Ab heute Abend, für das zweite Pessachfest, gilt
bei uns wieder für eineinhalb Tage absolutes Ausgangsverbot. Also kremple ich
meinen Trainingsplan wieder einmal um und ziehe meine Laufrunde auf heute Morgen
vor, bevor ich morgen nicht mehr vor die Türe treten darf. Natürlich ist Sport
im Freien auch jetzt schon verboten, aber morgen früh wird es noch verbotener
sein.
Danach gehe ich vor dem Lockdown noch zwei,
drei Sachen einkaufen. Wir haben jetzt Maskenpflicht. Die Maske schränkt mein Sichtfeld
ein und erschwert das Atmen, aber immerhin kann man sich den Lippenstift sparen.
Schade eigentlich, denn etwas Farbe könnte in diesem öden Alltag nicht schaden.
Besonders verführerisch sind all die maskierten und ungeschminkten Gesichter
jedenfalls nicht. Was mich persönlich anbetrifft, würde ich die Maske gerade lieber
über meinen grauen Haaransatz ziehen, als meinen Mund zu verstecken. Neu ist
auch, dass es jetzt salonfähig geworden ist, im Homedress oder Trainingsanzug
unter die Leute zu gehen. Wer macht sich überhaupt noch die Mühe, sich anständig
anzuziehen? Karl Lagerfeld behauptete einst etwas überspitzt, dass jemand, der
eine Jogginghose trägt, die Kontrolle über sein Leben verloren hat. Wie recht
er damit hatte! Was würde er über eine Menschheit sagen, die in Jogginghosen,
ungefärbten Haaren und hässlichen Masken einkaufen geht? Corona regiert! Wir
haben tatsächlich keine Kontrolle über unser Leben mehr. Aber hatten wir das
vor Corona? Die ganze Herumraserei und Herumfliegerei – das war uns schon etwas
ausser Kontrolle geraten. Mit oder ohne Jogginghose.
Schon zwei von Lianne’s Freundinnen haben in dieser Zeit, in der alles anders ist, ihren 18. Geburtstag gefeiert. Nun ist ein 18. Geburtstag nicht irgendein Geburtstag, sondern ein bedeutungsvoller Schritt in die offizielle Selbständigkeit und Unabhängigkeit. Im Januar feierte Lianne ihre Volljährigkeit mit einer feuchtfröhlichen Party, denn nebst den vielen Pflichten, mit denen der Übertritt in die Erwachsenenwelt verbunden ist, bringt er ja auch einige erfreuliche Rechte mit sich.
Aber wie feiert man jetzt, in Zeiten des social distancing, des Ausgehverbots und der Maskenpflicht Geburtstag? Es gelten neue Werte und Gesetze. Was darf man denn heute eigentlich genau? Die Vorschriften ändern sich ja täglich. Und was erlauben die Eltern, die trotz Volljährigkeit doch noch etwas zu sagen haben? Wie genau hält jede einzelne Familie die Vorschriften ein? Nach vielen Diskussionen, Vorschlägen und verworfenen Ideen fällt die Wahl der Jugendlichen, die erstaunlich flexibel im Umdenken sind, auf eine Autokolonne. Die feiernden Freunde und Freundinnen schmücken ihre Autos (in den meisten Fällen die der Eltern) und hängen farbig beschriftete Banner an die Antennen und Autofenster, dann fahren sie in einer langen Kolonne beim Geburtstagskind vor. Die Gratulantin wird mit Gehupe und lauter Musik nach draussen gerufen. Jetzt hält jedes einzelne Auto kurz bei ihr an und die fahrenden Freunde überreichen ihr einer nach dem anderen irgendeine Kleinigkeit, einen Luftballon, einen Kuchen, eine Glückwunschkarte. Natürlich alles ohne die Autos zu verlassen, aus gebührlicher Distanz und mit Maske. Weil sich jedermann nach Feiern und Freude sehnt, lockt der Lärm bald auch die Nachbarn an die Fenster und in die Gärten und auch sie rufen dem Geburtstagskind gute Wünsche zu. Ob der ganzen Fröhlichkeit kann man fast vergessen, wie traurig die Situation eigentlich ist. Auf dem Videofilmchen, das natürlich gedreht werden muss und das ich mir später ansehen darf, sind ein zu Tränen gerührtes Geburtstagskind und viele begeisterte Nachbarn und Freunde zu sehen. Laut Lianne war es fantastisch und die beste Geburtstagsfeier seit langem. Vielen Dank, Corona!
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