Der Blick aus dem Fenster erfolgt aus Israel, wo ich seit 1988 lebe. Geboren und aufgewachsen bin ich in der Schweiz. Aus meinem Fenster blicken auch Eyal, mein israelischer Mann und meine erwachsenen, sehr israelischen Kinder, Sivan, Itay und Lianne. Die Personen sind echt, unsere Namen aber frei erfunden.
Donnerstag, 25. Januar 2018
Der Lotteriegewinn
Was für ein Morgen! Donner, Blitz und Wolkenbruch. In den Strassen steht das Wasser – und der Morgenverkehr. Ich bin eine Stunde später als üblich unterwegs. Der Wecker klingelte um 5 Uhr 30, um 6 Uhr 30 schlug ich die Augen auf. Die Stunde dazwischen fehlt in meinem Leben, keine Ahnung, wohin sie verschwunden ist. Na ja, das ist nicht weiter tragisch, der Boss ist im Urlaub. Und trotz Weltuntergangswetter bin ich guter Laune.
Meine Stelle wird im Moment nicht gekündigt, das weiss ich jetzt offiziell. In dieser Lotterie habe ich ein gutes Los gezogen. Andere leider nicht.
Viele Mitarbeiter wissen schon, ob sie auf der schwarzen Liste stehen. In den Kaffeeküchen oder der Kantine schauen sich nun alle fragend und eine Sekunde länger als üblich an, als suche man ein Zeichen auf der Stirne des Gegenübers.
Eine gute Kollegin, die vor 18 Jahren wenige Monate vor mir ihre Stelle hier antrat, hat eben erfahren, dass ihr Team wegrationalisert wird. Einst hatte ich sie beneidet, weil ich gerne in ihrer Abteilung gearbeitet hätte. Nun bin ich froh, dass es mich nicht getroffen hat, aber auch traurig für sie.
Montag, 15. Januar 2018
Der Kasuarien-Kreis
Wie alle Parkanlagen in Israel wird auch Ya’ar Ilanot vom KKL (Keren Kayemeth LeIsrael - Jewish National Fund) unterhalten. Der KKL Fonds, so belehrt mich Wikipedia, wurde 1901 am fünften zionistischen Kongress gegründet, ursprünglich um Landkäufe im damaligen Palästina zu ermöglichen. Während den darauffolgenden Jahrzehnten war der Fonds an der Pflanzung des ersten Waldes, am Bau des ersten Kibbutz und sogar an der Gründung der Stadt Tel-Aviv beteiligt. Heute ist er vor allem für den Unterhalt der zahlreichen Parkanlagen in Israel zuständig.
Dass der KKL Fonds für die Juden in der Diaspora eine besondere Bedeutung hatte, erfahre ich von meiner Schwiegermutter. Eine KKL-Sparkasse ist einer der wenigen Gegenstände, die ihre Familie nach Israel retten konnte, als sie in den Fünfziger Jahren aus dem Irak flüchten musste. Es handelt sich um eine kleine unscheinbare Blechdose mit dem KKL-Emblem, in welche die Familienmitglieder noch im Irak ab und zu eine Münze steckten, um für Eretz Israel zu spenden. Dabei versinnbildlichte diese Dose ihre Hoffnung, dass sie eines Tages in dem verheissungsvollen Land leben würden, in welchem Milch und Honig fliesst und über welches der Vater fantastische Geschichten erzählte.
Kurz nach der Gründung Israels wurden im Ya’ar Ilanot, damals ein Stück Brachland nur wenige Kilometer von meinem Wohnort entfernt, eine Vielzahl verschiedener Bäume gepflanzt, um zu erforschen, wie sich die verschiedenen Arten im israelischen Klima entwickeln würden. Die Bäume wurden beobachtet und untersucht, einige überlebten, einige nahmen Überhand und andere gingen ein. Nach etwa zwei Jahrzehnten wurde der Wald nicht mehr weiter gepflegt und er verwilderte.
Seit einigen Jahren wird der schattige Park wieder vom KKL betreut. Während den Wochentagen verirrt sich zwar kaum jemand hierher, aber an den Wochenenden bevölkern Familien mit kleinen Kindern auf Trottinetts und Dreirädern die asphaltierten Wege unter den vielfältigen Bäumen. Zu seinem Höhepunkt kommt der Park jeweils im Februar, wenn die schwarze Iris blüht. Dann platzen der kleine Wald und die Parkplätze aus allen Nähten und Hunderte von Besuchern bestaunen die eigenartigen wilden Blumen mit ihrem fast schwarzen Blütenstand.
In der frühen Tageszeit, zu welcher ich unterwegs bin, sind aber kaum Besucher anzutreffen. Für mich ist der Park beim Joggen eine interessante Abwechslung zu den landwirtschaftlichen Anlagen in der Umgebung. Er ist aufwändig ausgestattet, an die 750 verschiedene Baumarten sind hier zu finden, viele davon sorgfältig beschriftet. Es gibt Ruhebänke, Trinkwasservorrichtungen und sogar ein Labyrinth aus hohen Sträuchern. Und eine Einrichtung, die ich besonders liebe – den Kasuarien-Kreis.
Samstag, 13. Januar 2018
Spaziergang am Meer
Die zauberhaften Winterlandschaften in der Schweiz vermisse ich sehr. Die Stille, das Glitzern des Schnees, das Knirschen der Schuhe auf vereisten Wegen, Schneeklumpen, die leise von verschneiten Tannen fallen, die kalte Nase...
Gegen die Wehmut hilft ein Spaziergang am winterlich stürmischen Meer. Das ist ganz anders, aber mindestens ebenso reizvoll und magisch beruhigend.
Gegen die Wehmut hilft ein Spaziergang am winterlich stürmischen Meer. Das ist ganz anders, aber mindestens ebenso reizvoll und magisch beruhigend.
Seltsam, seit ich lauthals verkündet habe, diesen Blog nicht mehr weiter zu führen, sprudle ich nur so über mit Ideen für Blogbeiträge. Kaum zu glauben, aber kurz nach dem der Entschluss gefallen war, hatte ich einen Schwall fertig ausgedachter Beiträge in der Pipeline.
Montag, 8. Januar 2018
Da bin ich wieder
Ein Rauschzustand
Wir fahren ohne jegliches Zeitgefühl durch die Nacht. Der kalte Fahrtwind schlägt mir ins Gesicht, ich lege meine Wange an die Jacke vor mir, die würzig-herb nach Leder, After-Shave und Motorenöl riecht. Die Nacht riecht kühl. Schon viele Stunden sind wir unterwegs, ohne anzuhalten. Während ich mich schläfrig an den Rücken vor mir schmiege, lenkt der Fahrer immer noch mit grosser Konzentration und Geschicklichkeit seine Maschine. Wir fahren schnell, der Motor unter mir vibriert und ich vibriere mit. Meine Beine, mein Rumpf, meine Arme, mein Kopf: Eine Masse in vibrierender Schwingung, der ich nicht entkommen kann. Ich sitze schon so lange auf diesem Motorrad, dass ich eins mit ihm geworden bin. Ich weiss nicht mehr, wo meine Beine aufhören und wo die Maschine anfängt. Das stetige Surren verbindet die Maschine, meinen Körper und den des Fahrers und vereint uns zu einem einzigen, zusammenhängenden Gegenstand, der durch die nächtliche Landschaft fliegt.
Der Motorenlärm, der schon seit Stunden in meinen Ohren dröhnt und die Dunkelheit, die mich umgibt, isolieren mich von der Welt. Ich nehme nichts mehr wahr, höre nur dieses Knattern– sonst nichts. Sehe nur dieses dunkle Schwarz und den Lichtkegel unseres Scheinwerfers – sonst nichts.
Ab und zu streift uns der Lichtstrahl eines entgegenkommenden Fahrzeugs und holt uns für Sekundenbruchteile in die Wirklichkeit zurück. Dann herrscht wieder Dunkelheit.
Wenn ich meinen Rücken etwas strecke, meinen Kopf etwas hebe und über die Schultern vor mir hinweg blicke, sehe ich ein surrealistisches Bild, als wäre ich im Drogenrausch: Die Bäume und Hügel in der Ferne bewegen sich und tanzen im Rythmus unserer Fahrt einen geheimnisvollen Reigen. Immer wieder nähert sich die gespenstige Form eines Baumes mit erschreckender Geschwindigkeit unserer Maschine, nur um kurz vor uns eine andere Richtung einzuschlagen. Im Scheinwerferlicht glitzert der Tau auf den Wiesen. Der Nebel taucht die Landschaft in eine diffuse Verschwommenheit, die nach jeder Kurve jäh von unserem grellen Licht durchbrochen und bis zur nächsten Biegung beleuchtet wird.
Ein heller Streifen am Horizont kündet den baldigen Sonnenaufgang an.
Ich schliesse meine Augen und habe Angst vor dem Anhalten, dem Ankommen, dem Aufwachen.
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Was macht eine Blogschreiberin, wenn sie keine Ideen hat? Sie gräbt an einem verregneten Wochenende alte Schulaufsätze aus. Zum Beispiel diesen, zum Thema „Rauschzustand“ (was sich der Deutschlehrer dabei nur gedacht haben mag?). Geschrieben vor etwa 35 Jahren, als ich 17 oder 18 Jahre alt war. Bestnote erhalten, ohne jeglichen Kommentar.
An die Fahrt, die mich zu diesem Aufsatz inspiriert hatte, kann ich mich noch gut erinnern. Auch an den Motorradfahrer U., obwohl sich unsere Lebensgeraden nur an einem minimalen Schnittpunkt kreuzten.
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