Entgegen aller dringlichsten Empfehlungen fahre ich heute wieder ins Büro. Die Verbindung und die Ausrüstung im Heimbüro waren gestern katastrophal. Ich habe eine komplizierte Arbeit zu erledigen, für welche ich meine beiden grossen Bildschirme und akzeptable Netzverbindung benötige.
Die Strassen sind auch zur Hauptverkehrszeit wie ausgestorben. Auch die Büros sind menschenleer. Ich geniesse die Ruhe und weiss nun sogar meine graue Büroeinrichtung zu schätzen! Nur das Reinigungspersonal ist noch da und putzt in Scharen und als ginge es um Leben und Tod. Eine der Frauen wedelt auch um mich herum und reibt meine direkte Umgebung mit Unmengen von antiseptischen Feuchttüchern ab. Sie erledigt ihre Arbeit so eifrig, dass sie sogar den gebotenen Zwei-Meter-Abstand vergisst.
Zum Mittagessen lasse ich mir vom Asiaten Sushi liefern, obwohl ich mich beim letzten mal gewaltig über den extremen Abfallberg geärgert und mir vorgenommen habe, nur noch unverpackte Mahlzeiten zu essen. Die Sushi-Mahlzeit ist auch heute wieder in unzählige Kartonschächtelchen mit Plastikdeckeln verpackt und der hinterlassene Abfallberg ist mindestens dreimal so umfangreich wie das Essen, das ich zu mir nehme. Aber leider gibt es auch in der Kantine nur noch umweltschädlich abgepacktes Essen.
In der verwaisten Kaffeeküche finde ich eine angebrochene Flasche Roséwein. Der wird ja auch nicht frischer, denke ich, und genehmige mir einige Tropfen. In einem Plastikbecher, wohlgemerkt, etwas anderes finde ich gerade nicht. Aber das macht ja jetzt alles nichts mehr aus, schliesslich müssen wir nur noch irgendwie überleben.
Nach einem Becher Rosé sieht die Welt aus dem Bürofenster fast schon aus, als wäre alles beim Alten. Prosit! Nach uns die Sintflut!
Der Blick aus dem Fenster erfolgt aus Israel, wo ich seit 1988 lebe. Geboren und aufgewachsen bin ich in der Schweiz. Aus meinem Fenster blicken auch Eyal, mein israelischer Mann und meine erwachsenen, sehr israelischen Kinder, Sivan, Itay und Lianne. Die Personen sind echt, unsere Namen aber frei erfunden.
Mittwoch, 18. März 2020
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3 Kommentare:
Es freut mich sehr, dass du hier trotzdem weiterschreibst. Habe schon befürchtet, dass deine Gedanken nun alle auf deiner Festplatte auf dem Computer landen ;-). Dabei finde ich es gerade jetzt spannend, wie es Menschen in anderen Ländern ergeht.
Wir mussten heute einkaufen und die Milch war tatsächlich ausverkauft! Das Toilettenpapier sowieso, was mich inzwischen nur noch amüsiert. Für die Senioren- und Risikogruppe gibt es in einigen Läden eine separate Einkaufsstunde, ganz früh am Morgen. Immerhin. So kann man die Menschen auch voreinander schützen/trennen. So schwierig alles ist, ich finde es irgendwie auch... faszinierend.
LG Anita
Liebe canadaeinfach,
Faszinierend - na ja, ich weiss nicht. Vielleicht für Leute, die Horrorfilme mögen. Dazu gehöre ich nicht. Ich finde die Situation zu beängstigend. Ich muss mir grosse Mühe geben, dass meine Fantasie nicht mit mir durchbricht und sich die Apokalypse in allen Variationen ausmalt.
Ich freue mich auch, von dir aus Kanada zu lesen. Was mich anbetrifft, werde ich einen Teil meiner Gedanken weiterhin veröffentlichen - ein Teil geht auf die Festplatte!
Liebe Grüsse
Yael
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