Donnerstag, 10. April 2025

Nichts ist wie es war

Auf Sabine Ta'asa's Geschichte bin ich im Britischen Bericht gestossen. Aus persönlichen Gründen konnte ich nicht einfach weiterlesen, ich musste mehr über die Frau und ihre Familie aus Netiv HaAsara erfahren. Hier ist ihre Geschichte vom 7. Oktober 2023:

Or Ta'asa (17) war in den frühen Morgenstunden mit Freunden am nahegelegenen Strand Zikim, unmittelbar nördlich der Grenze zwischen Gaza und Israel. In einer ersten Welle schafften es acht Terroristen, über das Wasser aus Gaza nach Israel einzudringen (einige wurden abgewehrt). Or, vier weitere Jugendliche und ein Erwachsener versteckten sich in den öffentlichen Toiletten am Strand. Die Terroristen fanden die Flüchtenden und ermordeten alle kaltblütig. Kurz nach 06:30 Uhr telefonierte seine Mutter Sabine noch mit Or, sie hörte dabei schon das Schiessen im Hintergrund. Wenige Minuten später wurde Or von den Terroristen mit sechs (!) Kopfschüssen in der Toilettenkabine hingerichtet, kurz bevor sie die weiteren Jugendlichen in den anderen Kabinen niederstreckten. Das Ganze streamten die Terroristen life auf Telegram.

Etwa zeitgleich drangen weitere Terroristen in das Haus der Familie Ta'asa in Netiv HaAsara ein, wie von den Überwachungskameras detailliert aufgezeichnet wurde. Sabine Ta'asa schloss sich mit dem 15-jährigen Sohn Zohar im Schutzraum des Hauses ein. Die Aufnahmen zeigen, wie Gil Ta'asa, der Ehemann von Sabine, mit den zwei jüngeren Söhnen, Shay und Koren, alle erst gerade aufgewacht und deshalb noch in Unterwäsche, in einen anderen Schutzraum auf der Rückseite des Hauses eilten. Während Gil die 12- und 9-Jahre alten Jungen in den Bunker schob, warf einer der Terroristen eine Granate in Richtung des Bunkers. Gil stürzte sich auf die Granate, er wurde zerfetzt und rettete damit seine Söhne. Die Angreifer schossen Gil in den Kopf, um sicherzustellen, dass er tot war und führten dann die beiden verletzten, blutüberströmten und panischen Kinder in die Küche. Einer der Terroristen öffnete den Kühlschrank der Familie, trank aus einer Colaflasche und fragte die Kinder, ob sie Wasser wollen. Ein weiterer Terrorist benutzte das Telefon des älteren Jungen, um auf Facebook die Ermordung des Vaters zu posten. Dann zogen sie weiter und liessen die vollkommen schockierten Jungen in der Küche zurück, dem Jüngeren war einer der Augäpfel aus der Höhle gesprungen. Kurz darauf flohen die Ta'asa-Jungen aus dem Nebenhaus und rannten zum Haus ihrer Mutter. Sabine, die nicht wissen konnte, ob die Terroristen noch im Haus waren, öffnete unter Lebensgefahr die Türe des Schutzraumes, um ihre zwei verletzten Söhne zu sich zu holen. Von ihnen erfuhr sie, dass ihr Mann tot ist. Sabine versuchte aus dem Schutzraum auf allen nur erdenklichen Wegen irgendwelche Hilfe zu erhalten, der verletzte Sohn schien im Sterben zu liegen. Doch erst viel später konnten sie gerettet und evakuiert werden. Dass der ältere Sohn Or ebenfalls ermordet worden war, wussten sie damals noch nicht.




Auf YouTube gibt es ein längeres Video, in welchem Sabine über die detaillierten Abläufe dieser Stunden berichtet. Ich höre mir das Video an, ich bin paralysiert dabei, mein Herz rast und ich habe noch lange danach starkes Herzklopfen.

Sabine und ihre drei überlebenden Söhne leben zur Zeit in Netanya, also ganz in meiner Nähe. Es geht ihnen schlecht. Wie alle Bewohner der Kibbutzim in der Umgebung des Gazastreifens haben sie ihre gewohnte Umgebung, ihre Bekannten und Freunde verloren oder verlassen müssen, der jüngere Sohn ist auf einem Auge blind und sie sind alle stark traumatisiert.

Sabine Ta'asa kämpft heute nicht nur für die Genesung ihrer Söhne, sondern auch um internationale Anerkennung und Unterstützung für die israelischen Opfer, vor allem die Kinder. Ein Jahr nach dem Massaker sprach sie vor dem UNO-Gremium für Kinderrechte und drängte darauf, sich auf die israelische Jugend zu konzentrieren, nicht nur auf die aus dem Gazastreifen.

Diese Geschichte – eine von Vielen – lässt mich aufgewühlt und betroffen zurück. Während Sabine erregt erzählt, fiebere ich mit. Und dann – bin ich einfach nur schockiert, dass wir uns schon wieder im Alltagsmodus befinden. Mir wird bewusst, wie leicht es ist, eineinhalb Jahre danach die Opfer des Massakers aus den Augen zu verlieren.

Tausende Israelis sind am 7. Oktober durch die Hölle gegangen, sie haben alles verloren und kämpfen seither mit den Verletzungen, den Verlusten und dem Trauma. Wir hingegen – wie schnell wir in unsere alten Leben zurückgefunden haben. Wie schnell wir unseren Alltag, unsere Leichtigkeit und Selbstzufriedenheit wieder aufgenommen haben. Das ist nicht zu fassen. Dabei ist doch rein gar überhaupt nichts, wie es einst war. 



Gegen das Vergessen kann man unter anderem Details über alle Ereignisse auf dem digitalen Gedenkprojekt von KAN 7.10.360 nachlesen. Der Angriff auf die Ta'asa Familie ist hier ausführlich beschrieben.





2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Danke für den Hinweis. Wenn es auch eine zwiespältige Sache ist, so in das Leben anderer Menschen hineinzuschauen, so ist es doch noch wichtiger, zu erfahren, was da geschehen ist, was Menschen erlitten haben und an sie zu denken. Anne

Yael Levy hat gesagt…

Liebe Anne, ich stimme dir zu. Jedermann sollte wissen, was geschehen ist. Deshalb sucht auch Sabine Ta'asa die Öffentlichkeit.