Mittwoch, 26. März 2025

Zwischen den Zeilen

Seit einigen Tagen lese ich den "7 October Parliamentary Commission Report". Abschnitt um Abschnitt, Seite um Seite, arbeite ich mich durch.

Schon die ersten Kapitel, die frühere Zyklen von Konflikten und Waffenstillständen, Ziele, Pläne, Waffen und Ausrüstung der Hamas beschreiben, versetzten mich in komplette Fassunglosigkeit über die Ausmasse, die Präzision und die Professionalität, mit denen die Terrororganisation seit Jahren ihr Ziel verfolgt. Dabei war das Massaker vom Oktober 2023 nur eine Teil-Errungenschaft, nur ein Schritt zum Gesamtsieg. 

Aller Aufwand der Hamas, ja ihre gesamte Existenz hat von Kern auf rein gar nichts anderes zum Ziel, als die Vernichtung Israels. Vieles davon habe ich gewusst, schon vor dem 7. Oktober-Pogrom, doch alle Details konzentriert in einem Bericht nachzulesen, schockiert. Wie konnten wir nur so blind, überheblich und dumm sein, diese Satane jahrelang mit unablässiger Konsequenz arbeiten zu lassen? Und, was die Weltgemeinschaft anbetrifft, sie auch noch zu unterstützen, sei es absichtlich oder aus Naivität. Warum zögern wir weiterhin, sie zu vernichten? Warum mussten Tausende Menschen geopfert werden, um (einigen von) uns die Augen zu öffnen?

Es fällt mir schwer, meine Eindrücke, Gefühle und Gedanken in Worte zu fassen. Deshalb schreibe ich über Spargeln, Liebeslieder und Mimosen.

Ich finde, der Bericht sollte Pflichtlektüre für jedermann sein. Ich hoffe, dass er möglichst bald auf Deutsch übersetzt wird, damit niemand meiner Bekannten in Europa sagen kann, sie wüssten nicht, worum es geht. Es geht um purste Bosheit. Niemand soll auch nur den leisesten Gedanken im Hinterkopf haben, Hamas, die jahrelange Planung des Angriffs, das von ihnen durchgeführte Pogrom, oder ihre weitere Existenz, könnten irgendeine Berechtigung haben.


Hier noch ein weiterer Mimosenstrauch. Danke für die Aufmerksamkeit!



Montag, 24. März 2025

Mimosen



Meine erste Bekanntschaft mit Mimosen machte ich als Jugendliche an der Basler Fasnacht. Damals, wie auch noch heute, werden die gelb-blonden Zweige des Mimosenstrauchs zusammen mit Räppli, Orangen, Süssigkeiten und verschiedenem Gemüse am "Cortège" von den Wagen in die Menschenmenge geworfen. Warum ausgerechnet Mimosen? Das wissen nicht einmal die Hardcore-Fasnächtler. Vielleicht schlicht und einfach, weil die «drey scheenste Dääg» in die Blütezeit der Mimose fallen? Oder vielleicht auch, weil ihre Farbe so gut zum Gelb der Waggisperücken passt?

Über die Herkunft der Mimosenzweige machte ich mir in Basel nie Gedanken. Vielleicht aus Frankreich, oder Italien, lese ich auf Wikipedia.

Heute kenne ich die Mimosensträuche in Israel, wo sie gerade jetzt zur Blütezeit als wahrer Mimosendschungel das ganze Sharongebiet in leuchtendes Gelb tauchen. Die Pflanze soll in Israel aber gar nicht heimisch sein, sondern invasiv, lese ich. 

Aber das ist mir egal, ich freue mich einfach über das sonnige Gelb, das am Morgen auf dem Weg zur Arbeit die Strasse säumt und so wunderbar zum jetzt im Frühling noch tiefblauen Himmel passt. Was für eine Blüten- und Farbenpracht! Fast immer denke ich bei diesem Anblick an die vereinzelten Zweige, die zur dieser Jahreszeit an der Basler Fasnacht das düstere Nebelgrau überstrahlen.


Sonntag, 23. März 2025

Liebeslieder

Den Samstagnachmittag verbringen wir nach einem guten Essen und einigen Gläsern Wein damit, zusammen mit dem jungen Paar DAS Lied für die näher rückende Hochzeit zu suchen. In einer Lautstärke, die jegliches Gespräch unmöglich und unnötig macht, hören wir uns Liebeslieder in allen Sprachen an. Wir übertreffen uns mit Ideen und Vorschlägen, die von Elvis Presley (can't help falling in love with you), die Beatles (Something), über die gängigen, neueren und älteren israelischen Lieder und sogar bis hin zu Ewigi Liäbi von Mash (das ausser mir niemand versteht) reichen. Es ist nicht das erste Mal, dass wir uns mit der Suche nach einem Lied für die Hochzeit vergnügen – und wie immer bleibt auch heute die Wahl offen.

Gibt es eine erfreulichere Beschäftigung für einen Samstagnachmittag?



Samstag, 22. März 2025

Winterernte




Beim Pflücken der wilden Spargeln habe ich einen sehr verbissenen Konkurrenten. Leider kenne ich nur einen einzigen Busch dieser geschätzten Pflanze, den ich zu Fuss von zu Hause aus erreichen kann. Er wuchert an der Grenze unseres Nachbardorfes zwischen den Büschen, die als natürliche Hecke die Erdbeerfelder vor ungewünschten Besuchern verstecken. Meistens richte ich meine Laufstrecke während der Spargelsaison so aus, dass ich früh am Samstagmorgen dort vorbeikomme. Manchmal habe ich Glück und finde einen oder zwei besonders fleischige Stängel, die mein Rivale übersehen hat. Bin ich aber nicht sehr früh unterwegs, ist mir mein Konkurrent meistens schon zuvorgekommen. Wann macht er nur seine Ernterunde? Nachts? Ich scheine indes einen Grössenvorteil zu haben. Wenn ich mich recht strecke und die darunter liegenden kratzenden Büsche nicht scheue, ergattere ich meist hoch oben doch noch ein paar Spitzen. Zur Belohnung knabbere ich jeweils einige davon gleich roh und frisch ab Strauch auf dem Heimweg.

Mit Erbeerenstibitzen war heute leider nichts. Die Planen, die sie überdecken, werden nur an sonnigen Tagen zurückgeschlagen. An einem bewölkten und nassen Tag wie heute bleiben die Früchte unter den Planen geschützt im Trockenen. Bevor ich wieder zu Hause ankomme, pflücke ich jedoch noch drei betörend riechende Zitronen.

Bald ist die nasse Saison zu Ende, dann verschwinden sowohl die Spargelsträuche als auch die Erdbeeren wieder bis zum nächsten Winter.



Freitag, 21. März 2025

Der britische Bericht

Gabriel Strenger schreibt auf seiner Facebookseite:

"Manche meiner muslimischen Freunde, mit denen ich noch bis vor einem Jahr im interreligiösen Dialog stand, publizieren Kritiken an Israels Vorgehen in Gaza. Euch möchte ich nun folgendes sagen:
Wäre ich Muslim, würde ich mich angesichts der Ungeheuerlichkeit des Hamas-Massakers – welches laut Meinungsumfragen in Gaza von der Mehrheit der Palästinenser bis heute befürwortet wird – in Grund und Boden schämen. Vor allem würde ich schweigen – insbesondere im heiligen Monat Ramadan. Ganz gewiss aber würde ich den jüdischen Staat nicht dafür kritisieren, wie er die Hamas-Terroristen, die sich jetzt feige hinter palästinensischen Frauen und Kindern in Gaza verstecken, zur Rechenschaft zieht.
Hier der neueste Bericht, verfasst von britischen Forschern, über die palästinensischen Verbrechen vom 7. Oktober:Achtung – es ist ein schrecklicher Bericht! Er erzählt im Detail, wie die Palästinenser – ja, unter ihnen auch ganz gewöhnliche Zivilisten – Jüdinnen und Juden vergewaltigten, zerstückelten und verbrannten, wie sie Kinder vor den Augen ihrer Eltern folterten und Vätern vor den Augen ihrer Kinder die Genitalien abhackten. Während ihrer Schandtaten ließen sie es sich des öfteren nicht nehmen, immer wieder Allahu Akbar zu rufen.
Wie gesagt: Wer als Muslim selber nicht den Mut hat, die Bestrafung dieser abscheulichen Verbrecher in den eigenen Reihen zu fordern, sollte doch wenigstens den Mund halten."


Ich habe mir den Bericht auf meinen Kindle geladen Nur schon beim Anblick des Titelbildes stockt mir das Blut in den Adern. Doch ich werde ihn lesen.













Donnerstag, 20. März 2025

Abschiedspost

Fast wäre hier ein Abschiedspost gestanden. Den ersten grossen Schock des Krieges scheine ich verarbeitet zu haben, der Krieg verläuft für mich zwar unheimlich und allgegenwärtig, aber im Hintergrund. Über Alltägliches zu berichten, scheint belanglos.

Doch dann habe ich mich für das Gegenteil entschieden. Ich werde versuchen, wieder jeden oder wenigstens alle paar Tage einige kurze Gedankenanstösse zu veröffentlichen. Vielleicht Alltägliches, vielleicht Belangloses, vielleicht auch ab und zu etwas über den Krieg.

Bis bald!

Erntebeute beim Spaziergang: Erdbeeren frisch vom Feld und wilder Spargel







Mittwoch, 26. Februar 2025

Vier schwarze Särge

Die gelbe Schleife, das Zeichen der Entführten, an Israels Himmel


Im Moment müssen wir keine weitreichenden Raketenangriffe mehr befürchten. Die Luftschutzsirenen sind seit Wochen ungenützt, in den Schutzräumen sammelt sich wieder Staub und Gerümpel. Dem Anschein nach ist es ruhig geworden. Der grosse Lärm ist verhallt, doch unter der vermeintlichen Ruhe tosen und überschlagen sich die Ereignisse. 

Eli, Or, Yarden, Gadi, Karina, Naama, Liri, Agam, Omer. Diese Namen und ihre Schicksale jagen sich in meinen Gedanken, wenn ich abends im Dunkeln liege und vergeblich den Schlaf suche. Das Drama um die Geiseln, welches das Abkommen mit der Hamas, dieser Pakt mit dem Teufel, mit sich bringt, hält die Bevölkerung in Israel in Atem, so auch mich. Wie zu erwarten war, ist dieser Handel mit unschuldigen Menschen Nährboden für unvorstellbare Perversitäten seitens der Hamas. Seit Mitte Januar fiebern wir ununterbrochen in einer Mischung aus Euphorie und entsetzlicher Panik den Wochenenden entgegen. Und immer wenn man denkt, die Barbarei sei nicht mehr zu übertreffen, wird es doch noch schlimmer.

In wiederkehrenden zynischen Spektakeln übergibt die Hamas Israel an den Wochenenden abgemagerte und geschundene Überlebende. Mit surrealistisch anmutenden Prozessionen demonstrieren sie unverfroren, was sie mit uns machen, wenn sie uns nur in die Hände kriegen. Einmal übergeben sie vier schwarze Särge. Ich stürze mich in meine Arbeit. Ich lasse die Gedanken an die Zurückkehrenden, deren Familien teilweise grausamst ausgelöscht worden sind, nicht an mich heran. Die Ermordung mit blossen Händen der zwei rothaarigen Kleinkinder und ihrer Mutter und die Schicksale der Überlebenden und der Zurückgebliebenen gehören in den Bereich des Unfassbaren, des Unaussprechlichen. Irgendwann werden die Nachrichten schon bei mir ankommen und durchsickern, doch jetzt gerade ist es zu früh, zu viel, zu mächtig.

Dass die fünf Späherinnen aus der Basis Nahal Oz wieder lebend zu ihren Familien zurückgekehrt sind, freut mich wahnsinnig. Die Gedanken an die jungen Frauen, die das Massaker verletzt und geschändet überlebt haben und dann monatelang in Gaza von ihren Peinigern festgehalten wurden, haben mich unablässig verfolgt. Auch die Freude über Gadi Moses' Freilassung, der Vater eines Mitarbeiters, ist gross. Ganz besonders habe ich jedoch Omer Shem Tov's Rückkehr entgegengefiebert, ist er doch ein Bekannter von Lianne aus ihrem gemeinsamen Militärdienst in Eilat. Lianne spricht nie über die Verluste, doch die Ermordung ihrer Freundinnen Shir und Nitzan am 7. Oktober-Pogrom sind schon mehr, als ein junger Mensch verarbeiten kann.

Heute werden Shiri Bibas und ihre Kinder zu Grabe getragen. Kfir und Ariel waren bei ihrer Entführung vier Jahre alt und neun Monate alt. Der Trauerzug dauert den ganzen Morgen, die Särge werden von Ramat Gan aus über Rischon Lezion, Yavne, Aschdod und Aschkelon nach Sha’ar HaNegev zum Kibbuz Nir Oz gefahren. Zehntausende Israelis säumen die Straßen, um Shiri, Kfir und Ariel auf ihrem letzten Weg zu begleiten. 

Daneben verläuft mein Alltag so ordentlich und ruhig, dass es nicht zu fassen ist. Keine Alarme, keine Raketen. Kein Rennen um unser Leben. Es ist einfach viel zu ruhig. Nur in mir drinnen schrillen die Sirenen weiterhin rund um die Uhr.