dem Kopf gegen die Wand? Ich weiss nicht mehr, was wirklich wichtig ist und warum man für Werte, die doch selbstverständlich sein sollten, so viele Menschen opfern muss. Und ausgerechnet ich, die ich als Christin geboren wurde, versuche meinen Kindern zu erklären, warum Jüdischsein mehr bedeuten könnte, als die religionslosen, materialistischen Lebensformen, die in Westeuropa gängig sind. Doch ist das vielleicht auch nur ein Narrativ? Ich habe keine Antworten mehr. Wäre es nicht einfacher, den Bettel hinzuschmeissen?
Ja, vor allem ich. Warum um Himmels willen habe ich meine Familie gerade in dieser vermaledeiten Region gegründet? Diese Frage begleitet mich, seit ich in Israel lebe. Aber jetzt ist es nicht mehr nur ein Gedankenspiel, sondern es geht um Leben und Tod. Was hat dieser Krieg mit mir zu tun? Ich hätte an den Wendepunkten meines Lebens eine oder zwei andere Türen wählen können und schon wäre alles ganz anders gekommen.
Ich könnte heute Abend mit meiner Familie in irgendeinem friedlichen westlichen Land unter einem schön geschmückten Weihnachtsbaum sitzen.
Ich könnte, Weihnachtsgebäck futternd, denken:
Na ja, es gab schon bessere Zeiten.
Dann noch einen Zimtstern:
Ja, es stimmt schon, die Kriege rücken näher.
Noch etwas Sekt:
Aber immerhin sind sie doch noch einige Tausend Kilometer weit entfernt.
Ich versuche mir vorzustellen, ob das wirklich eine Alternative wäre und wie sie sich anfühlen würde. Und vor allem – ob ich damit zufrieden wäre?
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