„Sturm und Wolkenbruch. Ich laufe in meiner Wohnung herum, um der Reihe nach durch alle Fenster zu sehen und mich zu freuen.“ Wolfgang Herrndorf, 6.10.2012.
Noch während ich das Buch "Arbeit und Struktur" lese, weiss ich, dass ich es - sobald zu Ende - in Endlosschleife gleich wieder von vorne beginnen werde. So beeindruckend ist die Einsicht in das Tagebuch von Wolfgang Herrndorf.
Wenige Wochen nachdem bei ihm ein unheilbarer Hirntumor diagnostiziert wurde, eröffnete der Autor seinen Blog, in welchem er seinen Alltag mit der Krankheit mal lakonisch, mal zynisch, mal sarkastisch, mal humorvoll und mal verzweifelt kommentiert. Kurz nach Herrndorfs Selbstmord im August 2013 wurde der komplette Blog in Buchform veröffentlicht.
Das lässt mich Parallelen zu meinem eigenen Blog/Buch ziehen, nur mit dem bedeutenden Unterschied, dass er das Todesurteil erhielt und ich nur eine leichte „Strafe auf Bewährung“. Bei Herrnsdorf geht es ernsthaft um Leben und Tod und das macht umgehend jegliches andere Blog- oder Buchgeschreibsel zu oberflächlichem Gefasel.
Wolfgang Herrndorf ist lebensfroh, romantisch, intelligent und witzig. Ein Sprachästhet, der es immer wieder schafft, subtilste Situationen in wenigen Worten absolut treffsicher zu beschreiben. Er will nicht Sterben und mit seinem Tagebuch nimmt er uns mit durch die die Phasen der Verzweiflung, der Abgeklärtheit und Distanz.
Es mag voyeuristisch sein, jemandem beim Sterben „zuzusehen“. Das lässt sich nicht verleugnen, aber in diesem Fall schäme ich mich des Voyeurismus nicht, denn die Gegenüberstellung von verzweifelter Lebenskraft und unausweichlicher Sterblichkeit ist zutiefst beeindruckend und erfüllt mich mit Demut und Dankbarkeit.
Der Blick aus dem Fenster erfolgt aus Israel, wo ich seit 1988 lebe. Geboren und aufgewachsen bin ich in der Schweiz. Aus meinem Fenster blicken auch Eyal, mein israelischer Mann und meine erwachsenen, sehr israelischen Kinder, Sivan, Itay und Lianne. Die Personen sind echt, unsere Namen aber frei erfunden.
Freitag, 16. Februar 2018
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