Samstag, 9. August 2025

Meine Kinder sind keine Monster

Andiast, Kanton Graubünden


Und Schwups – schon ist der Urlaub vorbei. Die Tage mit meinen Kindern in der Schweiz waren intensiv, eine Mischung aus Spass, Freude, Schrecken, Trauer und Sorge. Ehrlich gesagt: Ein bisschen zu viel von allem, um erholsam zu sein.
Wie befürchtet, lag über allem nicht nur der Schatten grosser Sorgen um meine kranken, alten Eltern, sondern noch dazu – als Israelis, ein beklemmendes Gefühl, das uns begleitete: die spürbare Abneigung, der unterschwellige oder offene Hass.

Der Hunger in Gaza ist DAS Thema in der Schweiz. In jeder Nachrichtensendung wird darüber berichtet. Jede Stunde. Beim Autofahren wollen meine Töchter immer wieder, dass ich die Nachrichten übersetzte. Sie hören und verstehen nur … Israel, Gaza, Israel, Gaza.... Gibt es eigentlich noch andere Konfliktherde auf der Welt?
Was ist mit dem Hunger im Sudan, wo über 25 Millionen Menschen akut von Nahrungsmittelknappheit betroffen sind und etwa 770‘000 Kinder unter fünf Jahren an schwerer Mangelernährung leiden? In welchen Nachrichten wird darüber berichtet?

Uns hingegen erreichen in der (na ja, nicht mehr so) idyllischen Schweiz die von der Hamas veröffentlichten Videos der Geiseln Evyatar David und Rom Braslavski – zwei Männer, jünger als meine Kinder, die seit 22 Monaten von der Hamas in Gaza unter katastrophalen Bedingungen festgehalten werden. Sie sind Haut und Knochen. Es sind Bilder, die an die Leichenberge in den KZs erinnern. Die Videos lassen uns nicht mehr los, doch hier in der Schweiz berichtet man kaum darüber. Unsere Herzen sind schwer, wir fühlen uns allein, missverstanden, diffamiert.

Wenn meine Töchter gefragt werden, woher sie kommen, sagen sie, geübt: „aus Malta“. „Dort spricht man Maltesers“, schieben sie lachend nach, denn den Humor haben sie trotz allem noch nicht verloren. Nur einmal sagt Sivan wahrheitsgemäss „Israel“, worauf sich die Haltung der freundlichen jungen Frau hinter der Theke sofort sichtlich verändert. Sie strahlt jetzt Feindlichkeit aus, bricht die Unterhaltung ab, schickt böse Blicke.
Der arabisch-stämmige Kassierer im Lidl, der bei unserem früheren Urlaub die Braue bis zum Haaransatz hochgezogen hat, als wir „aus Israel“ antworteten, lächelt nun hingegen – einige Monate später – vielsagend. Er kann sich an uns erinnern, er wähnt sich unterdessen in der Siegerpartei und er ist sicher, dass er am längeren Hebel sitzt.

An einigen Hauswänden in Basel steht „In Gaza verhungern Kinder“. Ich möchte ergänzen „... und israelische Geiseln. Wegen Hamas“, aber ich habe keine Spraydose dabei. Also schlucke ich meinen Protest herunter. Aber wir tragen die Erinnerung an Nitzan und Lidor, an Yuval und Shir, an die 1200 Ermordeten, an die 900 seit Kriegsbeginn gefallenen Soldaten und die Tausenden Verletzen in unseren Herzen und jedes „Free Palestine“-Graffiti, jedes Palästinensertuch treffen uns tief und ziehen uns den Boden unter den Füssen weg.

Eine Anti-Israel  Demo verpassen wir zum Glück um wenige Minuten. Ich bin froh darüber, denn es ist äusserst unangenehm, in eine Menge zu geraten, die die Auslöschung deines Volkes skandiert, während Passanten desinteressiert zusehen. Mein ehemaliger Schulkamerade Gabriel Strenger, unterwegs nach Kleinbasel, verpasste die Demo nicht, er ging mutig in der Menge mit und rief, als einziger Lichtblick unter Verwirrten „Am Israel Chai“. Hier sein Video und Kommentar auf Facebook.

Ja, wir lachen, geniessen Momente – doch niemand lebt in einer Blase, nicht einmal im Urlaub. Am Ende sehnen wir uns zurück nach Israel, wo die Menschen unseren Informationsstand, unsere Sorgen und Gedanken teilen. Wo wir nichts erklären und uns nicht verstecken müssen.
In unserer Heimat ist Krieg. Wir sind traumatisiert. In der Schweiz empfinde ich kein Mitgefühl, keine Empathie. Im Gegenteil – das Thema ist zu heiss, keiner spricht es an. Aber Schweigen ist auch eine Haltung.


Medienflut und Selbstschutz

Weil ich im Urlaub kaum Zeit für Social Media habe, schaffe ich doch etwas Abstand. Facebook und Instagram sind meine Haupt-Nachrichtenquellen. Ich schaue kein Fernsehen, auch zu Hause nicht. Auf Social Media lese ich Meinungen und bekomme immer die neuesten Artikel. Natürlich filtert der Algorithmus für mich – und der Überfluss an negativen Nachrichten über das Geschehen in Nahost überflutet mich.

Zurück nach Israel beschliesse ich, meinen Facebook- und Instagram-Konsum auf 15 Minuten pro Tag zu beschränken.
Doch noch vor diesem Vorsatz kommentiere ich auf Instagram einen Post. Ein kleines dänisches Wollunternehmen, von dem ich schon gekauft habe, startet eine Spendenaktion „für hungernde Kinder in Gaza“. Ich schreibe einen pro-israelischen Kommentar. In kürzester Zeit hat er über 50 Likes – und noch mehr völlig absurde Hasskommentare. Der gesamte Post der Firma bekommt mehr als 1500 Kommentare, sonst sind es höchstens 70. Gaza polarisiert. Genau das wollen die Hamas und der Iran, ihr politischer und militärischer Unterstützer: dass selbst die hinterletzten Strickerinnen irgendwo auf der Welt hasserfüllt aufeinander losgehen.
Viele ziehen Holocaust- und KZ-Vergleiche. Jemand schreibt: „Ärzte berichten, dass die Kinder von der IDF direkt in den Kopf geschossen werden. Absichtlich ins Visier genommen. Sie sind Monster.“


Echt jetzt? Meine drei Kinder haben alle je drei Jahre in der IDF gedient, Eyal sogar vier, dazu noch unzählige Reservedienste, vor und nach dem 7. Oktober Pogrom. Die Männer in Kampfeinheiten. Meine Kernfamilie verfügt über mindestens 15 Jahre IDF-Erfahrung. Ich habe immer wieder verschwitzte Uniformen gewaschen und mehr Eindrücke gehört, als man je zählen könnte – direkt und ungefiltert. Wir haben viele Freunde und Bekannte, die in Gaza im Einsatz sind. Ich habe also ein bisschen eine Ahnung, was in der IDF passiert.
Und dann sitzt da jemand irgendwo in Skandinavien und verbreitet, die IDF – also meine Kinder! – würden palästinensischen Kindern absichtlich in den Kopf schiessen.
Wie absurd das alles ist!

Die ersten Tage mit reduziertem Social Media Konsum verlaufen gut. In meinen Ruhestunden höre ich Podcasts, schaue mir einen Film an, lese viel. „Martha und die Ihren“ von Lukas Hartmann schliesse ich am Abend nach meiner Rückkehr ab (ein mitreissendes Zeitdokument, aber der emotional distanzierte, nüchterne Stil ist nicht mein Ding). Danach überfliege ich „Altern“ von Elke Heidenreich (viel weniger eindrücklich als die Person Elke Heidenreich selbst). Gerade habe ich die ersten Kapitel von „Tabak und Schokolade“ des Basler Autors Martin R. Dean verschlungen (sehr vielversprechend).

Vielleicht werde ich in Zukunft gezielt die Zeitungsartikel aufsuchen, die mir bisher von Facebook zugespült worden sind. Ich werde meine Augen nicht vor den Entwicklungen auf der Welt verschliessen, aber es muss mir ja nicht täglich in unkontrollierter Menge eingehämmert werden, wie schrecklich die Situation ist. Das tut keinem gut.
Die Nachrichten werden mich finden, wenn es sein muss. Und wenn nicht – umso besser!

Immerhin empfangen uns die Sonnenblumen am Eingang zum Dorf meiner Eltern einladend und wohlgesinnt.




2 Kommentare:

Schreibschaukel hat gesagt…

Ich bin froh, dass ihr trotz allem ein paar schöne Momente hattet hier ...leider nicht (mehr) selbstverständlich.

Cattan hat gesagt…

Ich lese sehr gerne deine Berichte aus dem gelebten Alltag. Auf deinen Blog bin ich über die liebe Schreibschaukel gekommen.
Diese Woche, 18.Av, waren es gerade 15 Jahre seit unserer Alyah .
Seither haben wir die Schweiz nur noch auf Bildern gesehen.Ja, die Berge und die Alpen, die fehlen uns manchmal.Ansonsten sind wir trotz allem hier zu Hause und ich würde nicht mehr zurückgehen wollen, um dort zu wohnen.