Sonntag, 12. Mai 2019

Die Fast-Gipfelbesteigung



Nickerchen im windgeschützten Winkel
Unsere letzte grosse Wanderung liegt schon mehr als eine Woche zurück, weil sie aber sehr abenteurlich und eindrücklich war, möchte ich doch noch darüber berichten und einige Fotos hochladen. 

Die Besteigung der Kreuzfahrerburg Nimrod in den Bergen von Galiläa, im Norden Israels am ersten Wandertag verläuft angenehm. Vielleicht etwas zu angenehm, so dass es plötzlich zu spät wird und wir den zweiten Teil der Wanderung auf den nächsten Tag verschieben.
Wir – eine Gruppe von etwa 30 Wanderern, inklusive einem dreiköpfigen Leiterteam – sind heute 14 km gegangen.












Jetzt gibt es eine heisse Suppe und dann sitzen wir um das Feuer, auf welchem ein grosser Eintopf vor sich hinköchelt. Jemand hat eine Gitarre mitgebracht, wir singen und trinken Wein.



Diese Aussicht vom "Bett" ist eine schlaflose Nacht wert
Die Übernachtung im Zelt ist, wie nicht anders erwartet, eine Katastrophe. Trotz Heuschnupfenmedikament ist meine Nase total verstopft sobald ich mich hinlege. Wenigstens ist mir nicht kalt, ich schliesse aber trotzdem die ganze Nacht kein Auge und zähle die Minuten bis zum Morgengrauen.

Am Morgen ist die Qual aber schnell vergessen – Schlaf ist für Schwächlinge! Stehend kann ich jetzt auch wieder atmen und ich ziehe vor dem Morgenkaffee los, um die Umgebung im Licht der aufgehenden Sonne zu fotografieren.






Bewölkter Sonnenaufgang

Am zweiten Tag machen wir uns an den Streckenabschnitt, der eigentlich für gestern geplant war und wandern in der Schlucht des Hazur-Flusses. Der Fluss mit seinem klaren kalten Wasser und den felsigen Becken erinnert an die Verzasca in der Schweiz, nur ist die Schlucht hier viel enger. Weil es im Winter ausgiebig geregnet hat und der Schnee auf dem Hermonberg immer noch schmilzt, führt der Fluss verhältnismässig viel Wasser und das Tal grünt und blüht in allen Farben.

Eine Wanderkollegin bricht sich beim Klettern auf den felsigen Pfaden den Knöchel, sie wird von einem Rettungsteam abtransportiert und so verzögert sich das Tagesprogramm um eine weitere lange Stunde. Gute Besserung!

Erst um die Mittagszeit, viel später als geplant, beginnen wir den Aufstieg auf den Hermonberg, den höchsten Berg Israels, dessen Gipfel auf 2,200 m wir eigentlich bis um 15 Uhr hätten erklimmen müssen, um mit dem letzten Sessellift gemütlich wieder die Talstation zu erreichen. Unser Wanderleiter lässt sich aber nicht so leicht aus der Ruhe bringen, er improvisiert spontan einfach weiter, ganz nach dem abenteurlichen Motto, dass sich immer irgendeine Lösung findet. In diesem Sinne kraxeln wir nun im Affentempo den Berg hoch. 

Das Mittagessen lassen wir aus. Als es schon 15 Uhr ist, sehe ich die nebelumhangene schneebedeckte Bergspitze immer noch in weiter Ferne. Nur nicht nachdenken! Weiterklettern! Nach zwei Stunden Aufstieg scheidet etwa ein Drittel der Gruppe aus und schlägt eine Abkürzung zur Talstation des Sesselliftes ein, wo der Bus auf uns wartet. Eyal und ich klettern mit dem Rest der Gruppe weiter. Nach einer weiteren Stunde mag aber einer von uns beiden – ich nenne keine Namen – nicht mehr. Er schwitzt und keucht und bleibt nach jedem Schritt immer länger stehen. Wie weit der Gipfel noch entfernt ist, können wir nicht mehr sehen, er liegt im Nebel. Ich bin auch ziemlich kaputt, aber mehr noch als der weitere Aufstieg gibt mir der Abstieg zu denken. Denn das gibt wabbelige Knie. Und je höher hinauf, desto weiter würden wir hinunter klettern müssen. Der letzte Sessellift ist schon lange ohne uns abgefahren.

Das Gebiet, in welchem wir uns nun befinden, ist wegen der Nähe zur Grenze unter strengster Kontrolle der israelischen Armee und darf ab 16 Uhr nicht mehr betreten werden. 
16 Uhr ist aber schon längst vorbei und der Gedanke, dass wir uns nun im Radar des Militärs befinden, ist auch nicht gerade beruhigend.
Als wir auf ein Strässchen treffen, geben Eyal und ich auf und machen uns mit zwei weiteren Wanderern etwa eine Stunde vor dem Gipfel an den Abstieg.




Wir treffen ein seltenes Exemplar einer einköpfigen Doppelkuh

Die furchtlosen Wanderkollegen, die trotz allem weiterklettern, werden dann auch wenige hundert Meter vor Erreichen des Gipfels vom Militär abgefangen. Der erboste Kommandant ist nicht gewilligt, den unerlaubten Aufenthalt der Wanderer weiter zu dulden. Als Eyal und ich gerade mit wackelnden Knien an der Talstation eintreffen, bekommt unser Bus eine Sondergenehmigung, mit Militärbegleitung ins Sperrgebiet und auf den Gipfel zu fahren, um die verspäteten Wanderer dort oben abzuholen.


Nur die Hälfte der Gruppe hatte es geschafft, den Gipfel zu erreichen, darunter der Leiter und sein Team, eine Triathlonistin, ein Marathonläufer und einige weitere Wanderer mit übermenschlichen Kräften.

Aber, der Leiter hatte recht gehabt – irgendeine Lösung gibt es immer.

Donnerstag, 2. Mai 2019

Ein bescheidener Sieg

Wie jedes Jahr wiederholt sich in Israel eine Woche vor dem Unabhängigkeitstag der Holocaust-Gedenktag. Im Fernsehen werden Dokumentarberichte und Gespräche mit und über Holocaust-Überlebende ausgestrahlt. Zeitlich passend beginne ich gerade "Ist das ein Mensch?" von Primo Levi zu lesen.

Ich realisiere plötzlich, dass mir – je weiter dieser fürchterliche Abschnitt der Geschichte in die Vergangenheit rückt – die Schicksalsberichte immer aberwitziger und unwirklicher erscheinen. Jedes einzelne Schicksal ist absolut unvorstellbar, mit dem Verstand einfach nicht zu fassen. Als hätte die Generation der Älteren in einem Anflug hinterhältigster Boshaftigkeit in den Vierziger Jahren beschlossen, von nun an allen Nachgeborenen einen himmelschreiend ungeheuerlichen Bären aufzubinden. Science Fiction. Anders ist es nicht zu begreifen.

Natürlich weiss ich genau, dass dem nicht so ist. In Israel leben heute noch etwa 200,000 Holocaust-Überlebende und ihre oft meist fantastisch anmutenden Geschichten sind leider sehr wahr. Eigenlich darf ich die obige Idee auch kaum aussprechen, denn noch viel unglaublicher ist es, dass immer mehr Menschen tatsächlich vom Holocaust nichts wissen oder wissen wollen.

Kurz nachdem heute morgen um zehn Uhr die Sirenen im ganzen Land heulen, finde ich mich mit etwa 150 Mitarbeitern auf dem Rasengelände der Firma zu einem bescheidenen Gedenkanlass ein. An dem Anlass musizieren acht Schüler, die wohl etwa siebzehn- oder achtzehn Jahre alt sind. Sie spielen Querflöte, Piano und Gitarre und zwei junge Frauen und einer der jungen Männer singen. Die Gymnasiasten sind auffallend begabt und die traurigen Lieder werden äusserst berührend vorgetragen. Auch ich habe Tränen in den Augen. Aber ich höre die Musik, betrachte die jungen Leute und denke, dass diese schönen und aussergewöhnlich begabten jungen jüdischen Menschen den wahren Sieg über die brutale und unmenschliche Vernichtungsidee der Nazis verkörpern. Ich weiss nicht, ob das Gute je über das Böse siegen wird, aber hier ist ein bescheidener Sieg, der Hoffnung macht.

Dienstag, 30. April 2019

Ein Ausflug, den keiner will



Schulferien und angenehmes Frühlingswetter treiben an den Pessachfeiertagen fast alle Israelis aus den Wohnungen. Zu Tausenden, ja zu Millionen sogar (1,25 Mio Israelis sollen an Pessach Ausflüge unternommen haben, wird heute morgen in den Nachrichten berichtet) brechen sie auf. An Pessach ist alles übervoll, jedes Hügelchen besteigen die Israelis in Scharen, jedem Bächlein entlang trampeln sie dicht an dicht, mit Kind und Kegel. Die Strassen sind im ganzen Land katastrophal verstopft, denn wer nicht in der freien Natur unterwegs ist, fährt wenigstens in eines der unzähligen Shopping-Zentren.

Wer Menschenscharen nicht mag und nicht gerne im Stau steht, bleibt also an Pessach besser zuhause.

Genau das machen auch wir. Die Kinder hängen faul herum, schauen fern oder geniessen die neuen Gartenmöbel. Mir wird schnell langweilig, deshalb putze ich, räume auf, koche, werkle etwas im Garten. Da ich Frühaufsteherin bin, habe ich mein Tagessoll aber meist schon um die Mittagszeit erledigt und nach einer oder zwei Stunden lesen und faul herumliegen – wird mir langweilig.

Ein klitzekleiner Ausflug, ganz hier in der Nähe, wird doch wohl drinliegen, denke ich mir nach zwei Tagen Putzen, Kochen und Aufräumen, sonst kraxle ich ja schon bald die Wände hoch. Ein Strandspaziergang zum Beispiel, am späteren Nachmittag, wenn bestimmt alle Familien mit kleinen Kindern schon zuhause sind.

Lianne möchte nicht mit. Sie hat zwei Wochen Ferien und muss genau jetzt, in dieser Stunde, plötzlich Mathe lernen. Dagegen kann ich nichts einwenden. Ich suche weitere Opfer und finde sie in den beiden sechzehnjährigen Mädchen aus Brasilien, die wir in diesen Ferien beherbergen. Sie liegen auf ihren Betten im klimatisierten Zimmer und glotzten auf ihre Handys. Ich lade sie herzlichst ein, mitzukommen und sie sind zu anständig und getrauen sich nicht, nein zu sagen. Auch der Gatte, der schon das ganze TV-Programm leergeschaut hat, würde wohl lieber sitzen bleiben, ahnt aber, dass er meine Langeweile noch schlimmer zu spüren bekommen könnte, wenn wir zuhause bleiben.

Ich packe zwei Flaschen Wasser ein und wir ziehen los. Unser Ziel, der Strand von Mikhmoret, wo wir nordwärts nach Giv’at Olga gehen möchten, ist nur etwa eine Viertelstunde Autofahrt entfernt. Der Zustand auf den Strassen ist erträglich. Bis wir uns Mikhmoret nähern. Dort kommt uns auf der einspurigen Strasse in Richtung Strand eine nicht endenwollende Autoschlange entgegen. Bestimmt zwei Kilometer lang reiht sich Wagen an Wagen, die in langsamstem Schrittempo nur stockend vorwärts kommen. Wir fahren in die entgegengesetzte Richtung und bestaunen die Autoschlange. Was ist denn hier los? Wo kommen die alle her? Ist dies der Auszug aus Ägypten im 21. Jahrhundert? Viele haben Surfbretter auf dem Dach und sind mit Strandmatten und -Stühlen beladen. Je länger wir dem Stau entgegenfahren, desto unerklärlicher wird er uns. Wir wissen aber, dass auch wir auf der Rückfahrt in genau diesem Stau stehen werden und es jetzt schon kein Zurück mehr gibt. Eyal sagt kein Wort, aber sein Gesicht spricht Bände. Auch mein Tatendrang ist nullkommaplötzlich verflogen. Was für eine Schnapsidee, dieser Ausflug! Besser hätte ich zuhause noch Wäsche gebügelt!

Am Ziel unserer Fahrt wird uns klar, dass die ganze Blechlawine tatsächlich hier, auf genau diesem Parkplatz, ihren Ursprung hat. Weil jetzt, am späteren Nachmittag, starke Winde aufgekommen sind und es schon recht kühl ist, scheinen alle Strandbesucher den Strand zur selben Zeit verlassen zu wollen. Na ja, mir ist das erstmal egal, unser Ausflug fängt ja erst an. Wir gehen jetzt nordwärts, mit starkem Gegenwind. Der Strand zwischen Mikhmoret und Giv’at Olga ist mit seinen kleinen felsigen Buchten meines Erachtens einer der schönsten Israels. Ich ziehe energiegeladen los, merke aber bald, dass meine Mitwanderer ziemlich widerwillig mit dabei sind. Leider musste ich für diesen Ausflug Kompromisse eingehen, wenn ich überhaupt Partner gewinnen wollte und so verzichtete ich auf die Idee, mit zwei Autos loszufahren und eines am Ziel zu parkieren. Ergo würden wir dieselbe Strecke zurückgehen müssen, eine Tatsache, die der interessantesten Wanderung die Spannung nimmt und sie sinnlos und sysiphisch macht. Und dann noch die Aussicht auf den kilometerlangen Stau... Schon ziemlich sinnlos, dieses Unternehmen. Der Gatte trottet freudlos nebenher, die Mädchen schauen immer öfter auf ihre Handys. Wir kommen kaum vorwärts. Der Gegenwind scheint sie rückwärts zu drücken und die negative Aura, die sie umgibt, ist für mich buchstäblich sichtbar.

Nach zweieinhalb Kilometern gebe ich auf. Wir kehren um. Man kann die Leute nicht zu ihrem Glück zwingen.

Als wir rechtzeitig zum Sonnenuntergang wieder in Mikhmoret eintreffen, ist der Strand schon fast leer. Jetzt stehen tatsächlich alle Strandbesucher auf der Strasse – und so bald auch wir. Die zwei Kilometer bis zur Kreuzung legen wir in etwa einer halben Stunde zurück, während im Auto eisige Stille herrscht.

Endlich dem Stau entkommen, gönnen wir uns ein grosses Eis. Das haben sich meine tapferen Wanderkameraden redlich verdient. Und am letzten Ferientag werde ich Fenster putzen!

Sonntag, 28. April 2019

Sie sind da!

Mir nahestende Mitmenschen behaupten, dass ich mich nur schwer oder gar nicht entscheiden könne. Ich finde, das stimmt überhaupt nicht. Ich wäge nur jeweils alle in Frage kommenden Möglichkeiten geflissentlichst ab. Sortiere aus, was zu viele Nachteile hat. Vergleiche die verbleibenden Optionen. Hole Meinungen von anderen ein. Erst wenn ich ganz genau weiss, was ich will, schlage ich zu. Und dann bin ich zufrieden. Dieses Vorgehen hat sich bis anhin in den meisten Lebensfragen als äusserst erfolgreich bestätigt.

So kommt es auch, dass ich während der Suche nach den perfekten Gartenmöbeln für unsere neue Pergola zum Gespött meiner Familie wurde. Fast ein Jahr lang besichtigte ich alle in der näheren und weiteren Umgebung liegenden Gartenmöbel-Center und wog ab. Rattan, Aluminium oder Holz? Aluminium. Aber weiss oder grau? Ein Dreier- oder ein Ecksofa? Mit Tisch oder ohne? Langsam langsam kristallisierte sich mein Entschluss heraus und dann schlug ich zu. Jetzt sind die neuen Möbel da und sie sind perfekt!

Den alten schweren Holztisch verscherbelte ich noch auf einer Secondhand-Plattform. Der bald gefundene Käufer schenkte mir als sehr erfreuliche Zugabe verschiedene Setzlinge, unter anderem von vier verschiedenen Basilikumsorten. Haben sie gewusst, dass es Zitronenbasilikum und thailändischen Basilikum gibt? Jetzt freue ich mich nicht nur über die absolut perfekten Gartenmöbel, sondern verfolge auch gespannt das Gedeihen meines Basilikums! Der Sommer kann kommen!


Montag, 22. April 2019

Auf Heimatbesuch

Alltag. Die Tage rasen dahin. Immer ist etwas los, es findet sich kaum Zeit zum Schreiben. Ein Bombeneinschlag im Nachbardorf, eine Schweizreise, die Wahlen, endlich neue Gartenmöbel. Bevor ich beim Blogschreiben endgültig den Anschluss verpasse, möchte ich versuchen, eiligst noch etwas nachzuholen und vielleicht doch noch den davonrasenden Zug zu erwischen.

In der ersten Aprilwoche durfte ich spontan geschäftlich nach Basel reisen. In der Filiale meines Arbeitgebers im Zentrum Basels standen Meetings mit der aus den USA angereisten Chefin und mit Mitarbeitern auf dem Programm, von denen ich bis anhin nur die Stimme am Telefon kannte. Dabei war aber nicht von allzu ernsthafter Arbeit die Rede, es handelte sich eher um gesellschaftliches Zusammenfinden, um sich bei gemeinsamen Mahlzeiten (Basel hat einige sehr gute Restaurants, vor allem, wenn die Firma bezahlt) und Aktivitäten (ein geführter Stadtrundgang) kennenzulernen.

Der Fasnachtsbrunnen in Basel

Vor einer Ewigkeit, in einem anderen, früheren Leben, hatte ich in Basel das Gymnasium besucht. Nun, nach mehr als dreissig Jahren im Ausland, fühlen sich „Heimatbesuche“ in Basel sehr seltsam an. Ich sehe diese mir einst so bekannte Stadt aus den Augen einer Touristin. Auf dem Weg vom Büro ins Hotel durchquere ich den Schulhof „meines“ Gymnasiums. Ich spähe durch die Fenster in die Klassenräume, in welchen ich als junge Frau den Blick in die umgekehrte Richtung schweifen liess und – damals von unerklärlichem Fernweh geplagt und von exotischen Ländern träumend  – stundenlang den Flug der Schwalben verfolgte. Das Gefasel der Lehrer drang kaum je zu mir durch. Während der Arbeit erspähe ich jetzt vom Bürofenster aus das Dach und die Dachfenster eben dieser Schule, wo ich im Dachstock einst am Bühnenbild unserer Schüleraufführung werkelte. Die Theateraufführung war ein kläglicher Flop, das Bühnenbild katastrophal – aber dafür hatte ich danach einen Freund... 

Im Hotel bekomme ich ein überraschendes Upgrade und logiere in einem Loft, an welchem ich mich gar nicht sattsehen kann – mit Küche, Balkon und einem Badezimmer in der Grösse meiner Stube! Ich lasse sofort heisses Wasser mit viel Schaum in die freistehende Badewanne laufen und geniesse den ruhigen Abend ganz stilvoll mit Cüpli in der Wanne. Was für ein unbeschreibliches Vergnügen, diese paar gezählten Tage Singleleben in einer hübsch gestylten Hotelwohnung im Zentrum Basels! Danke, danke, mein geliebter Arbeitgeber! Was für ein Genuss, das Büro zu Fuss in wenigen Minuten zu erreichen und die Stunden mit lockerer Arbeit und Gesprächen zu verplempern. Die WhatsApp-Anrufe meiner hungrigen Familienmitglieder, die zu Hause in Wäschebergen versinken, ignoriere ich genüsslichst. Lasst mich in Ruhe! Ich habe das grosse Los im Lotto gezogen! Endlich lebe ich mein Traumleben!

Und alles so schön sauber...

Ich geniesse auch die wohl hundertste Rheinüberquerung mit der legendären Fähre und den geführten Stadtrundgang, trotz Regen und Kälte. Die Stadt aus den Augen meiner amerikanischen Mitarbeiter zu betrachten und den Erklärungen der waschechten Basler Reiseführerin zu folgen, die sich mit dem Englischen abquält, ist äusserst amüsant. Und ja, Basels pittoreske Altstadt ist sehr hübsch, dafür hatte ich als Schülerin nun wirklich keine Augen.

Im Zug nach Zürich

Nach einigen Tagen in dem modernen Loft stelle ich fest, dass ich mich in der sterilen und unpersönlichen Umgebung doch nicht so recht zu Hause fühle. Am Morgen der Abreise schneit es und als ich am Flughafengate Hebräisch höre, freue ich mich schon auf mein Zuhause, inklusive Lärm, Schmutz und Unordnung meiner Kinder.


Freitag, 15. März 2019

Party mit Überraschungen

Donnerstagabend. Zusammen mit einigen Bekannten sind wir zu einer Geburtstagsfeier bei einem Abendessen in Tel-Aviv eingeladen. Obwohl es in Tel-Aviv eine Vielzahl bester Restaurants gibt, ist der neueste Hype „Eat with“  kulinarische Erlebnisse bei privaten Gastgebern. Unsere Gastgeber sind Tomer, der  bevor er seine Kochleidenschaft zum Beruf machte – Chemie studierte und seine Frau Yael, welche ein Praktikum als Juristin absolviert. Ihre zwei kleinen Kinder schlafen schon, als wir in der modern renovierten Wohnung in einem älteren Haus in der Jabotinsky-Strasse eintreffen. Tomer und Yael haben in ihrer Stube die Sofas zur Seite gerückt und zwei grosse Tische gedeckt. Das vielversprechende Menü in sieben Gängen liegt sorgfältig gedruckt neben den Tellern. Während Tomer in der offenen Küche den ersten Gang kocht, essen wir knusprige selbstgebackene Foccaccia und mit Trüffeln und gedörrten Zwetschgen gewürzte Butter. Das Brot und die Butter sind köstlich und verheissen einen vielversprechenden Abend. Wir geniessen das Essen und unterhalten uns, zu angenehmer Musik und Gebrutzel aus der Küche.

Bis vor Kurzem hatte es geregnet und nun pfeift draussen ein starker Wind durch die Strassen. Das pfeift aber zünftig heute, sagt jemand. Einige von uns schauen sich fragend um. Es ist ein an- und absteigender Ton, der bei geschlossenen Fenstern nur mit einiger Anstrengung zu vernehmen ist, denn der Lärmpegel ist hier drinnen recht hoch. Das kann nicht der Wind sein, sagt schliesslich jemand. Vielleicht Ambulanzen? ratet ein Anderer. Wir schauen uns alle verwundert an. Es pfeift noch immer. Ein Attentatt? Das sind Alarmsirenen, behauptet jetzt einer der Gäste.

Ich nehme noch einen Bissen von dem wirklich phänomenal guten Brot mit Butter.

Sirenen? Ist heute ein Gedenktag? Gibt es eine Luftschutzübung? Nein? Weder noch. Luftschutzalarm! Ein Ernstfall!

Nach und nach erheben sich alle von ihren Plätzen, verdutzt, verwirrt, noch zaghaft. Tomer stellt die Pfannen zur Seite. Yael saust in das Kinderzimmer. Weil es in älteren Häusern keine Luftschutzräume gibt, drängt die ganze Gästegruppe, aufgeregt durcheinander redend, ins Treppenhaus. Ich nehme meine Handtasche mit und stelle sie dann wieder hin. Werde ich zurückkommen? Wer weiss?

Im Treppenhaus öffnen sich auf allen Stöcken die Türen und bald sind die schmalen Gänge mit Menschen überfüllt. Eltern mit besorgten Gesichtern sitzen neben ängstlichen Kindern auf den Stufen. Dann hören wir zwei Explosionen. Ich bin erschrocken und verwirrt. Seit Monaten berichtet die Presse von der Möglichkeit eines nächsten Krieges. Ist es jetzt tatsächlich soweit? Ich blicke in bestürzte Gesichter. Die Situation ist seltsam und unheimlich. Einer unserer Kollegen, ein Brigadier der israelischen Armee, telefoniert aufgeregt.

Die Sirenen verstummen. Wir warten noch einige Minuten, dann verlassen wir die fragwürdige Sicherheit des Treppenhauses und setzen uns wieder an den Tisch. Bald erfahren wir, dass zwei Raketen aus Gaza auf Tel-Aviv abgefeuert worden sind. Eine der Raketen konnte vom Abwehrsystem der immer wachsamen israelischen Armee in der Luft entschärft werden, die andere ging in unbewohntem Gebiet nieder.

Tomer wirft den Gasherd wieder an und kocht weiter. Während anfänglich noch alle über das soeben Geschehene und die Bedrohungen sprechen, plaudern wir mit fortschreitendem Abend bald wieder über Belangloses. Wir trinken Wein und lassen uns das Essen schmecken. Die Angst und den Schrecken verdrängen wir. Es bleibt ruhig und die sechs Gänge werden trotz des überraschenden Unterbruchs durchgezogen und dann noch von einem sündhaft guten Dessert gekrönt. Ein fast perfekter Abend!

Montag, 4. März 2019

Tischlein deck dich!


Unsere Tochter ist seit einigen Wochen Serviceverantwortliche in einem Schicki-Micki-Restaurant. Seit Sivan in dieser prestigereichen Funktion für den gesamten Service und das Servicepersonal zuständig ist, geht nun auch das ganze Drumherum bei unseren Familienmahlzeiten etwas anders über die Bühne: Als hätte sie nie etwas anderes getan, verteilt sie rigoros Aufgaben wie Tisch decken, Weinflasche öffnen, Getränke auftischen, abräumen, Geschirrspüler einräumen, undsoweiter. Sämtliche Anwesenden werden effizient rekrutiert, Befehle werden verteilt und erstaunlicherweise läuft unter dem energischen Regiment plötzlich alles ganz zackig ab. Ich staune nur noch – wo hat sie nur diese Autorität her? Ich selbst habe jahrelang immer vorgezogen, alles – meist zunehmend frustriert und verärgert – gleich selbst zu erledigen, weil ich im voraus schon wusste, dass ich nicht nachdrücklich genug sein würde, um die verwöhnten Kinder in Fahrt zu bringen. Sie hingegen setzt ein breites Lächeln auf, kommandiert alle herum – und schon läuft alles wie am Schnürchen.

Dafür fallen beim Essen jetzt Sätze wie:

Warum haben wir eigentlich keine Stoffservietten?

Der Broccoli dürfte schon noch etwas mehr Biss haben...

Calamarata-Pasta isst man mit Muscheln, Hummer oder Tintenfisch, aber sicher nicht nur mit Tomatensauce!

Das musst du mit etwas Balsamico-Crème dekorieren.

Was soll das heissen, du hast keine Balsamico-Crème?

Und, mit einem strengen Blick auf meine spülmaschinenstrapazierten Gläser: Also DAS würde bei uns nie durchgehen!