Dienstag, 23. Juni 2020

Ein Kraut das Generationen verbindet


Eine Gürtelrose ist eine höchst unangenehme Infektionskrankheit. Sie wird durch die gleichen Viren verursacht wie Windpocken, welche nach einer Erkrankung – meist im Kindesalter – im Körper verbleiben, bis ihnen das Immunsystem eine Chance gewährt, sich erneut zu vermehren. Dann treten, meist im Brustbereich, schmerzhafte Blasen auf. Oft wird eine Gürtelrose bei Stress hervorgerufen.

Kein Wunder, dass meine Schwiegermutter an einer zünftigen Gürtelrose erkrankt. Einen rund um die Uhr pflegebedürftigen Mann zu haben, ist eine unmenschliche Bürde, besonders für eine kontaktfreudige Frau, der es am besten geht, wenn viel los ist, wenn sie es lustig hat und sie von Leuten umgeben ist. Seit unzähligen Jahren schon hat sie aber nur diesen kranken Mann um sich, der rund um den Tag ans Bett und an den Rollstuhl gebunden ist. Seit bei Savta (hebräisch für Grossmutter) eine Gürtelrose ausgebrochen ist, leidet sie ununterbrochen an starken Schmerzen und die Corona-bedingte Isolation schien einer möglichen Besserung den Todesstoss zu versetzen. Jetzt hockte sie erst recht fest in ihrer Wohnung, zusammen mit ihrem klagenden Mann und seinem Pfleger, der ihn mehrmals täglich von einem Liegeort zum anderen hievt. Bald kam auch meine Schwiegermutter kaum noch aus dem Bett, denn die Schmerzen im Oberkörper wurden von Tag zu Tag unerträglicher.

Eine Odyssee zu allen nur erdenklichen Spezialisten, unzählige Experimente mit Schmerzmitteln aller Stärkegrade und mehrere Versuche mit Alternativmedizin schienen ebenfalls keine Besserung zu bringen. Die gute Frau litt und wurde von Tag zu Tag deprimierter. Als irgendjemand Cannabis erwähnte, war sie skeptisch, denn sie hatte ja schon alles versucht und jegliche Hoffnung verloren. Aber das vielverheissende Kraut wurde bei der Krankenkasse beantragt und bewilligt.

Überraschenderweise trudelten gleichzeitig mit der ersten Lieferung des Wundermittels fast alle erwachsenen Enkel ein, die während dem Corona-Shutdown ferngeblieben waren. Nun erinnerten sie sich wieder ihrer Grosseltern, und während noch vor Kurzem das Virus eine willkommene Ausrede bot, um fernzubleiben, brannten nun alle plötzlich darauf, die Grosseltern zu besuchen. Die Enkel bewunderten die Lieferung, eine Handvoll sauber gerollter Joints für die kommende Woche. Umgehend liessen sie den ersten Joint kreisen, lachten über Savta, die nur einmal zögernd daran zog und verbrachten zusammen einige lustige Stunden. Am nächsten Tag tauchte ein professioneller Instrukteur der Cannabis-Firma auf und wies das Grosi geduldig in die Zubereitung und das richtige Rauchen der Joints ein. Die Jungen staunten nicht schlecht – da war jemand tatsächlich schlauer als sie! Nicht nur schien er auf dem Gebiet ein beachtenswertes Wissen zu haben, er machte aus der Raucherei sogar eine bezahlte Vollzeitbeschäftigung!

Nun geben sich die Enkel bei meinen Schwiegereltern die Klinke in die Hand. Der Gedanke, dass das Grosi in einer Schublade reines Cannabis ansammelt, während sie auf dem illegalen Markt für weniger starkes Zeug Unsummen hinblättern, bringt die Jungen auf kreative Ideen. Fast täglich kommen sie bei den Schwiegereltern zusammen und übertreffen sich mit Einsatzbereitschaft für die Senioren. Sie essen und reden mit ihnen, spielen mit ihnen Karten und gehen für sie einkaufen. Bei allem Eifer vergessen sie nicht, immer schön nach Krümeln Ausschau zu halten.

Meiner Schwiegermutter geht es schon merklich besser. Die Schmerzen haben deutlich nachgelassen – obwohl Grosi das Kraut nach den ersten Versuchen nicht mehr angerührt, sondern in einer gut versteckten Schublade weggesperrt hat.

4 Kommentare:

canadaeinfach hat gesagt…

Cleverer Schachzug vom Grosi und herrliche Geschichte! Hier in Canada würde das zur Familienzusammenführung nicht mehr funktionieren, seit an jeder Ecke ein offizieller Cannabisladen zu finden ist...

Yael Levy hat gesagt…

Liebe canadaeinfach,
Bei uns warten viele auch sehnlichst auf offizielle Cannabisläden. Bis es soweit ist, werden sie aber noch bei den Grosseltern Krümel suchen und das ist für alle Generationen gut!
Liebe Grüsse
Yael

Schreibschaukel hat gesagt…

Eine köstliche Geschichte! Gut, geht es der Safta auch ohne high zu sein wieder besser. Und die wieder steigenden Besucherzahlen helfen sicher auch.

wegwunder hat gesagt…

Haha.. so amüsant. Grüessli, Sibylle