Montag, 19. Februar 2024

Planet Schweiz




Trotz eingeschränkter Flugmöglichkeiten, entspreched hohen Preisen und der Sorge, wegen einer eventuellen Eskalation des Krieges nicht zurückkehren zu können, fliege ich für einige Tage in die Schweiz. Der Kulturschock, den der Austausch der gewohnten Umgebung jeweils mit sich bringt, war in der Vergangenheit mit etwas Humor leicht zu bewältigen. Jetzt, unter den gegebenen Umständen, fühlt sich die Reise von der Kriegszone Israel in die friedliche Schweiz an, als würde ich auf einen anderen Planeten katapultiert.  Alles ist so komplett anders hier, vor allem die – vielleicht nur scheinbare – Sorglosigkeit. Doch der tiefe Schmerz in mir und die Hoffnungslosigkeit – sie reisen mit. Zum Glück wurde meine Tochter Sivan Ende Januar aus ihrem mehrmonatigen Militär-Reservedienst entlassen und kann mich begleiten, so habe ich eine Schicksalsgenossin, mit der ich mein Empfinden teilen kann. Es dauert mehrere Tage, bis ich auf dem fremden Planeten einigermaßen ankomme. Nachts schrecke ich vom Lärm der Kampfflugzeuge hoch. Dann erinnere ich mich, dass es hier nur das Tram ist, drehe mich auf die andere Seite und versuche, wieder einzuschlafen.

Die Gedenkfeier für einen lieben ehemaligen Klassenkollegen kommt einer weiteren Reise auf einen anderen Planeten gleich, den Planeten "Gymnasium vor 40 Jahren". Fast alle ehemaligen Mitschüler sind gekommen und der Anlass war traurig, seltsam und kurios zugleich. Alle sehen noch aus wie damals, nur mit etwas Falten und grauen oder gar keinen Haaren.

Ich hatte große Bedenken vor dem Treffen. Nicht nur weil Balz so schmerzhaft fehlte in unserer Mitte. Seit dem 7. Oktober gehe ich Menschen aus dem Weg, die mir nicht sehr nahe stehen. Ich kann mich nicht mehr über Oberflächliches unterhalten. Das sind schlechte Voraussetzungen für eine Zusammenkunft mit einst sehr vertrauten "Kollegen", die mir nach vierzig Jahren Distanz völlig fremd geworden sind. Außerdem befürchtete ich gängige pro-palästinensische Äusserungen – die für mich und meine Liebsten einem Todeswunsch gleichkommen. Für den Fall, dass sich jemand erdreisten würde, die "Unverhältnismäßigkeit der israelischen Reaktion in Gaza"  zu kritisieren, hatte ich mich vorsorglich mit einigen farbigen Flugblättern eingedeckt. Diese zeigen die vier neunzehnjährigen Mädchen Agam, Daniela, Liri und Karina, die verletzt, geschändet und misshandelt, mit mehr als 100 anderen Israelis immer noch als Geiseln in Gaza festgehalten werden. Das Flugblatt hätte ich anstelle einer bestimmt zum Scheitern verurteilten Debatte gezückt. Ich finde, das schlägt jedes auch nur erdenkbare Argument.

Aber am meisten bangte mir, dass gar niemand etwas über unsere Situation in Israel sagen oder fragen würde.
Ich war positiv überrascht. Einige sprachen das Thema Israel an. Das waren vor allem diejenigen, die ein einigermaßen akzeptables Verständnis der Situation zu haben scheinen.
Erfreulicherweise fragten mich fast Alle mit aufrichtigem Interesse, wie es mir geht, obwohl man ja mit dieser Frage recht unangenehme Antworten oder Reaktionen riskieren kann. 

Die Flugblätter blieben bis jetzt auf jeden Fall in der Tasche. Vielleicht werde ich sie am letzten Tag noch an irgendwelche zufälligen Passanten verteilen.
Offensichtlich sollte ich mir im Allgemeinen weniger Gedanken machen, aber das war im fernen Israel schwer abzuschätzen, wenn man mitten in der Katastrophe steckt und nur noch ein Thema das Leben beherrscht.

Von Montag bis Mittwoch besuchen wir einen weiteren fremden und sehr exotischen Planeten, auf dieser Reise, die gefühlt schon fast ein halbes Sonnensystem umspannt: Die Basler Fasnacht.

Vom Planeten Fasnacht aus ist die Sicht auf das Geschehen in Israel noch einmal eine andere. Die Vorfälle im Nahen Osten vermischen sich und werden schwer nachvollziehbar. Da und dort werden bei Attentaten Menschen ermordet, weil sie jüdisch sind. Das könnte man mit etwas geografischer Distanz leicht übersehen oder ignorieren, aber wenn man es weiß, ist es aus der Ferne fast noch unfassbarer.
 
Wir hingegen ziehen am Morgestraich staunend und begeistert mit den Cliquen und Hunderttausenden Frühaufstehern durch die Gassen der Basler Altstadt. Wir essen um fünf Uhr morgens Ziebelewäie und Mählsubbe, als wäre es das Normalste in der Welt. Alle sind fröhlich und ausgelassen. Die Fasnacht ist ein Fest der Fröhlichkeit und der Sinne. Wie betörend schön das Leben sein kann, wenn einem niemand nach dem Leben trachtet. Das ist leider den Israelis nicht vergönnt.



Meine aktuelle Lektüre, "die Todgeweihte" von Titus Müller, sorgt dafür, dass ich nicht allzu euphorisch über mein geliebtes Basel werde. Das Buch hat die Judenverfolgung in Basel im 14. Jahrhundert zum Thema.  Bei dem historischen Roman handelt es sich nicht um ein literarisches Glanzstück, aber er zeigt auf, dass auch in genau diesen Gassen schon Menschen verfolgt und ermordet wurden, weil sie Juden sind und das nicht nur im 14. Jahrhundert.

In wenigen Tagen werde ich wieder nach Israel reisen. Darauf habe ich mich in der Vergangenheit immer sehr gefreut. Jetzt lastet es mir schwer auf den Schultern. Aber meine Familie ist in Israel. Mein Herz ist in Israel.












3 Kommentare:

Schreibschaukel hat gesagt…

Ich freue mich für euch, dass ihr trotz allem die Pause hier auch etwas geniessen könnt. Nicht nur, weil ich mich als Zürcherin auf "riskantem" Pflaster bewegen würde an der Basler Fasnacht (und vielleicht mit Konfetti "gestopft" würde); ich traue mich noch nicht in die Menschenmenge. Viel Spass euch noch.

Yael Levy hat gesagt…

Liebe Schreibschaukel, wenn du wieder heil bist, solltest du auch als Zürcherin die Basler Fasnacht besuchen. Der Anlass ist fantastisch und wirklich eine Reise wert. Ich habe noch nie soviele gutgelaunte Schweizer an einem Ort gesehen!

Schreibschaukel hat gesagt…

Das nehme ich mir zu Herzen - nächstes Jahr in Basel!