Montag, 20. November 2023

Danach

Das Leben in Israel unterteilt sich in vorher und nachher. Das vorher ist eine vage Erinnerung an eine Welt, die ich als leicht und beschwingt, aber auch als oberflächlich und belanglos im Gedächtnis habe. Das nachher ist von einer schweren schwarzen Wolke überschattet, die uns zu erdrücken droht.

In meinem neuen Alltag sind Trauer, Angst und Schock immer gegenwärtig, deshalb verbringe ich möglichst viel Zeit mit Ablenkung. Aber spätestens, wenn ich abends im Bett liege, erdrückt mich die Last der Opfer, zu denen jeden Tag neue hinzu kommen. Jeden Tag werden die neuen Namen bekannt gegeben, von meist jungen Menschen, die in Gaza gefallen sind. Gestern sechs, heute zwei, und so weiter. 19 Jahre, 22 Jahre, 28 Jahre jung, manche auch älter. Jeden Morgen lese ich mit grosser Angst und Trauer die Namen. Dieses mal ist es Roee Biber, ein Bekannter meiner Tochter, gleich alt wie sie, aus dem Nachbardorf und damals in der Parallelklasse der gemeinsamen Oberstufe. Wieder brutal und abrupt beendete Hoffnungen. Wieder eine zerstörte Familie. Wieder eine Beerdigung für Sivan, ausgerechnet an ihrem Geburtstag. Jeden Tag neue Schläge in die Magengrube, dabei stehen wir doch auch so kaum noch aufrecht.

Vergangene Woche bin ich für einen Tag (und zwei Nächte) für den Geburtstag meines Vaters in die Schweiz gehüpft, in die Vorher-Parallelwelt. Es gibt tatsächlich noch ein Leben dort, in diesem Vorher. Die Menschen führen ihren Alltag einfach weiter, wie gewohnt. Länger als einen Tag wollte ich nicht bleiben, ich wusste, dass mir die Konfrontation schwerfallen würde.

Vor der Reise habe ich mir Antworten zurechtgelegt, auf unbequeme Fragen, die eventuell kommen würden. Ich habe etwas recherchiert und mir die treffendsten Argumente herausgesucht. Das war unnötig, denn niemand fragte etwas. Entweder haben alle die Antworten schon, oder es interessiert sie nicht. Die meisten beteuerten, wie schrecklich das alles sei, dass sie aber macht- und hilflos seien.
Jemand ganz besonders schlauer sagte, dass man Konflikte nicht mit Waffengewalt lösen könne. Vielen Dank für den erhellenden Tipp! Ich nickte nur müde. Es ist ein tiefer Graben, zwischen meinen Bekannten in der Schweiz und den Menschen hier in Israel. Auch ich, als gebürtige Schweizerin, musste in Israel eine grundlegende Metamorphose durchmachen, um zu verstehen, dass nicht alle Völker das Privileg haben, in Frieden zu leben oder, genauer gesagt, in Frieden zu überleben.




Nach 48 Stunden landete ich wieder in Tel-Aviv und freute mich über die Wärme und die Sonne und vor allem, unter Menschen zu sein, die das Leid mit mir teilen und mich verstehen. Menschen, die wissen, dass es leider keine Option ist, eine E-Mail an eine Völkermordende Dschihadistengruppe zu schicken, mit der Bitte, uns in Ruhe zu lassen. Obwohl ich gefühlt sehr lange weg gewesen war, gab es keine Neuigkeiten aus dem Krieg. Die 240 Geiseln sind immer noch in den Fängen der Hamas, nur dass nun jeden Tag einer oder zwei der Entführten in Gaza tot aufgefunden werden. So zum Beispiel der 86-jährige Arye Zalmanovich, verschleppt am 7. Oktober aus Kibbutz Nir Oz und die 19-jährige Noa Marciano, ebenfalls am 7. Oktober von der Hamas als Geisel genommen und später (vermutlich im Shifa-Spital in Gaza) ermordet wurde.

Nach der Landung fuhren wir zuerst ins Spital, um Alon und seine Familie zu besuchen. Alon, ein bester Freund unseres Itay seit der Grundschule, wurde in der zweiten Oktoberwoche bei einem Verteidigungsmanöver von einer Granate im Norden Israels schwerst verletzt. Die List der Verletzungen ist lang. Ein Bein, ein Arm, die Finger der rechten Hand, beidseitiger Pneumothorax, die Trommelfelle, ein Auge und vieles mehr. Aber er hat überlebt und ausdrücklich gesagt, dass er froh darüber sei. Wir sprechen mit den Eltern und ich bin zutiefst beeindruckt von der Ruhe und Kraft, die sie ausstrahlen. Seit dem Vorfall befindet sich die erweiterte Familie mit Freunden und Bekannten rund um die Uhr in den Vorräumen der Intensivstation, unter ihnen unser Itay. Im Gang stehen Tische und Bänke, Menschen kommen und gehen, sie essen, spielen Karten und Backgammon, unterhalten sich und spenden sich vor allem gegenseitig Kraft. Alon ist nun ihr neuer Lebensmittelpunkt. An den Tischen auf der gegenüberliegenden Gangseite spielt sich genau dasselbe Schauspiel mit einer anderen Familie ab. Auch hier Eltern mit schwarzen Ringen unter den Augen und viele junge Leute, die kommen und gehen, einige mit den Sturmgewehren der IDF. Im Gespräch mit den Eltern und angesichts der Besucher wird mir klar, wie stark die Menschen hier sind und wie wichtig der Zusammenhalt für die Genesung ist, nicht nur die körperliche. Der Vater erzählt, dass Alon schon wenige Tage nachdem er zu sich gekommen ist, angeboten hat, mit weniger optimistischen verletzten Soldaten zu sprechen, um ihnen Mut zu machen. Er reisst auch schon makabre Witze. Als seine Mutter ihn nach zwei Wochen Koma ängstlich fragte, ob er sie erkenne und wer sie sei, nahm Alon sie auf den Arm und antwortete „Tante Sara“.

Das Spital verlassen wir  Richtung Norden gerade noch rechtzeitig, um der Gefahrenzone im Zentrum Israels zu entkommen, wo in den späteren Nachmittagsstunden die Alarmsirenen heulen und die Menschen von Rehovot bis Kfar Saba in die Schutzräume rennen. Wie kann es nur sein, dass die IDF schon sechs Wochen in Gaza operiert und Gaza, laut Medien, in Trümmern liegt, die Hamas aber immer noch in der Lage ist, Dutzende Raketen auf uns Zivilisten abzufeuern?

Mir ist – obwohl Alon schon wieder Witze macht – gar nicht zum Spassen zumute, aber ich muss einfach stark bleiben, wir haben keine andere Wahl. Manchmal falle ich in ein tiefes Loch, aber ich rapple mich jedesmal auf, sammle alle meine Kräfte, um diese Gedanken bewusst zur Seite zu schieben und nur die Hoffnung zuzulassen. Dafür sind wir, die Überlebenden und die Gesunden, jetzt da – um diejenigen zu stärken, die es nötig haben. Der Gedanke, dass es auch nach der Shoah irgendwie weiter gegangen ist und der Kontakt mit Kindern im Bekanntenkreis helfen mir, auf eine bessere Zukunft zu hoffen. Es wird auch jetzt irgendwie weitergehen. Solange noch Kinder auf die Welt kommen, die mit humanistischen Werten erzogen werden, gibt es Hoffnung.



Die treffenden Argumente und Erklärungen, die ich mir für die Reise in Schweiz bereitgelegt habe, behalte ich für mich selbst. Ich habe keine Kraft für Aufklärungsarbeit. Es gibt unterdessen genügend korrekte Informationen aus glaubhaften Quellen, man müsste sie nur konsultieren. Wer jetzt noch glaubt, es gehe um "Landnahme", Kolonialismus, oder eine "Spirale der Gewalt", soll bitte seine Hausaufgaben machen. Man muss taub auf beiden Ohren sein, um die sehr klaren Deklarationen der Hamas zu überhören. Die Verzerrungen und der Hass sind überwältigend. 

Wenn ich mir die Medienberichte über die Zustände und die Opferzahlen in Gaza ansehe, empfinde ich nur eine riesengrosse Wut. Eine riesengrosse Wut, vor allem auf die Terrororganisation Hamas, deren grausames Kalkül wunderbar aufgeht. Sie haben Israel in einen ausweglosen Krieg verwickelt. Einen Krieg, in dem es nur Verlierer geben kann. Wie soll man die Satansbrut ausrotten können? Ein einziges Hamasmitglied, das überlebt, wenn auch schwer verletzt, könnte sich erheben und langsam neue Anhänger um sich scharren. Ausserdem befindet sich die Hamas nicht nur in Gaza. Auch Jenin, im Westjordanland, ist eine Hamas-Hochburg. Trotz dieser Ausweglosigkeit kämpft Israel diesen schweren Krieg, leider mit sehr hohen Verlusten, um die Terrorinfrastruktur zu zerstören und in der Hoffnung auf Befreiung der Geiseln. Die Hamas stellt unterdessen Israel als Kriegsverbrecher hin und nutzt dies politisch zu ihren Gunsten aus.

Israel wird nach diesem Krieg nicht nur wirtschaftlich am Boden zerstört sein. Die ganze Welt ist zerstritten und es scheint nicht viel zu fehlen, bis dieses Pulverfass explodiert – auch das ist das Kalkül der Hamas! Wenn die Welt in Schutt und Asche liegen wird, werden sie ihren „Waqf“ (religiöses Land) gründen.



Von meinen Bekannten in der Schweiz, die bedauern, machtlos zu sein, würde ich mir aber doch wünschen, dass sie Stellung nehmen.

Die Menschheit steht jetzt am Scheideweg zwischen grundlegender menschlicher Moral und purer Bosheit. Die Ausgeburten der Hölle bedrohen nicht nur uns in Israel, sie bedrohen die ganze Menschheit. Wir dürfen sie in diesem Kampf nicht gewinnen lassen. Jedermann sollte sich jetzt klar darüber werden, auf welcher Seite er steht und wie diese Welt für ihn persönlich in der nahen und auch in der ferneren Zukunft aussehen soll. Wem die elementaren westlichen Werte wichtig sind, muss für Israel einstehen.

Ich würde mir wünschen, dass Menschen Erkenntnis und Mut an den Tag legen und ihre Stimme  erheben. Es ist schön und einfach, gegen Krieg zu sein. Jeder Mensch mit humanistischen Werten ist gegen Krieg. Aber wenn wir schweigen, wird uns das Böse einverleiben.

Lieber Leser, ich bitte dich, sei mutig und mache den Mund auf. Es schmerzt uns so sehr zu sehen, wie vielerorts das Leben einfach normal weiter geht. Unterstützung und Zusammenhalt sind enorm wichtig, das habe ich bei den Schwerverletzten im Spital erfahren. Setze die Israelfahne auf dein Facebook-, Instagram-, Twitter- oder E-Mail-Konto. Setze irgendein Zeichen. Es gibt viele Möglichkeiten, auch wenn du nicht in diesen Medien unterwegs bist. Halte nur einen Moment inne und setze ein klares Zeichen für Israel, und dann führe dein gewohntes Leben wieder weiter. 

Falls du noch Zweifel hast, auf welcher Seite du stehst, lies bitte diesen Artikel:
Auszüge aus der Charta der Hamas:

„Israel existiert und wird weiter existieren, bis der Islam es ausgelöscht hat, so wie er schon andere Länder vorher ausgelöscht hat.“ (Präambel)

„Die Islamische Widerstandsbewegung ist eine ausschließlich palästinensische Bewegung, die Allah die Glaubenstreue hält und deren Weg der Islam bestimmt. Sie strebt danach, das Banner Allahs über jedem Zentimeter Palästinas zu entfalten.“ (Artikel 6)

„Das jüngste Gericht wird nicht kommen, solange Muslime nicht die Juden bekämpfen und sie töten. Dann aber werden sich die Juden hinter Steinen und Bäumen verstecken, und die Steine und Bäume werden rufen: ‘Oh Muslim, ein Jude versteckt sich hinter mir, komm’ und töte ihn.“ (Artikel 7)

„Palästina ist ein islamisches Land … Deshalb ist die Befreiung Palästinas für jeden Muslim die höchste persönliche Pflicht, wo immer er sich befindet.“ (Artikel 13)

„Friedensinitiativen und so genannte Friedensideen oder internationale Konferenzen widersprechen dem Grundsatz der Islamischen Widerstandsbewegung. Die Konferenzen sind nichts anderes als ein Mittel, um Ungläubige als Schlichter in den islamischen Ländern zu bestimmen … Für das Palästina-Problem gibt es keine andere Lösung als den Jihad. Friedensinitiativen sind reine Zeitverschwendung, eine sinnlose Bemühung.“ (Artikel 13)

„Der Jihad ist die persönliche Pflicht eines jeden Muslim, seit die Feinde Teile des muslimischen Landes geraubt haben. Angesichts des Raubes durch die Juden ist es unvermeidlich, dass ein Banner des Jihad gehisst wird.“ (Artikel 15)

„Die Hamas betrachtet sich selber als Speerspitze und Vorhut des gemeinsamen Kampfes gegen den Welt-Zionismus … Islamische Gruppen in der ganzen arabischen Welt sollten das gleiche tun, da sie für ihre zukünftige Aufgabe, den Kampf gegen die kriegstreiberischen Juden, bestens gerüstet sind.“ (Artikel 32)

3 Kommentare:

Ulrike Herrmann hat gesagt…

"Es gibt unterdessen genügend korrekte Informationen aus glaubhaften Quellen, man müsste sie nur konsultieren. Wer jetzt noch glaubt, es gehe um "Landnahme", Kolonialismus, oder eine "Spirale der Gewalt", soll bitte seine Hausaufgaben machen. Man muss taub auf beiden Ohren sein, um die sehr klaren Deklarationen der Hamas zu überhören. Die Verzerrungen und der Hass sind überwältigend."

Das ist genau der Punkt, der mich immer wieder mit ohnmächtigem Zorn über unsere Regierung in Deutschland erfüllt, über die Journalisten, die was von "die Siedlungen sind das Friedenshindernis" schwafeln, über die Außenministerin, die immer noch nicht verstanden hat, dass man mit Geldgeschenken an die HAMAS keinen Frieden für Israel erwirkt... ach, die Reihe ließe sich beliebig lang fortsetzen.
Seit ich meinen Blog schreibe, lese und höre ich von den Machenschaften der HAMAS, ich kenne die Charta der HAMAS, so wie sie jeder interessierte Journalist und Politiker in Deutschland kennen könnte.
Ich fürchte, es ist nicht Desinteresse, es ist das uralte Problem, es sind Juden, die betroffen sind... Das macht mich traurig und ohnmächtig.

AM ISRAEL CHAI
Und Euch allen viel Kraft, das Elend durchzustehen und neuen Lebensmut zu finden.

Yael Levy hat gesagt…

Dasnke Ulrike! Es gibt ja unterdessen schon Satiren darüber, wie die Hamas ihre Ideologien deklariert und es einfach viele partout nicht hören wollen. Das ist schon traurig.

Schreibschaukel hat gesagt…

Meine Fassungslosigkeit hält an und wird von Tag zu Tag grösser. Ich kann nicht verstehen, wie man die offensichtlichen Tatsachen so verdrehen und der westliche Mensch Gut und Böse in so klarer Form nicht mehr unterscheiden kann. Absurderweise sind es gerade die humanistischen Studien, die den Boden für solche Verwirrungen geschaffen haben. All die selbstgerechten und scheinheiligen Friedensapostel mit ihren guten Ideen - sie machen mich wütend.
Der Westen ist auf bestem Weg, sich selber, seine Kultur und seine Werte, abzuschaffen. Ich weiss nicht, ob ich noch Mitgefühl mit uns werde aufbringen können, wenn eines Tages alles den Bach runter geht. Meins ist nämlich voll und ganz bei euch, die ihr es verdient habt. Ihr hättet auch unsere bedingungslose Unterstützung verdient.
Ich kann verstehen, dass es dir in Israel trotz allem wohler ist als hier.