Abgesehen vom Staunen über die Babys beeindruckte mich besonders die Mutter der Zwillinge. Meine Nichte hat sehnsüchtig auf Kinder gewartet und nun, da ihr grösster Wunsch in Erfüllung gegangen ist, strahlt sie vor Glück und Liebe wie die Sonne am Himmel. Das ist in Anbetracht der noch recht bescheidenen Talente und intellektuellen Fähigkeiten und dem nicht gerade umwerfenden Aussehen der noch etwas schrumpligen kleinen Würmchen für Aussenstehende nur schwer nachvollziehbar. Auch der Vater scheint sich in seiner neuen Rolle noch nicht so recht zu finden. Er klammert sich vor allem an die Anweisungen seiner Frau, wirkt aber recht verloren und das wird wohl so bleiben, bis er mit den Bengeln wird Fussball spielen können. Doch die Mutter ist unbeirrt, sie interpretiert jedes Zucken in den zarten Gesichtern als liebevolles Lächeln, strahlt ihrerseits die Kinder an und schmust sie ununterbrochen ab.
"Küsse sie nur, solange sie das noch zulassen", lacht die Urgrossmutter, meine Schwiegermutter. "Natürlich werde ich sie küssen, auf den Mund sogar, mindestens bis sie 35 sind oder heiraten, was immer vorher kommt!" lacht die bis über beide Ohren verknallte Mutter zurück.
Es ist ein Wunder der Schöpfung und die Mutterliebe ist – in den meisten Fällen – ein Teil des Gesamtpaketes.
Ich weiss, wovon ich spreche. Mein eigenes kleines "Würmchen", demnächst 23, weilt seit zwei Wochen in Thailand im Urlaub. Um genauer zu sein, befindet sie sich gerade auf dem Rückflug. Aber erst, nachdem sie diesen gegen Mittag beinahe verpasst und wir beide einige schweisstreibende Stressmomente durchgestanden haben. Ja, sie haben richtig gelesen, wir beide, sowohl sie als auch ich – dank der völlig überflüssigen App "Wo ist?". Mit dieser App kann ich nämlich auf meinem Handy jederzeit nachverfolgen, wo mein Töchterchen sich befindet, sogar in siebentausend Kilometern Entfernung. Und nein, das ist keine gute Einrichtung, vor allem keine beruhigende. Natürlich haben wir die App, die nur mit Einwilligung des zu ortenden Handy-Besitzers funktioniert, nur für den Notfall eingerichtet. Zum Beispiel, falls das Handy gestohlen, oder für den schlimmeren Fall, dass das Handy zusammen mit der Besitzerin gestohlen werden sollte – das soll es ja geben. Ob es sehr hilfreich wäre, dass ich in einem dieser Fälle einen Punkt auf einem fernen Kontinent in einer App nachverfolgen könnte, sei dahingestellt.
Leider konnte ich es mir nicht verkneifen, instinktiv einen Blick auf die App zu werfen, als ich erwartete, Lianne am sicheren Gate des Bangkoker Flughafens vorzufinden. Ich hoffte, nach zwei Wochen gefährlicher Fahrten auf allerlei improvisierten Mofas und morschen Fähren, Besuchen von Voll- und Halbmond-Partys und in schmutzigen Tattoo- und Massagesalons endlich aufatmen zu können. Entgegen meiner Erwartung bewegte sich der Punkt in der App jedoch zermürbend langsam irgendwo in Downtown Bangkok in eine dem Flughafen entgegensetzte Richtung – zwei Stunden vor dem Abflug! Oh Gott, sie wird den Flug verpassen! Mein Mutterinstinkt schlug sofort Alarm. Jetzt konnte ich den Punkt in den nächsten 40 nervenaufreibenden Minuten erst recht nicht mehr aus den Augen lassen. Doch der Punkt bewegte sich zunächst in die falsche Richtung, dann nicht vom Fleck. Als er sich endlich im Schneckentempo in Richtung des Flughafens in Bewegung zu setzen schien, versuchte ich die verbleibende Fahrzeit anhand der geschätzten Distanz und der über den Daumen gepeilten Reisegeschwindigkeit zu berechnen. Das war jedoch, so sehr ich mir auch alle je erlernten mathematischen Formeln in Erinnerung rief, ein unmögliches Verfangen. Die Ankunftszeit war nicht absehbar und mir blieb nichts anderes übrig, als mit blank liegenden Nerven meine Augen auf einen Punkt zu heften, der sich auf einer Karte nördlich des Golfs von Thailand im Schneckentempo in östliche Richtung bewegte – und abzuwarten.
Wie ich schon vorweggenommen habe, der Punkt, das Pünktchen, mein Würmchen, sitzt, während ich diese Zeilen schreibe, im Flugzeug und sollte demnächst in Tel-Aviv ankommen. Schlussendlich ist wieder einmal alles gut gegangen.
Meiner Nichte wünsche ich viel Freude mit ihrem Mutterglück, und – mit aller Liebe – vor allem viel Gelassenheit.
Und sonst? Sivan lädt ein Video auf Instagram hoch, in welchem sie in ihrer dampfvernebelten Dusche lachend die Huthis verflucht, während durch das leicht geöffnete Fenster deutlich der auf- und abschwellende Heulton der Luftschutzsirenen zu vernehmen ist. Unser Kriegsalltag.
Auch aus Gaza wird Israel im Süden weiterhin beschossen, gerade auch letzte Nacht. Ich verstehe wirklich nicht, wie die Hamas immer noch dazu in der Lage ist, 15 Monate nach Kriegsausbruch und während auf der ganzen Welt berichtet wird, Gaza läge in Schutt und Asche.
Wo sind die 100 Geiseln, unsere Brüder und Schwestern? Seit 15 Monaten werden sie von der Hamas und palästinensischen "Zivilisten" gefangen gehalten. Ihre Angehörigen haben keine "Wo ist?" App und sie hätte ihnen auch nichts genützt. Sie wissen seit 453 Tagen nicht einmal, ob ihre Liebsten noch am Leben sind.
Für das neue Jahr hoffe ich vor allem auf gute Nachrichten. Möge diese unsägliche Höllentortur endlich schnell ein möglichst gutes Ende haben.
Mögen alle im neuen Jahr geborenen Kinder sicher und in Frieden aufwachsen!