Mittwoch, 18. Januar 2017

Das Feigenrudel

Hebräisch ist nicht meine Muttersprache und obwohl mir Bekannte und Familienmitglieder immer wieder Komplimente machen, wie gut ich Hebräisch spreche, werde ich mich in dieser Sprache nie so zu Hause fühlen wie im Deutschen. Das wird mir in verschiedenen Situationen bewusst, zum Beispiel, wenn ich lautstarke Diskussionen mit meinen Kindern führe, die leider kein deutsch sprechen. Meine lieben Kleinen sind unterdessen alle zwischen fünf bis zwanzig Zentimeter grösser als ich und wenn sie mir von oben herab die Leviten verlesen (ja, ich weiss, da läuft etwas verkehrt), bleiben mir auf Hebräisch einfach die Worte weg. Ausgerechnet jetzt, da ich schlagfertige, zielsicher formulierte Argumente bräuchte, die meine Meinung auf den Punkt bringen und den Gegner widerstandslos in die Schranken weisen, lässt mich im Eifer des Gefechts mein Sprachkenntnis im Stich und ich ringe um Worte. Da hilft dann manchmal nur noch ein kräftiger Faustschlag auf den Tisch, der das Geschirr zum scheppern bringt, oder ein deftiger Fluch auf Schweizerdeutsch.

Oft verpasse ich die Pointe, wenn Leute auf hebräisch sehr schnell oder undeutlich sprechen. Mein Sohn zum Beispiel spricht einen meines Erachtens unverständlichen Heranwachsenden-Slang und verschluckt dabei auch noch den Grossteil des Satzes. Bei Jugendlichen ist das vielleicht nicht so wichtig, weil sie eh nur auf ihre Smartphones fixiert sind und Konversation nebensächlich ist. Ich aber frage immer wieder nach, weil ich einfach kein einziges Wort von dem Gebrabbel verstanden habe. Kürzlich verlor Itay ob meiner Fragerei die Geduld und schnauzte mich an, dass ich alte Tante mir endlich Hörgeräte anschaffen sollte, obwohl ich ihm wiederholt erklärte, dass das Problem eben nicht die Lautstärke war. „Du musst einfach direkt vor mir stehen, mir in die Augen sehen, ganz langsam sprechen, deutlich artikulieren und dabei gut sichtbar die Lippen bewegen, dann verstehe ich dich perfekt,“ nahm ich uns beide dann auf die Schippe.

Manchmal kreiere ich unabsichtlich innovative Wortkombinationen, sehr zur Belustigung meiner Mitmenschen. Einige der Sprachpatzer sind unterdessen zu immer wieder gern erzählten Anekdoten in unserer Familiengeschichte geworden. Zum Beispiel legte ich mich einst auf einen Totenstuhl anstatt auf einen Liegestuhl, weil ich "Kisse Manoach" anstelle von "Kisse Noach" sagte. Ein andermal wollte ich mich über Sonnenbrand am Scheitel beklagen, dabei wählte ich "kipod" anstelle von "kodkod", was wörtlich übersetzt bedeutet, dass ich mir den Igel verbrannt habe. Heute erzählte ich zuhause begeistert, dass wir beim Laufen ein Rudel Schakale entdeckt haben. Ich bin sehr stolz darauf, überhaupt das hebräische Wort für Schakal, "Tan", zu kennen, ich bin sicher, dass viele waschechte Israelis dieses Tier nicht benennen können. Vor lauter Aufregung über das morgendliche Tierabenteuer entschlüpfte mir dann aber "Laakat Tenim" anstelle von " Laakat Tanim" und so machte ich aus dem Schakalrudel ein Feigenrudel.

Dienstag, 17. Januar 2017

Schlomi

Während wir unserem Alltag nachgehen, uns um Nicht- und Wichtigkeiten kümmern, kreist über unseren Köpfen ein Raubvogel, der sich ab und zu nach unten stürzt und aufs Geratewohl einen von uns herauspickt. Hier ein tödlicher Unfall, da ein Lotteriegewinn, hier eine schlimme Krankheit, da eine verhängnisvolle Begegnung.

Heute hat der Raubvogel sich unseren Freund Schlomi herausgepickt. Schlomi war zwei Jahre jünger als ich und ist heute an Knochenkrebs gestorben. Ruhe in Frieden, Schlomi.

Sonntag, 1. Januar 2017

Das alte und das neue Jahr

Am letzten Donnerstag im alten Jahr plagen mich den ganzen Tag fiese Kopfschmerzen. Schon beim Aufstehen sind die Schmerzen einfach da, sie begleiten mich hartnäckig den ganzen Tag und lassen auch gegen Abend nicht nach. Irgendwann gebe ich die Hoffnung auf natürliche Besserung auf und beschliesse, dem Hämmern im Kopf mit einer Schmerztablette ein Ende zu setzen. In der Arznei-Schublade in unserem Schlafzimmer finde ich das Gesuchte. Ich stecke die Tablette erstmal in die Tasche meiner Fleecejacke, um sie dann später in der Küche mit einem Glas Wasser hinunterzuspülen. Vorher hebe ich aber noch hier und da ein paar herumliegende Socken auf, stecke schnell etwas Wäsche in die Maschine, überprüfe das Schloss der Balkontür, drehe staunend eine Runde in unserem neuen Badezimmer, und, und, und....

Einige Stunden später, lesend auf dem Sofa, hämmern die Kopfschmerzen erbarmunglos weiter. Verkruxt nochmal, verflixt und zugenäht, wann fährt das Zeug denn endlich ein?!?! Die Schmerzen werden  immer schlimmer, gerne würde ich einfach schlafen gehen, aber wie ist das möglich, solange der Presslufthammer im Kopf weiterrattert? Endlich schleppe ich mich mit letzten Kräften in mein Schlafzimmer. Unterwegs nach oben ertasten meine Finger in der Tasche meiner Fleecejacke einen kleinen Knubbel. Was ist denn das? Ach so, die Tablette! Kein Wunder hat sie nicht gewirkt!
Ich werde alt, denke ich frustriert, werfe mir die Tablette endlich ein und schlafe bald einen schmerzlosen tiefen Schlaf.

Zwei Tage später ist das alte Jahr zu Ende und wie viele Israelis gehe ich brav früh zu Bett und verbringe den Neujahrsrutsch im Tiefschlaf. Dafür schaffe ich es am ersten Tag im neuen Jahr früh aus den Federn und treffe mich schon vor sechs Uhr morgens mit meiner Laufgruppe. Es ist noch dunkel und das Thermometer zeigt erfrischende 7 Grad. Nachdem wir uns etwas warmlaufen, wird es langsam heller und der Horizont färbt sich in zarten Rosatönen. Nebelschwaden hängen vereinzelt über dem Naturreservat, das auf einer Klippe hoch über dem Strand liegt. Von oben schauen wir auf das tosende Meer hinunter, das seine Wellen kräftig an die Klippen spült. Es riecht würzig nach wilden Pflanzen und salziger Meerluft. Zwei Rehe kreuzen leichtfüssig unseren Weg. Über die sandigen Dünen zu laufen macht Spass, vor allem bergab. Man kann auch bei schnellerem Tempo kräftig ausschreiten, denn es besteht keine Stolpergefahr, fast möchte ich mich einfach fallen lassen, eine Landung im weichen Sand. Ich breite meine Arme aus und segle die Düne hinunter, während die gerade aufgehende Sonne die ganze Landschaft in helle Rottöne taucht. Ha, ha, ich fliege! Wer ist alt? Ich doch nicht!

Während dem Laufen wird mir klar, was ich mir für das neue Jahr wünsche: dass ich auch am 1. Januar 2018 noch den Willen, die Kraft und die Gesundheit haben werde, um sechs Uhr morgens über die Dünen zu fliegen.