
Der Blick aus dem Fenster erfolgt aus Israel, wo ich seit 1988 lebe. Geboren und aufgewachsen bin ich in der Schweiz. Aus meinem Fenster blicken auch Eyal, mein israelischer Mann und meine erwachsenen, sehr israelischen Kinder, Sivan, Itay und Lianne. Die Personen sind echt, unsere Namen aber frei erfunden.
Freitag, 22. September 2017
Strandlilien

Sonntag, 17. September 2017
Soldatenwäsche
Wochenende. Ausruhen. Pause machen. Getriebe herunterfahren. Entschleunigen. Ein bisschen aufräumen, ein bisschen kochen. Zu Hause sein. Auf dem Sofa liegen. Lesen. Musik hören. Zeit für Gespräche. Aufatmen. Energie tanken. Die Mädchen sind irgendwo. Itay der Soldat hat keinen Urlaub.
Es ist Freitagnachmittag, Eyal und ich hängen auf den Sofas herum. Ruhe im Haus. Eyal versucht beim Zeitung lesen die Augen offen zu halten, ich lese ein Buch.
„Vielleicht gehen wir ein bisschen ans Meer?“ schlägt Eyal vor.
„Ja, gute Idee“, sage ich „Oder mit den Mädchen ins Kino“.
„Wir könnten Freunde zum Nachtessen einladen. Einige haben wir schon lange nicht mehr getroffen.“ sinniert Eyal.
Ja, wir sollten irgendetwas tun, ständig sitzen wir nur hier herum. Sogar die Yoga-Stunde heute morgen habe ich geschwänzt.
„Komm, fahren wir nach Tel-Aviv, zum alten Hafen“, spintisiert Eyal weiter und wird in seiner Fantasie immer übermütiger, aber nur solange er sich nicht vom Sofa erheben muss.
Lauter gute Ideen. Aber man müsste aufstehen. Etwas Anständiges anziehen. Draussen brütet die Sonne bei 30 Grad. Hier drin, mit Klimaanlage, ist es hingegen sehr angenehm. Ich lese weiter. Nur noch 50 Seiten von den 600, dann habe ich das Buch geschafft. Eyal fallen die Augen zu, er schlummert ein, sein Ideenarsenal hat sich wohl erschöpft.
Das Telefon klingelt. Endlich meldet sich Itay, zu dem wir wie immer die ganze Woche keinen Kontakt gehabt haben. Er hat nur eine Stunde frei, bis 18 Uhr.
Eyal und ich springen wie von Wespen gestochen von den Sofas. Kaum sind fünf Minuten vergangen und schon sitzen wir angezogen, frisch und munter im Wagen, unterwegs zu der Basis. Soldatenwäsche abholen, die wir morgen wieder sauber zurückbringen werden! Auch eine Tätigkeit.
Es ist Freitagnachmittag, Eyal und ich hängen auf den Sofas herum. Ruhe im Haus. Eyal versucht beim Zeitung lesen die Augen offen zu halten, ich lese ein Buch.
„Vielleicht gehen wir ein bisschen ans Meer?“ schlägt Eyal vor.
„Ja, gute Idee“, sage ich „Oder mit den Mädchen ins Kino“.
„Wir könnten Freunde zum Nachtessen einladen. Einige haben wir schon lange nicht mehr getroffen.“ sinniert Eyal.
Ja, wir sollten irgendetwas tun, ständig sitzen wir nur hier herum. Sogar die Yoga-Stunde heute morgen habe ich geschwänzt.
„Komm, fahren wir nach Tel-Aviv, zum alten Hafen“, spintisiert Eyal weiter und wird in seiner Fantasie immer übermütiger, aber nur solange er sich nicht vom Sofa erheben muss.
Lauter gute Ideen. Aber man müsste aufstehen. Etwas Anständiges anziehen. Draussen brütet die Sonne bei 30 Grad. Hier drin, mit Klimaanlage, ist es hingegen sehr angenehm. Ich lese weiter. Nur noch 50 Seiten von den 600, dann habe ich das Buch geschafft. Eyal fallen die Augen zu, er schlummert ein, sein Ideenarsenal hat sich wohl erschöpft.
Das Telefon klingelt. Endlich meldet sich Itay, zu dem wir wie immer die ganze Woche keinen Kontakt gehabt haben. Er hat nur eine Stunde frei, bis 18 Uhr.
Eyal und ich springen wie von Wespen gestochen von den Sofas. Kaum sind fünf Minuten vergangen und schon sitzen wir angezogen, frisch und munter im Wagen, unterwegs zu der Basis. Soldatenwäsche abholen, die wir morgen wieder sauber zurückbringen werden! Auch eine Tätigkeit.
Freitag, 8. September 2017
Beim Friseur
Liebe Leser, ich muss ihnen etwas gestehen: Ich bin gar nicht blond. Auch nicht dunkelblond. Nicht einmal brünett! Mein Haar ist ganz einfach schlohweiss – und gefärbt!
Warum und wann ich mit dem Färben angefangen habe, entzieht sich meiner Erinnerung. Es gehört seit Jahren einfach zu meiner Routine. Einst färbte ich mein Haar blond, als ich noch jünger war, dann in allen Blond- und Brauntönen, die die verschiedenen Färbpaletten zu bieten haben: Sonnenblond, aschblond, dunkelblond, hellbraun, rehbraun, caramelbraun undsoweiter. Über all der Färberei geriet mein natürlicher Haarton in Vergessenheit. Unterdessen ist der Tag, an dem ich mir eingestehen muss, dass mein Haar unter all der Farbe ganz einfach weiss ist, schon lange eingetroffen.
Nun, eigentlich strebe ich nicht nach einer jüngeren Version von mir selbst, aber – wie wird man die Farbe jetzt los? Monatelang mit grau nachwachsendem Ansatz aufzutreten würde mich schon sehr viel Überwindung kosten. Dazu kommt das absolute Unverständnis des Gatten und der Kinder für den „Grossmutter-Look“. Kurzum, ich sitze in der Färbe-Falle.
Aus Kosten- und Zeitgründen habe ich bis heute jeweils im Eigenverfahren gefärbt. Das ist nicht nur billiger sondern auch zeitsparend, denn ich kann, während die Farbe einwirkt, auch noch Wäsche verräumen oder den Boden fegen und nach nur einer halben Stunde ist wieder etwas Hausarbeit erledigt und ich sehe aus wie aus dem Ei gepellt. Leider hält die frische Farbe jeweils nicht lange, nach einer Woche fängt sie schon an zu verbleichen, die schönen Brauntöne werden zu einem undefinierbaren Gelb und spätestens nach zwei drei Wochen gesellt sich auch noch der weiss spriessende Ansatz dazu.
Vor einigen Tagen habe ich mich endlich vom Friseur, der schon seit Jahren den Locken meiner Töchter den Garaus macht und für ihre glatten Haare verantwortlich ist, zu einem Färbversuch in seinem Haarstudio überreden lassen. Der junge Mann ist ein sehr talentierter Verkäufer und als ich neulich wegen Lianne bei ihm vorbeischaute, versprach er mir eindringlich, dass ich mit einer professionellen Koloration unvergleichlich viel besser aussehen würde. Das tönte vielversprechend und schon stand der Termin fest. Nicht genug also, dass der verkaufsbegabte Haarkünstler einen mit dem Geld meiner Töchter finanzierten flotten Sportwagen fährt – jetzt werde ich auch noch für sein Benzin blechen.
So treffe ich also nach der Arbeit mit schweizerischer Pünktlichkeit zum vereinbarten Zeitpunkt bei ihm ein. Nun, wir befinden uns in Israel und so muss ich zuerst fast eine halbe Stunde warten, obwohl wir ja einen Termin vereinbart haben – und bin schon ziemlich genervt, bevor mein „Haar-Makeover“ überhaupt beginnt.
Die Prozedur ist, wie sich bald herausstellt, eine ziemlich unangenehme Tortur: Die chemischen Färbmittel stinken ätzend (viel mehr als diejenigen, die ich zuhause verwende!), sie treiben mir die Tränen in die Augen, die Kopfhaut juckt. Dann muss ich beinahe zwanzig Minuten mit dem Kopf rücklings im Haarspülbecken liegen und brauche danach fast einen halben Tag, bis ich wieder aufrecht stehen kann. Ausserdem mag ich es nicht, die Zügel nicht selbst in der Hand zu haben und befürchte, dass sich mein Haar unter der beissenden Substanz hellorange, auberginenviolett oder silbergrau färbt.
Nun, immerhin sieht der muskulöse Haarfachmann gut aus, so dass ich während der zweistündigen Tortur im Spiegel etwas zu betrachten habe. Und ausserdem – wann genau ist es zuletzt vorgekommen, dass ein junger Mann zwei Stunden um mich herumtänzelt? Ich versuche nicht daran zu denken, dass ich ihn dafür bezahle und geniesse die Aufmerksamkeit und die charmant eingeflochtenen Komplimente. Wobei – für die horrende Summe, die ich dann schlussendlich hinblättern muss, hätte er gerne noch etwas mehr bieten können...
Als mein Haar dann endlich ein letztes mal gespült und trockengeföhnt ist, bin ich angenehm überrascht. Das Resultat lässt sich sehen: Mein Haar glänzt wie das eines jungen Mädchens und das helle Braun sieht so natürlich aus, wie es wohl seit dem Tag meiner Geburt nicht mehr war.
Also, Haarproblem wäre gelöst. Nun bleibt nur noch das Faltenproblem.
Also, Haarproblem wäre gelöst. Nun bleibt nur noch das Faltenproblem.
Dienstag, 5. September 2017
Fundstücke
Über die Vorzüge der digitalen Ausleihplattform Onleihe habe ich in einem früheren Beitrag schon berichtet. Das grossartige an dieser kostenlosen Online-Bibliothek ist, dass ich aufs Geratewohl Stöbern und unbekannte Werke und Autoren „beschnuppern“ kann, an die ich mich mit grosser Wahrscheinlichkeit nie heranwagen würde, wenn ich das Buch kaufen oder auch nur von der Bibliothek nach Hause tragen müsste. So habe ich im Netz schon öfters mir unbekannte Autoren aufspüren können, die mich begeistern. Und wenn sich nach einigen Seiten herausstellt, dass mir die Lektüre doch nicht zusagt, kann ich die Wahl einfach wieder verwerfen.
Ausserdem habe ich bei Onleihe die Hörversion entdeckt. Nun lasse ich mich beim Autofahren über die Lautsprecher der Audioanlage meines Wagens mit professionell vorgetragener Lektüre berieseln. So macht es mir nichts aus, auch einmal etwas länger im Stau zu stehen. Gibt es etwas Schöneres als ein gutes Buch zu hören, ohne von irgendjemandem oder irgendetwas gestört zu werden? Manchmal spiele ich mit dem Gedanken, im Wagen einfach an einer unauffälligen Stelle am Strassenrand einige Stunden stehenzubleiben und ein Buch in Ruhe zu Ende zu hören. Wie lange es wohl dauern würde, bis mich jemand sucht? Diese Idee habe ich zwar noch nie umgesetzt, aber es kommt vor, dass ich nach der Ankunft im Büro oder zuhause jeweils noch einige Minuten auf dem Parkplatz im Wagen sitzen bleibe, bevor ich mich überwinden kann, den Vorleser zum Schweigen zu bringen, in die Realität zurückzukehren und mich den Anforderungen des Alltags zu stellen.
In diesen Tagen höre ich „am Beispiel meines Bruders“ von Uwe Timm. Der Autor spürt in diesem Buch seinem älteren Bruder nach, der als deutscher Soldat im zweiten Weltkrieg in Russland gefallen ist. Er schreibt über den Einfluss, den dieser Bruder auf ihn und in seiner Familie auch Jahre nach seinem Tod hatte, wie er als Vorbild, als Schatten, als Über-Bruder über dem jungen Uwe Timm schwebte, obwohl er ihn selbst ja kaum kannte. Ausserdem setzt er sich mit dem Verhalten der Deutschen und seiner eigenen Familie – dem Vater, dem Bruder – während dem Krieg auseinander. Warum hat man während des Krieges weggeschaut und danach so lange schweigen können, ist die Hauptfrage, die im Hintergrund dieses feinfühlenden Buches steht. Und die meines Erachtens heute wieder äusserst aktuell ist.
Uwe Timms Gedanken sind sehr interessant und vor allem beeindruckt mich seine ruhige, fliessende, einfache und doch sehr eindrückliche Sprache. Dieses Buch ist eine sehr erfreuliche und gelungene Entdeckung und gerne werde ich noch weitere Bücher von diesem Autor lesen.
Und hier noch einen Fund aus dem Internet, den es sich zu erkunden lohnt: das Web-Comic-Bauprojekt das Hochhaus. Die Berliner Zeichnerin und Architektin Katharina Greve baute im Internet ein Hochhaus und füllte es mit humorvollen Kommentaren zu alltäglichen Themen. Die Comics in einfacher Sprache sind witzig und die vielfältig miteinander verbundenen Episoden ergeben am Schluss ein ironisches Gesamtbild der aktuellen Lage. Hier ein Einblick in zwei der insgesamt 102 Stöcke...
Ausserdem habe ich bei Onleihe die Hörversion entdeckt. Nun lasse ich mich beim Autofahren über die Lautsprecher der Audioanlage meines Wagens mit professionell vorgetragener Lektüre berieseln. So macht es mir nichts aus, auch einmal etwas länger im Stau zu stehen. Gibt es etwas Schöneres als ein gutes Buch zu hören, ohne von irgendjemandem oder irgendetwas gestört zu werden? Manchmal spiele ich mit dem Gedanken, im Wagen einfach an einer unauffälligen Stelle am Strassenrand einige Stunden stehenzubleiben und ein Buch in Ruhe zu Ende zu hören. Wie lange es wohl dauern würde, bis mich jemand sucht? Diese Idee habe ich zwar noch nie umgesetzt, aber es kommt vor, dass ich nach der Ankunft im Büro oder zuhause jeweils noch einige Minuten auf dem Parkplatz im Wagen sitzen bleibe, bevor ich mich überwinden kann, den Vorleser zum Schweigen zu bringen, in die Realität zurückzukehren und mich den Anforderungen des Alltags zu stellen.
In diesen Tagen höre ich „am Beispiel meines Bruders“ von Uwe Timm. Der Autor spürt in diesem Buch seinem älteren Bruder nach, der als deutscher Soldat im zweiten Weltkrieg in Russland gefallen ist. Er schreibt über den Einfluss, den dieser Bruder auf ihn und in seiner Familie auch Jahre nach seinem Tod hatte, wie er als Vorbild, als Schatten, als Über-Bruder über dem jungen Uwe Timm schwebte, obwohl er ihn selbst ja kaum kannte. Ausserdem setzt er sich mit dem Verhalten der Deutschen und seiner eigenen Familie – dem Vater, dem Bruder – während dem Krieg auseinander. Warum hat man während des Krieges weggeschaut und danach so lange schweigen können, ist die Hauptfrage, die im Hintergrund dieses feinfühlenden Buches steht. Und die meines Erachtens heute wieder äusserst aktuell ist.
Uwe Timms Gedanken sind sehr interessant und vor allem beeindruckt mich seine ruhige, fliessende, einfache und doch sehr eindrückliche Sprache. Dieses Buch ist eine sehr erfreuliche und gelungene Entdeckung und gerne werde ich noch weitere Bücher von diesem Autor lesen.
Und hier noch einen Fund aus dem Internet, den es sich zu erkunden lohnt: das Web-Comic-Bauprojekt das Hochhaus. Die Berliner Zeichnerin und Architektin Katharina Greve baute im Internet ein Hochhaus und füllte es mit humorvollen Kommentaren zu alltäglichen Themen. Die Comics in einfacher Sprache sind witzig und die vielfältig miteinander verbundenen Episoden ergeben am Schluss ein ironisches Gesamtbild der aktuellen Lage. Hier ein Einblick in zwei der insgesamt 102 Stöcke...
Mittwoch, 30. August 2017
Herbst
Die Sommermonate in Israel sind klimamässig die Hölle. Gerade die letzte Augustwoche war noch so unerträglich heiss und feucht, dass ich am Wochenende keinen Fuss vor die Tür setzte, denn nur schon der Gedanke an die Hitze draussen brachte meine Ohren zum Kochen. Überhaupt drehte ich den ganzen Sommer durch nur jeweils in den frühen Morgenstunden eine schnelle Runde im Garten, um die heruntergefallenen Mangos einzusammeln. Das war dann wieder genug „frische“ Luft, um mich danach den ganzen Tag ausschliesslich in klimatisierten Räumen aufzuhalten. Nun wird es aber endlich etwas erträglicher: Über Mittag ist die Hitze zwar immer noch erdrückend, aber nachts ist es auszuhalten und wir schlafen schon einige Nächte mit weit geöffneten Fenstern anstatt mit surrender Klimaanlage – und schon sprechen die Israelis von „kühl“.
Als ich heute morgen um kurz nach fünf das Haus verlasse, zeigt das Thermometer angenehme 23 Grad. Prompt treffen wir im Naturreservat beim Lauftraining die erste weisse Meerzwiebel (siehe Foto) deren volle Blüte gemäss israelischem Volksmund den Herbst ankündigt. Beim Laufen schwitzen wir dann natürlich trotzdem, aber es ist doch ganz erträglich. Die heissen Sommermonate, in denen sich das Klima in der gesamten Küstenregion mit den Bedingungen in einem heissen türkischen Dampfbad vergleichen lässt, gehen zur Neige. Nun kommt also sicher der Herbst und ich freue mich, dass wir wieder einige Stunden werden draussen verbringen können, ohne von der Hitze erschlagen zu werden.
Als ich heute morgen um kurz nach fünf das Haus verlasse, zeigt das Thermometer angenehme 23 Grad. Prompt treffen wir im Naturreservat beim Lauftraining die erste weisse Meerzwiebel (siehe Foto) deren volle Blüte gemäss israelischem Volksmund den Herbst ankündigt. Beim Laufen schwitzen wir dann natürlich trotzdem, aber es ist doch ganz erträglich. Die heissen Sommermonate, in denen sich das Klima in der gesamten Küstenregion mit den Bedingungen in einem heissen türkischen Dampfbad vergleichen lässt, gehen zur Neige. Nun kommt also sicher der Herbst und ich freue mich, dass wir wieder einige Stunden werden draussen verbringen können, ohne von der Hitze erschlagen zu werden.
Samstag, 19. August 2017
Geburtstag
Seit Itay eingerückt ist, sind schon neun Monate vergangen. Nach sechs Monaten Grundausbildung steckt er nun mitten in einem Kurs, der insgesamt 14 Monate dauert. Im Grossen und Ganzen gefällt es ihm ganz gut, zweifellos gibt es bessere und schlechtere Tage, aber die Ausbildung ist interessant und es ist auszuhalten. Natürlich kann die Schikaniererei, die im Militär wohl einfach dazu gehört, manchmal reichlich auf die Nerven gehen, aber Itay trägt es meistens mit Fassung und macht das Beste aus seiner Pflicht. Schlussendlich hat er ja auch keine andere Wahl.
Wie wunderbar, dass sein zwanzigster Geburtstag auf ein Wochenende fällt, an welchem er Urlaub hat. Als er uns am Abend vor dem grossen Ereignis anruft, bin ich gerade am Geburtstagskuchen backen und Lianne, seine Schwester, bläst Ballone auf und verziert damit unsere Stube. Wir freuen uns auf das Wochenende, schliesslich feiert man ja nicht jeden Tag einen so bedeutenden Geburtstag. Leider hat aber Itay keine erfreuliche Nachricht: Ausgerechnet jetzt, zum ersten Mal, seit er seinen Dienst angetreten hat, wird er wegen einer Dummheit bestraft. Der Kommandant hat Itay mit einer Patrone zuwenig im Halter erwischt. Die Patrone war zwar nicht etwa verloren, sie war nur aus dem Halter gefallen und in den Schaft gerutscht. Aber keine Frage, so ein grobes Vergehen muss natürlich gebührend bestraft werden, Geburtstag hin oder her! Der Wochenendurlaub wird erbarmungslos gestrichen.
Wir alle fallen ob dieser Nachricht aus allen Wolken - wie traurig, einen zwanzigsten Geburtstag alleine in einer Militärbasis zu verbringen! Wie schade um den schönen Kuchen, die Geschenke, die Freunde und Familienmitglieder, die feiern wollen. Itay ist wütend und wir versuchen ihn zu ermuntern, aber die Geburtstagsvorbereitungen werden bis auf Weiteres eingestellt. Mit Itays Erlaubnis schickt Eyal noch eine verzweifelte Nachricht an den Kommandanten: Er gaukelt ihm etwas von einer geplanten Überraschungsparty vor, schmiert ihm etwas Honig ums Maul und bittet um Nachsicht mit dem Soldaten. Viel Hoffnung haben wir nicht, das israelische Militär ist schliesslich kein Kindergarten.
Am Geburtstagsmorgen gratuliere ich uns Beiden in Gedanken und erinnere mich an jenen Tag vor 20 Jahren, als Itay durch einen Kaiserschnitt geboren wurde. Kaum aus meinem Leib gezogen, legte man mir das warme Köpfchen des neugeborenen Wunders an meine Wange. Die Berührung dieser zarten weissen Haut ist auf ewig in meine Wange eingebrannt, ich kann sie heute noch spüren. Während ich mir diese süsseste aller Berührungen in Erinnerung rufe, denke ich an den Soldaten, der heute bestimmt frustriert in der Basis herumtigert.
Gegen Mittag findet der Kommandant eine Lösung, auf die elterliche Bitte einzugehen und etwas Nachsicht walten zu lassen, ohne gleich vor der ganzen Kompanie das Gesicht zu verlieren: Itay darf die Basis am Abend von sechs Uhr bis Mitternacht verlassen! Wir freuen uns alle über die geschenkten Stunden und holen Itay genau um sechs Uhr ab. Die Basis liegt zum Glück nur zehn Autominuten von unserem Wohnort entfernt.
Jetzt zählt jede Minute, schliesslich heisst es, ein ganzes Geburtstagswochenende in weniger als sechs Stunden hineinzupacken. Kaum eingetroffen, duscht Itay kurz, die Wäsche wird eiligst in die Maschine gesteckt, dann fahren wir zu den Grosseltern, wo schon die ganze Familie für die Party versammelt ist. Wir essen, aber kaum haben wir den letzten Bissen hinuntergeschluckt, räumt Itay schon schleunigst den Tisch ab – er hat keine Zeit, schliesslich muss er auch noch mit seinen Kollegen feiern. Geschwind noch ein paar Geburtstagswünsche, auch den Kuchen verschlingen wir im Schnellverfahren, dann geht es eiligst wieder nach Hause. Unterwegs nickt Itay noch für einige Minuten ein, denn immerhin ist er Soldat und auch ein bisschen Erholung muss sein. Zu Hause packt er zügig seine Siebensachen, während ich die Wäsche ausnahmsweise in den Trockner stecke. Dann hupt es draussen schon, die Kollegen holen Itay ab und düsen davon, denn die Uhr tickt und dem Geburtstagskind bleiben nur noch knappe zwei Stunden für den Ausgang. Um halb zwölf und einige Stangen Bier später ist Itay wieder da, stürzt sich flink in die Uniform, schultert das Gewehr und um fünf Minuten vor Mitternacht laden wir ihn am Tor seiner Militärbasis ab. Das war ein Geburtstagswochenende im Schnelldurchgang! Itay tritt durch das Tor und wird nun noch den ganzen Samstag Zeit haben, seine Strafe abzusitzen und sein fehlerhaftes Benehmen zu bereuen.
Im Bett denke ich noch einmal an die watteweiche Wange, die vor zwanzig Jahren zum ersten Mal die meine berührte, dann schlafe ich ein.
Sonntag, 6. August 2017
Misslungenes Training
Wer sich jetzt immer noch nicht vorstellen kann, wie verrückt Irmi ist, dem sei verraten, dass er es ganz normal findet, tote Riesenquallen am Strand als instabile Unterlagen für Gleichgewichtsübungen zu missbrauchen...
Wie dem auch sei, ich hoffe er geniesst es – und seine Familienmitglieder wenigstens ein bisschen.
In unserem heutigen Lauftraining bekommen wir Roy als stellvertretenden Trainer und erst jetzt wird mir bewusst, wieviel uns Irmi wert ist. Wie immer findet unser Training im Naturreservat an der Küste südlich von Netanya statt. Dieses Küstengebiet liegt auf einer Klippe hoch über dem Strand und Läufer, die den sandigen Untergrund nicht fürchten, finden darin unzählige Laufwege zwischen hügeligen Dünen und wildem Gestrüpp, immer mit Aussicht auf das darunter liegende Meer und (zu unserer Tageszeit) die aufgehende Sonne im Osten.
Nun ist aber unsere Gruppe ganz und gar nicht homogen und wir bringen alle sehr verschiedene Stufen von Ausdauer und Schnelligkeit mit. Moran zum Beispiel trainiert fast jeden Tag, denn sie bereitet sich auf den Tiberias-Marathon vor. In unserem Gruppentraining schiesst sie jeweils davon wie eine Rakete und wenn sie einmal loslegt, ist sie kaum aufzuhalten. Nach Moran kommt ein mittelmässiges Trüppchen: Läufer, die ganz gut im Schuss sind, die aber auch ab und zu gerne auf die Nachhut warten. Dann taumeln mit grossem Abstand jeweils noch einige Nachzügler hinterher, die immer ausser Atem sind und die jede denkbare Gelegenheit ergreifen, wieder umzukehren. So richtig in Fahrt kommen diese „Sportler“ erst auf dem Rückweg, denn wenn sie einmal den Stall gerochen haben, kann sie nichts mehr halten.
Irmi kennt nicht nur seine Läufer seit Jahren, sondern auch die Region wie seine Hosentasche und er schafft es, wie ein aufmerksamer Hütehund zwischen der Vorhut und den Nachzüglern flink hin- und her zu spurten und seine Herde zusammenzuhalten.
Roy hingegen ist heute morgen trotz Anweisungen von Irmi ziemlich verwirrt. So kommt es, dass Moran schon nach zehn Minuten davongerast und zwischen den Dünen auf Nimmerwiedersehen verschwunden ist. Ich schliesse mich den mittelmässigen Läufern an und wir versuchen, zusammenzuhalten, denn Roy ist bald auch ausser Sicht. Als wir auf einer kleinen Anhöhe das ganze Küstengebiet überblicken, erspähen wir ihn weit in der Ferne, wo er einem kleinen neonfarbigen Punkt am Horizont hinterherhechelt – Moran!
Als der ganze unordentliche Haufen sich nach etwa einer Stunde wieder am Ausgangspunkt einfindet, warten dort schon Ayelet und ihre Tochter, die sich immer noch schwer atmend von ihrem abgekürzten Training von nur 20 Minuten erholen. Schlussendlich trudelt dann auch mit letzten Kräften Roy wieder ein, schweissnass und schwer atmend. Er hat es knapp geschafft, Moran einzuholen, aber nur um dann doch alleine zurückzukehren, weil sie gemäss Trainingsplan für den Marathon noch weiterlaufen wollte.
Kurzum, die ganze Truppe – und vermutlich auch Roy – wartet sehnsüchtig auf Irmis Rückkehr.
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