Schon lange träume ich von einer Wohnung mit grossem Balkon in Tel-Aviv. Unser Einfamilienhaus in einem ruhigen Dorf, hinter der Schule und gleich neben einem Kinderspielplatz, entsprach unseren Bedürfnissen, als wir kleine Kinder hatten. Jetzt erwartet mich nach der Arbeit ein zu ruhiges Dorf, ein leeres Haus – und ein gähnendes "und was jetzt?". Das kulturelle Angebot im Dorf ist mickrig, ein Café oder Restaurant gibt es nur im hässlichen kleinen Handelszentrum des Dorfes und auch dort ist am Shabbat alles geschlossen. Das Meer und die nächste – ziemlich menschenleere – Strandpromenade liegen eine zwanzigminütige Autofahrt entfernt. Ich habe viele Interessengebiete und kann mich bestens selbst beschäftigen, langweilig wird mir nie. Und doch – wie wunderbar wäre es, nur vor die Türe zu treten und mich mitten in Tel-Aviv, dieser quirligen Stadt der Fröhlichkeit und der Lässigkeit wiederzufinden. Ich liebe die Metropole am Mittelmeer, mit den vielfältigen Menschen in meist luftigem Look, den zahlreichen Cafés, den kleinen Läden, den Märkten, dem breitgefächerten Angebot an Aufführungen aller Art und natürlich der eindrücklichen Strandpromenade, die es leicht mit der Copacabana aufnehmen kann. Das Gras des Nachbarn scheint so viel grüner als das eigene und es lockt: Der Traum von einer Wohnung in einer lebhafteren und unterhaltsameren Gegend lässt mich nicht los.
Öfter hinzufahren ist leider keine gute Option, da die Stadt sowohl mit dem Auto (immer verstopft und keine Parkplätze) als auch mit dem öffentlichen Verkehr (sehr beschwerlich und am Shabbat gar nicht vorhanden) nur mit grossem Aufwand zu erreichen ist.
Am Wochenende laufe ich über die Felder und durch das Wäldchen, das zwischen unserem und den Nachbardörfern liegt. Dabei schweift mein Blick über die sattgrünen, noch taufrischen Wiesen, die kleinen Dörfer und die Hügel bis zum Horizont. Die Gegend liegt ruhig und besinnlich an diesem bewölkten Morgen, nur einige freundliche Läufer, Spaziergänger und Radfahrer kommen mir entgegen. Berauschender Duft von regengetränkten Wiesen und überreifen Erdbeeren beflügelt mich beim Laufen. Die Wiesen strahlen in frühlingshaftem Gelb, unterbrochen von leuchtend roten und violetten Punkten. Es sind Blumen, deren Namen ich mir auf Hebräisch noch nie habe merken können und die ich in meiner Muttersprache nicht mehr kenne. So bleibt mir nichts anderes übrig, als mich einfach über die namenlose Pracht zu freuen. Ein besonders gut gelaunter Radfahrer überholt mich, dreht sich nach mir um, wünscht mir laut einen guten Morgen und schiebt ein "alle Achtung!" hinterher.
In diesen Momenten weiss ich: Solange ich laufen kann, möchte ich diese Gegend um nichts auf der Welt gegen irgendeine Stadtwohnung tauschen.
2 Kommentare:
Ein wunderschöner Artikel – so poetisch und doch so voller Lebensweisheit! 😊 Die moderne Interpretation der Fabel von Stadtmaus und Feldmaus berührt wirklich, besonders wie Sie die Gegensätze zwischen Hektik und Ruhe, zwischen "immer mehr wollen" und "das Schöne im Kleinen sehen" einfangen. Ein perfekter Text für den Frühling, der zum Nachdenken über das eigene Tempo anregt. Danke für diese feinfühlige Geschichte!
Vielen Dank für diesen wunderbaren Kommentar, liebe Sandra!
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