Besonders fällt mir das auf, wenn die älteren Kinder die Wochenenden bei uns verbringen. Natürlich sprechen wir auch über anderes, über Dinge, die uns nun oberflächlich erscheinen – aber die Ereignisse des 7. Oktobers und der Krieg nehmen den meisten Raum ein. Die Erlebnisberichte und die Schicksale der Betroffenen, zu denen auch wir in gewissem Masse gehören, beschäftigen uns rund um die Uhr. Hier, im Kreise der engsten Familie, fühlen sich alle wohl und erlauben sich, mitzuteilen, zu diskutieren, über die belastenden Geschichten zu berichten, die man kaum in Worte fassen kann und über Ängste und Sorgen zu sprechen. Wir essen, trinken Wein und sprechen über unfassbar Schreckliches. Es ist absurd, wie normal das geworden ist!
Itay berichtet von den Fortschritten unseres Freundes Alon. Drei Monate nach seiner lebensbedrohlichen Verletzung konnte Alon nun in die Rehabilitationsabteilung der Klinik umziehen.
In der Rehabilitationsabteilung machen die Patienten und ihre Angehörigen Bekanntschaft mit vielen neuen Schicksalsgenossen – und ihren haarsträubenden Geschichten. Nebst etwa 1,200 Ermordeten gibt es ja auch Tausende Verletzte, von denen kaum jemand spricht. Tausende Verletzte mit ebenso vielen grauenvollen Geschichten. Itay erzählt uns von einer jungen Frau, die das Pogrom in einem der Gaza-grenznahen Kibbutzim mit 70 Prozent Verbrennungen am ganzen Körper überlebt hat. Ihre mühsame Genesung verbringt sie in der Rehabilitationsabteilung zusammen mit ihrer kleinen Tochter, die mit schweren Verbrennungen an beiden Händen davongekommen ist. Itay erzählt, dass die Mutter in den langen Stunden des Wartens auf Hilfe sich vor allem um ihre ebenfalls verletzten Kinder sorgte und trotz den grossflächigen Verbrennungen sogar ihr Baby stillte.
Itay erwähnt auch kurz, dass er aus erster Hand viele weitere horrende Schicksalsberichte vernommen hat, uns diese aber nicht zumuten will. Kurz wird es still am Tisch, dann gehen wir zum nächsten Thema über.
Meine Töchter sind über eine gemeinsame Freundin auf das Schicksal von Eden Yerushalmi aufmerksam geworden. Eden ist eine von den vierzehn Frauen, die immer noch in Gaza festgehalten werden. Heute sind es 100 Tage. 100 Tage ohne ein Lebenszeichen. Als Eden am 7. Oktober von der Nova-Party vor den Terroristen flüchtete, versteckte sie sich zuerst in einem Auto neben den Leichen von zwei ermordeten Freunden, später irgendwo in den Büschen. In den fast vier Stunden bis die Terroristen sie schlussendlich fanden und brutal verschleppten, hielt ihre Schwester mit ihr am Telefon durch und versuchte, sie zu beruhigen. Hier ist die Geschichte von Eden.
Nach dem Essen bedrängt uns Sivan, gemeinsam die Sendung „Tatsachenbericht“ anzusehen, die sie zwar schon kennt, aber unbedingt mit uns teilen möchte. In der Sendung erzählen Angehörige des Obersts Asaf Hamami, Kommandeur der südlichen Division der Gaza-Brigade und der Oberstleutnant Alon Peled über ihren 7. Oktober. Die Spuren des Obersts Hamami verlieren sich irgendwann im Laufe des Horrormorgens, als er mit zwei Soldaten die Armeebasis für operative Aktivitäten verliess. Heute weiss man, dass die drei nicht mehr am Leben sind und ihre Leichname in Gaza festgehalten werden. Der sechsjährige Sohn des Obersts war an jenem schwarzen Samstag in der Armeebasis seines Vaters zu Besuch. Er wurde von einer Soldatin betreut, während sein Vater unvorhergesehen die Basis verlassen musste und nie mehr zurückkam.
Der Militärkollege von Asaf, Oberstleutnant Alon Peled verliess den Gaza-grenznahen Kibbutz, in welchem er lebt, frühmorgens am 7. Oktober in Richtung der Armeebasis. Er wurde bald darauf von Hamas-Terroristen verfolgt und gezielt niedergeschossen. Die Terroristen liessen von Alon ab, als er sich nach mehreren Schusswunden totstellte. Zum Glück hatte er im letzten Moment noch daran gedacht, die Dienstgradabzeichen ins Gebüsch zu werfen, sonst wäre bestimmt auch er nach Gaza verschleppt worden, lebend oder tot. Wie viele andere Verletzte lag auch er unzählige Stunden im Strassengraben, bis Hilfe kam.
Nach dem Tatsachenbericht hören wir uns einen längeren Kommentar des Journalisten Zvi Yehezkeli an, der aus seiner Sicht erläutert, warum die israelischen Verantwortlichen einen Angriff in den Ausmassen des 7. Oktobers nicht vorausgesehen haben und demzufolge auch bei der Aufgabe versagten, schnell einzugreifen und Schlimmeres zu verhindern. Den sehr aufschlussreichen Kommentar gibt es leider nur auf Hebräisch.
Natürlich fragen wir die Kinder auch nach dem Befinden von Yotam und der Familie von Nitzan.
Ganz kurz bringt jemand die Völkermord-Klage Südafrikas gegen Israel am Internationalen Gerichtshof in Den Haag zur Sprache. Die Klage ist so himmelschreiend absurd, dass wir nur ungläubig die Köpfe schütteln und das Thema umgehend zur Seite legen, ohne näher darauf einzugehen. Es tut mir wirklich leid für meine Kinder, dass sie nicht nur den schrecklichen Folgen des Terrorangriffes und des Krieges ausgesetzt sind, sondern auch mit der Tatsache leben müssen, von der Welt ungerecht behandelt und sogar gehasst zu werden, nur weil wir Israelis sind.
Und nein, es ist nicht, dass wir keine Augen dafür hätten, was in Gaza passiert. Aber die Verzerrung der Tatsachen, das Umkehren von Gut und Böse, das Ignorieren von Absichten, durch Politiker, die Medien und durch unsere Mitmenschen, ist so niederschmetternd, dass wir uns so wenig wie möglich damit beschäftigen, um einigermassen bei Verstand zu bleiben.
Einst war der 7. Oktober mein Hochzeitstag, jetzt steht dieses Datum für einen Horrortag mit infernalen Ausmassen. Unsere einst erholsamen Wochenenden mutieren zu familiären Zusammenkünften zur Traumaverarbeitung. Und mein Blog ist zu einer Ansammlung von schrecklichen Geschichten geworden.
Ganz kurz bringt jemand die Völkermord-Klage Südafrikas gegen Israel am Internationalen Gerichtshof in Den Haag zur Sprache. Die Klage ist so himmelschreiend absurd, dass wir nur ungläubig die Köpfe schütteln und das Thema umgehend zur Seite legen, ohne näher darauf einzugehen. Es tut mir wirklich leid für meine Kinder, dass sie nicht nur den schrecklichen Folgen des Terrorangriffes und des Krieges ausgesetzt sind, sondern auch mit der Tatsache leben müssen, von der Welt ungerecht behandelt und sogar gehasst zu werden, nur weil wir Israelis sind.
Und nein, es ist nicht, dass wir keine Augen dafür hätten, was in Gaza passiert. Aber die Verzerrung der Tatsachen, das Umkehren von Gut und Böse, das Ignorieren von Absichten, durch Politiker, die Medien und durch unsere Mitmenschen, ist so niederschmetternd, dass wir uns so wenig wie möglich damit beschäftigen, um einigermassen bei Verstand zu bleiben.
Einst war der 7. Oktober mein Hochzeitstag, jetzt steht dieses Datum für einen Horrortag mit infernalen Ausmassen. Unsere einst erholsamen Wochenenden mutieren zu familiären Zusammenkünften zur Traumaverarbeitung. Und mein Blog ist zu einer Ansammlung von schrecklichen Geschichten geworden.
4 Kommentare:
Es stimmt: Die vielen Verletzten und Traumatisierten werden glatt vergessen, genauso wie die unzähligen nun Heimatlosen.
Ja, unsere Blogs haben einen ganz anderen Charakter jetzt. Zumindest hat deiner optisch ein sehr schönes neues Aussehen bekommen; ich kann die Clementinen förmlich riechen.
Ich hoffe so sehr, dass wir eines Tages wieder über luftig flockige Belanglosigkeiten schreiben werden und ich dir einen schönen Tag wünschen kann, ohne mich danach ohrfeigen zu wollen. Auch wenn das abgrundtiefe Entsetzen wohl nie mehr ganz weggehen wird.
Hier in meinem Zimmer, mit dem Blick aus dem Fenster, vor dem gerade ein wunderbares Schneegestöber niedergeht, scheint Israel so weit weg - aber das ist nur ein Teil meines Alltags. Ich gehe mit den Gedanken "an Israel" schlafen und wache damit auf, mein erster Blick in die Nachrichtenlage des Handys gilt den Blogs der Freunde in Israel und den Medien.
Auch hier im sicheren Deutschland lässt mich die Lage bei Euch einfach nicht los. Die Gedanken gehen immer wieder zurück in die Tage in denen ich ich Israel war - in den Orangenhainen von Mefalsim habe ich Früchte direkt vom Baum gepflückt, die Syline von Gaza in Sichtweite, im Norden der Blick in den Libanon ... Jerusalem ... Haifa ... Kfar Saba ... als Touristin mit SPNI im Negev gewandert und unter freiem Himmel geschlafen ...
Und all die Menschen, denen ich begegnet bin ...
Es ist ein furchtbarer Horror, der Euch überfallen hat und ich versuche, es hier meinen Freunden und Bekannten klarzu machen, was er mit Euch angerichtet hat ... wie sehr Israel verletzt und verwundet ist ...
Deine - Eure - Berichte sind so wichtig!
Es wird Euch nicht helfen, nicht trösten. Aber Ihr seid in aller Trauer auch das Sprachrohr für alle, die nicht mehr reden können.
Wir hier können nur das weitergeben, was wir von Dir, von Euch erfahren. Das ist wichtiger als alle Nachrichten in den hiesigen Medien!
Vielleicht empfindest Du meinen ersten Kommentar als empathielos ... aber glaube mir, ich ahne, was es Dich kostet ... immer wieder das Unsägliche auszusprechen, zu schreiben. Dem Schrecken wieder und wieder zu begegnen.
Das Furchtbare ist ja, dass es immer weitergeht, die Geiseln noch nicht frei sind, Männer und Frauen immer noch leiden an den Folgen ihrer Verletzungen, Familien um ihre Angehörigen und Freunde trauern und die Kämpfe in Gaza noch nicht beendet sind.
Und bei all dem Schrecken des Terrors und des Krieges kommt diese unglaubliche Anschuldigung Südafrikas hinzu und viel zu viele, die sich ihr anschließen.
Es ist so schwer und tut mir unsagbar leid.
G'tt schütze Euch alle.
Liebe Riga und Schreibschaukel, danke für eure Kommentare! Es tut gut zu wissen, dass ihr unnachgiebig für Israel einsteht und vor allem, dass ihr mit uns fühlt!
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