Während ich am Donnerstagabend, zwar zeitgemäss aber nichtsahnend, diese Zeilen schreibe und veröffentliche, ist ein junger Mann aus Dschenin, der dazu erzogen worden ist, Terror und Tod mehr zu achten als das Leben, im Bus nach Tel-Aviv unterwegs.
Meine beiden Töchter probieren zur selben Zeit im Dizengoff-Shoppingzentrum Bikinis für den bevorstehenden Sommer an. Sie schicken lustige Fotos aus der Umkleidekabine. Etwas später gehen sie zum Dizengoffplatz, um Freunde zu treffen. Sivan wohnt nur wenige hundert Meter entfernt von dem Platz mit dem Springbrunnen. Wie jeden Donnerstagabend finden sich hunderte unbekümmerte junge Leute hier ein, um das bevorstehende Wochenende zu feiern.
Dann schlägt die Stimmung in Sekundenschnelle um. Schreiende Menschen kommen den Mädchen entgegengerannt. Sie rufen „Terroristen!“ und „Attentat!“ und reissen jedermann mit. In den umliegenden Bars und Restaurants werfen erschreckte Leute Tische und Stühle um und laufen um ihr Leben. Auch meine Töchter und ihre Freunde laufen davon. Sie suchen Schutz in einem Hauseingang. Dort verbringen sie einige Zeit, bis sie in einem Moment der vermeintlichen Sicherheit die weiteren paar Hundert Meter bis zu Sivans Wohnung wagen. Aus den Medien wird bekannt, dass der Terrorist in einer Bar das Feuer eröffnet und dass es bei dem grausamen Attentat Tote und viele Verletzte gegeben hat. Der Terrorist konnte entkommen und war auf der Flucht.
Die Bewohner Tel-Avivs werden gebeten, ihre Wohnungen nicht zu verlassen und sich von den Fenstern fernzuhalten. Im Netz kursieren Videos von Grossaufgeboten an Polizisten, Soldaten und Eliteeinheiten, die Strassen, Hinterhöfe und Wohnungen durchsuchen. Lianne wird klar, dass sie nicht zu dem im Dizengoff-Zentrum geparkten Auto zurückkehren kann und dass sie die Nacht bei ihrer Schwester verbringen wird. In der Wohnung befinden sich noch weitere Freunde, die Schutz suchen. Die jungen Leute machen die ganze Nacht kein Auge zu. Helikopterlärm und Gedanken an wahnsinnige Terroristen, die sich im Gebüsch des Hinterhofs versteckt halten und an schwerbewaffnete Soldaten, die jederzeit an der Türe poltern könnten, lassen sie nicht schlafen.
Auch ich bleibe lange wach. Dann lege ich mich mit der unangenehmen Erkenntnis schlafen, dass es ein ungeheures Privileg ist, überhaupt in einem sicheren Bett zu liegen.
In den frühen Morgenstunden wird der Terrorist in Jaffa, wo er in einer Moschee Schutz gesucht hatte, gefunden und nach kurzem Schusswechsel erschossen.
Danach wähnt sich Lianne sicher genug, um nach Hause aufzubrechen. Sie geht in Richtung Dizengoff-Parking, am Ort des Attentats, an Scherben, umgeworfenen Stühlen und Tischen vorbei. Dabei wundert sie sich, dass Menschen unterwegs sind, als wäre dies ein Morgen wie jeder andere.
Das Durcheinander unserer Gefühle nimmt kein Ende. Bei Tagesanbruch offenbart sich, dass der Sohn von Eyals Cousin bei dem Attentat erschossen worden ist. Die unsägliche Nachricht lässt sich auf keine Art und Weise mit den Namen unserer Verwandten verbinden, die ich nie anders als lachend und gut gelaunt angetroffen habe. Es ist unfassbar. Wir sind erschüttert.
Lianne trifft ein und am Nachmittag auch Sivan. Ich bin froh, dass sie mit heiler Haut davongekommen sind, aber mein Herz ist unendlich schwer. Wir sind mit dem Schrecken davongekommen und dieser steckt uns das ganze Wochenende tief in den Knochen. Während der Beerdigung am Sonntag wird das bisschen Schrecken zum hinfälligen Nichts angesichts des unermesslich tiefen Abgrunds, der sich vor Tomers Eltern, seinen Geschwistern und seiner Freundin aufgerissen hat. Für sie wird jetzt nichts mehr sein, wie es war.
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