In Israel verläuft auch im „Normalzustand“ nichts in ruhigen oder geordneten Bahnen. Immer brodelt es, manchmal mehr, manchmal weniger. Man gebe eine Prise Corona dazu und schon kocht der Topf über. Momentan herrscht das totale Chaos. In der Nacht vom Donnerstag auf Freitag erliess die Regierung eine Reihe von Massnahmen, um die Corona-Ausbreitung einzudämmen. Restaurants sollten ab Freitagabend und Strände ab nächste Woche geschlossen bleiben. Umgehend gingen die Restaurantbesitzer auf die Barrikaden, denn sie hatten sich schon mit Vorräten für das Wochenende eingedeckt. Einen Tag später gab die Regierung nach und den Restaurants wurde eine Frist bis am Dienstag eingeräumt. Am Montag wurde darüber diskutiert, diese Massnahme überhaupt zu annullieren und am Dienstagmorgen wurde verkündet, dass die Restaurants jetzt doch geschlossen werden müssen. Am Dienstagabend hingegen wurde wieder das Gegenteil bekanntgegeben. Kurzum, Zigtausende Restaurantangestellte – darunter meine Tochter – müssen sich jeden Tag nach dem Aufstehen zuerst informieren, ob sie noch eine Arbeit haben oder nicht. Immerhin, die Strände bleiben jetzt – laut neuestem Entschluss – doch geöffnet, also können die Arbeitslosen wenigstens baden gehen. Vor einigen Tagen streikten die Sozialarbeiter/innen, weil sie zu wenig Lohn erhalten, dann streikten die Krankenschwestern und das Pflegepersonal, weil Personalknappheit herrscht. Es gibt Tausende von Arbeitslosen und alle wollen Geld. Mir scheint, ich bin noch eine der Wenigen, die das Privileg haben, einer geregelten Arbeit nachzugehen. Kein Wunder, gehen jeden Monat vierzig Prozent von meinem Lohn direkt für Steuern ab.
Bei diesem Balagan (= Durcheinander. Eines der ersten Worte das Sie im Hebräischunterricht lernen werden) bleibt man am besten zu Hause und hört keine Nachrichten mehr.
Schon kurz nach neun Uhr morgens komme ich aus der Gärtnerei zurück, wo ich einige Pflanzen für unseren Vorgarten gekauft habe. Ich mache mich gleich ans Umpflanzen, denn um halb elf muss ich für eine geschäftliche Besprechung ins Heimbüro. Unser Vorgarten liegt am Morgen in der prallen Sonne und wenige Minuten nachdem ich in der Erde zu wühlen begonnen habe wird mir klar, dass es ein höchst unangenehmes wenn nicht sogar gefährliches Verfangen ist, an einem Julimorgen in der Sonne Gartenarbeit zu verrichten. Die Hitze treibt mir umgehend den Schweiss aus den Poren und mir wird jedesmal schwindlig, wenn ich mich erhebe. Um nicht ohnmächtig zu werden, gehe ich alle paar Augenblicke ins schattige Haus und trinke kaltes Wasser, bis ich fertig gepflanzt habe. Dann lasse ich die Sträucher mit ungutem Gefühl in ihren Töpfen an der Sonne stehen. Ich hoffe, dass die Pflanzen nicht so empfindlich sind wie ich und dass sie mir die Hitze verzeihen werden. Ich flüchte mich nach drinnen, wo ich mir die durchgeschwitzten Kleider vom Leib reisse und mich mit einer kalten Dusche abkühle. Dann erhole ich mich im Heimbüro von der Sonne und der Hitze.
Gegen Mittag wird meine Online Supermarkt-Bestellung geliefert. Ich bin froh, dass ich drinnen bleiben kann und versorge die Männer, die in der Hitze meine Ware anschleppen, mit kaltem Wasser. Beim Verräumen der Vorräte entdecke ich mit mulmigem Gefühl, dass die Fünziger-Packung Einweg-Mundschutzmasken, die ich bestellt habe, aus China kommt. Vielleicht schnellt bei uns gerade wegen der Maskenpflicht die Zahl der Neuerkrankungen in astronomische Höhen? Vielleicht streuen uns die Chinesen Corona-Pulver auf die Masken bevor sie sie verschiffen? Und vielleicht habe ich jetzt doch einen Sonnenstich. Schnell lege ich die Masken in den Schrank und die Verschwörungs-Gedanken beiseite.
Gegen 14 Uhr muss ich leider noch ein weiteres mal nach draussen, Lianne hat heute einen ersten Arbeitstag, oder wohl eher einen Schnuppertag, als Hilfskraft im Tante-Emma-Laden unseres Dorfes. Der Laden liegt zwar kaum einen halben Kilometer weit von uns entfernt, aber bei dieser Hitze schickt man keinen Hund nach draussen – also fahre ich sie hin. Das Thermometer im Auto zeigt zwar nur 32 Grad, aber gefühlt hat es in der Blechkiste über 40, obwohl sie im Schatten steht. Ich öffne schleunigst die Fenster und stelle die Klimaanlage auf volle Stärke. Wir fahren mit geöffneten Fenstern los und wenn ich könnte, würde ich auch die Türen offen lassen. Der Fahrtwind bläst wie ein heisser Föhn und wir kommen mit zerzausten Haaren und roten Köpfen im Laden an. Willkommen israelischer Sommer! Und viel Erfolg Lianne!
Am Nachmittag kommt Sivan zu Besuch. Das höre ich, wenn sie in die Kurve zu unserer Strasse einbiegt, denn sie hat die Musik im Auto auf volle Lautstärke gedreht und der Bass dröhnt schon aus weiter Ferne in meinen Eingeweiden. Wie immer fährt sie sehr sportlich und mit quitschenden Bremsen in die Einfahrt vor unserem Haus. Dann höre ich sie an der Haustüre fummeln, sie rennt in die Küche, giesst ein grosses Glas Wasser ein, nimmt mir im Vorbeigehen den Schnitz Wassermelone aus der Hand, den ich eben anbeissen wollte und eilt wieder nach draussen. Ich schlucke leer und spähe erstaunt und neugierig aus dem Küchenfenster. Was ist denn da los? Sivan spricht mit dem Strassenfeger. Dieser trinkt gierig und labt sich an meiner Melone. Hmmm, so mitfühlend kenne ich meine Tochter gar nicht.
„Schön, was du da gemacht hast“, sage ich zu ihr, als sie zum zweiten Mal und nun etwas ruhiger eintritt. „Bestimmt hat sich der Mann gefreut.“
Der Blick aus dem Fenster erfolgt aus Israel, wo ich seit 1988 lebe. Geboren und aufgewachsen bin ich in der Schweiz. Aus meinem Fenster blicken auch Eyal, mein israelischer Mann und meine erwachsenen, sehr israelischen Kinder, Sivan, Itay und Lianne. Die Personen sind echt, unsere Namen aber frei erfunden.
Dienstag, 21. Juli 2020
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4 Kommentare:
Welche Sprache sprecht ihr im Alltag?
Und weil ich so eine neugierige Nase bin: Sprichst du fliessend Hebräisch?
Viele Grüße aus Wien!
Leg die Chinamasken in den Schrank und vergess sie für ein paar Tage. Dann sollen sie angeblich ent-corona-isiert sein. Übrigens kommen unsere 150 Masken verteilt auf drei Packungen auch aus China. Irgendwo muss ja noch gearbeitet werden (dürfen).
Erstaunlicherweise hatten wir in den letzten Wochen die exakt gleichen Temperaturen wie ihr. Dieses schweisstreibende Backofengefühl bräuchte ich auch nicht. Dafür jammerten sie zur gleichen Zeit in der Schweiz über das kalte Wetter.
Ich wünsche euch alles Gute und bleibt zuversichtlich. Es kommt wieder besser!
LG Anita
@Helga Nase
Liebe Helga,
Wir sprechen hebräisch. Leider war ich mit meinen Kindern nicht konsequent genug und sie sprechen kein deutsch. Ich selbst bin mit 24 nach Israel gekommen und lebe nun schon mehr als dreissig Jahre hier. Somit spreche ich fliessend hebräisch. Auch das Schreiben klappt einigermassen. Nur den Akzent habe ich leider nie wegbringen können.
Es ist aber trotzdem nicht einfach, zwischen zwei Sprachen zu leben: die Muttersprache verkümmert mit den Jahren und die neue Sprache wird nie so vertieft sein wie die Sprache, mit der man gross geworden ist.
Einer der Gründe, warum ich hier schreibe, ist mein Deutsch einigermassen frisch zu halten – es ist, nebst Lesen – meine Sprachgymnastik.
@canadaeinfach
Liebe Anita,
Das schweisstreibende Backofengefühl ist bei uns drei bis vier Monate Dauerzustand, ohne Regen und ohne Unterbruch! Da bleiben zur Abkühlung manchmal nur deine Bilder von schattigen Wäldern und kühlen Seen aus Kanada!
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