Montag, 28. November 2016

Grosse und kleine Katastrophen

Unterdessen habe ich schon wieder eine Mammographie, Ultraschalluntersuchung und Stanzbiopsie zur Gewebeentnahme hinter mir. Während der Stanze liege ich halb erfroren und steif vor Angst auf dem Bett. Ich mag gar nicht daran denken, was es bedeuten könnte, wenn ich so schnell nach der letzten Behandlung jetzt schon wieder Krebs habe...

Nun warte ich auf den Befund. Die Tage sind von Angst, Sorgen und schlaflosen Nächten geprägt.

Während unseres Urlaubs im Oktober vergingen die Tage so schnell, dass wir ruckzuck schon wieder den Rückflug antraten, kaum dass ein bisschen Urlaubsstimmung aufkam. Je mehr ich versuchte, die Tage bewusst zu geniessen und hoffte, es würde nie zu Ende gehen, desto schneller tickte die Uhr.

Jetzt hingegen, während ich auf den Befund der Biopsie warte, scheint die Zeit stillzustehen. Es ist die längste Woche meines Lebens. Meine Tage sind vollgepackt mit Aktivitäten: bis Itay einrückt, habe ich drei Kinder zuhause, die mich auf Trab halten, wir haben angefangen, unsere Schlafzimmer und das Badezimmer zu renovieren und vor lauter Durcheinander weiss ich kaum, wo mir der Kopf steht. Als ich eine freie Minute haben, gehe ich ins Kino und ins Theater. Und trotzdem, die Tage vergehen einfach nicht.

Als die nicht enden wollende Woche des Wartens endlich herum ist, teilt man mir mit, dass noch immer kein Befund vorliegt und es zehn Tage bis zwei Wochen dauern kann, bis der Bescheid kommt. Ich rufe täglich im Institut an und erhalte täglich dieselbe Antwort: noch nichts.

Am Donnerstag, vor dem Wochenende, vertröstet man mich auf den nächsten Sonntag.

„Und ein schönes Wochenende noch!“ wünscht mir die Dame gutgelaunt am Telefon...

Am Montag kommt endlich die gute Nachricht: es ist alles in Ordnung. Hurra! Falscher Alarm! Es war alles nur ein Jux. Ich kann aufatmen und weiterleben.

Und ich kann mich wieder den kleinen Katastrophen des Lebens widmen, die natürlich nicht auf sich warten lassen. Beim Nachhausefahren nach dem Einkaufen läuft im Kofferraum meines Wagens fast ein ganzer Liter Milch aus. Ist das nicht wunderbar? Die Kakerlaken werden mir bestimmt für die Nahrung dankbar sein (siehe Kakerlake Teil 1).

Aber trotz grösseren und kleineren Katastrophen: ich fühle mich fantastisch. Plötzlich ist alles ein Kinderspiel.

Und ich erkenne, dass ich mich schrecklich schnell wieder daran gewöhnt habe, meine Gesundheit einfach als selbstverständlich hinzunehmen.

Samstag, 26. November 2016

Militärdienst

Letzten Dienstag haben wir unseren Sohn für die nächsten Jahre dem Militär übergeben. Ein sehr eindrücklicher und aufregender Anlass, denn in Israel rücken die jungen Leute nicht einfach alleine ein, sondern sie werden meistens von der ganzen Familie mit viel Lärm und Tararam (jidd., Aufheben) im Rekrutierungsamt abgegeben. Wenn die jungen Frauen und Männer dann aufgerufen werden und den schicksalshaften Bus besteigen, der sie zur Ausmusterung bringt, begleiten sie die Angehörigen mit Rufen und allgemeinem Lärm und bewerfen sie mit Süssigkeiten. Einige Familien bringen Darbuka-Trommeln mit und tragen so noch zur grossen Aufregung bei, die hier herrscht.

Den Satz von Woody Allen "Ich muss lachen, sonst bringe ich mich um" habe ich in einem früheren Beitrag schon einmal zitiert. Heute morgen trifft diese Aussage den Nagel auf den Kopf. Niemand freut sich, dass sein Kind ins Militär einrücken muss. Kein junger Mensch hätte nicht gerne die Alternative, in einem friedlichen und sicheren Land etwas Sinnvolleres mit seinem Leben anzufangen. Trotzdem - oder gerade deshalb - bringen Eltern, Geschwister, Grosseltern, Onkel und Tanten die Rekruten hierher, lärmen, lachen und tanzen, denn eigentlich ist es allen zum Weinen zumute.

Am Wochenende kommt der fesche junge Mann nach Hause, frisch eingekleidet in einer faltenfreien neuen Uniform und fast kahlgeschoren. Kann sein, dass meine mütterliche Meinung nicht sehr objektiv ist, aber er sieht wirklich umwerfend gut aus. Da er wohl weder als Koch noch im Armeeorchester eine Chance hat, ich ihn aber trotzdem gerne fernab der brenzligen Schauplätze wüsste, überlege ich mir, ob mein Augapfel seinen Dienst vielleicht als Fotomodell für Uniformen absolvieren könnte? Und bitte ja nicht schmutzig machen...

Donnerstag, 10. November 2016

Verdacht

Wie vom Blitz getroffen taumle ich aus dem Brustzentrum. Dr. S hat einen neuen Knoten ertastet, jetzt in der linken Brust. Eventuell nur harmloses Brustgewebe, murmelt der Chirurg, aber er scheint selbst nicht davon überzeugt zu sein, sonst würde er mich wohl kaum gleich an Mammographie und Ultraschall weiterleiten und schriebe auch noch ‚dringend‘ in die obere Ecke. Im Brustzentrum selbst gibt es leider gerade keine freien Termine für die Untersuchungen, bestimmt nicht heute und nicht einmal in den nächsten Wochen. Das Krankenhaus scheint von einem Brustkrebs-Tsunami überrollt zu werden. So finde ich mich bald wieder draussen, bevor ich noch richtig begreife, was hier eben passiert ist. Beim Verlassen des Krankenhauses bin ich so verwirrt, dass ich vergesse, die Parkgebühr zu bezahlen und erst als ich mit dem Wagen vor der geschlossenen Schranke stehe, erwache ich aus meinem Schockzustand.

Ich werde in einem anderen Institut einen Termin suchen müssen, die Krankenkasse wird die Kosten für die nötigen Untersuchungen übernehmen. Ich weiss aber nicht recht, wohin ich mich nun wenden soll und fahre wie ein kopfloses Huhn zuerst in den einen Ort, dann in den andern und schlussendlich nach Hause, um alles telefonisch zu regeln. So dringend kann es ja nicht sein.

Zwei Stunden und einige Telefongespräche später habe ich mich wieder einigermassen beruhigt. Ich weiss ja schon, dass es für nichts eine Garantie gibt. Weder für Gesundheit, noch für ewiges Leben. Diese Erfahrung habe ich vor einigen Monaten schon gemacht. Unsere Zeit hier ist nur geliehen. Wir müssen das Beste daraus machen.

Sonntag, 6. November 2016

Kakerlake Teil 2

Schlussendlich ging alles ganz schnell: Keine Ahnung, wie ich es schaffte, das Tier mit einem einzigen sicheren Schlag meines Schuhs ausser Gefecht zu setzen. Dann musste ich mich noch überwinden, um die widerliche Leiche aus dem Wagen zu befördern, und schon brauste ich an den Bahnhof. Nur werde ich seither den Gedanken nicht los, dass weitere Kakerlakenexemplare auf meiner Kopflehne oder unter dem Bremspedal warten, um mich jeden Moment aus dem Hinterhalt anzuspringen.

Nachkontrolle

Diese Woche steht die Nachkontrolle im Brustzentrum an. Seit der OP ist schon mehr als ein halbes Jahr vergangen und obwohl für mich damals mit dem Krebsbescheid eine Welt zusammenbrach, kommt keine Panik auf. Ich fühle mich schon wieder viel zu sicher. Nicht mehr im Sinne von „mir passiert schon nichts“, diesen Satz habe ich endgültig aus meinem Vokabular gestrichen, sondern eher: “alles kann passieren, heute noch, morgen schon, lass dich nur nicht aus der Bahn werfen“.

Die kranke Yael? Zu ihr habe ich ein Beziehung, wie zu einer ehemaligen Klassenkollegin: Wer war das schon wieder? Ach ja, die mit dem Brustkrebs! Einmal war sie meine beste Freundin, aber dann haben wir uns aus den Augen verloren. Keinen Kontakt mehr. Nur wenn ich mich anstrenge, kann ich mich noch vage an sie erinnern.

Fast bin ich wieder soweit, zu glauben, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. Ich und Krebs? Das sind zwei Worte, die nicht zusammengehören.

Paella mit Freunden

Am Freitag treffen wir uns zum Abendessen mit Freunden. Über einer schmackhaften Paella führen wir gehaltvolle Gespräche bis spät in die Nacht. Kaum zu glauben, dass viele unserer Kinder schon den dreijährigen Militärdienst abgeschlossen haben. ‚Drei Jahre‘, sagt meine Freundin, deren Sohn erst gerade vor einigen Tagen die Uniform zurückgegeben hat, ‚drei Jahre, die sich anfühlen wie zehn‘. Jetzt bleiben uns nur noch einige Nachzügler, die auch bald einrücken werden. Von Generation zu Generation wird die Hoffnung israelischer Eltern, dass Friede herrschen wird, bis ihr Kind an der Reihe ist, von neuem enttäuscht. Ende Monat rückt mein Sohn ein. Jetzt wird es wirklich höchste Zeit, den Nahostkonflikt zu lösen. Einige Gläser Wein und wir sind sicher, das Patent zum sicheren Frieden in der Region gefunden zu haben. Leider haben wir es am nächsten Morgen wieder vergessen...

Mittwoch, 2. November 2016

Kakerlake Teil 1

Es ist neun Uhr abends, ich muss Eyal vom Bahnhof abholen, sein Zug fährt bestimmt gleich ein, während ich hier an einer grossen Kreuzung vom Rotlicht aufgehalten werde. Ich höre Musik und betrachte müde und in Gedanken versunken im Dunkeln die Autofahrer, die neben mir wartend in ihren Wagen sitzen.

Plötzlich huscht über das Armaturenbrett meines Wagens eine Riesen-Kakerlake! Sofort bin ich hellwach und in absoluter Panikstimmung: ein ekliges, widerliches braunes Ding von mindestens sechs oder sieben Zentimeter Länge! Hier, mit mir im Wagen! Alarmstufe 10, in meinem Kopf kreischen Sirenen, mein Puls steigt auf 180! Was nun? Ich kann kaum mehr klar denken, versuche aber trotzdem eiligst eine Lösung zu finden. Den Wagen mitten auf der Kreuzung verlassen? Kommt wohl kaum in Frage. Und sonst? Ich bin mit diesem Biest im Wagen eingeschlossen, ohne Fluchtmöglichkeit! Gleich wird es mich anspringen, oder unter meine Füsse hüpfen, um dann meine Beine hochzuklettern! Ich mache, was wohl jeder halbwegs vernünftige Mensch tun würde: ich kreische hysterisch und betätige den Schleudersitz – ach, das war nur die Hupe! Ich atme hechelnd, während das Tier vor mir nach Kakerlakenart mit haarigen Beinen in alle Richtungen rennt. Dann wechselt endlich die Ampel auf grün und ich schaffe es, schon fast ohnmächtig, den Wagen zur nächsten Bushaltestelle auf der anderen Seite der Kreuzung zu steuern. Dort verlasse ich nach einer reifenquitschenden Notbremsung fluchtartig den Wagen. Ich öffne alle Türen, damit die Ratten ungestört das sinkende Schiff verlassen können und nehme sicherheitshalber einen meiner Schuhe in die Hand, um bereit zu sein, falls das Ungetüm mich anspringen sollte.

Nun versuche ich, tief zu atmen und klar zu denken. Wie ich aus sicherer Entfernung sehen kann, scheint die Kakerlake die frische Luft nicht zu mögen und sucht sich – ganz entgegen meinem Plan - in meinem Wagen eine warme Ecke. Ich hingegen stehe nun frierend im Dunkeln. Während ich die Israelis sonst als sehr hilfreiches Volk gegenüber Menschen in Not kenne, scheint sich an diesem Abend niemand um eine Frau zu kümmern, die zu Tode erschrocken, mit einem Schuh in der Hand und mit den Armen fuchtelnd am Strassenrand steht, während ekelerregende Mächte aus der Unterwelt gerade ihr Auto in Besitz nehmen. Sogar eine Polizeistreife fährt vorbei, keiner hält an - was vielleicht auch besser ist, denn was sollte ich der Feuerwehr oder dem Pannendienst erklären? Dass ich eine Kakerlake im Auto habe? Dann doch besser auf das nächste Taxi oder den Bus warten. Ja, es war ein schöner Wagen, nur ein paar Monate alt, knappe 9000 Kilometer, aber beim Gedanken an die Kakerlakenfamilie, die nun vermutlich in den Röhren und Ritzen meines Wagens lebt, ergebe ich mich kampflos, wenn auch schweren Herzens.

Ach was, fasse ich dann Mut, denke an Eyal, der müde und hungrig am Bahnhof auf mich wartet und nähere mich mit dem Schuh in der erhobenen Hand dem Wagen. Da sitzt das Biest, in einer sicheren Ecke, es inspiziert seine neueste Errungenschaft, meinen geliebten Wagen, grinst mich schadenfreudig an und wackelt frech mit den langen Fühlern. Ich hebe meine Hand und…

Fortsetzung folgt …..