Donnerstag, 11. Juli 2024

Die Acht-Uhr-Nachrichten

Auf der zehnminütigen Heimfahrt vom Training vernehme ich heute Morgen aus den Acht-Uhr-Nachrichten, dass nun betreffend des neuesten Abkommens zwischen der Hamas und Israel eine echte Chance auf eine Einigung bestehe. Es handelt sich um ein mehrstufiges Abkommen und die einzelnen Schritte werden vom Nachrichtensprecher in kurzen Sätzen erläutert. Sie scheinen, aus Distanz betrachtet, völlig plausibel und durchführbar. Die Grundrisse des Abkommens liegen fest, jetzt gehe es nur noch um die Details und die Folge der einzelnen Schritte. Um auch eventuell kritische Zuhörer von der Richtigkeit des Abkommens zu überzeugen, wird gleich noch die Aussage des kürzlich aus der Geiselhaft befreiten Alexej eingeblendet, der bekundet, wie sehr ihm und den anderen Geiseln die Gespräche über ein Abkommen während des Horrors in Gaza Hoffnung gespendet hatten.

Mir ist jedoch nach wie vor völlig unklar, wie man überhaupt in Betracht ziehen kann, sich mit einer bestialischen Bande von Mördern und Terroristen an einen Tisch zu setzten. Die Ziele des Krieges in Gaza waren von Israel von Anfang an klar definiert: Befreiung oder Rückgabe der Geiseln und Vernichtung der Hamas. Unterdessen ist wohl vielen klar geworden, dass ein Auslöschen der Hamas nicht so einfach, wenn nicht gar unmöglich ist. Es sei denn, man würde Hunderttausende zivile Opfer in Kauf nehmen, und das scheint wohl keine Option zu sein.

Auslöschen kann man sie also nicht, ein glaubwürdiger Verhandlungspartner sind sie auch nicht. Wenn man zwischen Pech und Schwefel wählen muss, mag ein Abkommen wohl vorerst die bevorzugte Lösung sein. Auf die Dauer sieht es für Israel so oder so schlecht aus.

Mir kommt ein Artikel über den damaligen Großmufti von Jerusalem in den Sinn, den ich einmal gelesen habe. Hajj Amin al-Husayni wurde 1921 im damaligen Palästina von der britischen Besatzungsmacht als Mufti von Jerusalem zum Oberhaupt der Muslime von Palästina ernannt. Vor und während dem Zweiten Weltkrieg kollaborierte der Mufti vom Nahen Osten aus mit Hitler und den Nazis und er hetzte Araber und Muslime gegen die Alliierten auf.
Ende 1947 versuchten die Briten herauszufinden, ob der Mufti ein gewisses Maß an Flexibilität in Bezug auf seine Haltung zur Teilung des Landes zwischen Juden und Muslimen hätte, die er vorerst strikt abgelehnt hatte. Das war nicht aber der Fall. Er erklärte:

"Wir hätten nichts gegen den Abzug der britischen Truppen aus Palästina. Wir haben keine Angst vor den Juden und ihren Organisationen, Irgun, Haganah, der Stern-Gruppe. Am Anfang könnten wir verlieren. Wir werden viele Verluste haben, aber am Ende werden wir gewinnen."

Was meinte er mit dem "Ende"? Ich befürchte, es handelte sich schon damals nicht einfach um den nächsten Krieg, oder irgendeine andere zeitlich festgelegte Errungenschaft, sondern um ein grösseres, globales Ziel: „Israel existiert und wird weiter existieren, bis der Islam es ausgelöscht hat, so wie er schon andere Länder vorher ausgelöscht hat.“ (Aus der Charta der Hamas).

Israels Feinde, und damit auch die Feinde des Westens, sind entschlossen, beharrlich und ausdauernd. Ein Abkommen mehr oder weniger – das mag ihr Ziel vielleicht um einige Jahre verzögern. Es wird sie aber schlussendlich nicht von ihrem Streben nach dem Erreichen „des Endes“ abbringen.

Und wir? Auch wir haben die Vernichtung der Hamas auf unser Banner geschrieben, aber nach einigen Monaten knicken wir ein. Wir verfügen nicht über die unnachsichtige und fast übermenschliche Hartnäckigkeit unserer Feinde. Wir wollen vor allem unsere in Gaza festgehaltenen Brüder und Schwestern zu Hause wissen, nicht mehr jeden Tag Berichte über gefallene Soldaten in den Schlagzeilen sehen, wir wollen wenigstens einigermassen in Sicherheit leben und wir wollen an den Frieden glauben. Kurzfristig gesehen ist das verständlich.

Ich kann nur hoffen, dass sich – längerfristig, rückblickend und dann wahrscheinlich zu spät gesehen – die Variante, Hunderttausende zivile Opfer in Kauf zu nehmen, nicht doch als diejenige herausstellen wird, die eine noch grössere Katastrophe verhindert hätte.


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