Ich bin keine grosse Militärstrategin, wie man sich denken kann. Von Kriegsführung verstehe ich rein gar nichts. In meiner Ahnungslosigkeit verbringe ich die Tage und Stunden seit dem 7. Oktober angespannt in Erwartung eines Urknalls, eines gigantischen Donnerschlags. Der Schock über das Geschehene, die Mobilmachung von mehreren Hunderttausend Reservisten, die Notvorrateinkäufe, das Instandstellen des Schutzraums, die Sirenen – das alles erzeugt eine immense Anspannung und die Erwartung einer gewaltigen Entladung.
Die Ereignisse des 7. Oktobers haben mich geschlagen und gebeutelt in eine dunkle Ecke geschleudert. In dieser traurigen Ecke liegen mit mir all die Ermordeten, die Geschändeten, die Entführten, die gebrochenen Hinterlassenen, die verzweifelten Angehörigen. Diese Last ist kaum zu ertragen und in Erwartung des Feindes, der vielleicht noch kommen wird, um uns endgültig abzumetzeln, habe ich noch nicht einmal daran denken können, mich zu erheben. Ich befinde mich an einem toten Punkt. Schon 19 Tage verharre ich gelähmt in Erwartung des grossen Knalls, der jeden Tag eintreffen kann, sich bis jetzt aber immer nur weiter hinauszuzögern scheint.
Denn entgegen meiner Erwartungen auf den alles erschütternden Donnerschlag zeichnet sich eine klitzekleine Normalisierung ab. Wir befinden uns im Krieg, die Soldaten stehen an der Front, Hunderttausende sind evakuiert. Nun soll der Schulunterricht stundenweise wieder aufgenommen werden und unsere Geschäftsleitung tönt an, dass wir demnächst wieder tageweise ins Büro fahren sollen.
Es scheint, dass ich mich aus meiner Ecke werde aufrappeln müssen. Aber woher die Kraft und die Hoffnung dazu nehmen? Bilder, denen ich nicht entkommen konnte, verfolgen mich. Beschreibungen von Gräueltaten verfolgen mich. Nitzan und Lidor, Yoni, Sivan, Shir, Yuval, Omer, Peleg, die nicht mehr wiederkommen werden. Alon, der immer noch eingeschläfert ist und nicht weiss, dass er nie mehr ganz sein wird. An die Geiseln darf ich gar nicht denken. Ohad, ein neunjähriger Junge mit Brille, der gerne Schach spielt und ein Meister im Zauberwürfel ist, hatte diese Woche Geburtstag, in Gefangenschaft der Hamas in Gaza.
Ich weiss wirklich nicht, woher man jetzt die Kraft nehmen soll, aufzustehen, den Staub der Trümmer und das Blut der Toten abzuwischen und mit all diesem Schmerz einigermaßen das Leben in die Hände zu nehmen.
Im Versuch, mich auch zu normalisieren gehe ich laufen. Aber dann ertappe ich mich dabei, in Gedanken den kürzesten Fluchtweg zu suchen, für den Fall, dass über den Zaun am Dorfrand auf mich geschossen wird. Hier ist eine Böschung, da könnte ich hinunterrollen.
Irgend ein grosser Knall wird kommen müssen, ich weiss nicht auf welcher Ebene. Ein alles Vernichtender oder ein alles aufbauender Knall, vielleicht beides. Einfach so weiterzumachen, kann ich mir im Moment nicht vorstellen.
Meine Gefühle sind diffus und verwirrt. Yuval Noah Harari schafft es ein bisschen besser, logische Sätze zu bilden. Man kann sich über Yuval Noah Harari streiten, aber seine differenzierten Gedankenanstösse finde ich bemerkenswert.
2 Kommentare:
Es muss schrecklich sein, auf diesen Knall zu warten, liebe Yael...
Hoffen wir, Y.N. Harari behält Recht und es gibt ein friedliches danach.
Leider konnte mich Harari's sozusagen hoffnungsvolle Schlussfolgerung nicht überzeugen. Das war wohl eher eine Floskel, damit der Bericht nicht ganz so negativ daherkommt.
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