Die Sommermonate in Israel sind klimamässig die Hölle. Gerade die letzte Augustwoche war noch so unerträglich heiss und feucht, dass ich am Wochenende keinen Fuss vor die Tür setzte, denn nur schon der Gedanke an die Hitze draussen brachte meine Ohren zum Kochen. Überhaupt drehte ich den ganzen Sommer durch nur jeweils in den frühen Morgenstunden eine schnelle Runde im Garten, um die heruntergefallenen Mangos einzusammeln. Das war dann wieder genug „frische“ Luft, um mich danach den ganzen Tag ausschliesslich in klimatisierten Räumen aufzuhalten. Nun wird es aber endlich etwas erträglicher: Über Mittag ist die Hitze zwar immer noch erdrückend, aber nachts ist es auszuhalten und wir schlafen schon einige Nächte mit weit geöffneten Fenstern anstatt mit surrender Klimaanlage – und schon sprechen die Israelis von „kühl“.
Als ich heute morgen um kurz nach fünf das Haus verlasse, zeigt das Thermometer angenehme 23 Grad. Prompt treffen wir im Naturreservat beim Lauftraining die erste weisse Meerzwiebel (siehe Foto) deren volle Blüte gemäss israelischem Volksmund den Herbst ankündigt. Beim Laufen schwitzen wir dann natürlich trotzdem, aber es ist doch ganz erträglich. Die heissen Sommermonate, in denen sich das Klima in der gesamten Küstenregion mit den Bedingungen in einem heissen türkischen Dampfbad vergleichen lässt, gehen zur Neige. Nun kommt also sicher der Herbst und ich freue mich, dass wir wieder einige Stunden werden draussen verbringen können, ohne von der Hitze erschlagen zu werden.
Der Blick aus dem Fenster erfolgt aus Israel, wo ich seit 1988 lebe. Geboren und aufgewachsen bin ich in der Schweiz. Aus meinem Fenster blicken auch Eyal, mein israelischer Mann und meine erwachsenen, sehr israelischen Kinder, Sivan, Itay und Lianne. Die Personen sind echt, unsere Namen aber frei erfunden.
Mittwoch, 30. August 2017
Samstag, 19. August 2017
Geburtstag
Seit Itay eingerückt ist, sind schon neun Monate vergangen. Nach sechs Monaten Grundausbildung steckt er nun mitten in einem Kurs, der insgesamt 14 Monate dauert. Im Grossen und Ganzen gefällt es ihm ganz gut, zweifellos gibt es bessere und schlechtere Tage, aber die Ausbildung ist interessant und es ist auszuhalten. Natürlich kann die Schikaniererei, die im Militär wohl einfach dazu gehört, manchmal reichlich auf die Nerven gehen, aber Itay trägt es meistens mit Fassung und macht das Beste aus seiner Pflicht. Schlussendlich hat er ja auch keine andere Wahl.
Wie wunderbar, dass sein zwanzigster Geburtstag auf ein Wochenende fällt, an welchem er Urlaub hat. Als er uns am Abend vor dem grossen Ereignis anruft, bin ich gerade am Geburtstagskuchen backen und Lianne, seine Schwester, bläst Ballone auf und verziert damit unsere Stube. Wir freuen uns auf das Wochenende, schliesslich feiert man ja nicht jeden Tag einen so bedeutenden Geburtstag. Leider hat aber Itay keine erfreuliche Nachricht: Ausgerechnet jetzt, zum ersten Mal, seit er seinen Dienst angetreten hat, wird er wegen einer Dummheit bestraft. Der Kommandant hat Itay mit einer Patrone zuwenig im Halter erwischt. Die Patrone war zwar nicht etwa verloren, sie war nur aus dem Halter gefallen und in den Schaft gerutscht. Aber keine Frage, so ein grobes Vergehen muss natürlich gebührend bestraft werden, Geburtstag hin oder her! Der Wochenendurlaub wird erbarmungslos gestrichen.
Wir alle fallen ob dieser Nachricht aus allen Wolken - wie traurig, einen zwanzigsten Geburtstag alleine in einer Militärbasis zu verbringen! Wie schade um den schönen Kuchen, die Geschenke, die Freunde und Familienmitglieder, die feiern wollen. Itay ist wütend und wir versuchen ihn zu ermuntern, aber die Geburtstagsvorbereitungen werden bis auf Weiteres eingestellt. Mit Itays Erlaubnis schickt Eyal noch eine verzweifelte Nachricht an den Kommandanten: Er gaukelt ihm etwas von einer geplanten Überraschungsparty vor, schmiert ihm etwas Honig ums Maul und bittet um Nachsicht mit dem Soldaten. Viel Hoffnung haben wir nicht, das israelische Militär ist schliesslich kein Kindergarten.
Am Geburtstagsmorgen gratuliere ich uns Beiden in Gedanken und erinnere mich an jenen Tag vor 20 Jahren, als Itay durch einen Kaiserschnitt geboren wurde. Kaum aus meinem Leib gezogen, legte man mir das warme Köpfchen des neugeborenen Wunders an meine Wange. Die Berührung dieser zarten weissen Haut ist auf ewig in meine Wange eingebrannt, ich kann sie heute noch spüren. Während ich mir diese süsseste aller Berührungen in Erinnerung rufe, denke ich an den Soldaten, der heute bestimmt frustriert in der Basis herumtigert.
Gegen Mittag findet der Kommandant eine Lösung, auf die elterliche Bitte einzugehen und etwas Nachsicht walten zu lassen, ohne gleich vor der ganzen Kompanie das Gesicht zu verlieren: Itay darf die Basis am Abend von sechs Uhr bis Mitternacht verlassen! Wir freuen uns alle über die geschenkten Stunden und holen Itay genau um sechs Uhr ab. Die Basis liegt zum Glück nur zehn Autominuten von unserem Wohnort entfernt.
Jetzt zählt jede Minute, schliesslich heisst es, ein ganzes Geburtstagswochenende in weniger als sechs Stunden hineinzupacken. Kaum eingetroffen, duscht Itay kurz, die Wäsche wird eiligst in die Maschine gesteckt, dann fahren wir zu den Grosseltern, wo schon die ganze Familie für die Party versammelt ist. Wir essen, aber kaum haben wir den letzten Bissen hinuntergeschluckt, räumt Itay schon schleunigst den Tisch ab – er hat keine Zeit, schliesslich muss er auch noch mit seinen Kollegen feiern. Geschwind noch ein paar Geburtstagswünsche, auch den Kuchen verschlingen wir im Schnellverfahren, dann geht es eiligst wieder nach Hause. Unterwegs nickt Itay noch für einige Minuten ein, denn immerhin ist er Soldat und auch ein bisschen Erholung muss sein. Zu Hause packt er zügig seine Siebensachen, während ich die Wäsche ausnahmsweise in den Trockner stecke. Dann hupt es draussen schon, die Kollegen holen Itay ab und düsen davon, denn die Uhr tickt und dem Geburtstagskind bleiben nur noch knappe zwei Stunden für den Ausgang. Um halb zwölf und einige Stangen Bier später ist Itay wieder da, stürzt sich flink in die Uniform, schultert das Gewehr und um fünf Minuten vor Mitternacht laden wir ihn am Tor seiner Militärbasis ab. Das war ein Geburtstagswochenende im Schnelldurchgang! Itay tritt durch das Tor und wird nun noch den ganzen Samstag Zeit haben, seine Strafe abzusitzen und sein fehlerhaftes Benehmen zu bereuen.
Im Bett denke ich noch einmal an die watteweiche Wange, die vor zwanzig Jahren zum ersten Mal die meine berührte, dann schlafe ich ein.
Sonntag, 6. August 2017
Misslungenes Training
Wer sich jetzt immer noch nicht vorstellen kann, wie verrückt Irmi ist, dem sei verraten, dass er es ganz normal findet, tote Riesenquallen am Strand als instabile Unterlagen für Gleichgewichtsübungen zu missbrauchen...
Wie dem auch sei, ich hoffe er geniesst es – und seine Familienmitglieder wenigstens ein bisschen.
In unserem heutigen Lauftraining bekommen wir Roy als stellvertretenden Trainer und erst jetzt wird mir bewusst, wieviel uns Irmi wert ist. Wie immer findet unser Training im Naturreservat an der Küste südlich von Netanya statt. Dieses Küstengebiet liegt auf einer Klippe hoch über dem Strand und Läufer, die den sandigen Untergrund nicht fürchten, finden darin unzählige Laufwege zwischen hügeligen Dünen und wildem Gestrüpp, immer mit Aussicht auf das darunter liegende Meer und (zu unserer Tageszeit) die aufgehende Sonne im Osten.
Nun ist aber unsere Gruppe ganz und gar nicht homogen und wir bringen alle sehr verschiedene Stufen von Ausdauer und Schnelligkeit mit. Moran zum Beispiel trainiert fast jeden Tag, denn sie bereitet sich auf den Tiberias-Marathon vor. In unserem Gruppentraining schiesst sie jeweils davon wie eine Rakete und wenn sie einmal loslegt, ist sie kaum aufzuhalten. Nach Moran kommt ein mittelmässiges Trüppchen: Läufer, die ganz gut im Schuss sind, die aber auch ab und zu gerne auf die Nachhut warten. Dann taumeln mit grossem Abstand jeweils noch einige Nachzügler hinterher, die immer ausser Atem sind und die jede denkbare Gelegenheit ergreifen, wieder umzukehren. So richtig in Fahrt kommen diese „Sportler“ erst auf dem Rückweg, denn wenn sie einmal den Stall gerochen haben, kann sie nichts mehr halten.
Irmi kennt nicht nur seine Läufer seit Jahren, sondern auch die Region wie seine Hosentasche und er schafft es, wie ein aufmerksamer Hütehund zwischen der Vorhut und den Nachzüglern flink hin- und her zu spurten und seine Herde zusammenzuhalten.
Roy hingegen ist heute morgen trotz Anweisungen von Irmi ziemlich verwirrt. So kommt es, dass Moran schon nach zehn Minuten davongerast und zwischen den Dünen auf Nimmerwiedersehen verschwunden ist. Ich schliesse mich den mittelmässigen Läufern an und wir versuchen, zusammenzuhalten, denn Roy ist bald auch ausser Sicht. Als wir auf einer kleinen Anhöhe das ganze Küstengebiet überblicken, erspähen wir ihn weit in der Ferne, wo er einem kleinen neonfarbigen Punkt am Horizont hinterherhechelt – Moran!
Als der ganze unordentliche Haufen sich nach etwa einer Stunde wieder am Ausgangspunkt einfindet, warten dort schon Ayelet und ihre Tochter, die sich immer noch schwer atmend von ihrem abgekürzten Training von nur 20 Minuten erholen. Schlussendlich trudelt dann auch mit letzten Kräften Roy wieder ein, schweissnass und schwer atmend. Er hat es knapp geschafft, Moran einzuholen, aber nur um dann doch alleine zurückzukehren, weil sie gemäss Trainingsplan für den Marathon noch weiterlaufen wollte.
Kurzum, die ganze Truppe – und vermutlich auch Roy – wartet sehnsüchtig auf Irmis Rückkehr.
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