Mittwoch, 26. Februar 2025

Vier schwarze Särge

Die gelbe Schleife, das Zeichen der Entführten, an Israels Himmel


Im Moment müssen wir keine weitreichenden Raketenangriffe mehr befürchten. Die Luftschutzsirenen sind seit Wochen ungenützt, in den Schutzräumen sammelt sich wieder Staub und Gerümpel. Dem Anschein nach ist es ruhig geworden. Der grosse Lärm ist verhallt, doch unter der vermeintlichen Ruhe tosen und überschlagen sich die Ereignisse. 

Eli, Or, Yarden, Gadi, Karina, Naama, Liri, Agam, Omer. Diese Namen und ihre Schicksale jagen sich in meinen Gedanken, wenn ich abends im Dunkeln liege und vergeblich den Schlaf suche. Das Drama um die Geiseln, welches das Abkommen mit der Hamas, dieser Pakt mit dem Teufel, mit sich bringt, hält die Bevölkerung in Israel in Atem, so auch mich. Wie zu erwarten war, ist dieser Handel mit unschuldigen Menschen Nährboden für unvorstellbare Perversitäten seitens der Hamas. Seit Mitte Januar fiebern wir ununterbrochen in einer Mischung aus Euphorie und entsetzlicher Panik den Wochenenden entgegen. Und immer wenn man denkt, die Barbarei sei nicht mehr zu übertreffen, wird es doch noch schlimmer.

In wiederkehrenden zynischen Spektakeln übergibt die Hamas Israel an den Wochenenden abgemagerte und geschundene Überlebende. Mit surrealistisch anmutenden Prozessionen demonstrieren sie unverfroren, was sie mit uns machen, wenn sie uns nur in die Hände kriegen. Einmal übergeben sie vier schwarze Särge. Ich stürze mich in meine Arbeit. Ich lasse die Gedanken an die Zurückkehrenden, deren Familien teilweise grausamst ausgelöscht worden sind, nicht an mich heran. Die Ermordung mit blossen Händen der zwei rothaarigen Kleinkinder und ihrer Mutter und die Schicksale der Überlebenden und der Zurückgebliebenen gehören in den Bereich des Unfassbaren, des Unaussprechlichen. Irgendwann werden die Nachrichten schon bei mir ankommen und durchsickern, doch jetzt gerade ist es zu früh, zu viel, zu mächtig.

Dass die fünf Späherinnen aus der Basis Nahal Oz wieder lebend zu ihren Familien zurückgekehrt sind, freut mich wahnsinnig. Die Gedanken an die jungen Frauen, die das Massaker verletzt und geschändet überlebt haben und dann monatelang in Gaza von ihren Peinigern festgehalten wurden, haben mich unablässig verfolgt. Auch die Freude über Gadi Moses' Freilassung, der Vater eines Mitarbeiters, ist gross. Ganz besonders habe ich jedoch Omer Shem Tov's Rückkehr entgegengefiebert, ist er doch ein Bekannter von Lianne aus ihrem gemeinsamen Militärdienst in Eilat. Lianne spricht nie über die Verluste, doch die Ermordung ihrer Freundinnen Shir und Nitzan am 7. Oktober-Pogrom sind schon mehr, als ein junger Mensch verarbeiten kann.

Heute werden Shiri Bibas und ihre Kinder zu Grabe getragen. Kfir und Ariel waren bei ihrer Entführung vier Jahre alt und neun Monate alt. Der Trauerzug dauert den ganzen Morgen, die Särge werden von Ramat Gan aus über Rischon Lezion, Yavne, Aschdod und Aschkelon nach Sha’ar HaNegev zum Kibbuz Nir Oz gefahren. Zehntausende Israelis säumen die Straßen, um Shiri, Kfir und Ariel auf ihrem letzten Weg zu begleiten. 

Daneben verläuft mein Alltag so ordentlich und ruhig, dass es nicht zu fassen ist. Keine Alarme, keine Raketen. Kein Rennen um unser Leben. Es ist einfach viel zu ruhig. Nur in mir drinnen schrillen die Sirenen weiterhin rund um die Uhr. 


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