Vor einigen Jahren, anlässlich einer kurzen Geschäftsreise nach Deutschland, ass ich mit einer Mitarbeiterin dunkler Hautfarbe aus Amerika zu Mittag. Beim Dessertbuffet war die Kollegin besonders neugierig auf einen Schaumkopf. Sie kannte das Dessert nicht und man erklärte ihr, dass es mit Eiweissschaum gefüllt war. Sie erlag der süssen Versuchung und legte sich ein Paradestück auf einen Teller. Zurück am Tisch erwähnten einige unverfrorene Mitarbeiter die Thematik des nicht mehr ganz zeitgemässen Namens für das Schoko/Schaum-Gebäck. Und während Jacintha nun die Ausdrücke Negerkuss und Mohrenkopf mit starkem amerikanischem Akzent spielerisch auf der Zunge rollte, verzehrte sie genüsslich den Schaumkopf – mit Messer und Gabel! Diese lustige Szene ist mir wieder in den Sinn gekommen, als ich entdeckte, dass das Thema in den letzten Tagen in der Schweiz die (Mohren-) Köpfe heisslaufen lässt.
Worum geht es? Der Grossverteiler Migros hat beschlossen, in einigen Filialen die Dubler-Mohrenköpfe aus dem Sortiment zu nehmen, weil der traditionelle Namen von einigen Bevölkerungsgruppen als diskriminierend empfunden wird, die Firma Dubler sich aber weigert, ihre Markenware umzubenennen.
Seit dem Entschluss der Migros, die anstössigen Schaumköpfe aus dem Regal zu nehmen, ist die Debatte über das M-Wort zu einem der wichtigsten Tagesthemen geworden. Unzählige Artikel und Glossen darüber füllen die Zeitungen. Die Kommentarspalten in den sozialen Netzen quellen über. Während Amerika brennt über der Rassimus-Debatte, streiten Herr und Frau Schweizer über den Namen einer Süssigkeit. Bei dem ganzen „Gschiss“ darf natürlich auch meine Meinung nicht fehlen.
Schon etwas länger als die Meinungsverschiedenheiten über den Namen Mohrenkopf – genauer genommen seit den verschiedenen Einwanderungswellen der Juden aus allen Himmelsrichtungen Anfang des letzten Jahrhunderts – gibt es in Israel eine Debatte über die Benachteiligung bestimmter Ethnien. Obwohl die Kluft zwischen Mizrahim (Juden aus östlichen Ländern und Spanien) und Ashkenazim (Juden aus westeuropäischen Ländern) in den vergangenen Jahren bestimmt geringer geworden ist, sind viele Israelis überzeugt, dass die Mizrahim immer noch diskriminiert werden. Auch für meinen Mann Eyal, Sohn irakischer Juden, ist es offensichtlich, dass Mizrahim heute noch in allen Sektoren des öffentlichen Lebens, der Akademie, dem Justizwesen, sowie auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt werden. Schon öfters habe ich ihn erbittert Beispiele von ungerechter Verteilung von Ämtern oder Stellen aufzählen hören. Er ist leidenschaftlich davon überzeugt, dass die Ashkenazim nach allen Möglichkeiten an einer gesellschaftlichen Elitestellung festhalten und dass den Mizrahim in Israel nicht die gleichen Chancen gewährt werden.
Gerade weil ich weiss, was Eyal und seine Familie zu dem Thema denken, ist mir eine Diskussion an meinem Arbeitsplatz unvergesslich in Erinnerung. Das Thema ethnische Benachteiligung war gerade wegen irgendeinem Fall in den Medien und wurde nun in der Kaffeeküche diskutiert. Meine vier – wohlgemerkt ashkenazischen! – Mitarbeiterinnen kamen nach kurzer Erläuterung des Themas einstimmig zum Schluss, dass es heute in Israel keine ethnische Benachteiligung mehr gibt. Sie selbst waren noch nie bewusst damit konfrontiert worden und somit war für sie klar, dass das Problem nicht existierte. Die Runde von vier Ashkenaziot, die übereinstimmend beschloss, dass es in Israel keine ethnische Diskriminierung gibt, wurde für mich zum Schlüsselerlebnis. Ich verstand, dass Rassismus, vor allem wenn er ganz subtil daherkommt, von Nicht-Betroffenen oft nicht wahrgenommen wird und dass wir den Betroffenen das Recht darauf einräumen müssen, selbst zu bestimmen, was sie als rassistisch empfinden.*
So viel zum Argument „der Name Mohrenkopf ist nicht rassistisch gemeint“.
„Aber es war doch schon immer so“, rufen Viele – und merken nicht, dass dies überhaupt ein Gegenargument ist. Eine Aussage, die sich in ihrer Dummheit selbst widerlegt. Würden wir nichts ändern, dann lebten wir heute noch in Höhlen und Frauen wären das rechtlose Eigentum der Männer.
„Man kann es nicht allen recht machen“. Nein, kann man nicht. Aber wenn man das Herz auf dem rechten Fleck hat, kann man versuchen, Rücksicht auf die Gefühle einiger Wenigen zu nehmen, anstatt rechthaberisch auf seiner Meinung zu verharren. Damit macht man es vielleicht nicht allen recht, aber es ist doch ein Babyschritt auf besseres mitmenschliches Verständnis zu.
Mit dem Festhalten an der Bezeichnung Mohrenkopf setzt die Firma Dubler meines Erachtens ein Zeichen für rückständiges Festhalten an veralteten Traditionen, während sie mit einem Namenswechsel ein Zeichen setzen könnte für Rücksichtnahme und Fortschrittlichkeit. Ja, die Aussage Herrn Dublers, man solle sich lieber um faire Bezahlung der Kakao-Lieferanten kümmern, ist ernst zu nehmen. Das schliesst aber Modernisierung der Sprache und Erneuerung von veralteten Ausdrücken nicht aus. Leider habe ich beim Anhören eines Gesprächs mit Herrn Dubler auf „tag-täglich“ aber den Eindruck bekommen, dass dieser zwar ein unbesiegbares Schaumkuss-Rezept in der Tasche, mit kreativer Innovativität aber nicht gerade viel am Hut hat.
Schaumküsse gibt es übrigens auch in Israel. Sie sind lange nicht so schmackhaft wie die der Firma Dubler und sie werden Crembo genannt. Das hebräische Crembo bedeutet frei übersetzt „es hat Schaum drin“ und ich finde, dieser gefällige und unkomplizierte Ausdruck könnte auch in der Schweiz ein echter Markthit werden. Ausserdem könnte man mit diesem hebräischen Namen nicht nur ein Zeichen gegen Rassismus, sondern auch für Israel setzen und würde somit gleich zwei Treffer mit einem Schuss landen.
*Die Chancengleichheit für israelische Araber spreche ich hier hier absichtlich nicht an, das ist ein weiteres, noch viel komplexeres Thema, welches separat diskutiert werden müsste.
Der Blick aus dem Fenster erfolgt aus Israel, wo ich seit 1988 lebe. Geboren und aufgewachsen bin ich in der Schweiz. Aus meinem Fenster blicken auch Eyal, mein israelischer Mann und meine erwachsenen, sehr israelischen Kinder, Sivan, Itay und Lianne. Die Personen sind echt, unsere Namen aber frei erfunden.
Montag, 15. Juni 2020
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3 Kommentare:
Absolut treffend. Danke für den Einblick in die jüdische Gesellschaft.
Hast du Herr Dubler schon geschrieben? Warum nicht?
Herzliche Grüsse, Sibylle
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