Mittwoch, 31. Mai 2017

Schavuot

Die Schavuot-Feiertage verbringe ich mit Nichtstun. Nicht einmal Wäsche waschen muss ich, denn unser Sohn ist zwar vom Militär auf Urlaub gekommen, hat aber mit einem Kollegen den Rucksack verwechselt. Als er das Missgeschick im Zug nach Hause entdeckte, war es schon zu spät, der Kollege und er fuhren in entgegengesetzte Richtungen und sie würden sich erst nach den Feiertagen wieder sehen. Nun stinkt also die fremde Soldatenwäsche bei uns zuhause im Rucksack vor sich hin und ich sitze auf dem Sofa und lese fast den ganzen Tag Bücher und Blogs und Artikel im Internet. Mein Angebot, die verwechselte Wäsche zu waschen, wird vom eigenen Soldaten strikt abgelehnt.

Abends führe ich ein lustiges Gespräch mit meiner Tochter Lianne, die gerade einige Minuten himmelhochjauchzende Laune hat. Sie ist mit einem guten Sinn für Humor und Ironie gesegnet und irgendwie entwickelt sich das Gespräch so, dass wir darüber fabulieren, wie sie von zu Hause ausreißen wird. Ihre Türmpläne sind bis ins Detail durchdacht, wie sich zu meiner Überraschung herausstellt.

Ich klaue deine Kreditkarte und fahre mit dem Zug zum Flughafen, dort buche ich einen Flug.
Du kannst als Noch-nicht-Sechzehnjährige nicht alleine fliegen, sage ich.
Doch, kann ich. Sie hat das überprüft.
Na gut, dann musst du aber schnell handeln, sonst gibt es eine Suchmeldung und dann lassen sie dich bei der Passkontrolle nicht mehr raus.
Wir gehen das Szenario am Flughafen durch und sie hat einige Fragen zum Ticketkauf, Check-in, Sicherheitskontrolle, usw. Ich schmunzle und erkläre ihr alles.
Und wohin fliegst du? Afrika?
Ich warne sie, dass das für eine alleinreisende Fünfzehnjährige recht gefährlich werden könnte.
Na, dann eben Schweiz, zu den Grosseltern.
Ich atme auf. Sehr gute Idee, finde ich.
Aber dort findet ihr mich ja gleich, und dann schickt ihr die Polizei und holt mich wieder nach Hause.
Nein, ist schon in Ordnung, bei deinen Grosseltern kannst du eine Weile bleiben.
Wir besprechen den Flughafen in Kloten und wie man sich dort zurechtfindet. Passkontrolle, Gepäckrückgabe.
Dann nehme ich ein Taxi zu den Grosseltern.
Nein, bitte kein Taxi in der Schweiz mit meiner Kreditkarte!! Weise ich sie vehement zurecht.
Ich erkläre ihr, welchen Zug sie nehmen muss.
Wir malen uns aus, wie sie bei Nacht und Nebel (natürlich muss es nachts sein) bei ihren Grosseltern klingeln wird.
Aber wie erkläre ich ihnen, dass ich von zu Hause weggelaufen bin? (sie spricht leider kein schweizerdeutsch).
Wenn du willst, schreibe ich’s dir auf und geb‘ dir einen Zettel mit... Wir lachen beide.

Am zweiten Abend der Feiertage stellt sich heraus, dass Itay morgen doch noch nicht wieder einrücken muss, sondern noch weiter Urlaub hat – wir sitzen also mit der fremden Stinkwäsche bis nach dem Wochenende fest. Das geht dann doch zu weit, finde ich, und nach einer kurzen Abklärung per WhatsApp darf ich nun spätabends doch noch fremde Wäsche waschen.
Morgen geht’s wieder ins Büro.

Schüleraustausch

Gerne hätte ich die beiden Jungs auf unserem Sofa fotografiert, lasse es aus Anstandsgründen dann aber sein. Zwei Siebzehnjährige, der eine blond und blauäugig, der andere eine wenig dunkler, jeder sitzt an einem Ende des Sofas, dazwischen klaffende Leere, bestimmt eine halbe Stunde schon, ohne ein Wort zu wechseln. Beide in ihre Smartphones vertieft. Schüleraustausch Deutschland-Israel 2017...

Sonntag, 14. Mai 2017

12 Von 12

Eigentlich wollte ich am Freitag an der Blogparade „12 von 12“ teilnehmen. Hier stellen andere Blogger ihren Tagesablauf vor, jeweils am Zwölften des Monats, mit der Kamera in 12 Bildern dokumentiert. Leider war dann aber mein Freitag nicht besonders foto-präsentabel und so habe ich es nur bis zum fotografierten Morgenkaffee geschafft. Dann bestand der Rest des Wochenendes nur noch aus Kochen (könnte ja noch ganz fotogen sein), Putzen (eher weniger fototauglich) und einem traurigen Krankenhausbesuch (überhaupt nicht fototauglich).

Den Samstagmorgen startete ich im Badezimmer wieder einmal mit einer höchst unangenehmen Begegnung mit einer Kakerlake. Nachdem das widerliche Tier mich beim Zähneputzen überrascht hatte, rannte ich ihm mit dem Kakerlaken-Vernichtungsspray hinterher und sprühte es von allen Seiten ein. Die Kakerlake zeigte sich vom Gift aber nicht besonders beeindruckt, sondern krabbelte einfach weiter, etwa wie meine Tochter, wenn sie einen Joint geraucht hat und besonders heiter, aber sich möglichst nichts anmerken lassend durch unsere Stube stolziert. Die Kakerlaken-Verfolgungsjagd wäre bestimmt fotoreif gewesen, leider hatte ich aber gerade keinen Fotografen in der Nähe.

Erst am Samstagabend waren wir zu einem Lag Ba’Omer Feuer eingeladen, welches bestimmt ein gutes Motiv für einige Schnappschüsse abgegeben hätte, aber da war ja schon nicht mehr der Zwölfte.

Ausser der Fotoreportage brachte ich auch meine Joggingrunde am Freitagmorgen nicht wie geplant zu Ende. Ich hatte mir nämlich ganz fest vorgenommen, die 15 Kilometer jetzt endlich einmal ernsthaft durchzuziehen, ohne immer wieder viel zu lange Fotopausen einzulegen. Das hat aber leider auch diesmal absolut nicht geklappt. Mit dem Fotografieren konnte ich mich zwar recht zurückhalten, da sich der Sonnenaufgang hinter den Wolken abspielte (hier nur eine klitzekleine Kostprobe).


Dann aber entdeckte ich in etwa der Hälfte der Runde das ultimative und noch unentdeckte Maulbeeren-Paradies und so scheiterte der pausenlos durchgezogene Dauerlauf wieder einmal grandios: anstatt zu laufen schlug ich mir am Ufer des Alexanderbachs den Bauch mit süssen Maulbeeren voll und erst dann nahm ich watschelnd und rülpsend die zweite Hälfte der Runde in Angriff. 
Zum Glück war ich wieder einmal zu sehr früher Stunde unterwegs, denn nebst mit maulbeerschwarzen Fingern schaffte ich es auch, mit beerenverschmierten Gesicht durch die Gegend zu laufen, was ich aber erst zu Hause vor dem Spiegel entdeckte. 



Nach ausgiebiger Dusche gab es dann noch mehr Beeren und einen schönen Kaffee zum Frühstück und damit endet meine Fotoreportage.

 


Die Tageszeitung, die ich während dem Frühstück überflog, berichtete wieder einmal über einen weiteren schrecklichen Fall, in welchem ein Kleinkind an Überhitzung starb, weil es von nachlässigen Eltern im Auto vergessen wurde.  Eyal erzählte mir darauf, dass er am Vorabend auf dem Bahnhofparkplatz mindestens eine halbe Stunde seinen Wagen suchte (natürlich vertieft in ein äusserst wichtiges Telefongespräch), bis er sich endlich erinnerte, dass er ja am Morgen mit meinem Wagen zum Bahnhof gefahren war. „Zum Glück sind unsere Kinder schon gross...“ meinte er trocken. Ja, zum Glück.

Dienstag, 9. Mai 2017

Humor und ALS

Aus einem Leben eine Tragödie zu machen, ist keine grosse Kunst. Eine Komödie über ein Leben zu schreiben, ist hingegen schon recht beachtenswert. Aus einem gotterbärmlichen, todgeweihten Leben eine Komödie zu machen und Andere damit zum Lachen und Nachdenken zu bringen, finde ich bewundernswert.

Roee Yavin, Vater von drei Kindern, erkrankte kurz nachdem er 50 wurde an ALS.
Bald komplett gelähmt, ans Bett gefesselt und beatmet, wurde er auf Facebook aktiv, schrieb Lieder und Texte und kurze, lustig-sarkastische Szenen, die vor allem seine Krankheit, seine elende Situation und den Umgang seiner Mitmenschen mit seiner Krankheit zum Thema hatten. Mit Hilfe seines Bruders konnte er die bekanntesten israelischen Komiker einspannen, darunter Tal Friedmann, Shalom Asayag, Miki Kam und weitere. So wurden in seinem Krankenzimmer humoristische Videos produziert, die Roee auf Facebook und Youtube unter die Leute brachte. Vor zwei Tagen, am 7. Mai, ist Roee gestorben.
Ende 2014 schrieb er: „Ich habe das Haus seit dem 18. März nicht mehr verlassen. Am 21.9. stattete ich zum letzten mal unserer Stube einen Besuch ab. Ich habe ALS, aber betrachten wir doch die volle Hälfte des Glases: mein Gehirn und mein rechter kleiner Finger funktionieren einwandfrei.“

Für hebräisch-sprechende Leser hier ein Link zu einem seiner Videos, auf welchem Roee mit gewohnt trockenem Humor erzählt, wie er die ALS-Weltmeisterschaft für Schere-Stein-Papier gewonnen hat:


Für diejenigen, die kein Hebräisch sprechen, möchte ich einige Ausschnitte aus Roee’s selbstverfasster Grabesrede übersetzt wiedergeben:

„...Schon jetzt, mit meinen letzten Kräften, schreibe ich in einem dicken Heft alles auf: wer mich wie oft angerufen hat, wie oft ihr mich besuchen kommt und vor allem, wie oft ihr auf Facebook meine Einträge geliked habt. Eure Besuche sind mir sehr wichtig. Eure Anwesenheit ist für mich anstrengend und ermüdend, aber eure Bemühungen liegen mir am Herzen. Kommt doch einfach, umarmt mich, sagt mir, dass ihr mich mögt und verschwindet wieder....
...Manchmal denkt ihr, dass ihr euer Herz ausschütten könnt, wenn vor euch ein Mensch liegt, der nur noch Haut und Knochen ist und keine Reaktion zeigt. Hallo, ich habe ALS! Eure Sorgen möchte ich haben! Einmal hat mir jemand von einem Bekannten erzählt, der auch gelähmt ist, aber bei ihm ist es Multiple Sklerose. Ha! Das soll eine Krankheit sein?! Beinahe hätte ich gelacht, aber das Atemgerät hat gepfiffen. Tausende haben MS – sie nehmen ihr Copaxone und leben noch Jahrzehnte! Das ist, als ob du im Krieg beim Fussvolk bist anstatt im Spähtrupp!...
... Eine kurze Meldung auf Facebook wird meinen Tod und die Uhrzeit der Beerdigung bekanntgeben. Dafür werde ich 200 Likes erhalten, aber ich werde sie nicht mehr sehen. Fast wie Van Gogh. Einige werden kluge Kommentare dazu schreiben. Sie werden etwa so lauten: Ich habe ihn gerne gelesen. Manchmal. Leider war es nur virtuell. Schliesslich habe ich 5,876 Freunde auf Facebook, wo kämen wir da hin, wenn ich alle besuchen und an Familienfeiern und Beerdigungen teilnehmen würde....
... Meine Beerdigung wird kein alternatives Gedusel mit schönen Liedern und angenehmen Reden sein, sondern eine konventionell religiöse Zeremonie ohne den geringsten Nachlass. Die Beziehung zu Gott wird mir an diesem Tag wichtiger sein, als die Beziehung zu euch. Nach der Zeremonie wird jemand aus meinem dicken Heft vorlesen, wer mich wie oft und wann besucht hat, und wie oft er mich auf Facebook geliked hat.....
... Der Verein, in welchem ich einst gearbeitet habe, wird einen Kranz niederlegen. Der Kranz wird 180 Schekel kosten. Jeder wird 3 Schekel spenden. Die Neuen werden meckern, „das ist doch unverschämt, wir haben ihn ja gar nicht gekannt!“ Aber bestimmt wird es auch einige geben, die 5 Schekel bringen und weil es kein Wechselgeld gibt, werden sie grosszügig sagen, ach, ist schon gut, ich habe ihn gemocht....
... Es wird nicht aufhören zu regnen und die Bestattungszeremonie wird mehr als zwei Stunden dauern. Einige werden versuchen, sich vor dem Ende aus dem Staub zu machen, aber jemand wird mit einem neuen dicken Heft anwesend sein und alles aufschreiben. Die Erde wird schlammig vom Regen sein und es wird lange dauern, meine Leiche zu bedecken. Danach werdet ihr einen Stein auf mein Grab legen und euch dabei die Finger schmutzig machen. Sucht die grössten Steine aus, damit ich auf keinen Fall zurückkommen kann!
Das wär’s dann. Unterdessen ist bei mir alles in Ordnung – und bei euch?...“

Am 25. Mai organisiert Friends4ALS in Ramat Hasharon einen öffentlichen Anlass mit Lauf und Happening. Alle Einnahmen kommen der ALS-Forschung und den Betroffenen zugute. Ich bin dabei!