Freitag, 15. März 2019

Party mit Überraschungen

Donnerstagabend. Zusammen mit einigen Bekannten sind wir zu einer Geburtstagsfeier bei einem Abendessen in Tel-Aviv eingeladen. Obwohl es in Tel-Aviv eine Vielzahl bester Restaurants gibt, ist der neueste Hype „Eat with“  kulinarische Erlebnisse bei privaten Gastgebern. Unsere Gastgeber sind Tomer, der  bevor er seine Kochleidenschaft zum Beruf machte – Chemie studierte und seine Frau Yael, welche ein Praktikum als Juristin absolviert. Ihre zwei kleinen Kinder schlafen schon, als wir in der modern renovierten Wohnung in einem älteren Haus in der Jabotinsky-Strasse eintreffen. Tomer und Yael haben in ihrer Stube die Sofas zur Seite gerückt und zwei grosse Tische gedeckt. Das vielversprechende Menü in sieben Gängen liegt sorgfältig gedruckt neben den Tellern. Während Tomer in der offenen Küche den ersten Gang kocht, essen wir knusprige selbstgebackene Foccaccia und mit Trüffeln und gedörrten Zwetschgen gewürzte Butter. Das Brot und die Butter sind köstlich und verheissen einen vielversprechenden Abend. Wir geniessen das Essen und unterhalten uns, zu angenehmer Musik und Gebrutzel aus der Küche.

Bis vor Kurzem hatte es geregnet und nun pfeift draussen ein starker Wind durch die Strassen. Das pfeift aber zünftig heute, sagt jemand. Einige von uns schauen sich fragend um. Es ist ein an- und absteigender Ton, der bei geschlossenen Fenstern nur mit einiger Anstrengung zu vernehmen ist, denn der Lärmpegel ist hier drinnen recht hoch. Das kann nicht der Wind sein, sagt schliesslich jemand. Vielleicht Ambulanzen? ratet ein Anderer. Wir schauen uns alle verwundert an. Es pfeift noch immer. Ein Attentatt? Das sind Alarmsirenen, behauptet jetzt einer der Gäste.

Ich nehme noch einen Bissen von dem wirklich phänomenal guten Brot mit Butter.

Sirenen? Ist heute ein Gedenktag? Gibt es eine Luftschutzübung? Nein? Weder noch. Luftschutzalarm! Ein Ernstfall!

Nach und nach erheben sich alle von ihren Plätzen, verdutzt, verwirrt, noch zaghaft. Tomer stellt die Pfannen zur Seite. Yael saust in das Kinderzimmer. Weil es in älteren Häusern keine Luftschutzräume gibt, drängt die ganze Gästegruppe, aufgeregt durcheinander redend, ins Treppenhaus. Ich nehme meine Handtasche mit und stelle sie dann wieder hin. Werde ich zurückkommen? Wer weiss?

Im Treppenhaus öffnen sich auf allen Stöcken die Türen und bald sind die schmalen Gänge mit Menschen überfüllt. Eltern mit besorgten Gesichtern sitzen neben ängstlichen Kindern auf den Stufen. Dann hören wir zwei Explosionen. Ich bin erschrocken und verwirrt. Seit Monaten berichtet die Presse von der Möglichkeit eines nächsten Krieges. Ist es jetzt tatsächlich soweit? Ich blicke in bestürzte Gesichter. Die Situation ist seltsam und unheimlich. Einer unserer Kollegen, ein Brigadier der israelischen Armee, telefoniert aufgeregt.

Die Sirenen verstummen. Wir warten noch einige Minuten, dann verlassen wir die fragwürdige Sicherheit des Treppenhauses und setzen uns wieder an den Tisch. Bald erfahren wir, dass zwei Raketen aus Gaza auf Tel-Aviv abgefeuert worden sind. Eine der Raketen konnte vom Abwehrsystem der immer wachsamen israelischen Armee in der Luft entschärft werden, die andere ging in unbewohntem Gebiet nieder.

Tomer wirft den Gasherd wieder an und kocht weiter. Während anfänglich noch alle über das soeben Geschehene und die Bedrohungen sprechen, plaudern wir mit fortschreitendem Abend bald wieder über Belangloses. Wir trinken Wein und lassen uns das Essen schmecken. Die Angst und den Schrecken verdrängen wir. Es bleibt ruhig und die sechs Gänge werden trotz des überraschenden Unterbruchs durchgezogen und dann noch von einem sündhaft guten Dessert gekrönt. Ein fast perfekter Abend!

2 Kommentare:

canadaeinfach hat gesagt…

Das Abendessen kann ich nachvollziehen, den Alarm nicht. Es muss schwierig sein, immer mit diesen Bedrohungen zu leben. Alles Gute für euch da drüben!
Anita

Yael Levy hat gesagt…

Liebe Anita,
Danke für die guten Wünsche! Wirklich akuten Bedrohungen war ich eigentlich noch nie augesetzt, obwohl ich schon dreissig Jahre in Israel lebe. Schlimmer ist die konstante katastrophale und hoffnungslose Situation hier im Nahen Osten, die ̶ obwohl wir, oberflächlich gesehen, sehr gute Leben führen ̶ Einfluss auf alle Aspekte des täglichen Lebens hat.
Dir wünsche ich einen geruhsamen Sonntag!